Erbarmungslos (1992)
Pale Rider (1985)




Erbarmungslos
(Unforgiven)
USA 1992, 131 Minuten
Regie: Clint Eastwood

Drehbuch: David Webb Peoples
Musik: Lennie Niehaus, Clint Eastwood
Director of Photography: Jack N. Green
Montage: Joel Cox
Produktionsdesign: Henry Bumstead, Adrian Gorton, Janice Blackie-Goodine

Darsteller: Clint Eastwood (William Munny), Gene Hackman (Bill Daggett), Morgan Freeman (Ned Logan), Richard Harris (English Bob), Jaimz Woolvett (Elroy Tate), Saul Rubinek (W. W. Beauchamp), Frances Fisher (Strawberry Alice), Anne Levine (Delilah Fitzgerald), David Mucci (Quick Mike), Rob Campbell (Davey Bunting), Anthony James (Skinny Dubois), Tara Dawn Frederick (Little Sue)

Wer verdient was?

Man könnte Clint Eastwoods „Spät“-Western „Unforgiven“ als Abgesang auf die Zeit des alten Westens vor 1900 und zugleich auf den klassischen Western als Genre ansehen. Aus einem ehemaligen Killer wird ein Schweine-Farmer; Frauen (Prostituierte) beginnen sich gegen die brutalen Übergriffe von Freiern zu wehren. Die Helden sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren oder was der Western als Illusion, wie sie gewesen sein sollen, vorgab. Man könnte „Unforgiven“ auch als eine Art Wendepunkt in Eastwoods eigenem Leben sehen. Der Held vieler Filme erscheint hier in der Gestalt eines Cowboys, der nicht mehr reiten und schießen kann; er scheint es verlernt zu haben. In einer Szene kriecht er zusammengeschlagen auf dem Boden aus einem Saloon.

Doch „Unforgiven“ – neunmal für den Academy Award nominiert und dann mit vier Oscars ausgezeichnet – ist weit mehr, sozusagen ein Anti-Western als Western, nicht im Sinne einer Karikatur oder eines Frontalangriffs auf das Genre. Nein, Eastwood nimmt all die Klischees und gängigen Motive des Genres auf und denkt sie zu Ende, lässt die Figuren das zu Ende bringen, was in der Logik des Genres liegt. Er lässt die Handlung um die zentralen Momente (nicht nur) des Western kreisen: Korruption, Liebe, Freundschaft, Hass, Rache, Ehre, Brutalität, Macht, Selbstvertrauen, Träume und so weiter. Die Komplexität der Handlung und der Motivationen und die Konsequenz, mit der Eastwood den Western „zu Ende denkt“, lassen „Unforgiven“ zu einem realistischen, beeindruckenden Drama werden – in einer Zeit, in der niemand mehr nach dem Genre zu rufen schien.

1880. In einem Nest namens Big Whiskey in Wyoming hat der Cowboy Quick Mike (David Mucci) im Beisein seines Freundes Davey (Rob Campbell) die Prostituierte Delilah (Anna Leine) zusammengeschlagen und im Gesicht mit einem Messer schwer verletzt. Der herbeigerufene Sheriff Little Bill Daggett (Gene Hackman) verzichtet darauf, die beiden Cowboys zu bestrafen. Das Problem ist nämlich, dass Saloonbesitzer Skinny (Anthony James) mit Delilah angesichts ihres zerschundenen Gesichts als Prostituierte nichts mehr anfangen kann. So verpflichtet Little Bill die beiden Cowboys, Skinny im Frühjahr fünf Ponys zu bringen, um den finanziellen Verlust auszugleichen.

Die anderen Prostituierten, allen voran Strawberry Alice (Frances Fisher) sind wütend und beschließen, eine Belohnung für denjenigen auszusetzen, der die beiden Cowboys bestraft: natürlich mit dem Tod.

Wind von dieser Sache hat auch der junge Möchtegern-Revolverheld Elroy Tate (Jaimz Woolvett), der sich großspurig nach der Marke seiner Waffe „Schofield Kid“ nennt, bekommen. Da er sich nicht allein zutraut, die beiden Cowboys aus dem Weg zu räumen, beschließt er, den Ex-Revolverhelden William Munny (Clint Eastwood) anzuheuern, der seit Jahren als Farmer auf einer kleinen Ranch mit seinen beiden Kindern lebt. Seine geliebte Frau Claudia, die ihn vom Schießen und vom Alkohol weggebracht hat, war zwei Jahre zuvor gestorben. Zunächst ist Munny wenig begeistert davon, sein friedliches Dasein aufzugeben. Das Geld allerdings, die Hälfte von 1.000 Dollar, könnte er gut gebrauchen. Und daher macht er sich auf den Weg zu seinem alten Freund und (ebenfalls) Ex-Revolverhelden Ned Logan (Morgen Freeman), um Kid zu treffen und gemeinsam die beiden Cowboys zu suchen.

