M*A*S*H (1970)
Short Cuts (1993)
Gosford Park (2001)




M*A*S*H
(MASH)
USA 1970, 116 Minuten
Regie: Robert Altman

Drehbuch: Ring Lardner Jr., nach einem Roman von Richard Hooker
Musik: Mike Altman, Johnny Mandel, Ahmad Jamal
Director of Photography: Harold E. Stine
Montage: Danford B. Greene
Produktionsdesign: Arthur Lonergan, Jack Martin Smith, Michael Friedman, Stuart A. Reiss, Walter M. Scott

Darsteller: Donald Sutherland (Captain Benjamin Franklin „Hawkeye“ Pierce), Elliott Gould (Captain John Francis Xavier „Trapper“ John McIntyre), Tom Skerritt (Captain August Bedford „Duke“ Forrest), Sally Kellerman (Major Margaret „Hot Lips“ O’Houlihan), Robert Duvall (Major Frank Burns), Roger Bowen (Lt. Colonel Henry Braymore Blake), René Auberjonois (Father John Patrick Mulcahy / Dago Red), David Arkin (Sgt. Vollmer / PA Announcer), Jo Ann Pflug (Lt. Maria „Dish“ Schneider), Gary Burghoff (Caplan Walter „Radar“ O’Reilly), Fred Williamson (Captain Oliver Harmon „Spearchucker“ Jones), Michael Murphy (Captain Ezekiel Bradbury „Me Lay“ Marston IV), John Schuck (Captain Walter Kosciusko „Painless Pole“ Waldowski)

Komik des Grauens, Grauen der Komik

Die Presse urteilte zum Teil hart über Altmans „Militärklamotte“: zynisch, dumm-derb, bedeutungslos. „MASH“ wurde 1970 in den USA verboten und konnte dort erst drei Jahre später in den Kinos gezeigt werden. Die Anspielungen der im Korea-Krieg angesiedelten Handlung auf den Vietnam-Krieg waren mehr als deutlich (einer der Beteiligten hieß mit Spitznamen gar „Me Lay“, ein direkter Bezug zu dem Massaker in My Lai). In Cannes bekam der Film die „Goldene Palme“. Die nachfolgenden Fernsehserien „M.A.S.H.“ und „Trapper John M.D.“ wurden zwar durch Altmans Film initiiert, haben aber – wenn man Film und Serien vergleicht – kaum etwas miteinander zu tun.

Ort des Geschehens ist ein mobiles Feldlazarett in Korea, „Mobile Army Surgical Hospital“, nahe der Front in einer abgelegenen bergigen Gegend zwischen Baracken, Zelten, Zäunen und notdürftig gebauten Kranken- und Operationsstationen. Über einen Lautsprecher werden von einem Soldaten, Sgt. Vollmer (David Arkin), die neuesten Meldungen verkündet à la „Heute Abend läuft der und der Kriegsfilm, Krimi“. Vollmer verzettelt sich des öfteren, bricht ab, verkündet unwichtiges Zeug, verhaspelt sich. Überhaupt wirkt das gesamte Geschehen im Lazarett eher dem auf einer größeren Party zum 4. Juli, ähnelt einem Betriebsfest, auf dem Alkohol fließt und Drogen im Umlauf sind, die Beteiligten ihre Scherze machen, Männer hinter Kolleginnen her sind usw. Wenn die drei Ärzte Hawkeye (Donald Sutherland), Trapper (Elliott Gould) und Duke (Tom Skerritt) zwischendurch einmal operieren, wirkt dies, als ob eine Party ab und an durch geschäftliche Telefonanrufe unterbrochen wird. Danach geht man wieder zum Feiern und zum Spaßen über.

Die Ärzte haben angesichts der Kriegssituation relative Narrenfreiheit; sie können sich einiges erlauben. Und Lazarett-Leiter Lt. Colonel Blake (Roger Bowen), der die Situation durchaus erfasst hat, lässt sie nicht nur gewähren, sondern nimmt an der „Party“ regen Anteil. Nur einer passt nicht so recht ins Bild: der Arzt Major Frank Burns (Robert Duvall), den die anderen Ärzte nicht besonders mögen, den sie für unfähig halten. Burns erhält Unterstützung von der neuen Oberschwester, Major Margaret O’Houlihan (Sally Kellerman), einer Blondine, die Burns vor den anderen Ärzten verteidigt, die sich über die unmöglichen, unmoralischen Zustände im Lazarett empört, insgeheim aber auch ihren Spaß haben will. Kaum hat sie in Burns einen Gesinnungsgenossen gefunden, liegen beide schon im Bett. Adlerauge (Hawkeye), Fallensteller (Trapper) und Herzog (Duke) wären aber von Sinnen, würden sie dem ungeliebten Kollegen nicht den Garaus machen wollen. Sie übertragen per Lautsprecher die Liebeslaute der beiden, um allen einen gewissen Anteil am Geschehen zu ermöglichen.

Burns ist ihnen aber vor allem ein Dorn im Auge, weil der den Krieg als Krieg nimmt, keine Möglichkeit für sich sieht, das Grauen durch Komik zu kompensieren. Für den Sex gilt allerdings auch bei Burns etwas anderes.

