8 Mile
(8 Mile)
USA 2002, 110 Minuten
Regie: Curtis Hanson

Drehbuch: Scott Silver
Musik: Dr. Dre, Eminem, Jay-Z, Kid Rock, Xzibit
Director of Photography: Rodrigo Prieto
Montage: Jay Rabinowitz, Craig Kitson
Produktionsdesign: Philip J. Messina, Kevon Kavanaugh

Darsteller: Eminem (Jimmy „Rabbit“ Smith), Kim Basinger (Stephanie Smith), Brittany Murphy (Alex), Mekhi Phifer (Future), Chloe Greenfield (Lily Smith), Evan Jones (Cheddar Bob), Omar Benson Miller (Sol George), De’Angelo Wilson (DJ Iz), Eugene Byrd (Wink), Taryn Manning (Janeane), Michael Shannon (Greg Buehl), Anthony Mackie (Papa Doc)

How the fuck can I be white, I don’t even exist

Schon wieder einer, der singt, und glaubt schauspielern zu können / zu müssen? Schon wieder eine Hollywood-reife Verballhornung einer Realität, die doch so ganz anders ist? Schon wieder? Britney Spears hat sich blamiert. Mariah Carey hat sich noch mehr blamiert – und dann Marshall Mathers, der sich selbst Eminem nennt und den White Trash in die angepasste Glamourwelt und die seichten, weil konfliktfreien Zonen einer Filmwirtschaft hebt, wo er nichts anrichten kann? Ich habe keinen Bezug zu Eminems Musik und auch keinen zu Rap und Hip Hop. Aber irgendwie beschleicht mich ein ungutes Gefühl, wenn ich beispielsweise in einer Filmkritik in der „Frankfurter Rundschau“ lese, es gehe in diesem Film um die Welt der „Habenichtse“, während der Artikel gleichzeitig um eine Beurteilung des Films herumschwirrt wie die Motten ums Licht.

Habenichtse“. Wenn Curtis Hanson („Am wilden Fluss“, 1995; „L.A. Confidential“, 1997; „Die Wonder Boys“, 2000) eines in „8 Mile“ zeigt, ja, dann ist es ein Ausschnitt aus dieser Welt der „Habenichtse“, die mir allemal lieber ist als die Welt der „Habealles“.

Wir schreiben das Jahr 1995 und befinden uns in Detroit, einer Stadt, die zumindest zu einem großen Teil von Armut, Kriminalität und Verfall gezeichnet ist. „8 Mile“, das ist die Straße, die das Armenviertel der Weißen und der Schwarzen voneinander trennt. Rap ist für viele hier das einzige, was Spaß macht, was Leben ausmacht und wo sich weiße wie schwarze Jugendliche wohlfühlen. Auch Jimmy Smith, genannt „Rabbit“ (Eminem), gehört zu den weißen Underdogs, denen die eigene Familie nicht so wichtig ist wie der Zusammenhalt mit Jugendlichen aus ähnlichen Verhältnissen. Halt, bis auf eine Ausnahme: Jimmys kleine Schwester Lily (Chloe Greenfield), für die er alles tun würde, während seine Mutter Stephanie (Kim Basinger) sich in einer Mischung aus Selbstmitleid, (sexueller) Abhängigkeit von einem Ex-Schulkameraden Jimmys, Greg Buehl (Michael Shannon), und Bingo-Sucht fast schon aufgegeben hat.

Jimmy treibt sich herum, mit seinen Freunden Future (Mekhi Pfeifer), der ihn gern auf die Bühne holen würde, um gegen den Rap-Star Papa Doc (Anthony Mackie) anzutreten, mit dem immer einen politischen Analysespruch auf den Lippen mitführenden DJ Iz (De’Angelo Wilson), Sol George (Omar Benson Miller) und dem Heißsporn Cheddar Bob (Evan Jones). Jimmy will eine Rapper-Karriere. Doch beim ersten Antritt gegen Papa Doc hat er die Hosen voll und kotzt auf der Toilette vor Aufregung und Angst zu versagen. Papa Doc und seine Leute lachen über ihn. Future will Rabbit unbedingt auch weiterhin zum Rap-Battle bringen; er mag den tagsüber an einer Stanzmaschine in einer der vielen Autofabriken arbeitenden Jimmy, der seiner Freundin gerade den Laufpass gegeben hat, keiner weiß so genau warum.

