Dark Blue
(Dark Blue)
USA 2002, 118 Minuten
Regie: Ron Shelton

Drehbuch: David Ayer, nach einer Geschichte von James Ellroy
Musik: Terence Blanchard
Director of Photography: Barry Peterson
Montage: Paul Seydor
Produktionsdesign: J. Dennis Washington

Darsteller: Kurt Russell (Eldon Perry), Scott Speedman (Bobby Keough), Michael Michelle (Beth Williamson), Brendan Gleeson (Jack van Meter), Ving Rhames (Arthur Holland), Kurupt (Darryl Orchard), Dash Mihok (Gary Sidwell), Jonathan Banks (James Barcomb), Lolita Davidovich (Sally Perry), Khandi Alexander (Janelle Holland), Dana Lee (Henry Kim)

Schuld, Erlösung, Sühne, Hollywood

Was ist Korruption? Nun, sie beginnt eigentlich schon dort, wo „Personen des öffentlichen Lebens“ oder Beamte respektive Angestellte des Staates oder der Wirtschaft „kleine Aufmerksamkeiten“ entgegennehmen, die ihre Entscheidungsfindung in einem bestimmten Punkt „beeinflussen“ sollen oder zumindest könnten. Die Grenzen sind hier sicherlich fließend, die Grauzonen schwer abgrenzbar. In den meisten Filmen, in denen Korruption (auch) Thema ist, sind die Verhältnisse bezüglich Korruption allerdings derart deutlich, mit klaren Konturen versehen, offensichtlich und handgreiflich, das Zweifel über die Personen, die sich korrupt verhalten, kaum aufkommen können. Die Frage, ob es schon einer Art Bestechung gleichkommt, wenn Gemeinderäte Freikarten für „ihren“ Fußballverein oder zu Weihnachten Weinpräsente von der bekannten örtlichen Winzergenossenschaft dargereicht bekommen, ist nicht leicht zu beantworten. Wenn allerdings der Cop einer Spezialeinheit der LAPD zwei skrupellose Ganoven mit dem Versprechen anheuert, sie vor Strafverfolgung zu schützen und am Reibach zu beteiligen, wenn sie ihm mittels Raub(mord) Geld verschaffen, ist Korruption ein Fall für das sonnige Gemüt. Und da auch ich manchmal ein solches habe, bin ich für solche Filme zugänglich.

So auch für Ron Sheltons Kriminalgeschichte über den Korruptionssumpf in der LAPD vor dem Hintergrund des „Falls Rodney King“ 1991, als vier Polizeioffiziere, die King brutal zusammengeschlagen hatten, freigesprochen wurden und dieses Urteil nicht nur eine Welle von Protesten, sondern einen Aufstand auslöste. Vor diesem Szenario erzählt David Ayer auf Grundlage einer Geschichte von James Ellroy die Story des Mitglieds der Sondereinheit der LAPD, der „Special Investigations Squad“ (SIS), Sergeant Eldon Perry (Kurt Russell), seines jungen Kollegen Bobby Keough (Scott Speedman) und ihres Vorgesetzten Jack van Meter (Brendan Gleeson), der zwei junge skrupellose Gangster zur Geldbeschaffung angeheuert hat. Als die beiden im Auftrag von van Meter in einem koreanischen Geschäft den Tresor stehlen und dabei mehrere Menschen erschießen, werden Perry und Keough, der Neffe von van Meter, mit der Aufklärung beauftragt. Der Befehl van Meters ist eindeutig: Es waren nicht seine beiden Handlanger; Keough und Perry sollen zwei Täter finden, denen die Tat angelastet werden kann. Nicht nur das: Die beiden sollen die vermeintlichen Täter gleich ins Jenseits befördern, wo sie hingehörten. Perry und Keough wissen zwar (noch) nicht, dass van Meter Auftraggeber des Raubes war, erfüllen ihren Job aber trotzdem. Van Meter kann auf die Skrupellosigkeit Perrys setzen, die ihre Ursache teils in tiefer Enttäuschung über seine Arbeit, den Sisyphus-Kampf gegen das Verbrechen hat, teils auf das vermeintliche Charisma seines Vaters zurückzuführen ist, der als Held und Mitstreiter van Meters in die Annalen der LAPD eingegangen ist. Familienkontinuität.

Keough und Perry erledigen ihren Auftrag, der mit Wahrheitsfindung nichts zu tun hat. Perry bringt Keough so weit, einen Verbrecher, der mit dem Raub im koreanischen Geschäft nichts zu tun hat, zu liquidieren.

