Carambole
Schweden 2005, 102 Minuten
Regie: Daniel Lind Lagerlöf

Drehbuch: Björn Carlström, Niklas Rockström, Stefan Thunberg, nach dem Roman von Håkan Nesser
Director of Photography: Olof Johnson
Produktionsdesign: Lars Strönsten

Darsteller: Sven Wollter (Van Veeteren), Peter Andersson (Pieter Claussen), Eva Rexed (Ewa Moreno), Thomas Hanzon (Münster), Tobias Aspelin (Jung), Sven Angleflod (Krause), Kajsa Reingardt (Vera Miller), Josef Säterhagen (Erich Van Veeteren), Frida Westerdahl (Marlene), Chatarina Larsson (Ulrike Fremdli), Karin Knutsson (Synn), Thomas Widman (Keller), Bengt C.W. Carlsson (Otto Gerlach), Dag Elfgren (Rupold Meunster),

Folgenschwere Initialzündung

Ein unangenehmer Tag. Es gießt in Strömen. Doch Pieter Claussen (Peter Andersson) stört das nicht. Er scheint glücklich. Claussen ist Arzt an einem Stockholmer Krankenhaus – und verliebt in die dort ebenfalls arbeitende Vera Miller (Kajsa Reingardt). Er verspricht ihr, mit ihr leben zu wollen. Vera aber ist vorsichtig. Ihr Mann wird demnächst nach Hause kommen. Man verabschiedet sich. Claussen fährt weiter, in Gedanken bei Vera. Vielleicht fährt er zu schnell. Der Scheibenwischer hat schwer zu arbeiten. Dann, ein dumpfer Knall, Claussens Auto gerät leicht ins Schwanken. Er erschrickt, bremst scharf, atmet schwer. Ein Blick in den Rückspiegel. Es ist nichts zu sehen. Claussen steigt aus, geht vielleicht fünfzig Schritte zurück und findet einen Jungen, der leblos am Boden liegt. Er greift zum Handy, stellt es wieder ab, überzeugt sich, dass der Junge tot ist, steigt ins Auto, will zur Polizei fahren. In diesem Moment fährt jemand auf einem Motorrad vorbei. Claussen duckt sich, bis er vorbei ist. Er fährt los, aber nicht zur Polizei. Schließlich ist der Junge tot. Was würde es noch nützen, die Polizei zu informieren. Man würde die Leiche bald finden. Aber ändern kann er nichts mehr. Er hat den Jungen nicht gesehen. Im Krankenhaus, das er erreicht, setzt er sich an seinen Schreibtisch. Sein Kollege Gerlach (Bengt C. W. Carlsson) versucht ihn zu beruhigen, obwohl er gar nicht weiß, was eigentlich geschehen ist.

Was sich nun in dem von Daniel Lind Lagerlöf inszenierten Film abspult, funktioniert fast wie nach dem Schneeballprinzip. Eins folgt aus dem anderen. Für Claussen beginnt ein Alptraum, der nie zu enden scheint. Und er selbst ist es, der die Dramaturgie dieses Alptraums bestimmt.

Der Film entstand – wie einige andere auch (u.a. „Münsters Fall“ und „Borkmanns Punkt“) – nach einem Roman von Håkan Nesser, einem der wohl in Skandinavien, aber auch hier bekanntesten Kriminalschriftsteller, dessen Bücher zu Bestsellern wurden. Im Mittelpunkt dieser Romane respektive Filme stehen vor allem drei Kripobeamte: Der (zum Zeitpunkt dieser Geschichte) bereits pensionierte Van Veeteren (Sven Wollter), sein Nachfolger Münster (Thomas Hanzon) und dessen junge Kollegin Ewa Moreno (Eva Rexed). Leider sind diese filmischen Adaptionen der Nesser-Romane weder in den Kinos hier, noch im Fernsehen bislang zu sehen gewesen. Drei der Filme erschienen vor kurzem auf einer schwedischen DVD – mit u.a. englischen Untertiteln.

Van Veeteren, ein ausgesprochener Einzelgänger, ein eigensinniger, erfahrener Mann mit einem feinem Gespür für Menschen, bereits pensioniert, aber noch immer Kriminalist, lebt mit Ulrike Fremdli (Chatarina Larsson) zusammen, die er bei den Ermittlungen in einem früheren Fall kennen gelernt hatte. Van Veeteren hat einen Sohn, Erich (Josef Säterhagen), der wegen Drogengeschäften bereits eine Haftstrafe absitzen musste, inzwischen aber clean zu sein scheint. Erich ist seit kurzem mit Marlene (Frida Westerdahl) verheiratet. Und beide verkünden Van Veeteren, dass er Großvater werden würde.

Etwa zur gleichen Zeit, am Tag nach dem Unfall, erhält Claussen einen Erpresserbrief, in dem „ein Freund“ – so ist der Brief unterschrieben – von dem Arzt 100.000 Euro verlangt wegen des tödlichen Unfalls, zu deponieren in einer Kneipe namens „Trattoria Commedia“ irgendwo an einer Landstraße. Claussen ist entsetzt. Wer hat ihn gesehen? Der Motorradfahrer am Abend zuvor. Er packt das Geld in einen grünen Plastiksack und deponiert es in der Toilette der Trattoria. Dann wartet er in seinem Auto, um den Erpresser zu überraschen. Tatsächlich kommt ein junger Mann aus der Trattoria. Claussen stellt ihn, es kommt zum Streit.

