Die falsche Fährte
(Villospår)
Schweden, Dänemark, Norwegen, Finnland, Deutschland 2001, 166 Minuten (DVD: 154 Minuten)
Regie: Leif Magnusson

Drehbuch: Henning Mankell, Leif Magnusson, nach dem Roman von Henning Mankell
Musik: Conny Malmqvist, Hans Åkerhjelm
Director of Photography: Jens Schlosser
Montage: Wadt Thomsen
Produktionsdesign: Peter Bävman

Darsteller: Rolf Lassgård (Kurt Wallander), Henrik Persson (Stefan Fredman), Siw Erixon (Ann-Britt Höglund), Christer Fant (Svedberg), Lars Melin (Martinsson), Jenny Rudell (Linda), Cecilia Lindqvist (Maria Fredman), Lars Nordh (Forsfält), Kerstin Andersson (Lisa Holgersson), Leif Ericson (Liljegren), Stig Grybe (Wetterstedt), Fredrik Gunnarsson (Björn Fredman), Amanda Lindfors (Dolores)

Hinter der Fassade ...

Henning Mankells Wallander-Krimis leben vor allem von der Hauptfigur. Dies gilt umso mehr für die zahlreichen filmischen Adaptionen des Stoffes. In Rolf Lassgård kommt dieser oft unsicher wirkende, zurückhaltende, aber dennoch stets sein Ziel verfolgende Wallander der Romanfigur äußerst nahe. Wallander ist kein Gerechtigkeitsfanatiker, eher leidet er unter den „Zivilisationskrankheiten”, aufgrund derer sich Menschen durch Verbrechen aller Art Luft verschaffen, ein Ventil, oder die von anderen für äußerst skrupellose kriminelle Akte in egoistischer Art und Weise genutzt werden.

Auch in dem im ZDF als Mehrteiler gezeigten Film „Die falsche Fährte” wird Wallander gleich zu Beginn unter Schock versetzt. Er wird zu einem Bauern gerufen, auf dessen Maisfeld sich eine junge Frau seit Stunden aufhält. Als sich Wallander ihr nähert, nur um mit ihr zu sprechen, zündet sich die Frau mit Benzin an. Zuvor hatte sie vier Benzinkanister so in dem Feld platziert, dass nicht nur sie, sondern ein Gutteil des Maisfeldes verbrennen. Jede Rettung ist damit ausgeschlossen. Für Wallander erscheint dieser schreckliche Selbstmord wie ein Fanal, eine grausame Demonstration dafür, dass ein Mensch nur noch durch seinen Freitod gegen etwas Schreckliches protestieren kann, was ihm angetan wurde. Aber was? Nur ein Amulett mit den Initialen „DMS” bleibt von der Toten übrig. Später ermittelt die Polizei, dass Dolores (Amanda Lindfors), wie die Tote heißt, aus der Dominikanischen Republik stammte.

Szenenwechsel. Der junge Stefan Fredman (Henrik Persson) liest einer Art Tagebuch, malt sich in einer Art Ritual wie ein Indianer an und begibt sich barfuß zu einer Villa. Dort beobachtet er einen älteren Mann, der – bevor er zu Bett gehen will – noch einen kurzen Spaziergang an den Strand nahe bei seinem Haus unternimmt. Durch das Geräusch der Wellen merkt er zu spät, dass sich ihm Stefan genähert hat. Kurz darauf ist der Mann tot – erschlagen durch ein Beil und skalpiert mit einem äußerst scharfen Messer. Wallander, seine Kollegin Höglund (Siw Erixon) und sein Kollege und Freund Svedberg (Christer Fand) stehen vor einem Rätsel. Haben sie es mit einem Psychopathen zu tun? Hatte der Mord politische Motive? Denn der Tote, Wetterstedt (Stig Grybe), war vor mehr als 20 Jahren Justizminister und verantwortlich für eine Verschärfung der Anti-Terror-Gesetze, was ihm besonders bei aus dem Ausland stammenden Einwohnern nicht gerade Sympathie einbrachte. Aber wenn dort das Motiv zu suchen ist, warum wurde Wetterstedt erst so viele Jahre später ermordet?

Stefan befindet sich unter den Schaulustigen, als die Polizei den Tatort untersucht. Er beobachtet Wallander und seinen Kollegen Forsfält (Lars Nordh) aus Malmö, der ihn unterstützen will.

Kurze Zeit später geschieht ein weiterer Mord. Opfer ist diesmal Stefans Vater Björn Fredman (Fredrik Gunnarsson). Man findet ihn, gefesselt in der Nähe einer Bahnlinie, mit durch Säure verätzten Augen und ebenfalls skalpiert. Wallander befragt Stefans Mutter und Stefan selbst. Der erzählt ihm, sein Vater sei bei wenigen Leuten beliebt gewesen. Er habe als Schuldeneintreiber und Schläger gearbeitet, und auch zu ihm, seiner Mutter Maria (Cecilia Lindqvist), seiner Schwester Louise und seinem kleinen Bruder sei er nicht gerade freundlich gewesen. Ansonsten erzählt Stefan nicht sehr viel. Und auch seine Mutter möchte mit der ganzen Sache nichts zu tun haben.