Demgegenüber sehen wir den „guten Cop“, Deputy Chief Holland (Ving Rhames), der zusammen mit seiner Kollegin Sergeant Beth Williamson (Michael Michelle) der Korruption in der LAPD ein Ende setzen will. Van Meter ist ihm schon lange ein Dorn im Auge; allerdings konnte er ihm bislang nichts nachweisen. Zusätzliche Probleme entstehen, als sich ausgerechnet Keough mit Beth einlässt und Perrys Frau (Lolita Davidovich) sich von ihrem Mann trennen will mit der Bemerkung: „Du sorgst dich mehr um die Leute, die du hasst, als um die, die du liebst.“

Van Meter ist korrupt, Perry ist korrupt, Keough wird korrupt gemacht. Die Presse wird belogen, die eigenen Kollegen werden belogen, und van Meter ist letztlich auch bereit, seinen besten Helfershelfer, Perry, zu opfern, um ungeschoren davon zu kommen.

„Dark Blue“ ist also ein typischer Cop-Thriller, hart, kalt, skrupellos, der Kampf ums korrupte Dasein beherrscht die Szenerie. Und Kurt Russell tut sein Bestes, um diesem Cop, Perry, Konturen zu geben; das gleiche gilt für Brendan Gleeson und Ving Rhames. Die Handlung spielt – oberflächlich betrachtet – abseits von Familie, von Vertrauen, von Zuneigung, von Emotionen, sie bewegt sich im Teufelskreis von Gewalt und Betrug, von Bestechung und Illegalität. Und hier montiert Shelton dann das ein, was so typisch für die so genannte „Traumfabrik“ Hollywood ist, was Unmengen von Filmen aus der Filmstadt beherrscht, was schon zum Klischee, zur Routine geworden ist: Pathos – diese mehr oder weniger übertriebene Gefühlsregung, nicht als singuläre Situation oder vereinzeltes Verhalten, sondern als inszenatorisches „Glanzstück“, als Totale, die die Handlung ab einem bestimmten Punkt der Ausweglosigkeit oder Geradlinigkeit beherrscht und dem „Schicksal“, der „Bestimmung“ von Personen und Geschehen „plötzlich“ eine Wende verleiht, eine Art göttliche Fügung oder innere Umkehr, die – meist weitab von der Realität außerhalb des Kinos – dem Gang der Dinge eine positive Störung verpasst, um zumindest ein partielles Happyend zu generieren, mit dem der Konsument zufrieden sein kann. Das Angebot an Zufriedenheit kann man natürlich akzeptieren oder ablehnen. Es kann – aus den besonderen Umständen heraus – annehmbar oder wenig plausibel sein.

An dieser Schnittkante der Plausibilität, des gerade noch Akzeptablen oder des schon Unglaubwürdigen scheiden sich dann die Geister, entscheiden die eigenen Gefühle des Betrachters über Wohl oder Wehe der Inszenierung des Pathos. Shelton lässt Kurt Russel eine zynische, flammende, wenn auch eher leise Rede gegen die Korruption vor versammelter Mann- und Frauschaft der LAPD in Anwesenheit der Presse halten, die seine eigene innere Umkehr dokumentiert wie auch die Niederlage van Meters besiegelt. Ein wirklich typischer, geradezu prototypischer Schluss à la Hollywood, dem man einiges an Unglaubwürdigkeit vorwerfen könnte, der aber – nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung – nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Perry ist ein Schwein. Aber immer wieder im Film lässt Shelton einfließen, dass er mehr als nur das ist. Er ist tief enttäuscht, weil hilflos gegenüber der Kriminalität. Er hasst tatsächlich seine „Feinde“ mehr, als er seine Freunde und Familie liebt. Er projiziert seinen Hass nicht auf die Strukturen und die treibenden Kräfte in ihnen, sondern auf einzelne strafffällig Gewordene. Er wird langsam aber sicher zum Sozialdarwinisten, dem jedes Mittel recht erscheint, um der Kriminellen habhaft zu werden. Und erst im Moment, als einer aus seinen eigenen Reihen – van Meter – ihm ungewollt zeigt, dass der auf ihn scheißt, und Keough Opfer wird, ändert Perry die Richtung.

Gegen diese inszenierte Erlösung als instrumentelles Moment des Films könnten viele Einwände formuliert werden. Doch genauso sprechen viele Argumente dafür, weil diese Erlösung vor dem Hintergrund von Schuld die einzige Möglichkeit ist, die moralische Komponente des Kinos, des Films zu implementieren. Auch hier bleibt nur die Frage: Ist es glaubwürdig oder wenig plausibel inszeniert. In „Dark Blue“ wirkt mir die Schlussszene allzu over the top. Und das hängt vielleicht auch mit dem Ausgangsproblem zusammen, dass Schuld, die in Korruption staatlicher Beamter besteht, hier wie in anderen Filmen allzu offensichtlich, plastisch, vordergründig, eindeutig inszeniert wurde. Dieser allzu deutlich haptischen, zu handgreiflichen Form der Darstellung des Themas analog ist der Showdown angelegt.

Trotz alldem ist „Dark Blue“, auch wenn David Ayer wohl James Ellroys Geschichte nicht in dessen Schärfe gefolgt sein mag, kein schlechter Thriller. Nein, er unterhält, er berührt und er fesselt über weite Strecken. Also nicht nur gute Unterhaltung und Spannung, sondern vielleicht auch ein wenig zum Nachdenken.