In Big Whiskey allerdings führt Sheriff Daggett ein strenges Regiment. Niemand in der Stadt darf Waffen tragen. Little Bill Daggett ist ein skrupelloser und sadistischer Mann. Der erste Killer, der dies zu spüren bekommt, ist der Engländer English Bob (Richard Harris), der ebenfalls die Belohnung der Prostituierten will ...

Eastwood hält sich in seiner Regie und im eigenen Spiel und dem der anderen formal streng an die Regeln des Genres. Da gibt es den korrupten und sadistischen Sheriff, den alten Freund aus Killer-Tagen, die Läuterung des Ex-Killers durch die Heirat mit einer frommen Frau, den Verlust des geliebten Menschen, der den Helden davor zurückhält, aus seinem kleinkarierten Leben etwas besseres zu machen, den Helden, der irrtümlich glaubt, durch eine einmalige Rückkehr zu seinem früheren Leben seinen Kindern einen Gefallen zu tun – und so weiter.

Doch Eastwood führt gewisse Mechanismen des Genres eben nicht in die Glorifizierung einer Welt, wie sie nie war und wie sie der klassische Western immer wieder reproduziert hat. Der Held ist keiner, die Cowboys, die Delilah verletzt haben, müssten sicherlich bestraft werden, (auch wenn einer von ihnen gar nicht Hand angelegt hatte), aber sicher nicht mit dem Tod, die Prostituierten sind angesichts der sonstigen Verhältnisse in Big Whiskey geradezu emanzipierte Frauen – und so weiter.

Munny steht zwar im Zentrum der Handlung, aber der Anti-Held macht des öfteren Platz für die anderen Charaktere, die besonders mit Hackman, Freeman, Harris, Woolvett, Rubinek hervorragend besetzt sind. Wir sehen Menschen aus Fleisch und Blut und nicht aus dem Bilderbuch des Genres. Zudem erzählt Eastwood eine relativ komplexe und verwickelte Geschichte von Schuld und Sühne, menschlichen Eitelkeiten und Schwächen, deren Entwicklung nicht so eindeutig, geradlinig und stringent verläuft, dass eindeutige Zuweisungen von Schuld, Mitgefühl usw. möglich sind. Munny geht den Weg scheinbar konsequent bis zum bitteren Ende. Aber das bittere Ende – u.a. der Tod seiner Freundes Ned Logan, den Little Bill zu Tode peitscht und dessen Leiche er im aufgestellten Sarg öffentlich als Warnung „ausstellt“ – verkehrt die Fronten. Die Ausführung des Auftrags ist unwichtig geworden; die Rache an Little Bill rückt ins Zentrum für Munny. Eastwood spielt Munny als einen Mann, der sich nicht völlig von seiner kriminellen Vergangenheit trennen kann, der im Mittel des Mordes immer noch eine legitime Möglichkeit sieht, Gerechtigkeit zu erlangen. Ihm gegenüber steht Little Bill, der nur scheinbar auf der Seite des Gesetzes steht, der Big Whiskey zum Tatort seiner Machtgelüste werden lässt.

Figuren wie der English Bob begleitende Schundromanschreiber Beauchamp (Saul Rubinek) können sich nur über Wasser halten, wenn sie sich auf die Seite des jeweils Stärkeren schlagen (Beauchamp schreibt über die „Heldentaten“ seiner Herren, natürlich völlig übertrieben und wahrheitswidrig). Gene Hackman, einerseits als Little Bill Daggett ein sadistischer Herrscher, erweist sich andererseits als unfähig zum „normalen“ Leben. Er baut sein Haus, aber als Schreiner ist er eine Niete. Als er in die Fänge von Munny gerät, den Tod vor Augen, weiß er nichts besseres zu sagen als: „In don’t deserve this. To die like this. I was building a house.“ „Deserve’s got nothing to do with it“, antwortet ihm Munny.

