Der Kuss der Spinnenfrau
(Kiss of the Spider Woman)
(O Beijo da Mulher Aranha)
Brasilien, USA 1985, 120 Minuten
Regie: Hector Babenco

Drehbuch: Leonard Schrader, nach dem Roman von Manuel Puig
Musik: Michael Jary, John Neschling
Director of Photography: Rodolfo Sánchez
Montage: Mauro Alice, Lee Percy
Produktionsdesign: Clovis Bueno

Darsteller: William Hurt (Luis Molina), Raul Julia (Valentin Arregui), Sonia Brega (Leni Lamaison / Marta / Spinnenfrau), José Lewgoy (Gefängnisdirektor), Milton Gonçalves (Geheimpolizist), Míriam Pires (Mutter Molina), Nuno Leal Maia (Gabriel), Fernando Torres (Americo), Herson Capri (Werner), Denise Dumont (Michelle), Antônio Petrin (Klumpfuß)

Sehnsucht und Nähe

Sie könnten unterschiedlicher kaum sein, scheint es, die beiden Männer, die irgendwo in einem südamerikanischen Gefängnis sitzen, irgendwann vor etlichen Jahren, zusammengeworfen in einer Zelle, zufällig, scheint es, und doch absichtlich. Luis Molina (William Hurt) ist einer, der das Leben genießen will, einer, der lieber als Frau auf die Welt gekommen wäre, ein Homosexueller, der sein Glück sucht, aber nicht findet, und deshalb in die Welt des Kinos, der Tragödie und der Romanze flüchtet, um ein bisschen von dem im Herzen abzubekommen, nach dem er sich sehnt. Zu acht Jahren ist er verurteilt, weil er sich an einem Minderjährigen vergangen haben soll.

Sein Zellenkumpan ist da ganz anderer Mentalität. Valentin Arregui (Raul Julia) ist ein „Politischer”, einer, der die Revolution begehrt wie Luis die Männer, der das ungerechte System seines Landes beseitigen will, einer, dem Privates unwichtig ist und Öffentliches das Wichtigste, das einzige, was zählt. Valentin hält sich für einen Realisten, einen, der nicht wegschaut, wenn diskriminiert, ausgebeutet und gefoltert wird.

Ein Träumer und ein Realist, einer, der den Boden seines Lebens verloren zu haben scheint, und einer, der fest mit beiden Beinen auf dem Boden steht. Einer, der nicht weiß, wohin mit seinen Gefühlen, und einer, der keine Gefühle zu kennen scheint als den Schmerz.

Luis muss erzählen, muss reden, will sich mit Valentin unterhalten, das einzige, was ihm geblieben zu sein scheint. Was Valentin allerdings nicht weiß: Der Gefängnisdirektor (José Lewgoy) und ein Geheimdienstpolizist (Milton Gonçalves) haben Luis in Valentins Zelle gesteckt, damit Luis ihn aushorcht. Luis erzählt von einem Film, in dem sich die schöne Leni Lamaison (Sonia Braga) während der deutschen Besetzung Frankreichs in den deutschen Geheimdienstchef Werner (Herson Capri) verliebt – eine tragische Liebe, wie sich herausstellen wird. Zunächst will Valentin von diesem „Nazi-Film” nichts hören. Er kann nicht verstehen, warum Luis sich nicht für die Verhältnisse in beider Land interessiert. Luis allerdings fängt immer wieder an, von dem Film, den Gefühlen und der Sehnsucht zu erzählen. Langsam gewöhnt sich Valentin an sein „merkwürdiges” Gegenüber, erzählt selbst von einer phantastischen Geschichte einer geheimnisvollen Spinnenfrau. Beide Männer beginnen, sich die Geschichte ihres jeweiligen Lebens zu erzählen.

Mit Rückblenden und Ausschnitten aus dem von Luis erzählten Film scheinen Realität und Phantasie in bezug auf die Ideale und Sehnsüchte der beiden Männer zu verschwimmen. Sonia Braga spielt sowohl die Leni aus dem alten Film, als auch die Spinnenfrau, als auch Valentins ehemalige Geliebte Marta, die sich wegen seiner politischen Tätigkeit von ihm getrennt hatte. Hector Babenco, der den Film nach dem Roman von Manuel Puig inszenierte, kreuzt verschiedene Ebenen zu einem homogenen Gesamtbild, in dem die Schnittpunkte im Leben der beiden Männer plötzlich sichtbar werden. Denn die Sehnsüchte beider unterscheiden sich kaum sind nur anders formuliert, hier sehr „privat”, dort extrem „politisch”. Die Kommunikation zwischen beiden führt sie zueinander; sie mögen sich, verstehen sich.

Beide haben sich an bestimmten Punkten ihres Lebens einer „Formulierung” verschrieben, wie sie die Welt sehen (wollen). Das scheinbar Unpolitische in der Haltung, im Denken und Fühlen von Luis ist aber nur eine andere Formulierung dessen, worauf es beiden ankommt. Valentin formuliert auf einer abstrakten, große Weltentwürfe proklamierenden Basis, was Luis ins scheinbar Enge ausschließlich seines Lebens „verlegt” hat.

Raul Julia und besonders William Hurt liefern eine exzellente Charakterdarstellung zweier sich immer näher rückender Männer, die zum Schluss von der Skrupellosigkeit der Realität eingeholt werden und nur noch in ihren Träumen Halt zu finden scheinen. Es ist dieser Schluss, der meinem Gefühl nach dem bis dahin ausgezeichneten, sehr emotionalen, aber in keiner Weise rührseligen Film einen gehörigen Dämpfer verpasst. Ich weiß nicht, ob es der Einfallslosigkeit des Regisseurs zu verdanken ist oder der des Romans (den ich nicht kenne), aber dieses Ende, über das ich hier nichts weiter erzählen will, ist phantasielos und entspricht nicht der ansonsten inhaltlichen Kompaktheit des Films bis dahin. Es soll wohl so etwas suggerieren wie: Nur im Tod und in der „reinen” Vorstellungskraft finden die beiden Männer, was sie im Leben nicht fanden. Jedenfalls hätte ein offener Schluss angesichts der Erzählung näher gelegen.