Während der Arbeit lernt Jimmy die hübsche Alex (Brittany Murphy) kennen, die von einer Karriere als Model träumt, die sie nach New York führen soll. Jimmy verliebt sich in Alex, verschweigt ihr allerdings, dass er bei seiner Mutter in einem der Trailer-Parks lebt. Alex ist Jimmy auch nicht gleichgültig; in einer Nische irgendwo in der Fabrik schlafen sie miteinander.

Die Situation spitzt sich zu, als Jimmys Mutter die Kündigung des Vermieters erhält, weil sie drei Monatsmieten im Rückstand ist, und Buehl sie fallen lässt wie eine heiße Kartoffel. Bingo ist zudem nicht gerade eine erfolgversprechende „Arbeit“. Dann verkracht sich Jimmy auch noch mit Future; und Alex schläft mit einem aus der Gruppe um Papa Doc. Mit einer Rapper-Karriere, einem Raus aus der Tristesse der Vorstädte Detroits steht es nicht zum besten ...

Sicher: „8 Mile“ zeigt in Erzählung, Verhalten, Ton und Musiktexten eher Zurückhaltung. Sicher, vieles von dem, was Hanson und Scott Silver vorführen, geht auf die Biografie Eminems zurück. Auch sicher, „8 Mile“ verschafft eine Art „mustergültigen“ Eindruck vom Leben in den Vorstädten Detroits, eben aufbereitet für United International Pictures und damit auch für ein Publikum, dem der Film nicht wehtun soll. Wenn man böse sein will, kann man zusätzlich behaupten, der Film sei ein zusätzlicher Meilenstein in der Karriere eines bereits „angekommenen“ White-Trash-Rappers wie Eminem.

Alles richtig, jedenfalls zum Teil. Aber „8 Mile“ ist eben mehr. Hanson zeigt uns Bilder, die man ansonsten nur selten oder gar nicht zu sehen bekommt, Bilder einer trostlosen Stadt, verfallener Stadtviertel, Bilder von Menschen, schwarz wie weiß, die in einer Welt gefangen sind, die sie sich bestimmt nicht selbst ausgesucht haben. Die Atmosphäre, die Rodrigo Pietro mit seinen Bildern eingefangen hat, ist fast schon eine fremde Welt, die mit der unsrigen nichts zu tun zu haben scheint. Diese Welt ähnelt eher Städten wie Beirut oder Djakarta in den Bereichen, für die die Touristikbranche keine Werbung machen könnte. Verfall und Einsamkeit treffen als Begriffe diese Atmosphäre vielleicht am besten. Sex ist in dieser Welt kaum Ausdruck von Liebe, sondern eher ein amüsanter Zeitvertreib, um die Tristesse für Momente zu vergessen. Arbeit – wie in einer der Automobilfabriken – ist eine lästige, phantasielose, öde Veranstaltung, um an ein bisschen Geld zu kommen. Und trotzdem herrscht zwischen Rabbit und seinen Freunden eine tief empfundene Zuneigung, eine Wärme, die die soziale Kälte der Vorstädte beheizt.

Hanson lässt zwischen den weißen Protagonisten des Rap, also vor allem Eminem selbst, und den schwarzen keinen Rassismus aufkommen. Sie verstehen sich. Das könnte man dem Film ankreiden, weil White Trash ohne Rassismus eher die Ausnahme zu sein scheint. Andererseits schadet es nicht der Glaubwürdigkeit der Geschichte, die Hanson erzählt. Denn der Zusammenhalt zwischen Rabbit und seinen schwarzen Freunden ist durchaus überzeugend dargestellt. Rabbit zwingt sich, in dieser afroamerikanischen Welt Halt zu finden, freiwillig, weil er Rap mag. Er ist es zunächst, der die Sympathie der anderen braucht, nicht die anderen unbedingt die seine. So findet er Freunde. Und so begreift er, dass es ihm nicht viel anders geht als den Schwarzen. Die Straße „8 Mile“ hat für ihn irgendwann keine Bedeutung mehr.