Überhaupt steht Sex im Mittelpunkt der Handelnden. Der Arzt Walt (John Schuck) versagt zum ersten Mal in seinem Leben bei einer Frau – und glaubt, er könnte schwul sein. Das würde er nicht überleben, und so beschließt er, Selbstmord zu begehen. Hawkeye schlägt ihm vor, in einer feierlichen Sitzung vor versammelter Mann- und Frauschaft eine schwarze Pille zu schlucken; denn auch ein Selbstmord darf hier nicht heimlich über die Bühne gehen. Walt sitzt an einem langen Tisch, rechts und links die anderen Offiziere. Die Szene erinnert in grotesker Weise an das Abendmahl. Niemand hat allerdings vor, Walt ins Jenseits zu befördern. Im Gegenteil: Man betäubt den „bemitleidenswerten“ Mann, der sich bislang als Frauenheld einen Namen gemacht hatte, und schickt ihm Schwester Maria (Jo Ann Pflug), genannt Dish („klasse Frau“) als Allheilmittel ins Bett.

Um der vordergründig ach so moralinsauren Oberschwester Margaret den Garaus zu machen, beschließt das Ärzte-Trio, ihre nackte Schönheit der versammelten Meute in voller Blüte zu präsentieren. Als „Hot Lips“, wie Margaret fortan genannt wird, frühmorgens die Dusche betritt, ziehen die anderen die Zeltwände hinauf. Langsam aber sicher passt sich Hot Lips den Gegebenheiten im Lazarett an, und nachdem Burns, der vor Wut auf Hawkeye los gegangen ist, in der Zwangsjacke aus dem Lager gebracht wird und Margaret nicht mehr zur Verfügung steht, wechselt die Gute den Liebhaber. Duke hat es irgendwie geschafft, die Blondine zu verführen, kurz nachdem Hawkeye und Trapper von einem Trip aus Japan zurückgekehrt sind, wo sie dem Sohn eines amerikanischen Kongressabgeordneten einen Splitter aus der Brust entfernen durften. Das Techtelmechtel bleibt jedoch nicht geheim, und Hot Lips bekommt wieder ihren Moralischen: Erlaubt ist, was der Öffentlichkeit verborgen bleibt.

Der General wird über die „unsittlichen Zustände“ informiert, interessiert sich aber nicht die Bohne dafür – sondern für Football. Und so endet alles, wie es enden muss: bei einem Football-Spiel zwischen der Mannschaft des Generals und der des Lazaretts – mit allem Drum und Dran.

Nicht jedem wird der teilweise derbe Humor gefallen, den Altman hier verbreitet. Doch „MASH“ ist im eigentlichen Sinn keine Komödie, sondern eher eine bittere Tragödie. „MASH“ macht sich nicht lustig über den Krieg, ist keine Klamotte – wie später dann die gleichnamige Fernsehserie. Das Lazarett wird von schwer verwundeten Soldaten frequentiert. Nur wenige haben eine Chance zu überleben, auch nicht nach einer Operation. Die Operationen erscheinen als Ausnahme von der Regel. Die Regel scheint der Spaß zu sein, den die Soldaten und Ärzte am laufenden Band organisieren. Hier das Blut, die Verzweifelten, die betäubt oder ohnmächtig sind, die aber als Nebensache erscheinen, obwohl sie diejenigen sind, die den Bau des Lazaretts notwendig machten. Der spezifische Humor ist der bestimmten Situation angepasst. Es ist Krieg, der Tod allgegenwärtig. Die Komik, mit der die Ärzte und Schwestern diese Situation zu bewältigen versuchen, ist eine tragische. Man absorbiert sozusagen Bruchstücke aus dem Alltag zu Hause, Situationen, Umstände aus dem „normalen“ Leben in der Heimat, pflanzt sie in die Kriegssituation, oder versucht es jedenfalls, um eine außergewöhnliche und todbringende, eine brutale und kalte Atmosphäre mit irgendetwas wie Wärme und Normalität, mit Menschsein zu konterkarieren.

Daraus entsteht die Groteske zwischen Tod und Komik. Man will am Leben bleiben, das heißt das, was das Leben ausmacht, auf irgendeine Weise erhalten, perpetuieren in einer ansonsten, für sich gesehen, skrupellosen, existentiell katastrophalen Situation des Todes. Diese Versuche kulminieren in einem Football-Spiel, bei dem die Normalität der Heimat vollständig Einzug in die Kriegssituation gewonnen zu haben scheint. Tanzende Schwestern als Cheerleader, Soldaten als Spieler, ihre Vorgesetzten als Trainer, Tricks, einzelne Spieler als taktische Trumpfkarten – alles scheint sich im Lazarett von dessen eigentlicher Bestimmung zu lösen, Heimat statt Front.

Der Biss von „MASH“ entsteht nicht aus einem direkten Angriff auf die amerikanische Vietnam-Politik oder einzelne Soldaten, die dieser Politik folgen, sondern eher sozusagen durch den Nachweis der Absurdität des Krieges als zerstörerischem und selbstzerstörerischem Prozess. Die Konfrontation von Grauen (die verwundeten Soldaten, Blut, zerrissene Leiber auf dem OP-Tisch) und dem grotesken Verhalten der Ärzte und Schwestern im Lazarett erzeugt eine teilweise unerträgliche Spannung, zerreißt die gesamte Situation bis fast zum Bersten. Dieser Prozess steigert sich bis zum Football-Spiel und endet dann jäh mit der Entlassung einzelner Ärzte aus dem Dienst.