Anlässlich einer zweiten Befragung entwendet Stefan heimlich Wallanders Schlüsselbund. In der Nacht taucht er in Wallanders Wohnung auf, sieht dessen Tochter Linda (Jenny Rudell), die gerade eine Woche zu Besuch bei Wallander ist, deckt sie zu – und geht wieder. Am nächsten Morgen folgt Stefan Linda. Und am selben Tag findet die Polizei ein weiteres Mordopfer: einen reichen Mann namens Liljegren (Leif Ericson), der erschlagen, dessen Kopf dann in den Backofen gesteckt und verbrannt und der ebenfalls skalpiert wurde.

Auf Stefan fällt kein Verdacht. Wieso auch? Wallander ist verzweifelt, steht vor einem Rätsel – bis Forsfält eine Spur verfolgt, die mit dem letzten Mordopfer zusammenhängt. Erst jetzt wird das Motiv des Täters deutlich ...

„Villospår” ist ein von Beginn an düsterer Thriller, bei dem zwar sogleich der Mörder bekannt ist, dessen Motive aber lange Zeit im Dunkeln bleiben. Die Polizei erscheint eher als Chronist schrecklicher Geschehnisse, hinter denen sich noch Schlimmeres zu verbergen scheint, denn als aufklärende Institution. Wallander selbst rennt den Verbrechen hinterher, immer einen Moment zu spät, immer nur am Rande der Aufklärung, immer verzweifelter über das, was er beobachten, konstatieren, schlucken muss. Die Erstellung eines Täterprofils scheint fast unmöglich. Was hat man an Indizien? Einen barfüßigen Mörder, der mit geradezu archaischen Mordwaffen tötet, seine Opfer regelrecht durch die Art und Weise des Tötens zu bestrafen scheint. Aber für was?

Dazu gesellen sich Zeugen, die nicht reden wollen, wie Maria Fredman, eine offensichtlich psychisch äußerst angeschlagene Frau, die ihrem ermordeten Mann keine Träne nachweint. Eine Prostituierte, die keine Namen nennen will. Ein Stefan Fredman, der den Aufenthaltsort seiner Schwester nicht preisgeben will. Und dann war da ja noch die junge Selbstmörderin im Maisfeld. Hat auch sie etwas mit den Morden zu tun?

Dem wie immer eindrücklich spielenden Rolf Lassgård steht als Antipode ein Schauspieler gegenüber, Henrik Persson, der den jungen Stefan ebenso überzeugend als Mörder spielt. Wir treffen auf einen Stefan, der ohne Skrupel tötet, sich ansonsten als ruhiger, verschlossener, aber offenbar freundlicher Kerl präsentiert, der seinen kleinen Bruder und seine Schwester liebt, die Familie wieder in Ordnung bringen will.

„Villospår” zeigt einen schwedischen Ort, in dem nichts Freundliches, Sympathisches, Positives mehr zu gelten scheint. Und auch bei den „Spitzen” der Gesellschaft, den beiden Ermordeten Wetterstedt und Liljegren, einem gealterten Politiker und einem reichen Mann, findet sich in deren unmittelbarer Vergangenheit nur Schreckliches, ebenso bei Stefans Vater.

Die sich selbst stets feiernde Zivilisation entpuppt sich in „Villospår” zunehmend als falscher Schein, als Fassade, hinter der sich ihre wirklichen Machenschaften und Mechanismen zu verbergen scheinen. Aber auch in der Art und Weise der Reaktionen der Opfer enthüllt sich eine analoge Mentalität, eine, die mit den selben Mitteln zurückschlägt. Und Wallander steht dazwischen, er, der wenig auf sich selbst achtet, weder auf sein Äußeres, noch auf seine Gesundheit, noch auf sein Privatleben, noch auf seine Wohnung – was ihm seine Tochter Linda immer wieder zum Vorwurf macht. Er kümmere sich zu viel um andere und seinen Beruf und zu wenig um sich selbst. Er esse zu viel und treibe zu wenig Sport. Wallander kann nicht. Er will die Fassade aufbrechen, dahinter schauen, sie desavouieren. Für ihn ist dies ein innerer Zwang, dem er nicht entweichen kann. Und doch weiß er, dass ihm dies nur sehr bedingt gelingen kann. Er weiß, dass er nur die Opfer als Mordopfer oder Täter von der Straße lesen kann – mehr im Grunde nicht.

All dies kann der Film durchaus überzeugend vermitteln, auch wenn man der Meinung sein kann, der Streifen sei vielleicht ein wenig zu lang (die Originalfassung ist noch zwölf Minuten länger als die Fernsehfassung des ZDF).

© Bilder: BMG Video
Screenshots von der DVD.