Der Herr der Ringe – Die zwei Türme
(The Lord of the Rings: The Two Towers)
USA, Neuseeland 2002, 179 Minuten
Regie: Peter Jackson

Drehbuch: Frances Walsh, nach dem Roman von J. R. R. Tolkien
Musik: Howard Shore
Director of Photography: Andrew Lesnie
Montage: Michael Horton, Jabez Olssen
Produktionsdesign: Grant Major, Dan Hennah, Joe Bleakley, Rob Otterside, Phil Ivey, Mark Robins

Darsteller: Elijah Wood (Frodo), Ian McKellen (Gandalf), Liv Tyler (Arwen), Viggo Mortsensen (Aragorn), Sean Astin (Samwise „Sam“ Gamgee), Cate Blanchett (Galadriel), John Rhys-Davies (Gimli), Bernard Hill (König Théoden von Rohan), Christopher Lee (Saruman), Billy Boyd (Peregrin „Pippin“ Took), Dominic Monaghan (Meriadoc „Merry“ Brandybuck), Orlando Bloom (Legolas), Hugo Weaving (Elrond), Miranda Otto (Éowyn aus Rohan), David Wenham (Faramir), Brad Dourif (Gríma Schlangenzunge), Andy Serkis (Gollum / Smeagol), Karl Urban (Éomer), Bruce Hopkins (Gamling), Nathaniel Lees (Uglúk)

Die mythische Kraft und das „Faktische“

Mythos meint eine Art Ursprung. Mythos meint aber auch eine Art Versicherung, Entlastung von Ängsten, dem Unerklärbaren, dem, dem man nicht beikommen kann. Mythen sind vor allem und zuerst Ursprungsmythen über die Entstehung der Götter, der Welt bzw. des Menschen (theogenische, kosmologische und anthropologische Mythen). Daneben besitzen Mythen auch erlösenden oder endzeitlichen Charakter (soteriologische und eschatologische Mythen). Indem Mythen den Ursprung und das Gemeinsame einer sozialen Gruppe, einer Gesellschaft zu begründen versuchen, kommt ihnen vor allem eine integrative Kraft zu. Für das Mittelalter und die Neuzeit war in erster Linie die christliche Mythologie – in unseren Breiten – die, in unterschiedlicher Ausprägung und Interpretation, bedeutendste mythologische Erzählung. Mythen sind eben vor allem auch Erzählungen, in deren Zentrum ein irgendwie gearteter Kampf zwischen Gut und Böse steht. Daraus ergeben sich Verhaltensrichtlinien und Werte, nach denen Menschen ihr Handeln bestimmen. Der Wahrheitsgehalt eines Mythos – im Sinne wissenschaftlicher Überprüfbarkeit – ist völlig unerheblich. Sie werden als wahr hingenommen. Das Entscheidende des Mythos ist seine Bedeutung, seine Aussagekraft, seine Essenz für das soziale Zusammenleben, für die identitätsbildende Sinnstiftung in einer Gemeinschaft, seine orientierende Kraft.

So gesehen ist ein Mythos auch der Versuch, in einer sich ständig verändernden Raumzeit etwas Bedeutendes, Sinnstiftendes zu fixieren, gegen die Unbill des Lebens vorzuführen. Mythen werden zwar aufgeschrieben, aber ihr Ursprung ist eher die permanente Überlieferung. Dabei verändern sich Mythen. Der klassische Mythos – selbst die ältesten bekannten Mythen des europäischen Raums wie die „Odyssee“ oder die „Ilias“ von Homer sind keine Ursprungsmythen, sondern durch Poesie angereicherte Erzählungen der Vergangenheit – ist zwar niedergeschrieben, aber nicht Produkt einer dichterischen Erfindung.

Die Moderne kennt daher keine Ursprungsmythen im klassischen Sinn. Seit der Aufklärung haben wir es mit Versuchen der Mythen-Konstruktion zu tun. Warum? Weil die „exakten“ Naturwissenschaften und die ihrem Vorbild nachgebildeten „exakten“ Sozialwissenschaften mit allem „Spuk“ gründlich aufgeräumt haben bzw. versucht haben, den Mythos in den Bereich des Unwissenschaftlichen, Quasi-Religiösen zu verbannen. Der Versuch ist gescheitert. Jedenfalls gab es immer wieder Versuche, sich der mythologischen Tradition gewahr zu werden. Der moderne, konstruierte Mythos unserer Zeit lebt fort in den Bildern des Sciencefiction (der „Star Wars“-Saga etwa), allgemein in vielen Bildern des Kinos. Der moderne Mythos hat seinen Ursprung in den intellektuellen „Kaderschmieden“. Er handelt nicht so sehr vom Ursprung des Daseins oder den Göttern, sondern ist eher soteriologischer und eschatologischer Mythos. Er befasst sich mit dem möglichen oder drohenden Ende der Welt und / oder der Befreiung, der Erlösung. So auch „Der Herr der Ringe“.

