Die Nacht des Jägers
(The Night of the Hunter)
USA 1955, 93 Minuten
Regie: Charles Laughton

Drehbuch: James Agee, nach einem Roman von Davis Grubb
Musik: Walter Schumann
Director of Photography: Stanley Cortez
Montage: Robert Golden
Produktionsdesign: Hilyard M. Brown, Alfred E. Spencer

Darsteller: Robert Mitchum (Harry Powell), Shelley Winters (Willa Harper), Lilian Gish (Rachel Cooper), James Gleason (Birdie Steptoe), Evelyn Warden (Icey Spoon), Peter Graves (Ben Harper), Don Beddoe (Walt Spoon), Billy Chapin (John Harper), Sally Jane Bruce (Pearl Harper), Gloria Castillo (Ruby)

„Ruuuhe ! Ruuuhe !”

„Hütet euch vor den falschen Propheten,
die in Schafskleidern zu euch kommen,
inwendig aber reißende Wölfe sind.
An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.
Kann man Trauben lesen von den
Dornen oder Feigen von den Disteln?”

Die Gefahr lauert permanent. Überall der Schatten der Bedrohung. Sein leid raunt durch die Nacht, ein christliches Lied „Ruhe! Ruhe”. Hinter jedem Baum, Haus, in jeder Ecke könnte er stehen. Der Prototyp der Bedrohung, des Zynismus und der Kälte. Der Frauenhasser, der auf den Fingern seiner rechten Hand das Wort „Love” stehen hat, auf denen der linken „Hate”. Der Zyniker, der sich Gott einvernahmt hat, um seine Morde und seine Geldgier zu legitimieren – Harry Powell (Robert Mitchum), der personalisierte Schrecken.

Charles Laughton – bekannt eigentlich nur als exzellenter Schauspieler – drehte diesen, seinen einzigen Spielfilm als Regisseur, 1955 nach einem Roman von Davis Grubb – einen Film, der sicherlich als Klassiker des Genres zu werten ist, auch wenn er in den 50 Jahren danach viel zu wenig beachtet worden ist.

Der Schrecken steht gleich am Anfang parat. Eine Frau wurde ermordet, eine Witwe, die Geld hatte. Und Laughton lässt von Anfang an keinen Zweifel an diesem Harry Powell: Er war der Mörder, nicht nur einer Frau. Und Schreckliches passiert auch in einer Kleinstadt am Fluss. Ben Harper (Peter Graves) hat – um sich und seine Familie aus der Armut zu holen – zwei Menschen ermordet und ihnen 10.000 Dollar gestohlen. Seinem vielleicht 12jährigen Sohn John (Billy Chapin) verrät er das Versteck und nimmt ihm das Versprechen ab, niemandem davon etwas zu sagen. Harper wird verhaftet, zum Tode verurteilt und sitzt in seiner Zelle zusammen mit: Harry Powell – der von ihm allerdings trotz aller Bemühungen nichts über das Versteck des Geldes erfährt. Powell war wegen eines Autodiebstahls zu einer kurzen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Und nun – nachdem Harper gehenkt worden ist – setzt er alles daran, um das Geld zu ergattern.

Es herrscht Armut im Amerika der 20er oder 30er Jahre. Willa Harper (Shelley Winters), die Witwe, lebt mit ihren beiden Kindern John und Pearl (Sally Jane Bruce) ebenfalls in bescheidenen Verhältnissen, hält sich mit einem Job bei den Nachbarn und Ladenbesitzern Spoon (Evelyn Warden, Don Beddoe) über Wasser. Doch schon bald tritt Powell in ihr Leben und das der Kinder. Powell, der sich als Prediger ausgibt, nutzt die tiefe Religiosität von Menschen aus, um an sie heranzukommen und sich ihr Vertrauen zu erschleichen – so auch bei den Spoons und Willa. Nur der kleine John misstraut dem fremden Prediger von Anfang an. Er versteckt das Geld in der Puppe seiner Schwester – und beide halten den Mund.

Powell gelingt es, auch unter Mithilfe von Mrs. Spoon, Willa zur Heirat zu überreden und sie in seine pseudoreligiöse „Arbeit” einzubeziehen – bis Willa eines Tages eines der Gespräche mitbekommt, in denen Powell John auszufragen versucht. Um eine lästige Zeugin los zu werden, schneidet er Willa die Kehle durch und versenkt sie in ihrem Auto im nahe gelegenen Fluss, an dem Birdie Steptoe (James Gleason) wohnt, ein Mann, bei dem sich John oft aufhält, auch weil der ein Boot für Johns Vater gebaut hat.

Die Situation für die beiden Kinder wird immer bedrohlicher. Und eines Tages, als Powell – der sich jetzt als treusorgender Vater für die Kinder verkauft – ihnen einmal wieder zusetzt, überlisten sie ihn im Keller des Hauses und fliehen mit dem Boot flussabwärts – Powell auf dem Pferd immer im Nacken ...

