Das Schloss im Spinnwebwald
(Kumonosu jô)
Japan 1957, 110 Minuten
Regie: Akira Kurosawa

Drehbuch: Shinobu Hashimoto, Ryuzo Kikushima, Akira Kurosawa, Hideo Oguni, nach William Shakespeares „Macbeth“
Musik: Masaru Satô
Director of Photography: Asakazu Nakai
Montage: Akira Kurosawa
Produktionsdesign: Yoshirô Muraki

Darsteller: Toshirô Mifune (Taketori Washizu, Samurai), Isuzu Yamada (Asaji Washizu, Taketoris Frau), Akira Kubo (Yoshiteru Miki, Samurai), Takashi Shimura (Noriyasu Odagura, Heerführer des Fürsten Tsuzuki), Hiroshi Tachikawa (Kunimaru Tsuzuki, Sohn des Fürsten), Minoru Chiaki (Yoshiaki Miki, Sohn Yoshiterus), Takamura Sasaki (Kuniharu Tsuzuki, Fürst), Chieko Naniwa (Geist)

So stark er im Krieg, so schwach er im Frieden

Die Kamera fährt langsam über eine karge, bergige, düstere Gegend. Nebel schwebt über der Landschaft. Etwas Unheimliches, Bedrohliches scheint sich hier abgespielt zu haben – an diesem Ort des Bösen und der Verdammnis. Mitten in dieser Landschaft sitzt der Fürst Kuniharu Tsuzuki (Takamura Sasaki) mit seinen Samurai, Beratern und anderen Gefolgsleuten. Es scheint schlecht zu stehen um den Herrscher im Schloss, das nicht unweit eines Waldes liegt, dem Spinnwebwald. Ein Feind, ein anderer Fürst namens Inui bedroht mit seinen Truppen die Herrschaft des Fürsten. Zwei Festen scheint er schon genommen zu haben. Aber die Späher berichten dann, dass die beiden kampferfahrenen Samurai Washizu (Toshirô Mifune) und Miki (Akira Kubo) alles daran setzen, Inui zu vertreiben – was ihnen auch gelingt.

Akira Kurosawa drehte 1957 die Geschichte von Shakespeares „Macbeth”, verlegt in das Japan der Samurai, das Japan der feudalen Herrscher und deren Kriege. Und so düster wie Shakespeares Tragödie, so düster ist auch Kurosawas Adaption des Stoffes um Verrat, krankhaften Ehrgeiz und Machthunger.

Im Zentrum der Geschichte steht u.a. der Spinnwebwald, ein Wald mit unzähligen, verschlungenen Pfaden und Wegen, in dem sich schon viele verlaufen haben. Ein Wald, der wie ein Irrgarten wirkt. Auch Washizu und Miki, die von der gewonnenen Schlacht gegen Inui durch den Wald zurückkehren, um zum Schloss des Fürsten zu gelangen, verirren sich im Spinnwebwald. Zwei Stunden reiten sie und gelangen an denselben Ort, an dem sie schon waren – bis sie eine furchterregend lachende Stimme hören, einen bösen Geist wie sie vermuten, der ihnen plötzlich leibhaftig erscheint. In einer aus Bambus hergestellten Hütte, von grellem Licht durchflutet, sitzt ein weißhaariger Geist (Chieko Naniwa) und spinnt an zwei Spinnrädern. Keinen Laut gibt er von sich. Die beiden Samurai blicken zunähst stumm und erstaunt, was sich dort zuträgt – bis der Geist ihnen etwas prophezeit:

Washizu, sagt er, werde zur Belohnung für seine Taten im Kampf gegen Inui vom Fürsten zum Statthalter des Nordhauses ernannt. Später werde er selbst Fürst werden. Und Miki werde Herr der ersten Feste, sein Sohn Yoshiaki (Minoru Chiaki) dagegen später Fürst, und damit Nachfolger Kuniharus.

Die beiden Samurai können ihren Ohren nicht trauen, denken, das alles wäre nur Lug und Trug eines bösen Geistes. Und als sie hinter der Hütte des Geistes mehrere Haufen mit Totenschädeln und Gerippen finden, beschleicht sie ein unheimliches Gefühl.