Am nächsten Morgen werden Moreno und Münster zu der Trattoria gerufen. Ein Toter liegt neben seinem Auto. Er wurde erschlagen. Es ist Erich Van Veeteren. Münster und Moreno sind entsetzt. Sie müssen zu ihrem früheren Chef. Münster verliert nicht viel Worte, um ihm den Tod seines Sohnes zu melden. Van Veeteren steht auf, schließt sich für ein paar Minuten in ein Zimmer ein, zieht sich an, bindet sich die Krawatte um und ist entschlossen, selbst in dem Fall zu ermitteln.

Währenddessen erhält Claussen einen zweiten Erpresserbrief, wiederum unterzeichnet mit „ein Freund“. Hat er den falschen Mann erwischt? Waren es zwei, die ihn erpressen? Was soll er tun? Der Unbekannte verlangt jetzt 200.000 Euro für zwei Tote.

Münster ist davon überzeugt, dass Erich in der Trattoria war, um wieder Drogengeschäfte zu tätigen. Kein Mensch weiß, warum Erich dort hingegangen war, auch Marlene nicht. Sie weiß nur von einem Anruf ein paar Stunden vor dem Mord, in dem offenbar ein ihr Unbekannter Erich um einen Gefallen bat. Und Van Veeteren, der Münster heimlich die Ermittlungsakte entwendet hat, findet einen Zettel mit der Adresse der Trattoria und der Aufschrift „grüner Plastiksack“.

War Erich doch noch in Drogengeschäfte verwickelt? Ein Bekannter Erichs, der Dealer Meunster (Dag Elfgren) behauptet dies jedenfalls. Hatte Erich etwas mit Erpressung zu tun? Van Veeteren und Münster schätzen, dass der grüne Plastiksack Geld enthielt. Aber sie stehen vor einem Rätsel bezüglich des Erpressten, von dem man annimmt, es sei ein Mann mittleren Alters mit Bart, der in der Trattoria gesehen worden ist, und des Erpressers. Währenddessen ist Claussen bemüht, die Kontakte Erichs zu ermitteln.

Kurze Zeit später findet die Polizei eine dritte Leiche in einem See ...

„Carambole“ lebt – neben der wieder exzellenten Darstellung Van Veeterens durch Sven Wollter – von der persönlichen Verwicklung des pensionierten Kriminalbeamten in diesen Mordfall sowie der ebenso überzeugenden Darstellung Claussens durch Peter Andersson. Claussen wirkt nur zu Beginn des Films selbstbewusst und sicher. Der von ihm verschuldete Unfall lässt nach und nach nicht nur die Verzweiflung dieses Mannes, sondern auch seine innere Schwäche zum Ausdruck kommen. Das hat seinen Grund nicht nur in dem von ihm zu Recht zu befürchtenden Risiko des Verlusts seiner Reputation als Arzt. Er vertraut sich nicht einmal seiner neuen Freundin Vera an. Damit korrespondiert, dass sein Leben nur noch ein Ziel zu kennen scheint: die Ausschaltung des Erpressers. Er setzt alles daran, um den Bekanntenkreis Erichs ausfindig zu machen. Er taucht sogar bei Marlene auf, gibt sich als Versicherungsvertreter aus, um von ihr Informationen zu bekommen.

Sozusagen als Gegenspieler Claussens tritt Van Veeteren auf. Der erfahrene Kriminalist ist, als er von der Ermordung seines Sohnes hört, nicht in der Lage, um ihn zu trauern. Er weist jede Trostbezeigung seiner Freundin Ulrike, aber auch Münsters zurück. Niemand darf ihn anfassen. Er spürt innerlich, dass er erst trauern kann, wenn er den Mörder gefasst hat. Dazu ist ihm (fast) jedes Mittel recht: Er entwendet Münster die Akte, verhört Rupold Meunster – zum Entsetzen Münsters, der nach einem Streit mit seinem früheren Chef einsieht, dass es angebracht ist, ihn als Beobachter in die Ermittlungen einzubeziehen, nicht aber als Ermittler –, ermittelt selbständig, ohne Rücksicht auf seine Ex-Kollegen. Und doch spielt dies Sven Wollter auf eine Weise, die ihm jegliche Sympathie des Publikums einbringt. Und Van Veeteren ist ein schlauer Fuchs. Er ist es, der die Ermittlungen an wesentlichen Punkten voran bringt.

Tatsächlich entsteht vor allem aus dem Kontrast der beiden Charaktere Claussen und Van Veeteren der Hauptteil der Spannung im Film. Beide sind schlau. Aber während Claussen in seinem Egoismus, seiner Angst und seiner damit verbundenen Skrupellosigkeit letztlich einen Fehler nach dem anderen begeht – bis zu hin einem weiteren Mord –, ist Van Veeterens Verhalten eben nicht nur von der legitimen Absicht bestimmt, den Mörder seines Sohnes zu finden, sondern ebenso von einem tiefen Gerechtigkeitsempfinden.

Ein insgesamt sehr spannender, von überzeugenden Darstellern getragener Krimi.