Dadurch erreicht „MASH“ letztlich, die Unvereinbarkeit zweier Prinzipien zu visualisieren: das des Krieges und das des Menschseins. Zwar sind nur Menschen in der Lage, Kriege zu führen, aber sie handeln damit gegen ihre eigene Natur, die mit der übrigen (Lebens-)Welt verbunden ist. Krieg ist seiner Tendenz nach totale Destruktion, letztlich Zerstörung jeglichen Lebens. Menschsein heißt seiner Tendenz nach, mit anderen einen Weg des kollektiven Lebens zu finden. Krieg ist die extremste Form von Macht und Machtausübung. Menschsein bedeutet tendenziell, Macht über sich selbst zu besitzen, und daher Verzicht auf Machtausübung über andere. „MASH“ veranschaulicht dies dadurch, dass Komik und Grauen den genannten diametral entgegengesetzten Prinzipien zugehören und daher unvereinbar sind. Die Komik degeneriert unter den Bedingungen des Grauens zur Absurdität, zum grotesken und verzerrten Spiegelbild der Brutalität. Das mag auch partiell der Grund sein, warum einem das Lachen ab und an im Halse stecken bleibt und mancher Kinogänger mit dieser Art Komik nichts anzufangen weiß. Der Grausamkeit des Krieges entspricht die partielle Grausamkeit der Komik, wobei man auch sagen muss, dass ein anderer Teil dieser Komik die innere Verbundenheit der Ärzte und Schwestern zum Ausdruck bringt, das Menschsein reklamiert.

„MASH“ funktioniert in dieser Hinsicht im übrigen durch einen inszenierten Trick: die relative Narrenfreiheit der Ärzte, auf die das Militär angewiesen ist. So erlauben sich Hawkeye und Trapper – beide hervorragend mit Sutherland und Gould besetzt –, bei ihrem „Ausflug“ nach Japan den dortigen Befehlshaber zu missachten, ihn sogar zu desavouieren, indem sie ihn mit einer Frau nackt ins Bett legen, die Szene fotografieren und den Mann damit neutralisieren; er kann ihnen nicht mehr gefährlich werden. Kein anderer Captain oder gar Private hätte sich derartiges erlauben können.

„MASH“ ist für mich in erster Linie eine der schönsten und furchtbarsten Tragödien der Filmgeschichte, nicht so sehr eine Komödie.



Short Cuts
(Short Cuts)
USA 1993, 187 Minuten
Regie: Robert Altman

Drehbuch: Robert Altman, nach den Kurzgeschichten von Raymond Carver
Musik: Gavon Friday, Mark Isham
Director of Photography: Walt Lloyd
Montage: Suzy Elmiger, Geraldine Peroni
Produktionsdesign: Stephen Altman, Jerry Fleming, Susan Emshwiller

Darsteller: Andie MacDowell (Ann Finnigan), Bruce Davison (Howard Finnigan, TV-Kommentator), Jack Lemmon (Paul Finnigan, Howards Vater), Lane Cassidy (Casey Finnigan, Sohn von Ann und Howard), Julianne Moore (Marian Wyman, Malerin), Matthew Modine (Dr. Ralph Wyman, Arzt), Anne Archer (Claire Kane, Berufs-Clown), Fred Ward (Stuart Kane, arbeitsloser Vertreter, Angler), Jennifer Jason Leigh (Lois Kaiser, Hausfrau, verdient ihr Geld mit Telefonsex), Chris Penn (Jerry Kaiser, Pool-Reiniger), Joseph C. Hopkins (Joe Kaiser, Sohn von Lois und Jerry), Josette Maccario (Josette Kaiser, Tochter von Lois und Jerry), Lili Taylor (Honey Bush, Tochter Doreens), Robert Downey Jr. (Bill Bush), Madeleine Stowe (Sherri Sheppard, Marians Schwester), Tim Robbins (Gene Sheppard, Polizist), Dustin Friel, Cassie Friel und Austin Friel (Will, Sandy und Austin Sheppard, Kinder von Sherri und Gene), Lily Tomlin (Doreen Piggot, Bedienung), Tom Waits (Earl Piggot), Frances McDormand (Betty Weathers), Peter Gallagher (Stormy Weathers, Hubschrauberpilot), Jarrett Lennon (Chad Weathers, Sohn von Betty und Stormy), Annie Ross (Tess Trainer, Barsängerin), Lori Singer (Zoe Trainer, Tochter von Tess, Cellistin), Lyle Lovett (Andy Bitkower, Konditor), Buck Henry (Gordon Johnson, Angler), Huey Lewis (Vern Miller, Angler)

Menschen ...

Short Cut bedeutet Abkürzung – ohne Umweg gelangt man schnell zum Ziel. Der Titel von Altmans Meisterwerk aus dem Jahre 1993 kann aber auch anderes bedeuten: kurze Schnitte etwa, die den Film auszeichnen, der sich mit nicht weniger als neun Paaren (wenn ich richtig gezählt habe) befasst, acht zusammen oder getrennt lebenden Paaren samt eventuell vorhandenen Kindern und einer Mutter-Tochter-Beziehung irgendwo in Los Angeles. Short Cuts, das könnte in einem übertragenen Sinn aber auch heißen: kurze, heftige Schnitte, die der eine dem anderen verpasst, seien sie psychisch oder körperlich. Umwege gehen sie alle und meinen doch, sie gingen keine. Denn Altman seziert die Beziehungen zwischen den Paaren und deren mehr oder weniger zufällige Verbindungen zueinander messerscharf als Geflecht von aus allen sozialen Schichten stammenden Menschen, die überwiegend Verantwortung, Zuneigung, Zuhören usw. aus dem Wege gehen, den Weg des geringsten Widerstand eingeschlagen haben und den ihnen am nächsten stehenden Menschen nicht wahrnehmen (können). Sie befinden sich also in gewisser Hinsicht doch auf langen Umwegen, Irrwegen – vor allem zu sich selbst, wenn sie sich denn je erreichen.

