Das Leben des David Gale
(The Life of David Gale)
USA 2003, 130 Minuten
Regie: Alan Parker

Drehbuch: Charles Randolph
Musik: Alex Parker, Jake Parker
Director of Photography: Michael Seresin
Montage: Gerry Hambling
Produktionsdesign: Geoffrey Kirkland, Steve Arnold, Jennifer Williams

Darsteller: Kevin Spacey (Dr. David Gale), Kate Winslet (Elizabeth „Bitsey“ Bloom), Laura Linney (Constance Hallaway), Gabriel Mann (Zack), Matt Craven (Dusty), Rhona Mitra (Berlin), Leon Rippy (Braxton Belyeu), Jim Beaver (Duke Grover), Elizabeth Gast (Sharon Gale), Cleo King (Barbara Kreuster), Constance Jones (A. J. Roberts), Lee Ritchey (Joe Mullarkey), Noah Truesdale (Jamie Gale)

Eine ethische Katastrophe

Es gibt Filme, die an ihrem Thema scheitern, möglicherweise scheitern müssen, etwa Filme über den Holocaust oder über den Krieg, also existentielle Erfahrungen des massenhaft organisierten Todes und Mordes. Diese Filme können aber trotzdem gelungene Auseinandersetzungen mit dem Thema sein. Andere scheitern an sich selbst. Dazu gehört Alan Parkers („Evita“, 1996; „Die Asche meiner Mutter“, 1999) Film über einen Mann, der im Todestrakt auf seine Hinrichtung wartet. Charles Randolphs Drehbuch, das lange Zeit niemand in einen Film umsetzen wollte, strotzt nur so vor einer völlig verfehlt konstruierten Geschichte im Kampf gegen die Todesstrafe, die so lebensfremd ist, dass einem zum Schluss die Haare zu Berge stehen.

Der ehemalige Professor für Philosophie David Gale (Kevin Spacey) sitzt im Todestrakt eines texanischen Hochsicherheitsgefängnisses und wartet auf seine Hinrichtung in vier Tagen. Er wurde 1994 wegen Vergewaltigung und Mord verurteilt. Das Opfer war Gales langjährige Kollegin in der Organisation „Death Watch“ Constance Hallaway (Laura Linney). „Death Watch“ kämpft für die Abschaffung der Todesstrafe. Gale hatte bis jetzt geschwiegen, obwohl er immer seine Unschuld beteuert hatte. Nun beauftragt er die New Yorker Reporterin Bitsey Bloom (Kate Winslet), an den ersten drei der ihm noch verbliebenen vier Tage bis zur Hinrichtung ein Interview mit ihm zu führen – gegen eine hübsche Summe Geld. Sein hartgesottener Anwalt Braxton Belyeu (Leon Rippy) vermittelt die Zusammenkunft über drei mal zwei Stunden. Bitsey bekommt durch ihren Chef (ungewollt) den Praktikanten Zack (Gabriel Mann) zur Seite, der sie bei den Ermittlungen unterstützen soll.

Bitsey ist nicht ganz klar, warum sich Gale erst jetzt an die Presse wendet. Gale erzählt ihr seine Lebensgeschichte. Gale war verheiratet, doch seine Frau trennte sich von ihm. Seine Reputation erlitt erheblichen Schaden, als er sich mit einer (relegierten) Studentin einließ, die ihn hinterher anzeigte (Rhona Mitra), weil der Sex angeblich nicht freiwillig geschah. Gale verlor seinen Job, ertränkte seine Verzweiflung in Alkohol. Der Vorstand von „Death Watch“ wollte ihn loswerden, da er kein Aushängeschild mehr für die Organisation darstellte.

Constance hatte immer zu Gale gehalten; beide verband Sympathie und Herzlichkeit. Doch eines Tages findet man Constance in der Küche ihrer Wohnung mit einer Plastiktüte auf dem Kopf, erstickt. Sie liegt nackt am Boden. In ihrem Magen findet man den Schlüssel für die Handschellen. Ihr Körper ist mit Blutergüssen übersät. Und vor allem: Man findet Sperma von David Gale.

