Eine Schwalbe macht den Sommer
(Une hirondelle a fait le printemps)
Frankreich 2000, 103 Minuten
Regie: Christian Carion

Drehbuch: Christian Carion, Eric Assous
Musik: Philippe Rombi
Director of Photography: Antoine Heberle
Montage: Andrea Sedlackova
Produktionsdesign: Jean-Michel Simonet

Darsteller: Michel Serrault (Adrien), Mathilde Seigner (Sandrine Dumez), Jean-Paul Roussillon (Jean), Frédéric Pierrot (Gérard), Marc Berman (Stéphane), Françoise Bette (Sandrines Mutter)

Über Lebensentwürfe und Freundschaft

Über Christian Carions Film gingen die Meinungen weit auseinander. Ist er „anrührend“ („Filmdienst“) oder „kalt“, hat er einen „widerborstigen Witz“ („Blickpunkt: Film“) oder ist er „von einer Härte durchzogen [...], an der er manchmal selber zu leiden scheint“ („Süddeutsche Zeitung“). Andere sahen in der Geschichte eine Art harmonieseligen Heimatfilm über die Rückkehr zur Scholle („Der Spiegel“). Worum geht es?

Die 30jährige Sandrine (Mathilde Seigner), in der Computerbranche tätig, lebt in Paris, ist erfolgreich in ihrem Beruf und höchst unzufrieden. Sie fühlt sich eingeengt, hat das Großstadtleben satt und verkündet ihrer Mutter, sie wolle die Landwirtschaftsakademie besuchen. Sandrine verlässt ihren Freund; ihre Mutter (Françoise Bette) ist enttäuscht. Doch Sandrine ist entschlossen, ihren Weg in die französischen Alpen zu gehen: Sie braucht Luft zum atmen und Raum zum leben. Nach Abschluss ihrer Ausbildung findet sie über den Ingenieur Stéphane (Marc Berman) eine Möglichkeit, einen Hof zu bewirtschaften, der dem alten Bauern Adrien (Michel Serrault) gehört. Der will verkaufen und sich zur Ruhe setzen.

Nach dem Tod seiner Frau hat sich Adrien immer mehr zurückgezogen. Nicht umsonst liegt sein Hof weitab von jedem Dorf, hoch in den Alpen. Als Sandrine sich als potentielle Käuferin anbietet, reagiert Adrien mürrisch, zurückhaltend, distanziert. Doch er willigt ein und beäugt kritisch das Treiben der jungen Frau auf dem Hof. Eineinhalb Jahre wird er neben ihr noch verbringen; das hat er sich ausbedungen, da er erst dann in die Wohnung seines Neffen in Grenoble ziehen kann.

Sandrine hat endlich den Raum und die Ruhe, die ihrem bisherigen Leben gefehlt haben. Sie krempelt den Hof um. Im Internet bietet sie Ferienwohnungen an. Das Leben hoch in den Bergen ist alles andere als idyllisch. Aber die junge Frau lässt sich von nichts erschüttern, verkauft ihren Ziegenkäse an Touristen, hat im Sommer Gäste und ist den ganzen Tag beschäftigt.

Alle ihre sanften Versuche, mit Adrien in engeren Kontakt zu kommen, scheitern. Adrien unternimmt nichts, um Sandrine das Leben auf dem Hof leichter zu machen. Im Gegenteil: Eines Tages – es ist tiefster Winter – kappt er heimlich die Stromzufuhr zu dem von ihr bewohnten Teil des Anwesens. Sandrine ist gezwungen, Adrien um Hilfe zu bitten. Der spielt den (allerdings nur zurückhaltend) generösen, erfahrenen Landwirt und verkündet ihr, das bäuerliche Leben sei nichts für eine Frau. Frauen hätten nicht die Kraft und das Durchhaltevermögen, um dauerhaft einen Hof zu führen. Sandrine, die sich in der tiefverschneiten winterlichen Landschaft einsam fühlt, trifft dies mitten ins Herz. Verzweifelt, enttäuscht und verbittert über den alten Mann geht sie für eine gewisse Zeit zurück nach Paris ...

„Zurück zur Scholle“? Nein, Christian Carion, verkündet kein heiles Landleben, im Gegenteil. Er zeigt Arbeit wie Landschaft in ihrer (manchmal idyllisch anmutenden) Schönheit, aber eben auch die Unwirtlichkeit des Lebens im Winter, die Anstrengungen und die Härte dieses Lebens, zumal für jemanden, der völlig auf sich gestellt ist wie Sandrine. Sandrine lernt diese Härte früh kennen, etwa bei der Schlachtung eines Schweines oder bei der Geburt kleiner Ziegen, zwei Totgeburten. Carion zeigt die mächtige Schönheit der französischen Alpen, aber auch den andauernden Kampf um Leben und Überleben als Landwirt.

