Carrie – Des Satans jüngste Tochter
(Carrie)
USA 1976, 98 Minuten
Regie: Brian de Palma

Drehbuch: Lawrence D. Cohen, nach dem Roman von Stephen King
Musik: Pino Donaggio
Director of Photography: Mario Tosi
Montage: Paul Hirsch
Produktionsdesign: Jack Fisk, Bill Kenney, Robert Gould

Darsteller: Sissy Spacek (Carrie White), Piper Laurie (Margaret White), Amy Irving (Sue Snell), William Katt (Tommy Ross), Betty Buckley (Miss Collins), Nancy Allen (Chris Hargensen), John Travolta (Billy Nolan), P. J. Soles (Norma), Priscilla Pointer (Mrs. Snell), Sydney Lassick (Mr. Fromm), Stefan Gierasch (Mr. Morton)

Horror ohne Schrecken

Manchem gilt Brian de Palmas auf Stephen Kings Roman basierender Film „Carrie“ als Klassiker des Horrorgenres (1). De Palma, der so (auch qualitativ) unterschiedliche Filme wie „Die Unbestechlichen“ (1987), „Carlito’s Way“ (1993), „Mission Impossible“ (1996) und „Femme Fatale“ (2002) inszenierte, bediente sich eines frühen Romans Kings – und meinem Gefühl nach scheiterte er an dem Material Kings wie viele andere vor und nach ihm (etwa Mary Lambert mit „Friedhof der Kuscheltiere“, 1989, oder vor kurzem Lawrence Kasdan mit „Dreamcatcher“, 2003). Ich kenne den King-Roman nicht und kann daher nicht sagen, ob das Buch selbst schon Anlass genug gibt, es nach einigen Seiten wieder aus der Hand zu nehmen. Das Drehbuch Cohens ist jedenfalls eine mittlere Katastrophe.

Für die 27jährige Sissy Spacek allerdings war „Carrie“ – verdientermaßen – der Durchbruch zur Schauspielerkarriere, während John Travolta, der in einer Nebenrolle zu sehen ist, noch nichts von seinem Können erahnen lässt.

Carrie White (Sissy Spacek) ist eine Außenseiterin – weniger, weil sie sich selbst in dieser Rolle sehen will. Ihre Mutter Margaret (Piper Laurie) ist dem religiösen Wahn verfallen und drangsaliert Carrie emotional und physisch. Alles, was mit Sexualität auch nur im entferntesten zu tun hat, will sie von ihrer Tochter fernhalten. Als Carrie, unaufgeklärt von der Mutter, nach dem Sportunterricht beim Duschen ihre erste Monatsblutung bekommt, ist sie starr vor Schreck und wird zu allem Überfluss von ihren sie sowieso nicht mögenden Mitschülerinnen ausgelacht und mit Binden beworfen. Lediglich ihre Sportlehrerin Miss Collins (Betty Buckley) nimmt sich ihrer an, versucht, sie zu beruhigen – und straft die Mitschülerinnen mit einer Woche Nachsitzen: beim Sport. Wer nicht erscheint, soll von der Teilnahme am Abschlussball der High School ausgeschlossen werden. Allen voran Chris (Nancy Allen) und Sue (Amy Irving) sinnen auf Rache. Sue überredet ihren Freund Tommy (William Katt), mit Carrie zum Abschlussball zu gehen. Carrie setzt sich gegen ihre Mutter durch, Tommy holt sie ab, und auf dem Ball scheint sich für die junge Frau alles zum besten zu wenden. Sie und Tommy werden zum besten Tanzpaar gewählt – ein Betrug mit Wahlzetteln, den Chris und Sue ersonnen haben.

Doch dann wendet sich das Blatt – zunächst für Carrie, die die Rache ihrer Mitschüler zu spüren bekommt, dann für diese. Und Carries Antwort auf ihre Demütigung endet für manchen tödlich ...

Ich kann kaum etwas Gutes an diesem Film lassen. Das Gute zuerst: Sissy Spacek liefert eine überzeugende Vorstellung als teils verängstigte, gedemütigte, andererseits äußerst intelligente und gefühlvolle junge Frau, die mehr durchschaut, als ihre Mutter und ihre Mitschüler ahnen – und deren Rache – einmal abgesehen von dem schlechten Drehbuch, der platten Inszenierung und den mittelmäßigen bis schlechten schauspielerischen Leistungen – aus der Handlung heraus nicht nur verständlich, sondern auch logisch erscheint.

Der von Skript (und wahrscheinlich auch Roman) avisierte Horroreffekt gründet in den telekinetischen Fähigkeiten Carries; sie kann in emotional extremen Situationen Gegenstände blitzschnell bewegen. Dieser Horroreffekt allerdings spielt für Inszenierung wie Handlung letztlich eine untergeordnete Bedeutung. Die Rache hätte ebenso gut auf „normale“ Art und Weise ausgeübt werden können, also z.B. durch ein Messer, das aus der Hand geführt wird, statt durch Messer, die sich durch Carries übernatürliche Fähigkeit pfeilschnell durch den Raum bewegen.