Bitsey ist zunächst auch davon überzeugt, dass Gale der Mörder Constances ist. Doch nach und nach beginnt sie zweifeln, nicht nur weil ein Mann sie und Zack ständig verfolgt, der sich als fanatisches Mitglied von „Death Watch“ entpuppt und offenbar Beziehungen zu Gales Anwalt hat. Bitsey wird anonym ein Videoband zugespielt, auf dem die letzten Sekunden von Constance vor ihrem schrecklichen Tod aufgenommen wurden. Sie besucht mit Zack den Tatort, der inzwischen zu einer Art „Museum“ umgestaltet wurde.

Die Zeit drängt ...

Schon die Ausgangskonstellation von Parkers Film erschöpft sich in klischeehaften Erwartungshaltungen, die beim Betrachter geschürt werden sollen. Gale ist nicht nur Universitätsprofessor, sondern auch sympathisch, witzig und souverän. Er liebt seinen Sohn, er bedauert die von seiner Frau gewollte Trennung. Er scheint beliebt zu sein. Es gibt zudem keinen ersichtlichen Grund, warum er Constance hätte vergewaltigen und ermorden sollen. Die Sympathien sind also ganz und gar auf seiner Seite. Ihm gegenübergestellt wird Dusty (Matt Craven), ein „einfacher“ Texaner, der in einer Bruchbude lebt, die vor Müll fast überschwappt. Dusty gilt als fanatischer Gegner der Todesstrafe, das heißt, er erscheint als jemand, dem jedes Mittel recht wäre, um sein Ziel zu erreichen. Dusty bleibt den ganzen Film über im Hintergrund, Bitsey und Zack beobachtend.

Es werden also klipp und klar Sympathien „verteilt“, um dann, auch das ist klar, zu einer Lösung zu kommen, die irgendwo ganz anders liegt. Gefüttert wird diese Konstellation noch mit der Vermutung, dass eine Verschwörung des Todesstrafenbefürworter gegen Gale zu dessen Verurteilung geführt haben könnte. Auch Gales Anwalt wird etwas zwielichtig dargestellt. Dann erfährt man einiges über Gales Leben, u.a. auch von einer angeblichen Vergewaltigung einer Studentin, die ihn jedoch in der Toilette verführt hatte. Verschwörung? Parker arbeitet mit derartigen Klischees zuhauf, die den Zuschauer hin- und her schwanken lassen zwischen Verschwörungstheorie, Einzeltäterschaft und einer „ganz anderen“ Lösung des Falls.

Bitsey und Zack dienen dramaturgisch wie von der Geschichte her letztlich nur als Marionetten, sozusagen als verlängerter Arm des Publikums und Gales. Der Clou besteht letztlich darin, dass es – bis zur katastrophalen Lösung des Falls – gar nicht mehr um die Todesstrafe geht, sondern um ein sattsam bekanntes, wenn auch in schöne Bilder und mitreißende Schnitte umgesetztes Rennen gegen die Uhr mit entsprechenden Verfolgungsjagden, geheimnisvollen Beobachtern, versagenden Autos etc. pp.

Bis hierhin, das heißt bis zur letzten halben Stunde des Films bleibt zwar einige Spannung vorhanden, nur um eine Auseinandersetzung über die Todesstrafe geht es letztlich nicht. Lediglich ein kurz eingeblendetes Fernsehduell zwischen Gale und dem Gouverneur von Texas thematisiert die Hinrichtungen.

Kein Zweifel, Winslet, Spacey und vor allem Laura Linney machen ihre Sache gut. Alles andere aber ist weniger als Mittelmaß.

Gale erzählt Bitsey, dass Constance unheilbar an Leukämie erkrankt gewesen sei, was sie ihm aber verschwiegen hatte, bis er sie eines Tages ins Krankenhaus bringen muss, weil sie zusammengebrochen war. Später sieht man beide sich unterhalten. Gale ist am Ende, weil er Familie und Job verloren hat, Bitsey wird bald sterben. Sie erkennen, dass zwischen ihnen nicht nur Sympathie, sondern tiefe Zuneigung besteht. Sie schlafen miteinander.