„Eine Schwalbe macht den Sommer“ ähnelt in seiner Motivation teilweise dem „Heidi“-Motiv: Hier der grantige, eigensinnige, distanzierte und in die Einsamkeit geflüchtete Bauer, dort die vaterlose Frau bzw. das elternlose, agile, lebensbejahende Kind. Beide Mentalitäten treffen aufeinander, Stadt und Land prallen zusammen. Es beginnt eine schwierige, langwierige Annäherung.

Michel Serraults Adrien hat das Leben scheinbar hinter sich, befindet sich an einem Punkt, an dem er selbst Rechenschaft über sein Leben abzulegen hat. Er zeigt Sandrine sein Familienalbum mit Bildern seiner Eltern, seiner Frau, des Hofes, der früher anders aussah. Er erzählt ihr von der Vernichtung seiner Rinder durch staatliche Behörden, die bei einem Tier Rinderwahn festgestellt hatten, davon, dass seine Frau dies nicht verkraftete und bettlägerig wurde, bis sie dann starb. Als er Sandrine heimlich den Strom abdreht, ist Adrien hin- und hergerissen zwischen sich selbst nicht eingestandener Sympathie für die kräftige, schöne junge Frau, die mehr Durchhaltevermögen beweist als so mancher Mann, und der gewohnten Einsamkeit und Eigenbrötlerei. Adrien hat Angst, die Nähe dieser jungen, zupackenden Frau zuzulassen. Als er ihr den Strom wieder anschließt, weiß er, dass sie ihm nachfolgen wird.

Sandrine hat auch Angst. Im Sommer gelingt ihr alles, aber die winterliche Einsamkeit macht ihr zu schaffen. Im Winter allerdings kommen sich Sandrine und Adrien näher und es beginnt eine Freundschaft zwischen beiden.

Carion erzählt diese Geschichte in einfühlsamen, aber auch in harten Bildern, mit Witz, dem trockenen Humor von Adriens Freund Jean (Jean-Pierre Roussillon), Situationskomik, etwa wenn Adrien Sandrine beobachtet, hinterher schnüffelt, oder wenn seine anfänglichen Vorstellungen über die junge Frau sich als falsch erweisen. So kündet er etwa Jean mal wieder über seine Ablehnung der jungen Frau, dass Sandrine es nicht einmal schaffe, die reifen Himbeeren zu pflücken. Im nächsten Moment zieht Sandrine mit einer Schar von Kindern vorbei und ruft, man wolle jetzt die Himbeeren pflücken, die Kinder sollten aber nicht alle gleich essen.

Michel Serrault und Mathilde Seigner waren wie geschaffen für dieses ungleiche Paar, das die Einsamkeit liebt und sich schwer tut, einander näher zu kommen. Gerade in ihrem Zusammenspiel wird deutlich, dass es in „Eine Schwalbe macht den Sommer“ weniger um Stadtflucht und Landliebe, sondern eher darum geht, wie Sandrine ihr Projekt für ihr weiteres Leben realisieren kann, als sie auf einen Mann stößt, dessen Lebensentwurf sich dem Ende zu nähern scheint. Dabei entstehen zwei neue Perspektiven. Sandrines Entwurf wird konkret, das heißt, sie erkennt, mit was sie es genau zu tun hat. Adrien ist – trotz Herzanfall – noch nicht am Ende. Er kann seinen Lebensentwurf anders abschließen, als er es sich jemals gedacht hatte. Er geht nicht aufs Altenteil, um zu sterben, sondern erkennt, dass er noch eine Weile weiterleben kann, weil die junge Frau ihm nicht willentlich, aber praktisch vormacht, dass die Einsamkeit des Lebens auf dem Hof nicht Isolation bedeuten muss. Diese komplizierte Annäherung zweier unterschiedlicher Mentalitäten produziert eine Perspektive, in der beide nicht gänzlich aufgehen, die für ihre jeweilige Zukunft jedoch äußerst wichtig ist.

Kritisch wäre anzumerken, dass der Film in der zweiten Hälfte etwas zügiger hätte gedreht werden können. Er hat einen einigen Stellen allzu gedehnte Szenen, die absolut unnötig gewesen wären. Das Projekt, das Carion – selbst Sohn eines Bauern und als Landwirtschaftsingenieur eine Weile tätig – verfolgt, wird dadurch allerdings nicht gefährdet. (2,5 Millionen Zuschauer sahen den Film übrigens in Frankreich.)

Ein wohltuender Film, der Idyllisches und Klischees über „das Landleben“ vermeidet und von der mimischen und gestischen Kraft seiner beiden Hauptdarsteller im wahrsten Sinn des Wortes lebt. Ein Film über Vorstellungen eigener Lebensentwürfe und die Schwierigkeiten sie umzusetzen. Eine Vater-Tochter-Geschichte, fernab von rührseligem Kitsch und einer Alles-wird-sich-schon-richten-Ideologie. Der Film endet insofern positiv, als Sandrine und Adrien eine Freundschaft begründet haben. Trotzdem bleibt das Ende so offen, wie es sein muss, um Happy-Ends à la Hollywood zu vermeiden.