Das Wechselbad aus guten Absichten, falschen Mitteln, um sie zu realisieren, und tragischen Folgen, die sie zeitigen, ist kaum in irgendeinem anderen Western derart überzeugend durch Schauspieler, Drehbuch und Inszenierung auf die Leinwand gebracht worden wie in diesem Film. Die Prostituierten wollen Gerechtigkeit: die Bestrafung der beiden Cowboys. Am Ende sind aber nicht nur die tot. Munny will das Geld nicht für sich selbst, sondern für seine Kinder. Der Tod etlicher, einschließlich seines Freundes, ist der Preis. „Schofield Kid“, der einen der beiden Cowboys erschießt, „muss“ einen Mord begehen, um zu erkennen, welcher Albtraum sein Traum vom Helden tatsächlich ist. Wer verdient hier was?

„Unforgiven“ reproduziert in seinen Bildern die Atmosphäre des Genres. Aber der Film gehört eher zum Genre des film noir; die Stimmung ist düster, bedrohlich, kalt. Die unter anderen Umständen mögliche Liebe zwischen Munny und der verletzten Delilah muss scheitern. Platz für Liebe gibt es nicht in Big Whiskey und Umgebung. Als Munny zu seinen Kindern zurückkehrt, muss er die Tragik spüren, die in seiner Entscheidung zur Rückkehr als Killer lag.



Pale Rider - Der einsame Reiter
(Pale Rider)
USA 1985, 115 Minuten
Regie: Clint Eastwood

Drehbuch: Michael Butler, Dennis Shryack
Musik: Lennie Niehaus
Director of Photography: Bruce Surtees
Montage: Joel Cox
Produktionsdesign: Edward C. Carfagno

Darsteller: Clint Eastwood (Prediger), Michael Moriarty (Hull Barret), Carrie Snodgress (Sarah Wheeler), Chris Penn (Josh LaHood), Richard A. Dysart (Coy LaHood), Sydney Penny (Megan Wheeler), Richard Kiel (Club), Doug McGrath (Spider Conway), John Russell (Stockburn), Charles Hallahan (McGill), Richard Hamilton (Jed Blankenship)

Das Geheimnis des Reiters

Die Geschichte ist klassisch, ja fast schon ein Western-Klischee in all seinen Einzelheiten. Clint Eastwoods „Spät”-Western „Pale Rider”, die Geschichte vom fahlen Reiter präsentiert einen raffgierigen, skrupellosen Bösewicht, der mit seinen Männern einen kleinen Ort und seine Einwohner schikaniert, die dort nach ein bisschen Gold graben, arme Leute, die sich nicht wehren können oder nicht den Mut aufbringen, dem Gangster und seinen Leute die Stirn zu bieten. Ihm zur Seite steht eine nicht minder böswilliger Marshall samt sechs Deputies, der das Gesetz für denjenigen durchsetzt, der ihm am meisten zahlt. Einmontiert in diese Grundsituation sind weitere Versatzstücke des Westerns: der Sohn des Bösewichts, der seinem Vater nacheifert, eine problematische Liebesgeschichte zwischen einem Mann, der sich um eine Frau, die von ihrem Mann verlassen wurde, bemüht, während sie sich nicht schlüssig ist, ob sie diesen Mann wirklich liebt, und ein „plötzlich” auftauchender Held, der den armen Goldsuchern gegen die Machenschaften des Bösewichts uneigennützig zur Seite steht.

Insofern scheint „Pale Rider” ein Western wie viele andere vor ihm. Doch Eastwood implementiert mit dem Helden etwas so ganz anderes, als wir es vom einsamen Western-Helden gewohnt sind. Den pale rider umgibt etwas Mysteriöses, etwas Magisches, ja geradezu etwas Unwirkliches.

Der Bösewicht heißt Coy LaHood (Richard A. Dysart), sein Sohn Josh (Chris Penn). LaHood will Gold finden, nicht irgendwelche Peanuts, sondern viel Gold. Er lässt seine Männer ganze Berge abtragen, und die etwas außerhalb des Ortes liegende Siedlung einiger kleiner Goldgräber, die ein bisschen von dem wertvollen Material finden wollen, um sich eine Existenz aufzubauen, stört LaHood schon lange. Ab und an terrorisieren seine Männer die kleine Siedlung, zerstören Hütten und anderes oder leiten das Wasser, dass die Leute so dringend benötigen, um. In der Siedlung leben Sarah Wheeler (Carrie Snodgress) und ihre 15jährige Tochter Megan (Sydney Penny), vor Jahren verlassen von Mann bzw. Vater, um die sich nun Hull Barret (Michael Moriarty) kümmert, der in Sarah verliebt ist. Weder sie, noch die anderen Goldgräber wagen es jedoch, sich gegen LaHood aufzulehnen.

