Das Schweigen der Lämmer
(The Silence of the Lambs)
USA 1991, 118 Minuten
Regie: Jonathan Demme

Drehbuch: Ted Tally, nach dem Roman von Thomas Harris
Musik: Howard Shore
Director of Photography: Tak Fujimoto
Montage: Craig McKay
Produktionsdesign: Kristi Zea

Darsteller: Jodie Foster (Clarice Starling), Anthony Hopkins (Hannibal Lecter), Scott Glenn (Jack Crawford), Anthony Heald (Dr. Frederick Chilton), Ted Levine (Jame »Buffalo Bill« Gumb), Frankie Faison (Schwester Barney Matthews), Kasi Lemmons (FBI Spezialagentin Ardelia Mapp), Brooke Smith (Catherine Martin), Paul Lazar (Pilcher), Dan Butler (Roden), Lawrence T. Wrentz (Agent Burroughs)

Die Geburt des Lecter-Syndroms

Der hochintelligente Psychiater Dr. Hannibal Lecter seziert nicht nur Leichen und genießt deren Innereien als köstlich zubereitete Speisen. Er seziert auch die Psyche der jungen FBI-Agentin Clarice Sterling (Jodie Foster), die – nachdem ihr Vater bei einem Einsatz als Polizist erschossen worden und sie dadurch Waise geworden war – vom Hof ihrer Verwandten flüchtete, weil dort Lämmer geschlachtet wurden und sie nicht einmal einem Lamm das Leben retten konnte. Dieses Trauma verfolgt Clarice. Lecter sagt ihr offen ins Gesicht, sie erhoffe sich wohl, durch die Festnahme eines Serienkillers, der Frauen die Haut vom Leibe zieht, von ihren Alpträumen loszukommen. Das ist das quid pro quo, der Deal, den Lecter sich aushandelt: Clarice erzählt ihre Familiengeschichte, Lecter hilft ihr durch portionsweise servierte Informations-Häppchen bei der Suche nach „Buffalo Bill“, mit bürgerlichem Namen Jame Gumb (Ted Levine).

Was macht diese Geschichte so faszinierend, dass zwei Filme, wenn auch „verspätet“, – „Hannibal“ (2001, Regie: Ridley Scott) und „Roter Drache“ (2002, Regie: Brett Ratner) – ihm folgten, dass eine ganze Generation von Filmliebhabern den schweigenden Lämmern verfiel? Sicher ist es nicht der Serienkiller „Buffalo Bill“; denn der – zwar nicht schlecht gespielt von Ted Levine, aber auch nicht übermäßig interessant – ist nichts weiter als ein „banaler“ Psychopath, der nach allen bekannten Regeln des psychopathischen Massenmörders handelt. Nur die Zeitnot treibt FBI-Chef Jack Crawford (Scott Glenn) dazu, sich der Hilfe von Dr. Lecter zu bedienen. Denn die junge Catherine Martin (Brooke Smith), Tochter einer Senatorin, befindet sich in den Händen „Buffalo Bills“.

Schon das erste Gespräch zwischen der noch in Ausbildung zum Profiler befindlichen Clarice und dem mit allen Wassern gewaschenen Lecter deutet an, woraus der Film seine Spannung bezieht: aus der Beziehung zwischen diesen beiden Personen, aus dem Wettstreit, den sie miteinander veranstalten, aus der Hochachtung, die sie gegenseitig füreinander empfinden, auch wenn sich Lecter für gewiefter hält als Clarice. Aber Clarice zeigt eine Art und Größe von Entschlossenheit, die den Erfahrungsvorsprung Lecters fast ausgleicht.

Diese Spannung zwischen den beiden Hauptfiguren erhält noch dadurch an Würze, dass Lecter, der sich in einem Hochsicherheitstrakt befindet – getrennt vom Gang durch eine dicke Glasfront – von Anfang an als das dargestellt wird und sich darstellt, was er ist: gefährlich und gerissen. Beides paart sich – in einer derart überzeugenden Weise von Hopkins gespielt, dass man dem Schauspieler nach dem Film nicht auf der Straße begegnen möchte – mit (englischer) Eleganz und Gentleman-Pose. Hopkins spielt diesen Dr. Lecter nicht als blutrünstig-augenrollenden, wild um sich schlagenden Massenmörder. Als er verlegt wird, tötet er zwei Polizisten. Doch er schlägt nicht wie ein Wahnsinniger auf sie ein, sondern legt selbst bei diesen Morden eine fast groteske Eleganz und „Zurückhaltung“ an den Tag, um dann mit Uniform und Gesicht des einen Polizisten zu entkommen.

