Die Katze auf dem heißen Blechdach
(Cat on a Hot Tin Roof)
USA 1958, 108 Minuten
Regie: Richard Brooks

Drehbuch: Richard Brooks, James Poe, nach dem Schauspiel von Tennessee Williams
Musik: Charles Wolcott
Director of Photography: William H. Daniels
Montage: Ferris Webster
Produktionsdesign: William A. Horning, Urie McCleary, Henry Grace, Robert Priestley

Darsteller: Elizabeth Taylor (Maggie „The Cat” Pollitt), Paul Newman (Brick Pollitt), Burt Ives (Harvey „Big Daddy” Pollitt), Jack Carson (Gooper Pollitt), Judith Anderson (Ida „Big Momma” Pollitt), Madeleine Sherwood (Mae Pollitt), Larry Gates (Br. Baugh), Vaughn Taylor (Deacon Davies)

„Das Leben ist kannibalisch ...”

„Der Vogel, den ich im Netz dieses
Stückes fangen möchte, ist nicht die
Lösung eines psychologischen Problems
eines Einzelnen. Ich möchte den
Wahrheitsgehalt von Erlebnissen
innerhalb einer Gruppe von Menschen
darstellen, jenes flackernde, umwölkte,
schwer zu fassende – aber fieberhaft
mit Spannung geladene! – Zusammenspiel
lebendiger Wesen in der Gewitterwolke
einer gemeinsamen Krise.”
(Tennessee Williams)

Was bestimmt Menschen in ihrem Tun und Lassen, in ihrem Denken? Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass uns Gefühle und Emotionen mehr bestimmen, als bisher angenommen wurde. Tennessee Williams Theaterstücke sind ein beredtes Beispiel für sein Ansinnen, den Mechanismen der oft schwer in Worte zu fassenden menschlichen Beziehungsgeflechte auf die Spur zu kommen. Was treibt jemanden zur Wut, zur Aggression, zur Ablehnung eines anderen usw.? „Cat on a Hot Tin Roof”, einer seiner bekanntesten Theaterstücke, immer wieder aufgeführt, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, wurde bereits drei Jahren nach seinem Erscheinen von Richard Brooks (1912-1992; „Die Saat der Gewalt”, 1955; „Die Brüder Karamasov”, 1958; „Kaltblütig”, 1967) für das Kino adaptiert, erhielt sechs Oscar-Nominierungen, aber leider keinen einzigen Oscar und zählt für mich zu den wenigen in jeder Hinsicht gelungenen Adaptionen eines Theaterstücks.

Der Film war damals in gewisser Hinsicht ein Wagnis. Denn Williams Stück enthielt deutliche Hinweise auf die homosexuelle Beziehung einer Hauptfigur des Stücks, Brick, zu einem (dann durch Selbstmord umgekommenen) Freund namens Skipper. Obwohl der Moralkodex in den 50er Jahren und besonders in der Filmindustrie jedes offene und öffentliche Ansprechen von Homosexualität strikt untersagte und auch im Film keine direkte Rede darauf kommt, war zumindest für alle Kenner des Stückes von Williams klar, in welcher Beziehung Brick zu Skipper gestanden hatte. Auch in der Darstellung Bricks durch Newman sind zumindest Spuren dieser Konnotation vorhanden.

„Maggie: ... You know what I feel like?
I feel all the time like a cat on a hot tin roof.
Brick (offering a solution): Then jump off
the roof, Maggie, jump off it. Now cats
jump off roofs and they land uninjured.
Do it. Jump.
Maggie: Jump where? Into what?
Brick: Take a lover.”

Wir treffen auf die Familie Pollitt, bestehend aus dem „Patriarchen” Harvey, genannt Big Daddy (Burt Ives), einem reichen Plantagenbesitzer, der gerade nach einer gründlichen Untersuchung wegen permanenten Magenschmerzen aus einem Krankenhaus auf seinen Landsitz zurückkehrt. Sein ältester Sohn Gooper (Jack Carson), ein Anwalt, dessen schwangere Frau Mae (Madeleine Sherwood), deren vier Kinder und Big Daddys Schwiegertochter Maggie (Elizabeth Taylor), die Frau des anderen Sohnes Brick (Paul Newman), holen Big Daddy und seine Frau Ida (Judith Anderson) sowie den Hausarzt Dr. Baugh (Larry Gates) und den Pfarrer Davis (Vaughn Taylor) vom Flugplatz ab, um Big Daddys 65. Geburtstag zu feiern.

Brick, ein ehemaliger Football-Spieler und Sportreporter, ist zu Hause geblieben. In der Nacht zuvor hatte er sich en Fuß gebrochen, als er betrunken auf einem Sportplatz über Hürden laufen wollte. Brick trinkt und scheint seine Frau zu hassen, die immer und immer wieder versucht, die Beziehung der beiden zu retten. Während Mae samt ihren vier Kindern einen Geburtstagszirkus mit Singen und Klatschen und hohlen Sprüchen veranstaltet und Big Daddy auf die Nerven geht, kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Maggie und Brick, der am liebsten wieder nach Hause möchte und Maggie unmissverständlich klar macht, dass er von ihr nichts mehr wissen möchte. Maggie hingegen versucht immer wieder, ein Gespräch mit Brick zu beginnen. Doch sie scheitert.