Dabei scheint es nur so, als ob Altman keine Sympathie für seine Figuren habe; es handelt sich eben um eine kritische Sympathie. Und so lässt er seinen Flug durch die Niederungen des Lebens mit einem Einsatz von Hubschraubern beginnen, deren Piloten über Los Angeles aufgebrochen sind, den Krieg gegen eine Invasion von Fliegen mit Schädlingsbekämpfungsmitteln aufzunehmen. Und es ist Krieg da unten. Die Gefahren allerdings gehen kaum von den Insekten aus.

Anfangs ist „Short Cuts“ verwirrend, eine Art Puzzle mit tausend Einzelteilen, die erst zusammengefügt werden müssen. Endlos scheinende Szenenwechsel von einem Schauplatz zum nächsten vermitteln den Eindruck von Chaos. Am Ende wird bewusst, wie geschickt Altman die verästelten Einzelepisoden zu einem Ganzen geschmiedet hat. Je deutlicher die Entwirrung, desto klarer die Beziehungen und Personen in ihrer Entwicklung.

Wir treffen auf Ann und Howard Finnigan (Andie MacDowell, Bruce Davison), deren Sohn auf dem Weg zur Schule von Doreen Piggot (Lily Tomlin) angefahren wird. Der Junge kehrt nach Hause zurück, weil seine Eltern ihm eingebläut haben, nicht mit Fremden zu sprechen oder gar in ihr Auto zu steigen. Doreens Angebot, ihn zu seinen Eltern zu bringen, lehnt er ab. Und als Ann ihren Sohn findet, liegt er bewusstlos im Sessel vor dem Fernseher. Sie müssen um sein Leben fürchten. Überraschend taucht Howards Vater Paul (Jack Lemmon) auf, der seine Frau und Howard vor langer, langer Zeit verlassen hat, weil ihn seine Schwägerin verführt und seine Frau die beiden dabei überrascht hatte. Nun hat er angesichts des kritischen Zustands seines Enkels nichts besseres zu tun, als sich für sein Verhalten bei Howard zu entschuldigen. Bei Paul dreht sich fast alles nur um sich selbst.

Doreen bedient in einem dieser Schnellrestaurants und lebt mit Earl (Tom Waits) zusammen, der ständig streitet und im Verdacht steht, sich vor einiger Zeit an Doreens Tochter Honey Bush (Lili Taylor) vergangen zu haben. Honey hasst ihren Stiefvater. Sie weiß wenig darüber, dass ihr eigener Mann Bill (Robert Downey Jr.) mit seinem Freund, dem Pool-Reiniger Jerry Kaiser (Chris Penn), Frauen nachsteigt. Jerry ist mit Lois (Jennifer Jason-Leigh) verheiratet, die mit Telefon-Sex mehr verdient als er mit Pool-Reinigen. Uninteressiert an dieser Arbeit, die aber viel Geld bringt, und abgebrüht gegenüber den anrufenden Kunden denkt sie sich allerlei Worte aus, um die zu befriedigen – ob sie gerade Baby füttert, sich die Nägel lackiert oder was auch immer. Jerry, anstatt mit Lois liebevoll zu sein und ebenso liebevollen Sex zu haben, beneidet statt dessen die anrufenden Männer bezüglich der Phantasien, die seine Frau beim Job benutzt. „Warum sagst du so etwas nicht auch zu mir?“ fragt er.

Jerry reinigt den Pool bei den Finnigans und deren Nachbarin, der Barsängerin Tess Trainer (Annie Ross), die nichts weiter zu interessieren scheint als ihre Arbeit mit einer Jazzband (Annie Ross & The Low Note Quintett), während sie den katastrophalen Zustand ihrer eigenen Tochter, der Cellistin Zoe Trainer (Lori Singer), nicht wahrnimmt oder wahrnehmen will. Als Jerry dies bei seiner Arbeit am Pool beobachtet, ist er entsetzt, wohingegen er sein eigenes katastrophales Verhältnis zu Lois nicht als solches begreift.

Der durch den Unfall verletzte Sohn der Finnigans wird von Dr. Wyman (Matthew Modine) im Krankenhaus behandelt, der eifersüchtig über seine Frau, die Malerin Marian (Julianne Moore) wacht, von der er vermutet, dass sie drei Jahre zuvor bei einer Party mit einem anderen Mann geschlafen hat. Die Ehe der Wymans ist zu einem banalen Einerlei verkommen.

Bei einer Theateraufführung hatten die Wymans Claire und Stuart Kane (Anne Archer, Fred Ward) kennen gelernt und die beiden zum Essen eingeladen. Stuart versprach, von seinem geplanten Angler-Ausflug Fisch zur Party mitzubringen. Während Claire als Berufs-Clown arbeitet, ist Stuart arbeitslos und zieht mit seinen Freunden Gordon (Buck Henry) und Vern (Huey Lewis) los zu einem entfernt liegenden Angelplatz. Dort entdecken sie im Wasser eine nackte Frauenleiche, entscheiden sich jedoch, nicht sofort wieder zurückzukehren, um die Polizei zu verständigen, sondern ihren Angler-Kurzurlaub zu genießen. Schließlich ist die Frau ja tot und daher scheint es den drei Männern egal, wann sie den Fund melden. Immerhin mussten sie ganze vier Stunden zu Fuß gehen, um ihre Angelfreuden genießen zu können. Und dann angeln sie, Scherze machend, dort, wo sie die Leiche festgemacht haben.