Es ist erstaunlich, wie ein Schriftsteller wie Tolkien schon durch sein literarisches Epos eine Wirkung und Kraft, einen Einfluss entfalten konnte, der sich jeder rationalistischen Kritik entziehen kann, entziehen muss und tatsächlich entzieht. Die Welt, die Tolkien konstruiert, ist eine „fremde“ Welt und doch so hautnah unsere Welt, dass die „exakten“ Wissenschaften – man nehme, welche man will – keine Chance haben, ihrer habhaft zu werden. Diese Phantasie-Welt ist nicht zerstörbar, weil sie einem Bedürfnis entspricht, das die wissenschaftliche Welt nicht befriedigen kann, und sich mit (Ur-)Ängsten beschäftigt, die höchstens der Psychologie zugänglich sind.

Peter Jackson hat das meiner Meinung nach verstanden. Seine auf neun Stunden angelegte Adaption der Tolkien-Saga ist ein im Sinne moderner Mythen gelungener Versuch in diese Richtung. Die Frage ist nur, welche „Halbwertszeit“ moderne Mythen, das heißt Mythen der Moderne überhaupt haben. Denn auch sie können sich zwar der wissenschaftlichen Kritik entziehen (wie Religion und „Glauben“ im allgemeinen), aber kaum der Raumzeit, der Schnelllebigkeit der Moderne, dem permanenten Verfall von Werten und Normen bzw. deren Umwertung und Bedeutungswandel. Immerhin: „Der Herr der Ringe“ „lebt“ seit fast siebzig Jahren im Bewusstsein von Millionen von Menschen. Und trotzdem ist die sozial- und sinnstiftende Funktion des modernen Mythos stark gefährdet durch das Verständnis des Menschen als einem historischen Wesen.

Gandalf (Ian McKellen) stürzte in die Schlucht von Khzad-Dûm, die Gefährten werden auseinander gerissen. Frodo (Elijah Wood) und sein treuer Freund Sam (Sean Astin) sind auf dem Weg nach Mordor, aber sie kennen den Weg nicht. Frodo gerät zunehmend in Gefahr, von dem Ring beherrscht zu werden. Als Gollum, der frühere Smeagol, (Andy Serkis) sie verfolgt, um in den Besitz des Rings zu gelangen, können ihn Frodo und Sam überwältigen und legen ihn an die Leine. Frodo hat Mitleid mit Gollum, der den beiden Hobbits verspricht, sie nach Mordor zu führen. Dafür lassen sie ihn frei laufen. Frodo weiß, was der Ring und die Gier nach ihm aus dem armen Smeagol im Laufe der Zeit gemacht haben.

Derweil erhalten die beiden anderen Hobbits Merry (Dominic Monaghan) und Pippin (Billy Boyd), die von den Uruk-hai gefangenen gesetzt wurden, unerwartet Hilfe von den sprechenden Bäumen im Wald von Fangorn.

Die anderen Gefährten - Aragorn (Viggo Mortsensen), der Elb Legolas (Orlando Bloom) und der Zwerg Gimli (John Rhys-Davies) – versuchen, die Uruk-hai einzuholen. Das allerdings gelingt ihnen nicht. Sie kommen nach Rohan, in dem früher ein stolzer König herrschte, Théoden (Bernard Hill), der unter dem Einfluss von Sarumans (Christopher Lee) Helfershelfer Grima Schlangenzunge (Brad Dourif) uralt und willenlos geworden ist. Saruman plant, die Einwohner von Rohan zu vernichten. Doch das Schicksal will es zunächst, dass Gandalf – wieder zurückgekehrt, weil es das Schicksal so wollte –, der zuvor Merry und Pippin aus den Klauen der Uruk-hai befreit hat, auch Schlangenzunge vertreibt und Théoden vom Fluch Sarumans befreit.

Saruman hat zur Vernichtung von Elben und Menschen ein Heer von über 10.000 Kämpfern zusammengestellt. Théoden will keinen Krieg, aber er sieht sich gezwungen, sein Volk in die Festung von Helms Klamm zu führen. Weit und breit scheint keine Unterstützung für Théoden, Aragorn und die anderen in Sicht. Faramir nimmt Frodo, Sam und Gollum gefangen. Wie sein Bruder Boromir glaubt er nicht nur an die Macht des Rings, sondern will seiner habhaft werden. Die Elben unter Elrond (Hugo Weaving) wollen über das Meer in ein heiliges Land. Nur Arwen (Liv Tyler) spürt, dass sie den Menschen helfen müssten. Die Liebe zu Aragorn gibt ihr die Kraft, an das Gute auch weiterhin zu glauben, an das Überleben von Mittelerde und an den Sieg über Saruman ...