Und so kämpft er sich hoch, bis zum Endkampf mit Papa Doc. Der Sieg in diesem Battle wird ihm Eingang verschaffen in die Welt des schwarzen Rap, mehr zunächst nicht – und irgendwann vielleicht Erfolg bringen, wie Eminem selbst.

White Trash ist eine merkwürdige Erscheinung. Früher repräsentiert durch die patriotisch-dumpfen Gesänge von Country-Musik, macht er sich in den 90er Jahren Luft in der (musikalischen) Jugendrevolte, die den Hass auf ihre Fahnen geschrieben hat. Da werden Schwule und Lesben, Schwarze, „Andersartige“ beleidigt und beschimpft, aber in einer anderen, abstrakten Art und Weise, die die Beleidigten selbst zu Masken des Hasses macht. In einem aufschlussreichen Artikel schreiben Arno Meteling und André Suhr zu diesem Phänomen resümierend:

„Aber wer spricht dann [durch die Texte Eminems z.B., d. Verf.]? Am ehesten noch die zu Wort kommenden Diskurse selbst, die verdrängten Momente der Barbarei, die ungehemmte Gewalt, das Recht des Stärkeren, die unkontrollierte Wut und der Hass gegen alles und jeden und Rache am Rest der Welt; es sind vielleicht diese Ideen des Prä-Zivilisatorischen und Un-Kultivierten, die sich hier ihr Ventil zu suchen und deren medialer Effekt die Figur Eminem ist. Der White Trash, die Kehrseite des amerikanischen Traums, die niemand sehen will, die es am besten gar nicht geben sollte, findet so zu einer paradoxen, aber irgendwie angemessenen Repräsentation: Die Ausgestoßenen, Übersehenen und Ungehörten erhalten eine Stimme, die sich wiederum eben nicht authentifizieren lässt, eine Stimme ohne Sprecher“ [1]. Nicht Eminem spricht in seinen Texten, sondern der böse Bube Slim Shady.

Dieser Aspekt des White Trash, der ewigen weißen Verlierer als Kehrseite des american dream, kommt in Hansons Film vielleicht zu kurz. Doch wenn man genau hinhört, scheint er durch die (in Untertiteln übersetzten) Texte des im Film vorgetragenen Rap hindurch.

Eminem selbst ist vielleicht kein geborener Schauspieler, aber er macht seine Sache gut. Das gleiche gilt für seine Partner. Sie erzeugen schon diese Atmosphäre, die der in den Vorstädten einer Stadt wie Detroit wohl sehr nahe kommen mag. An Kim Basingers Darstellung der Mutter Jimmys habe ich jedenfalls nichts auszusetzen. Irgendwo stand zu lesen, sie sei zu schön für die Rolle einer Underdog-Mother. Dürfen arme Mütter armer Kinder nicht schön sein?

Hanson predigt in „8 Mile“ keinen immer wieder gekäuten ideologiebefrachteten Individualismus à la „Jeder kann, wenn er nur will“. Er predigt keinen Einzelaufstieg, auch wenn Eminem in gewisser Weise dafür stehen mag. Er dokumentiert weitgehend eine Welt, und zwar in Sympathie zu ihr, die uns verschlossen scheint und die doch zu dieser einen Welt dazu gehört. Sie ist nicht ein Produkt „von anderen“, mit denen wir nichts zu tun haben. Sie ist nicht vom Himmel gefallen oder aus der Hölle hochgestiegen, wie uns einige Ideologen des aufgestiegenen Teils der Einwohner der USA weismachen wollen. Da sehe ich das Verdienst dieses Films. Dass Hanson gleichzeitig Kompromisse macht und machen musste, mag man ihm ankreiden. Aber wer kann gegen Hollywood schon an?

[1] Arno Meteling, André Suhr: „Would the Real Slim Shady Please Stand Up!“ Eminem und der Aufstand des White Trash, in: F.LM – Texte zum Film 02/2002, S. 4-15, hier S. 15. Das Zitat im Titel des Berichts stammt aus Eminems „Role Model“.


 

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