Die Passion Christi
(The Passion of the Christ)
USA 2004, 127 Minuten
Regie: Mel Gibson

Drehbuch: Benedict Fitzgerald, Mel Gibson
Musik: John Debney
Director of Photography: Caleb Dechanel
Montage: John Wright
Produktionsdesign: Francesco Frigeri

Darsteller: James Caviezel (Jesus), Monica Bellucci (Magdalena), Mattia Bragia (Hohepriester Kaiphas), Hristo Shopov (Pontius Pilatus), Claudia Gerrini (Claudia Procles, Pilatus Frau), Maia Morgenstern (Maria), Luca Lionello (Judas Ischariot), Sergio Rubini (Dismas), Toni Bertorelli (Annas), Roberto Bestazzoni (Malchus), Francesco Cabras (Gesmas), Giovanni Capalbo (Cassius), Rosalinda Celentano (Satan), Emilio de Marchi (höhnischer Römer),, Francesco DeVito (Petrus), Lello Giulivo (brutaler Römer)

Ein tendenziell faschistoider Film

Vorbemerkung
Der Vorwurf des Antisemitismus hat sich leicht. Mel Gibson kann darauf verweisen, dass er in seinem heiß umstrittenen Film über die Kreuzigung Jesu und die Stunden davor „lediglich“ das wiedergegeben habe, was in der Bibel steht. Hat er Recht? Der Regisseur und Schauspieler, wie sein Vater, der den Holocaust wiederholt leugnete, sind Mitglieder einer sektiererischen Kirche, die ihre Gottesdienste entgegen der katholischen Kirche in Latein abhält und darauf besteht, dass „die Juden“ den Erlöser ans Kreuz geschlagen haben (entgegen dem Vatikanischen Konzil von 1965, das sich endlich von der These, oder besser: verunglimpfenden Behauptung von der Kollektivschuld der Juden am Tod Jesus abwandte), hält sich mal in öffentlichen Stellungnahmen zu Kritik an seinem Film zurück und schweigt, mal schimpft er auf Journalisten, die ihm antisemitische Tendenzen oder / und Verfälschung des Neuen Testaments vorwerfen bzw. seine Familie und ihren religiös-politischen Hintergrund beleuchten. (1)

Indizien, sicherlich. „The Passion of the Christ“ enthält jedoch keinen offen zur Schau gestellten Antisemitismus; er zeigt keine Juden mit Hakennasen (auch wenn der Hohepriester Kaiphas auch in seiner äußeren Erscheinung nicht gerade sympathisch gezeigt wird), er zeigt, wenn auch wenige Juden, die mit Jesus leiden. Um dem Film in bezug auf die Bibel respektive die Evangelien gerecht zu werden, muss man zudem bedenken, dass es sich hier nicht um ein Problem handelt entlang der Frage: Wird eine historische Situation annähernd richtig in einem Film wiedergegeben oder nicht. Wir handeln hier kaum von Fakten und deren Einschätzung, sondern von einem Text, der über die Jahrhunderte immer wieder verändert und je nach historischen Umständen unterschiedlich interpretiert worden ist. Nicht einmal die Figur Jesus ist im strengen Sinn des Wortes eine reale Figur, da durchaus Zweifel berechtigt sind, ob Jesus so, wie er in der Heiligen Schrift beschrieben wird, je existiert hat, ob diese biblische Figur des Erlösers möglicherweise nicht ein Konstrukt aus verschiedenen anderen Personen ist, die in der Bibel zu einer verschmolzen sind usw.

Wir handeln hier also vor allem einerseits über die Frage des Glaubens und der Interpretation der Evangelien, andererseits um den aktuellen politisch-religiösen Stellenwert eines solchen Films, der sich mit kaum einem anderen Film vergleichen lässt, weder Pasolinis, noch Scorseses, noch sonst einem.

Das macht die Sache insofern schwierig, als eine Schrift wie die Bibel – die in vielem ungenau ist, eine verklausulierte Sprache benutzt, zeitgenössische „Redewendungen“ und eine zeitgenössische Symbol-Sprache benutzt, deren Worte damals eine andere Bedeutung hatten als heute, usw. – in fast jeder Hinsicht interpretierbar ist – wie die (Kirchen-)Geschichte mehr als deutlich demonstriert. Insofern kann man Gibson kaum den Vorwurf machen, er interpretiere; denn das machen alle anderen auch – und nicht erst seit gestern. Die Frage ist nur, wie er interpretiert und zu welchem Zweck.