Marians Schwester Sherri (Madeleine Stowe) ist mit dem Angeber Gene (Tim Robbins), einem Polizisten, verheiratet. Während Sherri mit den drei Kindern der beiden mehr als die Hände voll zu tun hat, flüchtet Gene vor der Familie und dem ewig ihn ankläffenden Hund in Affären mit verheirateten Frauen. Gerade hat es ihm Betty Weathers (Frances McDormand) angetan, die mit ihrem Sohn Chad (Jarrett Lennon) zusammenlebt und von ihrem getrennt lebenden Mann, dem Hubschrauberpiloten Stormy (Tom Waits) ständig belästigt wird. In – ja, rasender kann man nicht sagen, sondern fast schon skrupellos ruhiger Eifersucht greift der eines Tages zur Motorsäge und zerstört das gesamte Mobiliar der Wohnung Bettys. Nur der Fernseher bleibt heil.

Und die Finnigans? Die werden zu allem Unglück von dem Konditor Andy Bitkower (Lyle Lovett) telefonisch belästigt. Bei ihm hatte Ann eine Torte zu Caseys Geburtstag bestellt, aber nicht gesagt, wie die Torte aussehen soll. Aus Verärgerung hierüber terrorisiert Andy Ann anonym über das Telefon.

Diese munteren Frauen und Männer, deren Pläne so gut wie sämtlich scheitern, sind abhängiger voneinander, als jeder von ihnen denkt. Vier Tote sind ein Ergebnis ihres Handelns. All ihr Leben ist mehr oder weniger von Katastrophen bestimmt, die sie selbst für sich oder andere herbeigeführt haben. Doreen lässt sich von dem kleine Casey davon abbringen, ihn ins Krankenhaus zu fahren, nur weil der Widerstand leistet. Der Pool-Reiniger Jerry greift zum Schluss, als ein Erdbeben Los Angeles und die Umgebung erschüttert, zur Gewalt gegen eine junge Frau, die Opfer seiner Frustrationen wird. Die Wymans spielen bei der Party mit den Kanes heile Welt und alle vier ergehen sich in mehr oder weniger kindischen Spielchen. Claire ist entsetzt über das Verhaltens ihres Mannes, die tote Frau nicht sofort gemeldet zu haben. Paul Finnigan verschwindet aus dem Krankenhaus, als klar ist, dass Casey den Autounfall nicht überleben wird. Nur Gene scheint zu spüren, dass sein Leben bislang mies war; er bringt seinen drei Kindern den verschwundenen Hund wieder. Ob er sich künftig um sie und seine Frau kümmern wird, bleibt fraglich, ist aber nicht ausgeschlossen. Doreen und Earl scheinen am Ende guten Mutes, aber vielleicht macht Earl sich und ihr auch nur leere Versprechungen, wenn er ihr sagt, er wolle mit ihr weg. Irgendwann? Und die Sängerin Tess steht nach ihrer letzten Nacht in der Bar vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens, als sie nach Hause kommt.

Einzig der verkorkste Konditor Andy scheint sein Fehlverhalten einzusehen. Als Ann und Howard ihn zur Rede stellen, zeigt er Mitgefühl und Scham.

„Short Cuts“ ist eingerahmt vom Krieg gegen die Fliegen und vom Erdbeben am Schluss des Films. Man könnte meinen, dass hier eine schon fast religiöse Beschwörung stattfindet. Das Erdbeben erscheint wie eine Drohung Gottes – und doch muss dieser Gott wissen, dass sich da unten am Kleinkrieg nicht viel ändern wird. Die Vernetzung fast aller Figuren in ein Konglomerat von Verantwortungslosigkeit und Gefühlskälte, Belanglosigkeit und Beliebigkeit, Gedankenlosigkeit und Egoismus, fehlender Scham und ebenso fehlender Intimität erscheint in der Summe wie eine besonders bedrohliche, unheimliche Art von Geschichts- und Gesichtslosigkeit. Wie Attrappen, Aushängeschilder, einer Gesellschaft, in der nur der medial vermittelte und verinnerlichte Konsum, gleich welcher Art, das Verhalten zu steuern scheint, funktionieren sie, die doch selbst diese Art des Zusammenlebens mit geschaffen haben und reproduzieren. Scheinbar ohne Vergangenheit, die eigenen Kinder als Nebensache oder funktionales Anhängsel, wandern sie durch ein Tal der Ernüchterung.

Sicher, für Ann und Howard ist der Verlust von Casey eine Katastrophe. Aber auch sie verlieren sich direkt nach dem Tod ihres Sohnes darin, einen anonymen Anrufer ausfindig zu machen, statt sich ihrer Trauer hinzugeben. Alles, was mit Zuneigung, Liebe usw. zu tun hat, verkommt bei den meisten zum Kick (wie bei Gene) oder zu einer seltsamen Selbst-Gefangennahme in die Abhängigkeit zu einem anderen (wie bei Doreen). Am konsequentesten in dieser Hinsicht mag noch Stormy Weathers sein, der immerhin den gewählten Lebensweg zu Ende geht und alles zertrümmert, was seiner Egozentrik schaden könnte. Dass er einzig den Fernseher heil lässt, symbolisiert in gewisser Weise unbewusst den fatalen Respekt vor der medialen Vergesellschaftung, die bei vielen längst an die Stelle von Hautnähe getreten ist.