Doch der erste Teil der Prophezeiung tritt ein: der Fürst ernennt Washizu zum Herrscher des Nordhauses und Miki zum Herr der ersten Feste.

Schon in dieser Anfangssequenz des Films beschleicht den Betrachter angesichts der Prophezeiung des Geistes das Gefühl einer tragischen Geschichte in den Machtkämpfen der feudalen Ordnung. Die beiden Samurai sind nicht nur Kampfgefährten; sie sind Freunde. Sie haben nicht nur jahrelang neben- und miteinander gekämpft, sie scheint etwas Unverbrüchliches zu verbinden. Die Prophezeiung des Geistes aber enthält schon etwas Verführerisches, etwas Drohendes, zugleich aber auch eine Art Prüfung. Denn die Reihenfolge der Geschehnisse innerhalb der Prophezeiung ist eindeutig: Nachdem beide des Fürsten Belohnung erhalten haben, würde zuerst – so der Geist – Washizu und danach Mikis Sohn Fürst sein. Wie sollte das anders geschehen, als durch Verrat, Mord und Intrige?

Und niemand anderes als Washizus Frau Asaji (Isuzu Yamada) erkennt, wie die Prophezeiung gemeint ist, oder besser formuliert: Sie erkennt, was die Prophezeiung in sich birgt. Eines Tages, sagt sie zu ihrem Mann, werde der Fürst über Miki von dem Geist erfahren. Und dann werde er Washizu töten lassen, damit des Fürsten Sohn sein Nachfolger werde. Also müsse, so Asaji, Washizu den Fürsten töten, um selbst Fürst zu werden. Asaji begreift die Prophezeiung nicht als schwere Prüfung, sondern als Möglichkeit, sich selbst und ihrem Mann die absolute Macht zu verschaffen.

Washizu ist entsetzt über die Worte seiner Frau, will weder die Freundschaft mit Miki, noch die Ergebenheit gegenüber dem Fürsten aufs Spiel setzen. Doch die weiteren Worte Asajis lassen die Ehrbarkeit und die Treue in seinem bisherigen Leben immer brüchiger werden. Bei Shakespeare heißt es (Asaji gleich Lady Macbeth):

„Doch fürcht ich dein Gemüt;
Es ist zu voll von Milch der Menschenliebe,
Den nächsten Weg zu gehn. Groß möchtst du sein,
Bist ohne Ehrgeiz nicht; doch fehlt die Bosheit,
Die ihn begleiten muss. Was recht du möchtest,
Das möchtst du rechtlich; möchtest falsch nicht spielen,
Und unrecht doch gewinnen; möchtest gern
Das haben, großer Glamis, was dir zuruft:
Dies musst du tun, wenn du es haben willst! -
Und was du mehr dich scheust zu tun, als dass
Du ungetan es wünschest. Eil hieher,
Auf dass ich meinen Mut ins Ohr dir gieße,
Und alles weg mit tapfrer Zunge geißle,
Was von dem goldnen Zirkel dich zurückdrängt,
Womit das Schicksal dich und Zaubermacht
Im voraus schon gekrönt zu haben scheint.“
(Lady Macbeth) (1)

Was nun folgt, ist kein Tyrannenmord. Der Mord Washizus am Fürsten, die Verfolgung von dessen Sohn (Hiroshi Tachikawa) und des dem Fürsten treuen Heerführers Noriyasu (Takashi Shimura), die Ermordung Mikis durch einen Mordgesellen Washizus, die Verleumdung Noriyasus als vermeintlicher Mörder des Fürsten und die Inthronisierung Washizus als unumschränkter Herrscher sind Ausdruck der Machtgelüste und des krankhaften Ehrgeizes Washizus und seiner Frau Asaji.