Kurz vor der Hinrichtung findet Bitsey in der verwahrlosten Bruchbude Dustys ein weiteres Videoband in einem Umschlag, der schon an sie adressiert ist. Darauf ist zu sehen, dass Constance nicht ermordet wurde, sondern sich selbst umgebracht hat. Es sollte aber so aussehen, als wenn sie Opfer eines Mordes geworden wäre. Gale sollte in Verdacht geraten, daher das Sperma, und verurteilt werden. Dusty hatte den furchtbaren Selbstmord Constances auf Video aufgenommen. Nach der Hinrichtung Gales taucht ein weiteres Video auf. Darauf ist auch David Gale zu sehen. Summa summarum: Gale, Dusty und Constance planten, den Selbstmord als Mord durch Gale erscheinen zu lassen, um zu beweisen, dass ein Unschuldiger hingerichtet werden kann, dass die Todesstrafe geschehenes Unrecht an einem Hingerichteten nicht wieder gut machen und dass so etwas passieren kann. Constance tötet sich selbst, weil sie sowieso nicht mehr lange zu leben hat. Gale opfert sich, weil seine Zukunftsaussichten mies aussehen, für das Ziel der Todesstrafengegner und Dusty und Anwalt Belyeu organisieren die ganze Sache – einschließlich entsprechender Geldzahlungen.

Dass sich eine Todkranke das Leben nehmen will, ist nachvollziehbar. Dass sie sich dabei allerdings einem politischen Ziel wegen in ihrem Tod freiwillig derart erniedrigt, nicht. Dass ein ehemaliger Universitätsprofessor, der ebensowenig auf den Kopf gefallen ist wie seine Mitstreiterin, für so etwas hergibt und oben drauf sich freiwillig hinrichten lässt, ist unglaubwürdig und realitätsfremd. Doch noch viel schlimmer ist es, dass ein Regisseur eine solche Geschichte in einem Film positiv besetzt, das heißt dieses Verhalten gut heißt.

Ich habe selten einen solchen hanebüchenen Unsinn gesehen. Das allerschlimmste an diesem Film ist allerdings die regelrechte Schamlosigkeit, mit der hier Opfer „produziert“ werden. Nicht nur, dass den Todesstrafengegnern mit solchen Geschichten kein Gefallen getan wird. Dem Publikum wird mehrfach das Videoband mit der sterbenden Constance vorgeführt. Insgesamt gesehen, was ich wirklich nicht oft schreibe, eine ethische Katastrophe, ein Film, der es an jeglicher Intelligenz fehlen lässt und die Gegner der Todesstrafe in eine moralische Ecke stellt, die nicht besser ist als das Geschrei von Leuten, die z.B. im Film äußern, man solle Gale nicht „sanft“ mit der Spritze töten, sondern die Axt benutzen.

Ich erinnere mich noch gut an Joel Schumachers „Die Jury“ (1996) nach Grishams gleichnamigen Roman, in dem ein (schwarzer) Vater wegen der brutalen Vergewaltigung seiner Tochter zwei Rednecks, die als Täter verhaftet worden waren, auf den Treppen zum Justizgebäude erschießt und dafür hingerichtet werden sollte. Dieser Film entspannte einen grandiosen, intellektuell und ethisch überzeugenden Bogen in bezug auf das Thema Bestrafung von Mördern, Todesstrafe usw., bis hinein in die politischen Verästelungen, sozialen Konflikte, Traditionslinien usw. (auch wenn Grishams Roman noch besser war).

Im Gegensatz zu „Die Jury“ ist „Das Leben des David Gale“ eine Erniedrigung der Opfer wie der Täter von Gewaltverbrechen und zudem derjenigen, die gegen diese unmenschliche Strafe kämpfen. Ich habe keine Ahnung, warum sich ein Regisseur wie Parker und Schauspieler wie Spacey, Winslet und Linney auf ein solches Drehbuch einlassen konnten. Rundweg ein geschmackloser Film, den ich niemandem empfehlen kann.