Viel enttäuschender allerdings als die Umsetzung der äußerlichen Handlung selbst – gedemütigte junge Frau rächt sich bitter an ihren Peinigern (und an ihrer Mutter) – sind zum einen die völlige Überzeichnung der Handlung vor allem durch die Figur der Mutter (gespielt von Piper Laurie, die in „Haie der Großstadt“ neben Paul Newman 1961 eine so exzellente Leistung geboten hatte) und die platte Motivationskette in bezug auf deren Verhalten, zum anderen die weiteren Rollen, in denen sich Schauspieler tummeln, die ein Klischee nach dem anderen bedienen. Die Racheengel Sue und Chris haben einfach kein Format. Charakteristisch dafür ist etwa eine Szene, in der die Lehrerin Collins die Mitschülerinnen Carries beim Sport zur Strafe für ihr Benehmen gegenüber Carrie triezt. Die Art und Weise, wie Chris sich gegenüber der Lehrerin weigert, weiterhin daran teilzunehmen, die Worte, die sie benutzt und das Verhalten, das sie an den Tag legt – das alles ähnelt einem schlechten Provinztheater. Nicht fehlen darf dann auch die Ohrfeige, die Miss Collins Chris verpasst. Das ganze wirkt nicht wie gutes, emotional bewegendes Kino, sondern wie ein mechanisch ablaufendes Rollenspiel.

Auch William Katt, der Carrie zum Ball führt, um der Rache der Mitschülerinnen an ihr den Boden zu bereiten, spielt seine Rolle bar jeglicher Emotionalität, Überzeugungskraft, oft so verhalten und reduziert, dass ich das Gefühl hatte, er gehe deshalb nicht aus sich heraus, weil er Angst hat, damit seine mimische Unfähigkeit zu beweisen. Betty Buckley will eine Lehrerin spielen, die auf Carries Seite steht; aber auch dies geschieht in einer zumeist oberflächlichen, gewollten Art nach dem Muster: Das Drehbuch schreibt es halt vor. Der Rest der Crew, einige Lehrer und Schüler (einschließlich John Travolta), ist Makulatur. Symptomatisch für die Einfallslosigkeit im Film ist etwa auch eine Szene, in der Travolta und Nancy Allen im Auto fahren und er sich ein Bier aus dem Wagen anderer Schüler herüber werfen lässt. Auch hier wieder die lustlose Anwendung von Schema F, mechanisches Reagieren auf mechanisches Agieren bis hinein in die Dialoge – zudem eine für die Handlung überflüssige Szene.

Am wenigsten überzeugend allerdings ist Piper Laurie. Sie spielt eine religiös fanatische Mutter, allerdings völlig over-the-top. Ihre Margaret White „geistert“ durch das Haus mit teils pathetisch überzogenem, religiös motiviertem Eifer, als ob eine fanatische Sekte eines ihrer schauspielerisch unfähigen Mitglieder zum Film abgestellt hätte. Die in Skript und wohl auch Roman niedergelegte Motivation für ihr Verhalten wirkt angesichts dieser Darstellung geradezu lächerlich: die Mutter wurde von ihrem Mann bei oder nach der Geburt Carries verlassen. Dadurch entwickelte sich bei Margaret White ein Hass nicht vor allem auf Männer, sondern auf Sexualität und alles, was mit Fortpflanzung zu tun hat – mit Auswirkungen bis dahin, dass sie versucht, ihrer Tochter weiszumachen, Regelblutungen seien Ausdruck von etwas Unreinem usw. Diese Ursprünge des mütterlichen Verhaltens mögen bei näherer Überlegung vielleicht realistische Motive enthalten. Allerdings werden davon im Film nur Bruchstücke präsentiert nach dem Motto: Seht zu, was ihr damit anfangt.

Dem Film fehlt so gut wie jegliche Spannung, weil von vornherein ersichtlich ist, wohin der berühmt-berüchtigte Hase läuft. Man weiß zwar nicht sofort, wie sich Carries Mitschülerinnen rächen wollen und wie Carrie en detail darauf reagieren wird. Aber diese Details spielen in punkto Spannung so gut wie keine Rolle. Das (in punkto Grauen eher verhalten inszenierte) Blutbad am Schluss ist so sicher wie das Amen in der Kirche, und de Palma und Lawrence Cohen lassen leider keinen Zweifel daran, sprich: es gibt keine unvorhersehbaren Wendungen, die Zuschauer werden nicht auf falsche Fährten gelockt, es gibt keinen Schrecken, von dem man überrascht würde, und daher tatsächlich keinen Horror. Alles läuft nach Schema F, von den platten Charakteren über die Mängel der Geschichte selbst bis hin zur vorhersehbaren Handlung. Einzig Sissy Spacek sticht aus diesem Sammelsurium von Klischees und Platitüden, bis hinein in die Dialoge, heraus.

(1) Vgl. z.B. Brian Websters Besprechung

© Bilder: Paramount Home Video