Was zeigt der Film?
Der Film bezieht sich auf den Zeitraum kurz vor Jesus Festnahme am See Gethsemane bis zu seinem Tod am Kreuz. Gibson lässt die Schauspieler Aramäisch bzw. Latein sprechen (wobei die Römer zu jener Zeit Griechisch sprachen), um der von ihm beabsichtigten Authentizität Vorschub zu leisten. Schon die Festnahme – nach dem Verrat von Judas – ist vor allem gekennzeichnet durch Gewalt. Jesus wird geschlagen, dann vor die Hohenpriester geführt, wieder permanent geschlagen, verspottet und beschimpft, schließlich vor den römischen Statthalter Pontius Pilatus geführt, der zunächst zögert, dann aber – nachdem die anwesenden Hohenpriester und das anwesende Volk sich für die Freilassung des Mörders Barabbas statt der von Jesus entscheiden – von römischen Soldaten in einer mehr als sechs Minuten dauernden Szene ausgepeitscht wird, teilweise mittels Peitschen, die Jesus über Widerhaken das Fleisch aufreißen, alles unter dem größten Aufwand an Sadismus, den man sich vorstellen kann. Am Ende dieser Szene sehen wir auf einen Mann, dessen Körper mit Wunden übersät ist, ein Auge derart verletzt, dass er kaum damit sehen kann, ein fast rohes Stück Fleisch an Mensch. Als Pilatus dann auf Drängen der Hohenpriester Jesus zur Kreuzigung frei gibt, geht die visuelle Tortur weiter: Auf dem Weg nach Golgatha wird er permanent geschlagen, gepeitscht, gedemütigt, selbst dann noch, als die Soldaten einem vorbeikommenden Mann, Simon von Kyrene, befehlen, ihm beim Tragen des Kreuzes zu helfen. Auch die kurz zuvor gezeigte Szene, als ihm Soldaten eine Dornenkrone aufsetzen, konzentriert sich vor allem auf den Sadismus der Soldaten. Gibson zeigt in allen Einzelheiten, wie Jesus ans Kreuz genagelt wird, dann das Kreuz mit seinem Körper nach unten auf den Boden geworfen wird – und so weiter. Die letzten eineinhalb Minuten zeigen die Auferstehung.

Wie wirkt die Inszenierung?
Die Szenen der Folter und Gewalt werden unterbrochen von kurzen Rückblicken, Erinnerungen Jesus: u.a. der Prophezeiung, dass Petrus ihn dreimal verleugnen wird, Jesus als Tischler, Jesus beim Abendmahl – Szenen, die eher, wie auch die „sphärische“ Musik des Films und die Einblendungen der mit Jesus leidenden Magdalena und Maria, die Funktion haben, dem Betrachter dieser Folter ohne Ende Ruhepausen zu gönnen, das heißt den Film konsumierbar zu machen. Monica Bellucci ist da gerade der körperlich richtige Gegenpart zum zerfetzten Körper eines Mannes, der in diesem Film alles andere ist als ein Erlöser. Die Eingangsszene am See Gethsemane ist beherrscht von bläulichem Licht, Vollmond, Nebel, Sträuchern, zwischen denen Jesus und Jünger wandeln – eine so vordergründig und plakativ bis zum Geht-Nicht-Mehr inszenierte „Gefahrenzone“, das man ungefähr ahnt, was da auf einen zukommt. Ein ebenso offensichtlich und absichtlich androgyn dargestellter Satan wabert an den Gestalten vorbei, später lernen wir einen Herodes kennen, der offenbar Peter Ustinovs Nero nicht nur nachempfunden ist, sondern diese Filmgestalt noch an Verkommenheit und Debilität übertreffen soll.

Man sollte nicht darüber streiten, ob diese Gewaltorgie, dieser Exzess unter allen zur Verfügung stehenden Mitteln der modernen Filmtechnik übertrieben viel Gewalt offeriert oder nicht. Ein müßiger Streit. Nein, die entscheidende Frage ist, wozu das Ganze, warum dieser schier nicht enden wollende Sadismus? Und in welchem Verhältnis steht das alles zu Text und Botschaft der Bibel? Und warum dieser Film zu dieser Zeit?

