Die Truman Show
(The Truman Show)
USA 1998, 103 Minuten
Regie: Peter Weir

Drehbuch: Andrew Niccol
Musik: Lewis E. Gensler, Philip Glass, Leo Robin, Burkhard von Dallwitz
Director of Photography: Peter Biziou
Montage: William M. Anderson, Lee Smith
Produktionsdesign: Dennis Gassner, Richard L. Johnson, Nancy Haigh

Darsteller: Jim Carrey (Truman Burbank), Ed Harris (Christof), Laura Linney (Meryl / Hanna Gill), Noah Emmerich (Marlon / Louis Coltrane), Natascha McElhone (Lauren Garland / Sylvie), Holland Taylor (Angela Burbank), Brian Delate (Kirk Burbank), Blair Slater (der junge Truman), Peter Krause (Lawrence), Heidi Schanz (Vivien), Ron Taylor (Ron), Don Taylor (Don), Ted Raymond (Spencer), Judy Clayton (Angestellte im Reisebüro), Fritz Dominique (Trumans Nachbar)

Die Welt in der Welt

Die Idee ist faszinierend-erschreckend und grausam zugleich: Man lässt einen Menschen von Geburt an in der Illusion aufwachsen, sein künftiges Leben sei ganz normal wie das aller anderen, verfrachtet ihn jedoch in eine durch Tausende von Mini-Kameras beobachtete Scheinwelt der Medien, in der alle anderen die Aufgabe haben, sowohl diese Illusion aufrechtzuerhalten, als auch dem Fernsehpublikum eine grandiose, tagein tagaus laufende Show zu präsentieren, die alles andere in den medialen Schatten stellt. Peter Weir („Der Club der toten Dichter“, 1989) adaptierte einen entsprechenden Stoff von Andrew Niccol, der u.a. auch das Drehbuch zu „Gattaca“ (1997) schrieb.

Eine phantastische und zugleich vollständig künstliche Welt der Harmonie und des scheinbaren Glücks tut sich vor den Augen des Fernsehpublikums auf, wenn Truman Burbank (Jim Carrey) morgens aufsteht, in den Spiegel schaut und dann – den Nachbarn fröhlich grüßend – zur Arbeit als Versicherungsagent geht. Seine Frau Meryl (Laura Linney) strahlt mit einem Zahnpastalächeln in die Welt respektive versteckten Kameras, u.a. auch um für irgendwelche Produkte zu werben, und Freund Marlon (Noah Emmerich) tut ein übriges, um den Schein der mit einer ausgeklügelten Technologie erbauten Welt, die nur aus einem Ort namens Seahaven besteht, zu wahren und zu einem kontinuierlichen Schrecken zu gestalten, von dem der einzige Unwissende, Truman, keine Ahnung hat. Ein für Truman unsichtbarer Horror – ein Gipfel des Betrugs.

Über allem thront eine Art medialer Gott, ein Medien-Mann und Künstler der besonderen Art, Christof (Ed Harris), mit einer ihm eigenen Legitimations-Ideologie, die die berühmten zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt: Truman verschafft er ein lebenslängliches Glücksgefühl (ohne dass der etwas davon ahnt), während er dem weinenden und lachenden, „mitfühlenden“ und immer präsenten Publikum, das sich seiner eigenen Eitelkeit in bezug auf seine Gefühle nicht bewusst zu sein scheint, eine TV-Sitcom liefert, die alles andere vergessen lässt, was je an Einfällen in dieser Richtung realisiert wurde.

Wie in „Pleasantville“ (1998) erhebt sich eine pseudo-lebendige Welt aus Lug und Trug, in der es keine nennenswerten Sorgen, Ängste, Probleme oder Konflikte geben kann, weil Christof mit seinem Stab und seinen 5.000 unsichtbaren Kameras dafür sorgt, dass das Glück allmächtig ist. Allmächtiges Glück! Und doch hat diese Welt zunächst unscheinbare, kleine Risse, Lücken, Nischen, Deformationen. Die finden sich nicht in der riesigen Kuppel, die sich als Himmel über Seahaven wölbt, auch nicht bei den Akteuren, die Truman etwas vorgaukeln, der – eben weil er keine Ahnung hat – so realistisch wirkt in dieser Sandburg der Phantasie und des Betrugs; nein, sie entstehen in Trumans Herz und in seinem Kopf, Risse, die auf Mängel, Fehler, vor allem aber emotionale Defizite verweisen.

Truman fühlt sich plötzlich unwohl, ohne zu wissen warum. Wie ein leichter Wind, der einen Sturm ankündigt, kommt dieses Unwohlsein in ihm hoch, ohne dass er schon ahnen würde, worin dessen Ursache besteht. Einst verliebte er sich in Sylvie (Natascha McElhone), die ihm jedoch von den TV-Diktatoren durch eine gestellte Szene – was sonst – brutal entrissen wurde. Sylvie alias Lauren Garland ist eine Aussteigerin, die mit dem Konzept Christofs gebrochen hatte und seitdem gegen ihn zu Felde zieht. Truman träumt von den Fiji-Inseln, dem unbekannten Ort, an dem er Erlösung vermutet, den Ort, an den Sylvie angeblich mit ihrer Familie gezogen ist.