Ich will vermeiden – aus gutem Grund –, irgendwelche Vergleiche zwischen der Romanvorlage und der filmischen Adaption des Stoffs durch Jackson anzustellen. Es sollte bekannt sein, dass Literatur und Film anderen Regeln folgen. Es gibt sicherlich – einige „absolute“ und „werkgetreue“ Tolkien-Fans werden das zuhauf feststellen – Unterschiede, Abweichungen usw. zwischen Buch und Film. Doch die Wirkung des Films ist ausschließlich aus ihm selbst zu ermitteln, nicht aus diesen Differenzen. Wirkung von Bildern im Kino und Wirkung von selbst erzeugten Bildern aufgrund eines literarischen Textes folgen jeweils eigenen Wegen. Jackson und seine Drehbuchautoren standen vor der schwierigen Aufgabe, den „Mittelteil“ der Geschichte im Abstand von einem Jahr zum ersten Teil und zum dritten Teil umzusetzen. „Der Herr der Ringe“ ist ein dichtes, in sich geschlossenes, einheitliches Werk; umso komplizierter war die Aufgabe.

Manche meinen, man könne diesen zweiten Teil nicht verstehen, ohne den ersten zu kennen. Diese Behauptung enthält sicherlich ein gutes Stück Wahrheit. Umso mehr hat mich erstaunt, wie „selbständig“ dieser zweite Teil dennoch inszeniert wurde. Jackson baut drei parallel erzählte Handlungsstränge auf: den Weg Frodos und Sams mit Gollum, den Weg Merrys und Pippins aus der Gefangenschaft der Uruk-hai und ihre Begegnung mit den Ents, den sprechenden Bäumen, und drittens den Weg Aragorns, Gimlis und Legolas zu Théoden. Die Bilder wechseln oft schnell zwischen diesen drei Handlungssträngen, doch die dramaturgische Einheitlichkeit der drei Handlungen bleibt geschlossen, in sich erhalten. Von Anfang an ist auch deutlich ablesbar, dass sich die Gesamthandlung auf die von Saruman geplante Vernichtung des Volks von Rohan zuspitzen wird: Alles konzentriert sich auf den Showdown in der Festung von Helms Klamm.

Die Bilder Andrew Lesnies sind überwältigend. Die Szenarien wechseln zwischen den abwechslungsreichen Landschaftsaufnahmen (Neuseelands) und fiktiven Landschaften wie etwa dem Moor, durch das Gollum Frodo und Sam führt. Dabei gewinnen die Bilder jedoch nie die Oberhand: die Geschichte und deren Zuspitzung in der Schlacht in der Festung bleiben primär.

Bezüglich der Personen hat sich Jackson für eine extrem unterschiedliche Behandlung bezüglich der Charakterentwicklung entschieden. Während auf die Personen Théoden, seine Nichte Éowyn (Miranda Otto), die sich in Aragorn verliebt, Gollum, und auch Aragorn und Gimli – der zumeist für trockenen Humor zuständig ist – viel Zeit verwendet wird, bleiben Saruman, Faramir und Schlangenzunge in der charakterlichen Darstellung eher zurück. Nicht nur das. Der zweite Teil der Saga hat einen wesentlich höheren Anteil an Pathetischem als der erste. Besonders deutlich wird dies an der Entwicklung von Théoden, der zunächst an einem Krieg vorbeikommen will, später aber immer stärker angesichts des drohenden Untergangs in den Bann des Pathos gezogen wird. Auch die Dreiecks-Liebesgeschichte zwischen Aragorn, Arwen, die ihm im Traum erscheint, und Éowyn hat leicht pathetische Züge.

Die dementsprechende Aussage des Films ist ebenso eindeutig: Solange man noch etwas Gutes sieht, ist Hoffnung angesagt, und solange lohnt es sich, dafür zu kämpfen – auch wenn man dabei verliert und untergeht. Entsprechend auffällig ist, das in „Die zwei Türme“ das Böse fast nur am Rande vorkommt. Saruman wird in den drei Stunden gerade einmal ein paar wenige Minuten ins Bild gerückt. Das Böse manifestiert sich ansonsten in der Masse seiner Kämpfer.