Über allen Familienmitgliedern schwebt nicht nur eine Lüge. Die neueste Lüge ist die über den Gesundheitszustand Big Daddys. Dr. Baugh hat es nicht fertig gebracht, ihm und seiner Frau zu sagen, dass der alte Mann unheilbar an Krebs erkrankt ist. Nur Gooper weiß Bescheid. Und Dr. Baugh erzählt Brick davon.

Andere Lügen überschatten die Familiengeschichte. Brick gibt Maggie die Schuld am Selbstmord seines besten Freundes Skipper. Gooper und vor allem Mae haben nichts anderes im Sinn, als nach dem Tod Big Daddys den Besitz der Familie zu übernehmen. Big Daddy schaut zurück auf sein Leben als einer Aneinanderreihung von Lügen und Heuchelei. Schon lange scheint er seine Frau nicht mehr zu lieben. Mae hasst Maggie und intrigiert gegen Brick. Gooper will seinen Bruder matt setzen, als es um die Frage des Erbes geht.

Es kommt zu zwei intensiven Aussprachen zwischen Brick und seinem Vater. Und nur, weil sich beide auf Drängen des je anderen schonungslos die Wahrheit sagen, kommen Dinge ans Tageslicht, was für fast alle zu einem heilsamen Schock führt.

„Das Leben ist kannibalisch. Das
eine Ich frisst das andere Ich.
Immer ist jemand dabei, an einem
anderen zu nagen, aus Neid, aus
Profitgier, aus Angst. Wissen Sie,
die Vorstellung, in einem Zimmer
zu schlafen, wo nicht irgendwo eine
Flasche steht, finde ich ziemlich
schrecklich. Es könnte ja immerhin
sein, dass ich nachts aufwache und
einen Schluck brauche.”
(Tennessee Williams, 1974)

Williams und in ihm in nichts nachstehend Richard Brooks enthüllen schonungslos, aber trotz allem in kritischer Sympathie zu ihren Protagonisten, das Gewebe aus Lügen und Heuchelei, das sich im Laufe der Jahre über die Familie Pollitt ausgebreitet hat. Der „Clou” dabei ist, dass diese Entzauberung der zerrissenen persönlichen Beziehungen nicht von außen, durch eine dritte Person, oder durch psychologische Mittel erreicht, sondern durch drei der Familienmitglieder selbst bewerkstelligt wird: durch Big Daddy, Brick und Maggie. Und obwohl es sich um ein Theaterstück handelt, überzeugt Brooks Inszenierung, die fast ausschließlich in den Räumen des Landsitzes der Familie spielt und extrem „dialoglastig” ist, durch eine gekonnte Mischung aus schauspielerischen Leistungen, exzellenter Kameraführung und einem Produktionsdesign, das dem Spiel der Darsteller und der Dramatik der Handlung den optimalen Background liefert.

Paul Newman, Burt Ives und Elizabeth Taylor können in ihren Rollen im wahrsten Sinn des Wortes glänzen. Ives spielt einen Patriarchen, der im Laufe seines Lebens Reichtum angehäuft hat und dem sein Sohn Brick bescheinigt, dass er nicht Liebe gegeben habe, sondern sich Zuneigung erkaufen wollte. Ives Darstellung vermittelt den Eindruck von einem Menschen, der zwar keine Macht neben sich duldet, aber gleichzeitig das Geflecht aus Heuchelei und Intrigen innerhalb und in der Nähe seiner Familie nie aufzudecken vermochte. Newman spielt einen dem Selbstmitleid und entsprechend dem Alkohol verfallenen Ex-Footballspieler, der sich die Schuld am Tod seines besten Freundes gibt, diesen Selbsthass aber voll und ganz auf seine Frau projiziert, von der er (fälschlicherweise) annimmt, sie habe mit seinem verstorbenen Freund Skipper geschlafen. Newman spielt hier eine seiner besten Rollen. Für Elizabeth Taylor gilt das gleiche. Sie verkörpert eine Frau, die vergeblich immer wieder versucht, Brick zum Gespräch zu verleiten, ohne zu merken, dass ohne eine Aussprache Bricks mit seinem Vater ihr Ansinnen völlig hoffnungslos ist.

Auch die anderen Darsteller leisten hervorragende Arbeit in der Darstellung einer Familie, deren Konsistenz, sprich: gegenseitige emotionale Abhängigkeit, und zugleich Zerrissenheit in seltener Klarheit und Glaubwürdigkeit in diesem Film dramatisiert wurde. Dabei scheint es vordergründig vor allem um eine Art „Südstaatendrama” zu gehen, d.h. eine Auseinanderset-zung Williams und auch Brooks mit den tragenden Werten von Macht, Geld(gier) und äußerlicher Größe. Bei näherer Betrachtung erschließt sich allerdings eine wesentlich weiter reichende Bedeutung der in Stück wie Film gemachten Aussagen und Verhaltensweisen der handelnden Personen.

Übrigens enthält der Film, wie schon angedeutet, selbst eine Lüge: Die im Drama deutlich vorgebrachte Homosexualität Bricks wird im Film kaschiert durch die (angebliche) sexuelle Beziehung Maggies zu Skipper.


 

Die Katze auf dem heißen Blechdach-Filmplakat
Die Katze auf dem heißen Blechdach--2
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