Die Natur, das Naturverbundene, visualisiert im unheimlichen Spinnwebwald und dem Geist, erscheint in Kurosawas Adaption des Shakespear’schen Stoffes als etwas Wahrhaftiges, fast schon Göttliches, fast schon Übernatürliches, der Geist nicht nur als etwas Prophetisches, sondern eben auch als eine Art Hinweisgeber. Besonders deutlich wird dies in einer weiteren Prophezeiung, als der Geist Washizu, der sich der gemeinsamen Front Inuis, Noriyasus und des Sohnes des Fürsten gegenübersieht, sagt: „Solange der Wald sich nicht bewegt und zum Schloss heraufkommt, wirst Du keine Schlacht verlieren.” Die Natur ist hier nicht einfach nur Natur, sondern eine Art Korrektiv gegenüber dem Menschen. Es ist nicht der Tyrannenmord, sondern es ist die Installation des Tyrannen Washizu, die hier „korrigiert” wird. Zugleich ist die Prophezeiung aber eben auch Prüfung. Washizu hätte anders handeln können, den Machtgelüste seiner Frau nicht folgen müssen. Doch er tut es. Seinem zweifellos vorhandenen Ehrgeiz lässt er freie Bahn, er kennt keine Grenzen mehr.

„Aus, kleines Licht!
Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild,
Ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht
Sein Stündchen auf der Bühn und dann nicht mehr
Vernommen wird; ein Märchen ist’s, erzählt
Von einem Blödling, voller Klang und Wut,
Das nichts bedeutet.“
(Macbeth) (2)

Washizu wird, indem er zum Tyrannen wird, sich selbst dazu macht, ernennt, zum Verachter des Lebens (wie das obige Zitat aus „Macbeth” deutlich zeigt). Der Tod und die Einsamkeit, diese absolute Einsamkeit, werden zum Bezugspunkt seines Lebens. Das Leben ist nur ein flüchtiger Schatten, der nichts bedeutet. Der Tod wird – so paradox das scheinen mag – zum Sinn des Lebens: der Tod der anderen und der eigene. Die absolute Macht, die einsam macht, auch Washizus Frau, die nach der Totgeburt ihres Kindes, im Wahnsinn endet, die das Blut, das an ihren Händen klebt, in diesem Wahnsinn nicht mehr abwaschen kann, diese absolute Macht erweist sich als Mord und Selbstmord. Denn nichts anderes ist es, was Washizu am Ende ereilt: die Speere seiner eigenen Leute, die ihn durchbohren, weil sie erkannt haben, dass er der Mörder des Fürsten ist. Der Vollzug dieses Tyrannenmordes ist jedoch nur der Vollzug eines Selbstmordes, der lange vorher bestimmt war. Die Prophezeiung hat sich erfüllt.

Sieht am Kurosawas „Kumonosu jô” im Kontext seines Gesamtwerks, so muss man selbstverständlich auch berücksichtigen, dass seine Filme immer Bezug zur Gegenwart hatten. Die Frage nach der „Verortung” des Individuums in der Gesellschaft spielt dabei eine ebenso tragende Rolle wie die zwei grundlegenden Lebensentwürfe, die auch in diesem Film aufeinander prallen: Washizu und besonders Asaji als Vertreter einer machtgierigen und vom Ehrgeiz zerfressenden Ideologie des Todes, Miki etwa auf der anderen Seite als Repräsentant von Wahrhaftigkeit und Treue zu sich selbst und gegenüber anderen und damit einer lebensbejahenden Mentalität. Mitten hinein setzt Kurosawa ein Korrektiv in Gestalt des Geistes und des Waldes, eine Art Urmythos des Natürlichen, der Wege aufweist und Folgen aufzeigt.

Dies alles wird in einer grandiosen Inszenierung mit ebenso grandiosen Bildern umgesetzt, in denen besonders Toshirô Mifune und Isuzu Yamada in ihren Rollen glänzen. Mifune gelingt es, die Wandlung der Person des Washizu ebenso glaubhaft darzustellen, wie es Isuzu Yamada gelingt, den Ehrgeiz und den Machthunger der Asaji in einer geradezu minimalistischen Art und Weise zu demonstrieren.

(1) William Shakespeare: Macbeth, nach der Übersetzung von Dorothea Tieck, hier: 1. Akt, 5. Szene.
(2) ebd., 5. Akt, 5. Szene.
Quelle: Spiegel Online - Projekt Gutenberg-DE

© Bilder: Pegasus Film Home Entertainment und KS Multimedia
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