Andererseits gewinnt auch das Pathos keine Überhand, weil Jackson es immer wieder in die konkrete Handlung zurückführt und es nicht in Rührseligkeit oder Kitsch ausarten lässt. So verbleibt das Pathos als Teil eines modernen Individualismus, der sich dem scheinbar Unvermeidlichen, Schicksalhaften widersetzt: Keiner der Gefährten dreht um, kehrt zurück. In der Beziehung zwischen Frodo und Sam manifestiert sich dies besonders klar: Frodo, unter dem immer stärker werdenden Einfluss des Rings, steht Sam sozusagen als ausgleichendes Korrektiv gegenüber. Er sagt Frodo z.B., dass er Gollum nicht traue. Er bringt seinen Freund immer wieder zurück „auf den Boden der Tatsachen“. Andererseits macht Frodo Sam verständlich, dass es ein Fehler wäre, ins Auenland zurückzukehren, weil das Auenland früher oder später ebenso von Saruman vernichtet werden würde.

Gut und Böse existieren in Reingestalten, mit zwei Ausnahmen. Faramir, der zwischen der Anziehungskraft des Ringes und der Einsicht, sich gegen Saruman zu wehren und Frodo zu helfen, hin und her schwankt (wie vorher schon sein Bruder Boromir), und vor allem Gollum, in dem „zwei Personen“ hausen, eben Gut und Böse, die einander bekämpfen.

Die CGI- und anderen Effekte passen sich überwiegend optimal in den Film, auch die Landschaftsaufnahmen, ein. Das gilt vor allem für Andy Serkis, der Gollum darstellt und digital „umgesetzt“ wurde, aber auch für die Ents oder die fliegenden Untiere der Nazgul und die nur kurz auftauchenden Olifanten.

Insgesamt gelang Jackson damit eine fulminante, an den ersten Teil nahtlos anschließende Fortsetzung der mythischen Geschichte – und er weiß ein Millionenpublikum hinter sich. Das hat andere Gründe als die, die kurzfristig Millionen in sogenannte „Kassenschlager“ treiben, die dann doch bald wieder vergessen sind. Der Mythos lebt von einer Aussage gegen die rationalistische Fortschrittsmetaphorik: Es gibt keine letztendlichen Siege des Guten über das Böse. Die großen oder auch kleinen Verbrechen der Vergangenheit sind keine „Betriebsunfälle“ der Geschichte, wir – die wir uns zu aufgeklärten Menschen deklarieren (z.B. in Abgrenzung zum so genannten „finsteren“ Mittelalter) – leben nicht in einer Zeit des ewigen Fortschritts, des Immer-Weniger-Bösen. Der Mythos – selbst eine Art ideologische Fixierung – unterscheidet sich von den modernen Ideologien dadurch, dass er mehr Realitätsgehalt dadurch gewinnt, in den emotionalen Tiefen der Menschen danach zu suchen, statt in den äußeren Faktoren des (technologischen) Fortschritts, und dadurch, dass er keine teleologischen Endzeitparadiese konstruiert, kein Schlaraffenland und keine klassenlose Gesellschaft, kein ewiges Reich Gottes nach dem Jüngsten Gericht und keine tausendjährigen Reiche. Das macht den Mythos unausrottbar.

Wie schon die Romantik in einer enormen Gegenbewegung zur Aufklärung den absoluten Herrschaftsanspruch des rationalistischen Diskurses konterkarierte, belegen moderne Mythen wie „Der Herr der Ringe“ den tiefsitzenden Zweifel an einer solchen Diktatur des Verstandes.

Jackson hat diese Funktion und Bedeutung des Mythos erkannt, auch wenn solche Epen in sich brüchig erscheinen und die Feindbilder des Films manchmal allzu sehr denen des realen Lebens angepasst scheinen. Wahrscheinlich lässt sich das nicht gänzlich verhindern, da der Einfluss der gegenwärtigen Kultur (und nicht zuletzt auch der Produktionsgesellschaften) eben doch seine Spuren hinterlässt.

Gollum / Smeagol steht – in seiner psychisch wie physisch lädierten Gestalt – nicht nur für die Doppelexistenz von Gut und Böse, sondern eben auch für die spezifische Verletzlichkeit des einzelnen in unserer Kultur. In gewisser Weise steht er im Zentrum des zweiten Teils der Geschichte. Und überhaupt kommt das Dunkle, Mysteriöse, Drohende in „Die zwei Türme“ wesentlich stärker zum Ausdruck als im ersten Teil – konterkariert von einer Lichtgestalt: Gandalf.

© Bilder: New Line Cinema


 

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