In den Evangelien, und zwar in allen, ist der textliche Anteil an Gewalt in den hier zur Rede stehenden Kapiteln äußerst gering, schon gar im Vergleich zu Gibsons Film. Vor allem aber: Die Texte enthalten weder Sadismus, noch auch nur eine genauere Beschreibung der Gewalt, die Jesus widerfahren ist. Daher stützte sich Gibson auf den Text „Das schmerzhafte Leiden unseres Herrn Jesus Christus“ der antisemischen Mystikerin Anna Katharina Emmerich (1774-1824) und ihre ausufernden Phantasien. Mit dem biblischen Text hat dies alles wenig zu tun. Nicht nur das: Die Rolle der einzelnen Personen wird bei Gibson anders dargestellt als in den Evangelien. Pontius Pilatus, der lediglich bei Johannes eine eher zögerliche Rolle spielt, was die Kreuzigung angeht (allerdings auch nur aus machtpolitischen Motiven), wird als Menschenfreund visualisiert (statt als skrupelloser Despot, als den ihn die Geschichte ausweist) und zusätzlich seine Frau Claudia als Sympathisantin Jesus eingeführt (in den Evangelien taucht sie an einer Stelle auf: „Und als er auf dem Richterstuhl saß, schickte seine Frau zu ihm und ließ ihm sagen: Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten; denn ich habe heute viel erlitten im Traum um seinetwillen”, Matthäus 27,19, im Film gleich mehrfach). Demgegenüber wird den Hohenpriestern, besonders Kaiphas, die Hauptverantwortung für die Kreuzigung gegeben. Daneben taucht eine Menschenmenge auf, die das Ansinnen der Hohepriester tatkräftig unterstützt. Tatsache ist: Hätte sich Pilatus geweigert, wäre Jesus nicht gekreuzigt worden.

Das alles ist nicht nur eine Verkürzung der biblischen Fundstellen, es ist eine glatte Verfälschung. Die rührt vor allem daher, das Gibson die gesamte Geschichte des Neuen Testaments, die frohe Botschaft, die Botschaft von (Nächsten-)Liebe, Versöhnung, Vergebung und innerer Freiheit, Jesus als Erzähler von Gleichnissen usw. radikal ausblendet. Die Figuren in diesem Film erscheinen (nicht mehr, aber auch nicht weniger) als Statisten und Stereotype einer ganz anderen Botschaft: der Mel Gibsons und seiner Traditionalisten. Genau dadurch gewinnt der Vorwurf des Antisemitismus an Bedeutung: Weil Gibson das Neue Testament auf den Zeitraum von der Festnahme Jesus bis zur Kreuzigung verkürzt und in dieser Verkürzung den Schwerpunkt des Films auf eine endlose Tirade von (sadistischer) Gewalt an Jesus legt – ausgeübt von „den Juden“ und ihren Helfershelfern, den römischen, sadistischen Soldaten. Jesus – das bedeutet vor allem ein von wüsten, gewaltbesessenen Ungläubigen zermarterter, ja bis fast zur Unkenntlichkeit verstümmelter Körper, der den ganzen Hass auf sich gezogen hat. In der visuellen Umsetzung dieser geschundenen Körperlichkeit verkommt alles, was man dem Neuen Testament an Gutem, an Positivem, an Menschlichem – selbst als Nicht-Christ, wie ich einer bin – abgewinnen kann, einschließlich der Bergpredigt und allem, was Jesus an Wundern und Wunderbarem nach diesem Text vollbracht hat bzw. haben soll, zu einem Nichts, einem Ausgelöschtem, eigentlich Nie-Vorhandenem.

Wenn dieser geschundene, zermarterte Körper in voller Absicht ins Zentrum gerückt wird, dann verbleibt nichts anderes als ein schier absolutes Opfer, das nur nach einem ruft: nach Rache. Gibsons Interpretation ist tatsächlich eine des gesamten Neuen Testaments: durch Ausblendung all dessen, was man an der Botschaft Jesu für positiv halten kann, und durch Umfunktionierung des Leidens in eine martialische Ideologie. Der Tod Jesus – auch das sei dabei bedacht – war ein von Gott vorgesehener Akt, über den sich Jesus selbst bewusst war. Auch das wird ausgeblendet. „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“, heißt es in Matthäus 27, 25. Damit gibt der historische Text eine Formel wieder, die besagt: Wenn wir ihn zu Unrecht richten, soll uns das gleiche widerfahren wie ihm. Mit der Zerstörung von Jerusalem im Jahr 70 n. Chr. wurde dieses Unrecht gesühnt (Matthäus 23, 34-38). Damit hat kein Christ mehr das Recht, sich nach diesem Zeitpunkt auf Matthäus 27, 25 zu berufen, um etwa einen permanent betriebenen Antijudaismus oder Antisemitismus zu begründen und zu praktizieren. Und nicht zuletzt gab es zur Zeit der Kreuzigung nur Juden. Jesus war Jude, seine Anhänger, seine Jünger – alle. Die Gibsonsche Verfälschung aus der Verkürzung heraus geht jedoch in eine ganz andere Richtung.