Wenn man genau hinschaut allerdings, gibt es auch „fühlende Nischen“ in diesem Chaos, beispielsweise Claire, die völlig entsetzt ist, es nicht fassen kann, dass der Mann, den sie liebt, Stuart, die nackte Leiche der Frau wegen des Angelspaßes einfach liegen gelassen hat, die noch weniger versteht, dass Stuart überhaupt nicht nachempfinden kann, was an seinem Verhalten so kalt und unnahbar ist. Der Tod löscht für Stuart und die beiden anderen Angler die Individualität eines Menschen endgültig, weil Individualität für die drei nur einen instrumentellen Wert besitzt. Sie sprechen darüber, dass die Tote doch gut aussehe, ihre Brüste usw.

„Short Cuts“ führt keine Personen à la Hollywood vor, weiß Gott nicht. Niemand in diesem menschlichen Konglomerat hat sein Leben wirklich einigermaßen im Griff. Sicher, man müht sich ab, manche strampeln sich ab, aber die meisten schauen weg, wenn es gilt hinzusehen. Dem Emotionsmangel entspricht, dass vor allem auch Sexualität nicht Ausdruck sich liebender Menschen ist, sondern ein Instrument, auf dem jeder sein Ego „spielt“. Der Kick beherrscht die Szenerie, kein „freier Wille“, und auch kein ideologisch verbrämter Individualismus à la Hollywood mit den sattsam bekannten Zutaten. Die stattliche und größtenteils berühmte Schauspielergarde sorgt zudem für eine überzeugende Inszenierung dieses großartigen Films, über den Andreas Thomas in seiner Besprechung zu Recht schrieb, dass er nie langweilig werde. „Im Gegenteil, je länger ‘Short Cuts’ dauert, desto süchtiger macht er nach diesem ungeheuerlichen, deprimierenden, aberwitzigen, nach Menschen riechenden, nach Wahrheit schmeckenden Film.“

Dem muss man abschließend nichts hinzufügen.



Gosford Park
(Gosford Park)
USA 2001, 137 Minuten
Regie: Robert Altman

Drehbuch: Julian Fellowes, nach einer Vorlage von Robert Altman und Bob Balaban
Musik: Parick Doyle
Director of Photography: Andrew Dunn
Montage: Tim Squyres
Produktionsdesign: Stephen Altman

Darsteller: Maggie Smith (Constance Trentham), Kelly Macdonald (Mary Maceachran, Kammerzofe) Michael Gambon (William McCordle), Kristin Scott Thomas (Sylvia McCordle), Camilla Rutherford (Isobel McCordle), Charles Dance (Raymond Stockbridge), Geraldine Somerville (Louisa Stockbridge), Tom Hollander (Anthony Meredith), Natasha Wightman (Lavinia Meredith), Jeremy Northam (Ivor Novello, Stummfilmstar), Bob Balaban (Morris Weissman, Filmproduzent), James Wilby (Freddie Nesbitt), Claudie Blakley (Mabel Nesbitt), Laurence Fox (Rupert Standish), Trent Ford (Jeremy Blond), Ryan Phillippe (Henry Denton), Clive Owen (Robert Parks), Helen Mirren (Jane Wilson, Hausdame), Alan Bates (Jennings, Butler), Eileen Atkins (Mrs. Croft, Köchin), Richard E. Grant (George, Diener), Emily Watson (Elsie, Hausmädchen), Stephen Fry (Inspektor Thompson), Ron Webster (Constable Dexter)

Ein beeindruckendes Sittengemälde

Altmeister Robert Altman ist immer wieder für eine Überraschung gut. Mit „Gosford Park“ legt er nun einen Film vor, den ich – um es vorwegzunehmen – für eine seiner gelungensten Werke halte, auch wenn er nicht jedermanns Geschmack sein dürfte. „Gosford Park“ fand u.a. folgende Attribute: „Gosford Park“ „das wohl klassenkämpferischste Werk seiner Karriere“ („Die Zeit“), für den „Schnitt“ ist der Film „hochintelligent und strunzlangweilig“, für „filmtext.com“ ist der Streifen „leicht ermüdend, aber auch erleichternd“ und die taz erinnert der Film gar an „Das Haus am Eaton Place“. Der „Tagesspiegel“ sieht in „Gosford Park“ ein geradezu „logistisches Meisterstück“, in dem sich „die Lebensfäden des über 30-köpfigen Ensembles (verknüpfen)“, „elegant driftet die Kamera an Gesprächen und Personenkonstellationen vorbei, keiner bleibt zu lange im Bild, um das Interesse zu stark auch sich zu fokussieren“.

Im November 1932 findet in einer Grafschaft in England, in Gosford Park, eine Jagdparty statt, zu der Sir William McCordle (Michael Gambon) und seine wesentlich jüngere Frau Lady Sylvia (Kristin Scott Thomas) eingeladen haben. Nach und nach trudeln die Gäste ein: Sir Williams vornehme und vornehm tuende Schwester Constance, Countess of Trentham (Maggie Smith in einer exzellenten Rolle), immer für Zynismus und Niedertracht zu haben und vor allem darauf bedacht, dass die lebenslange finanzielle Zuwendung durch Sir William auch weiterhin gezahlt wird, samt Kammerzofe Mary (Kelly Macdonald); Sylvias jüngere Schwester Louisa (Geraldine Somerville), die mit ihrer Schwester Karten gespielt hatte, um zu entscheiden, wer von beiden Sir William heiraten dürfe, und ihr Mann Raymond (Charles Dance), zusammen Lady und Lord Stockbridge; die junge Lady Lavinia (Natasha Wightman) und ihr Mann, der ruinierte Ex-Lieutenant Anthony Meredith (Tom Hollander). Hinzu stoßen weiterhin aus dem Bekanntenkreis von Sir William das zerstrittene Ehepaar Mabel und Freddie Nesbitt (Claudie Blakley und James Wilby) sowie der in Hollywood berühmt gewordene Schauspieler Ivor Novello (Jeremy Northam), der den schwulen Filmproduzenten Morris Weissman (Bob Balaban) mitgebracht hat. Der wiederum hat auch seinen „Kammerdiener“ bei sich, den bisexuellen Henry Denton (Ryan Phillippe), der in Wirklichkeit Schauspieler ist. Schließlich trifft verspätet noch der junge Lord Rupert Standish (Laurence Fox) ein, der hinter Sir Williams und Lady Sylvias Tochter Isobel (Camilla Rutherford) her ist und seinen Freund Jeremy Blond (Trent Ford) im Schlepptau mitgebracht hat.