Als Barret wieder einmal in den Ort fährt, um einzukaufen, wird er von LaHoods Männern zusammengeschlagen – bis ein unbekannter Reiter (Clint Eastwood) ihm zu Hilfe kommt. Aus Dankbarkeit nimmt LaHood ihn mit in die Siedlung. Der namenlose Reiter entpuppt sich als Prediger, der selbst mit dem scheinbar stärksten Mann LaHoods, Club (Richard Kiel), einem Muskelpaket, leicht fertig wird.

Der Prediger, der LaHood ein Dorn im Auge ist, will vermitteln. LaHood solle den Siedlern 1.000 Dollar pro Nase anbieten, damit diese die Siedlung verlassen. Doch die Siedler lehnen ab. Die Situation spitzt sich zu, als bekannt wird, dass LaHood den korrupten Marshall Stockburn (John Russell) samt seiner sechs Deputies angeheuert hat, um den Prediger und die Siedler zu vertreiben ...

Der Prediger ist in „Pale Rider” das zentrale Moment der Geschichte. Alles andere ist für sich genommen zwar bekannt aus anderen Western, verändert sich allerdings durch die Darstellung des Predigers. „Pale Rider” stellt in gewisser Hinsicht eine Mythologisierung des Western-Mythos, eine Verdopplung des Mythischen des Genres dar. Wer der Prediger eigentlich ist, bleibt bis zum Schluss des Films unklar. Nur schwache Hinweise deuten auf etwas, was seine Person betrifft, ohne seine Identität wirklich aufzuklären. Da sind einmal die vernarbten Wunden auf seinem Rücken, die möglicherweise auf Einschussstellen hinweisen. Da ist zunächst die Vermutung, später die sichere Erkenntnis, dass Marshall Stockburn den Prediger kennt. Er erschrickt, als der Prediger ihm beim Duell sein Gesicht offenbart. Da ist die Tatsache, dass sich der Prediger für einen gläubigen Mann ausgibt, der doch zugleich eher wie ein Revolverheld auftritt und sowohl mit dem Colt oder dem Gewehr, als auch mit Schlagstöcken perfekt umzugehen weiß. Da ist das gekonnte Versteckspiel vor Stockburn und seinen Deputies, gegen die er den Kampf aufnimmt.

Viele Vermutungen drängen sich auf: Ist er ein ehemaliger Revolverheld, der nur in den Ort gekommen ist, um sich an Stockburn zu rächen und dazu den Konflikt zwischen LaHood und den Siedlern nutzt? Ist er ein Bekehrter, der von seinem früheren Dasein als Killer Abschied genommen hat? Ist er gar ein Geist, ein Toter, der nur für kurze Zeit auferstanden ist, um für Gerechtigkeit zu sorgen? Schließlich deutet Stockburn gegenüber LaHood selbst an, dass er sich vorstellen könne, wer der Prediger sei, aber die Person, an die er denke, sei längst tot.

Der Prediger, in den sich sowohl Sarah, als auch ihre Tochter Megan verlieben, weiß, dass er nach erledigter Arbeit wieder gehen muss. Eastwood bedient sich einiger visueller Anleihen aus anderen Western, etwa in der Darstellung von Stockburn und seinen Deputies, die mehr oder weniger Leones „Spiel mir das Lied vom Tod” entliehen sein könnten, um den Mythos Western in einem Spannungsfeld zwischen Realität und Fiktion für das Publikum in der Schwebe zu halten. Der Prediger als nicht identifizierbare Gestalt, als ungewisse, aber dennoch äußerst hilfreiche Figur bewirkt in ihrem Handeln, dass Zweifel am Genre insofern aufkommen, als die Siedler nicht aus eigener Kraft in der Lage sind, sich LaHood zu erwehren, weil sie einer quasi mythischen Macht bedürfen, eines Unverletzbaren, der genauso plötzlich aufgetaucht ist, wie er wieder gehen wird. Erst zum Schluss ist es Hull Barret, der als Vertreter der Siedler diese vermeintliche Unverletzlichkeit der Lüge straft, indem er dem Prediger das Leben rettet.

„Pale Rider” wirkt – anders als von der Struktur der Geschichte her vergleichbare Western – wie ein zweifelnder Kommentar, gerade weil er die Geschichte als geradezu schicksalhaft erzählt – so, als ob von vornherein bestimmt wäre, dass der Prediger siegen wird.


 

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