Die bis an die Grenzen des Erträglichen gehende Diskrepanz zwischen Lecters Eloquenz, die er aus seiner hohen Intelligenz und tiefgehenden Erfahrung als Psychiater gewinnt, und seiner zutiefst verabscheuungswürdigen Grausamkeit, das Fehlen jeglichen Gefühls für Gerechtigkeit, Menschlichkeit und irgendeine Form von Mitgefühl, ist den Personen in seiner Umgebung in einer Weise unbegreiflich, so dass sie letztendlich wehrlos gegen Lecter werden: Nicht einmal extreme Sicherheitsvorkehrungen und schon gar nicht der nicht sonderlich versteckte Berufs-Neid des Leiters der Gefängnispsychiatrie Dr. Chilton (Anthony Heald) auf Lecter sind geeignet, den Psychopathen davon abzuhalten, die Gelegenheit abzuwarten, aus der Gefangenschaft zu entkommen. Dazu benötigt er lediglich den Halter eines Kugelschreibers, um später die Handschellen zu öffnen, die ihm die beiden von ihm kurz darauf massakrierten Polizisten anlegen.

Andererseits Jodie Foster. Ihre Clarice ist nicht so selbstbewusst, wie sie sich oft gibt. Als sie gegen Ende des Films im Keller des gesuchten und gefundenen „Buffalo Bill“ im Dunkeln tappt, zittern ihre Hände, sie keucht vor Angst, während der Serienkiller sie mit einem Infrarotfernglas direkt vor der Nase hat. Ihre Angst, ihre Alpträume, ihre Unsicherheit und Unerfahrenheit korrespondieren andererseits mit dem geradezu eisernen Willen, sowohl den Serienkiller zur Strecke zu bringen, als auch Lecter gegenüber standhaft zu bleiben, als auch ihren Alptraum loszuwerden. Sie misst sich mit ihm, was ihr andererseits Anerkennung bei Lecter verschafft. Sie spürt dies und äußert an einer Stelle des Films, Lecter würde sie nicht töten, nicht töten wollen.

Das „Monster“ Lecter steht außerhalb der Normalität, weil außerhalb jeglicher Moral. Ihm fehlt jegliches Gefühl für irgendeine Form von Moralität. Er misst Menschen danach, ob sie seine Intelligenz nicht nur akzeptieren, sondern auch würdigen. Dr. Chilton ist daher für Lecter ein potentielles Opfer, ein Mann, den er verachtet, weil er sich für wesentlich mehr hält, als er ist. Chilton ist ein Würstchen. Und Würstchen achtet man nicht, man verspeist sie. Clarice fürchtet und achtet Lecter zugleich. Lecter ist dies schon beim ersten Gespräch mit ihr völlig bewusst.

Aus dieser in den beiden Hauptfiguren personifizierten Spannung bezieht „Das Schweigen der Lämmer“ vor allem seinen „Kultstatus“, denn hiermit setzten Jonathan Demme und sein Team, vor allem auch Tak Fujimoto, neue Maßstäbe für das Kino. Umgesetzt wird das Furchterregende aus dieser Spannung in vielen Szenen des Films: bei der Leichenschau eines der Opfer von „Buffalo Bill“ etwa, als der Frau ein Kokon aus dem Hals gezogen wird; bei der Fahrstuhlszene, als die Polizisten vermuten, Lecter befinde sich auf dem Dach des Lifts; bei der fast surreal wirkenden Jagd auf „Buffalo Bill“ im Keller seines Hauses.

Das Perfide an der Figur Lecters ist, dass sie als sympathisch konstruiert ist. Das klingt paradox. Aber: Solange sich Lecter hinter Glas befindet – oder zumindest nur auf Zelluloid – ist er interessant als englisch wirkender, überdurchschnittlich intelligenter Gentleman und Psychiater, der zwar eine mörderische Vergangenheit hat, jetzt aber kaltgestellt ist. Es ist sozusagen das voyeuristische Vergnügen an dieser Person, was den Film zu einem schauerlichen Vergnügen werden lässt. „Hannibal the Cannibal“ – das drückt diesen tragisch-fürchterlichen und doch zugleich fast schon ironischen Charakter und seine Anziehungskraft vielleicht am besten aus.

Lecter – das kommt hinzu – weiß um das Ziel seines jungen Gegenübers. Clarice glaubt, ihren Alpträumen entkommen zu können, wenn sie das nächste potentielle Opfer Gumbs retten kann – was ihr mit dem Lamm als Kind nicht gelungen war. Die Senatorentochter liegt in der Grube, im Brunnen, wie der Frosch, der errettet werden will, Clarice ist der weibliche Prinz, der der männlichen Hexe Gumb den Garaus machen will, auch, um sich selbst zu helfen.

Sicherlich hat auch „The Silence of the Lambs“ seine Schwachpunkte. Die Personen Crawford und Chilton sind nicht besonders ausgereifte Figuren. Auch Levines Gumb wirkt nicht sonderlich überzeugend, kommt nie an einen Norman Bates aus „Psycho“ heran. Aber diese Schwächen sind angesichts der Stärke von Foster und Hopkins fast zu vernachlässigen. Allein diese mimischen Fähigkeiten von Hopkins und Foster haben es für Scott und Ratner fast schon verunmöglicht, annähernd gleichwertige Filme zu produzieren, die auch nur ansatzweise an „Das Schweigen der Lämmer“ herankommen.