Alle Herrschaften haben natürlich ihr entsprechendes Personal mitgebracht, und im Haus der McCordles wimmelt es nur so von Köchinnen, Dienern, Zofen und Zimmermädchen. Die angereisten Domestiken werden von der Haushälterin Mrs. Wilson (Helen Mirren) auf ihre Zimmer verteilt und eingewiesen. Mrs. Wilson regiert die Zimmermädchen, während Mrs. Croft (Eileen Atkins) die Küche unter sich hat und Butler Jennings (Alan Bates) über allem Personal thront. Kammerzofe Mary findet ihr Quartier bei dem Hausmädchen Elsie (Emily Watson), die ein offiziell heimliches, inoffiziell aber jedem bekanntes Verhältnis zum Hausherrn Sir William hat, der schon in früheren Jahren, als er noch seine Fabrik leitete, als Schürzenjäger bekannt war und etliche Mitglieder seines weiblichen Personals geschwängert hatte.

Zum angereisten Personal gehört auch Robert Parks (Clive Owen), der die Aufmerksamkeit von Mrs. Wilson auf sich zieht, über seine Vergangenheit aber – im Unterschied zum restlichen Personal – nichts erzählt.

Nachdem sich so alle eingefunden haben, das abendliche Diner beendet ist, Lady Sylvia den vermeintlichen Diener Henry Denton unmissverständlich des nachts auf ihr Zimmer bestellt hat, Mary beim Waschen einer Bluse in der Waschküche Sir William auf einer der Köchinnen liegend beobachtet, Produzent Weissman seine schier endlosen Telefonate mit Hollywood beendet hat und einige der adligen und unadligen Herrschaften ihre Streitigkeiten vorübergehend erledigt haben, trifft man sich am nächsten Morgen zur Jagd. Doch schon am Abend kündigt sich das Unheil an: Als Lady Sylvia vor versammelten Gästen eine abfällige Bemerkung über Sir William macht, rutscht Hausmädchen Elsie ein Widerspruch gegen Lady Sylvia heraus. Ihre Kündigung ist nur eine Frage von Stunden. Sir William zieht sich – mehr erbost über seine Frau als Elsie – in seine Bibliothek zurück. Wenig später ist er tot, ermordet. Inspektor Thompson (Stephen Fry) nimmt die Ermittlungen auf und muss feststellen, dass Sir William nicht durch das Küchenmesser ermordet wurde, das in seiner Brust steckt, sondern vorher vergiftet worden war. Die Zahl der möglichen Täter ist groß, denn viele der Anwesenden haben ein Motiv ...

Eine komplizierte Geschichte, die Robert Altman uns auftischt. Die erste halbe Stunde des Films werden die Personen von „Gosford Park“ vorgestellt, in einer sicherlich Aufmerksamkeit erfordernden, aber umso exzellenteren Art und Weise. Altman führt uns langsam, aber konsequent und stilsicher durch ein Labyrinth von Personen, die scheinbar nur durch ihre verwandtschaftlichen oder Abhängigkeitsverhältnisse miteinander verknüpft sind. In einem Bilderrausch wimmeln die Figuren durch das Haus im „Gosford Park“ und es ist mehr als erstaunlich, wie Altman es gelingt, den Charakter, die Probleme, die Konflikte all dieser Personen – trotz teilweise kurzer, geradezu „abgekürzter“ Dialoge, zu demonstrieren. Allein dies ist schon eine dramaturgische Meisterleistung. Die Atmosphäre erinnert an die klassische britische Kriminalkomödie à la Agatha Christie. Doch Altman definiert das Genre anders und neuartig. Das Konglomerat aus Selbstbezogenheit, Snobismus, Exzentrizität, Klassendünkel, Ausbeutung, Unterwürfigkeit, verbunden mit Hass, Wut, Feigheit, Geldgier, Sehnsüchten, Liebe erweist sich – wenn man die Lösung des „Falls“ zum Schluss kennt – als Trugbild, als falscher Schein, oder besser unvollkommener Eindruck der wirklichen Verhältnisse und ihrer Geschichte.

Die Figuren sind mehr, als sie scheinen. Ihre Beziehungen gehen wesentlich tiefer, als es aussieht. Selbst Inspektor Thompson, der wie ein Monsieur Hulot daherkommt, ist mehr als unser erster Eindruck: nämlich weniger. Auch Thompson lebt im Dünkel seiner Position, legt mehr Wert darauf, dass jeder seinen Namen kennt, während sein „Diener“ Constable Dexter (Ron Webster) Thompsons Aufmerksamkeit vergeblich auf wirkliche Spuren (Scherben einer Tasse am Tatort, Fingerabdrücke, Fußspuren) lenken will.