Ein weiteres Ereignis macht Truman zu schaffen. Sein Vater (Brian Delate), den die Medienmacher hatten ertrinken lassen, taucht wieder auf, und allmählich beschleicht ihn das Gefühl, dass sein Unwohlsein mit seiner normal empfundenen Umgebung etwas zu tun haben könnte. Das erste Mal in seinem fast 11.000 Tage dauernden Leben als TV-Star, von dem er nichts weiß, stellt er diese Umgebung in Frage, versucht, Seahaven zu verlassen, seinen Vater zu finden, kramt in Erinnerungen – und begibt sich schließlich auf die Flucht vor etwas, das er immer noch nicht gänzlich durchschaut hat.

„The Truman Show“ ist eine Zerreißprobe zwischen medialer, bewusst ausgeübter Diktatur und dem zunächst unbewussten Drang nach Freiheit, Freiheit nicht nur eines einzelnen, sondern einer Welt, in der so etwas möglich ist, einer Welt des mehrseitigen Betrugs. Truman wurde betrogen, das Fernsehpublikum betrügt sich selbst und wechselt nach dem schließlich abrupten Ende der fast drei Jahrzehnte dauernden Show den Kanal. Und Christof? Der selbsternannte Gott, der die Bahnen vorgibt und das Leben bestimmt, ist nur möglich, weil Publikum, TV-Produzenten und alle anderen dieses skrupellose Spiel mitmachen, ja wollen. Es scheint so, wie Michel Foucault einmal geschrieben hat, dass die Macht weniger das Instrument einer herrschenden Klasse oder Schicht ist, sondern das Zentrum, um das sich eine Gesellschaft gruppiert und durch das sie sich konstituiert.

Macht sei eher als Gesamtwirkung der strategischen Positionen einer solchen Klasse zu verstehen, schrieb Foucault, „welche durch die Position der Beherrschten offenbart und gelegentlich erneuert wird“. So versteht er auch Widerstand nicht als etwas außerhalb der Macht liegendes, nicht zu ihr gehöriges Gegenüber, sondern als die andere Seite der Machtbeziehungen. Macht ist für ihn keine Institution, sondern der Name, „den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt“.

„Andererseits richtet sich diese Macht nicht einfach als Verpflichtung oder Verbot an diejenigen, welche ‘sie nicht haben’; sie sind ja von der Macht eingesetzt, die Macht verläuft über sie und durch sie hindurch; sie stützt sich auf sie, ebenso wie diese sich in ihrem Kampf gegen sie darauf stützen, dass sie von der Macht durchdrungen sind.“ (1)

Etwa diese Situation trifft auf eine Welt zu, die ihre Freiheit verloren hat, weil sie sie lediglich als Instrument benutzt – man könnte auch sagen: missbraucht –, um sich selbst einer trügerischen Phantasiewelt zu opfern, in der ein Mediendiktator die Richtlinien der Politik bestimmt, die das Medienvolk verinnerlicht hat und befolgt. Truman bleibt nichts anderes – nachdem er den Betrug durchschaut hat, dessen Opfer er geworden ist –, als die Scheinwelt mit List und Tücke zum Kollaps zu bringen. Am Ende ist er frei von dieser Welt; doch die Bedingungen dieser Freiheit sind schwer erkauft und die Bedingungsfaktoren des Betrugs bleiben bestehen: Christof mag gestürzt worden sein – ansonsten ändert sich nicht viel.

Jim Carrey spielt diesen Truman Burbank überzeugend als einen Mann, dessen Lebensbedingungen – obwohl diktiert – sich von denen „da draußen“ in wesentlichen Punkten kaum unterscheiden. Das ist das eigentlich Erschreckende an der Dualität von Welt und Scheinwelt. Die letztere bricht zusammen, ohne dass sich – außer für Truman – an ersterer etwas ändern. Man schaltet einfach um auf einen anderen Kanal. Christof ist tot, es lebe Christof. Die Fassade der Pseudowelt, herrlich fotografiert von Peter Biziou und ebenso „traumhaft“ ausgestattet von Dennis Gassner, Richard L. Johnson und Nancy Haigh, ist vor allem anderen nur eine „leicht ver-rückte“ Sicht der eigenen Innenwelt der Beteiligten. Sylvie ist die einzige, die das erkannt hat – machtlos gegenüber einer Struktur, die sich – aller Misserfolge zum Trotz – selbst reproduziert.

(1) zit. n. Michel Foucault: Sexualität und Wahrheit. Erster Band: Der Wille zum Wissen, Frankfurt am Main 1992, S. 114, 116 ff., und ders.: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main 1994, S. 38.