„The Passion of the Christ“ beschwört Unterwerfung, uneingeschränkte Demut, ja Devotismus und Rache. Der über zwei Stunden gemarterte Körper stirbt letztlich, die knappe Szene der Auferstehung am Schluss des Films gerät im ganzen Kontext letztendlich zum Verdikt einer Ideologie, die besagt: ‘Besiegen könnt ihr mich nie. Das Blut (!) Jesus ist unser Auftrag, nicht seine Botschaft, das Blut ist (!) die Botschaft. Der zu Unrecht Geschundene ist unser aller Verpflichtung.’ Strukturell ähnelt diese Jesus-Darstellung an etwas ganz anderes: an die nazistische Ideologie vom ewig gequälten, erniedrigten Deutschland (Dolchstoßlegende) und seinen Peinigern und seinem, d.h. Hitlers, proklamierten „Widerstand“ gegen die „jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung“. Die schwarze Messe der Exorzisten vereinigt alle „wirklich“ Gottesfürchtigen – eine erschreckende Parallele auch zu islamistischen Fundamentalisten, gegen die Gibson angeht, obwohl er ihnen ideologisch – wenn auch unter anderen Vorzeichen – so nahe ist.

Der Film hat Anhänger unter denen gefunden, die vom Fundamentalismus der Traditionalisten eh schon überzeugt sind. Darüber hinaus zeigte die Debatte in den USA jedoch, dass der öffentliche Widerspruch gegen dieses Machwerk größer zu sein scheint, als manche vielleicht befürchtet haben. Die so durchsichtige, nach sattsam bekannten Hollywood-Manierismen gestylte Visualisierung im Rahmen gängiger Konfektionsgrößen und der nahezu dümmlich naive ideologisch-religiöse Background des Regisseurs können kaum darüber hinwegtäuschen, dass nicht Mitgefühl mit dem Erlöser und Aufmerksamkeit für die biblische Botschaft die Vehikel für Mel Gibson waren, diesen Film zu drehen, sondern seine aktuelle politische Botschaft aus dem Bereich Rechtsaußen der Weltmacht USA.

Irgendwann, schon bald wirkt die endlose Tortur im Film nur noch abstoßend. Wenn die Nägel in die Hände des Film-Jesus geschlagen werden, erregt diese filmische Gewalt nur noch Ekel – vor einem Film, der diese Gewalt instrumentell missbraucht.

„The Passion of the Christ“ ist ein zumindest tendenziell faschistoider Film. Seine Botschaft ist zutiefst inhuman und gewalttätig. Wer es ertragen kann, sollte sich dennoch ein eigenes Bild von diesem Film machen.

(1) So äußerte sich Gibson schon vor Monaten gegenüber dem jüdischen Kolumnisten der „New York Times“, Frank Rich, der den Ausschluss von Juden von den Previews des Films kritisierte: „Ich will ihn umbringen. Ich will seine Eier auf einem Stock aufspießen. Ich will seinen Hund töten.“ Spätere Entschuldigung: Dem Hund wolle er nichts zuleide tun. Gibson und sein Vater gehören zu den sog. Traditionalisten, die in den USA ca. 100.000 Anhänger haben. Frauen müssen zu den Gottediensten mit Kopftüchern erscheinen. Auf den Holocaust angesprochen, äußerte Gibson in einem Interview, im zweiten Weltkrieg seien „zehn Millionen Menschen“ umgekommen, darunter auch „einige Juden“.
(vgl. u.a. Frankfurter Rundschau vom 17.3.2004

Lesehinweis:
Hans Werner Danowski: Weder Glaube noch Hoffnung. Der Druck des Identischen in "Die Passion Christi"
Georg Seeßlen: Bad Religion im Popcorn-Palast. "Die Passion Christi" verändert die Bilder-Beziehungen zwischen Kirche und Kino
beide in: epd Film 4/2004, S. 22-26


 

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