Laughton zeichnet ein manchmal unwirklich wirkendes Bild von Landschaft, Menschen und Geschehen. Wenn die Kinder mit dem Boot den Fluss hinunter treiben, zeigt er sie durch ein Spinnennetz am Ufer, zeigt Tiere (eine Eule, einen Fuchs, eine Kröte) am Wasserrand, die die Kinder zu beobachten scheinen. Die Nähe des Films zu einem alptraumhaften Märchen ist offensichtlich, obwohl Laughton in der Inszenierung immer wieder zu einer realen Handlung zurückkehrt. Auch Powell selbst – eine Paraderolle für Robert Mitchum, vergleichbar etwa seiner Rolle in „Cape Fear” (1962), einem Film, in dem er den Psychopathen Max Cady an der Seite von Gregory Peck verkörperte – wirkt oft irreal, wenn er etwa durch die Nacht auf seinem Pferd reitet, sein „Ruhe! Ruhe!” raunt und nur sein Schatten aus der Ferne zu sehen ist. Umso schneller wird die reale Gefahr dann wieder deutlich, wenn er sich dem Haus von Rachel Cooper (Lilian Gish) nähert, die die Kinder neben anderen Waisenkindern aufgenommen hat. Sein Schatten ist auch hier zu sehen, aber eben auch sein Messer.

Die klaustrophobische Atmosphäre des Films – paradoxerweise in der Weite der Landschaft um den Fluss herum – wird immer gewisser und deutlicher. Die Schatten, die Lichteffekte, die Laughton benutzt, das Märchenhafte und Alptraumhafte der Szenerie verfehlen ihren beklemmenden Einfluss auf den Zuschauer nicht.

Aber wie Licht und Schatten als Effekte hat auch die Geschichte ihre hellen und dunklen Seiten – und eine merkwürdig anmutende Befassung mit der Religion. Da ist der kleine John, der nicht aufgibt, trotz des tragischen Verlusts seiner Eltern, Powell die Stirn zu bieten. Die Flucht ist nicht nur ein Davonlaufen, es ist auch der Versuch eines Irgendwo-Ankommens, also der Hoffnung für sich und seine kleine Schwester. Da lauert der Frauenhasser, der Zyniker, der religiöse Psychopath, der glauben will, im Auftrag Gottes zu handeln. Auf der anderen Seite stehen John, Pearl und die gläubige, gutherzige Rachel Cooper, die Religion nicht so sehr als Bekenntnis versteht, sondern als tätige Menschlichkeit. In ihrem Haus leben neben den beiden Kindern weitere drei Elternlose. Ihr hübsches kleines Haus, umgeben von einem prachtvollen Garten am Fluss, ist auch einer der Gegenpole zu der finsteren Gestalt des Harry Powell. Und zwischen dem allem tummeln sich die gläubigen Nachbarn und andere, die jederzeit Gottes Wort im Munde führen, aber in ihrer äußeren Religiosität und in ihrer Naivität einem wie Powell leicht zum Opfer werden. Sie sind es auch, die am Schluss als Meute auf die Straße laufen, sich im wahrsten Sinn des Wortes zusammenrotten, um dem verurteilten Powell den Garaus zu machen: Hängen wollen sie ihn, den Polizeibeamte über die Hintertür in Sicherheit bringen müssen. Und zu diesen „Gläubigen” gehört auch Willa, die Powell hörig wird, seinem religiösen Wahn verfällt – und so zu seinem Opfer wird.

„An ihren Früchten sollt
ihr sie erkennen.”

Laughton zelebriert geradezu die sehr starken Unterschiede in der religiösen Lebenshaltung:

– den Egozentriker Powell, für den die Bibelsprüche nur Mittel sind, um an das Geld anderer zu kommen, der mordet in Gottes Namen;

– die oft hohle Religiosität der meisten anderen, die in ihrer Naivität das Böse nicht mehr erkennen können;

– die gelebte Religiosität einer Rachel Cooper, die sich um fünf Kinder nicht nur kümmert, sondern ihnen hilft, wie sie sagt, ihr Kreuz zu tragen.

Das wirkt aus heutiger Sicht zeit- und geschmacksbedingt manchmal etwas hölzern. Doch man sollte nicht verkennen, dass in dieser Differenzierung, die Laughton selbst in der Geschichte vornimmt, sehr viel Wahrheit steckt – eben selbst dann, wenn man die Religion außen vor lässt. Er zelebriert auch die Kraft der Kinder, sich gegen Gefahren zur Wehr zu setzen. Und gerade der kleine Billy Chapin feiert in seiner Rolle hier Erfolge neben Robert Mitchum in einer seiner Paraderollen als Bösewicht.

„The Night of the Hunter” vereint Elemente des Film noir, des Märchens („Hänsel und Gretel”, die gute Fee und der böse Wolf) und des Thrillers geschickt zu einem homogenen Werk, das, wie gesagt, lange unterschätzt wurde.

© Bilder: MGM.
Screenshots von der DVD.