Altman beweist seinen scharfen Verstand, seinen tiefen Blick und sein geschultes Ohr nicht nur im Hinblick auf den Snobismus der Adelsklasse, sondern auch für die komplexen Verstrickungen einer Gesellschaft, in der sich unter der Oberfläche Dinge auftun, die dieses soziale Geflecht einerseits wesentlich komplizierter erscheinen lassen, aber andererseits auch in gewissen Sinne einfacher: Die Charaktere – so sehr sie auch von Klassenzugehörigkeit geprägt sind oder scheinen – erweisen sich upstairs wie downstairs als sehr ähnlich, vergleichbar, nur, dass die geadelten Teile des sozialen Zusammenhangs (immerhin) durch Macht und Geld zumindest versuchen, die Konflikte im Griff zu halten bzw. die Verfehlungen der Vergangenheit nicht hochkommen zu lassen – allerdings vergeblich.

Macht, Geld, Sex – das scheint das einzige, was in dieser Gesellschaft zählt. Doch die Brüchigkeit dieser sozialen Konstruktion wird in „Gosford Park“ ebenso deutlich. Als Constance ihre ganze Verachtung gegenüber dem Schauspieler Novello, dessen letzter Film ein Reinfall war, mit offensichtlich vorgetäuschter Sympathie in die Worte fasst: „It must be rather disappointing when something flops like that“, fühlt der sich zwar leicht auf den Schlips getreten, doch seinem Gesicht wiederum ist deutlich zu entnehmen: Was willst Du von mir? Du kannst mich nicht? Wer bist Du schon? „Gosford Park“ zeugt auch vom Untergang des Empire.

Altman beobachtet, scharf und ungeschminkt, und wenn es einen Helden in diesem Film gibt – bei allen (durchaus auch mit einem ordentlichen Schuss Ironie und Witz versehenen) Intrigen, verdrängten, unterdrückten Geheimnissen, bei allem Leid – dann ist es sicherlich eine Heldin: die junge Kammerzofe Mary Maceachran, die – noch nicht lange in den Diensten Constance Trenthams – den Mord aufklären kann. Warum ausgerechnet sie? Sie ist die einzige Unschuldige in dem Gewirr, die Eva vor dem Biss in den Apfel, wenn man so will, und darüber hinaus hochintelligent. Sie ist die Unschuldige, die die Schuld erkennt, ohne selbst schuldig zu werden. Ich wage zu behaupten, dass Mary das Auge Altmans ist, das uns durch das Labyrinth führt. Mary ist nicht die Unschuld vom Lande. Sie ist diejenige, die den Kontext im Hause durchschauen kann, weil sie hinschauen und kombinieren kann, nicht so sehr in einem kriminalistischen Sinn, sondern weit mehr in einem sozialen Sinn. Sie ist Teil des Netzes, aber sie kann über dieses Netz hinaus blicken und ist vor allem ehrlich – sich selbst und anderen gegenüber. Der Kriminalist, Inspektor Thompson, versagt, Mary nicht.

Altmans Sittengemälde ist böse, bissig, aber nicht bösartig. Er verurteilt nicht. „Gosford Park“ ist kein Lehrstück im Sinne einer Moralfibel. Altman zeigt Rache, eine Rache, die Genugtuung ist, aber auch ein Verbrechen bestraft, das durch die Mechanismen der Gesellschaft ansonsten nie bestraft würde. Altman begreift Macht nicht so sehr als Mittel einer herrschenden Klasse, sondern – im Foucaltschen Sinne – eher als das Zentrum, um das sich eine Gesellschaft gruppiert. Foucaults Erwägungen gründen sich auf ein Verständnis von Macht, das es ablehnt, Macht als etwas zu begreifen, was jemandem „gehört“, etwa einer herrschenden Klasse. Macht sei eher als Gesamtwirkung der strategischen Positionen einer solchen Klasse zu verstehen, „welche durch die Position der Beherrschten offenbart und gelegentlich erneuert wird“ (1). So versteht Foucault auch Widerstand nicht als etwas außerhalb der Macht liegendes, nicht zu ihr gehöriges Gegenüber, sondern als die andere Seite der Machtbeziehungen (2). Macht ist für ihn keine Institution, sondern der Name, „den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt“ (3). „Andererseits richtet sich diese Macht nicht einfach als Verpflichtung oder Verbot an diejenigen, welche ›sie nicht haben‹; sie sind ja von der Macht eingesetzt, die Macht verläuft über sie und durch sie hindurch; sie stützt sich auf sie, ebenso wie diese sich in ihrem Kampf gegen sie darauf stützen, dass sie von der Macht durchdrungen sind (4).

Genau hier liegt die „Lösung“ des „Kriminalfalls“ in „Gosford Park“. Mary ist das junge Pendant zu Mrs. Wilson, die an einer Stelle des Films sagt, dass eine gute Bedienstete immer im voraus weiß, was zu tun ist, bevor es die Herrschaften selbst überhaupt wissen. Dieser Satz erweist sich als tragischer, als er zunächst klingt.

Altman tischt uns ein – übrigens von durchweg exzellenten Schauspielern durchsetztes – Drama auf, das sensibel und scharf den Blick in einen sozialen Kontext wirft, wie es kaum besser möglich erscheint. Die Kamera von Andrew Dunn nimmt den Zuschauer regelrecht mit auf diese dramatische Reise durch die Zimmer eines Hauses, in der sich eine ungeahnte Tragik offenbart.

(1) Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main 1994, S. 38.
(2) Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit. Erster Band: Der Wille zum Wissen, Frankfurt am Main 1992 (6. Aufl.), S. 116 ff.
(3) Ebd. S. 114.
(4) Foucault (s. Anm. 1), S. 38.


 

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