Große Freiheit Nr. 7
(Intern. Titel: Great Freedom No. 7)
Deutschland 1944, 111 Minuten
Regie: Helmut Käutner

Drehbuch: Helmut Käutner, Richard Nicolas
Musik: Werner Eisbrenner
Director of Photography: Werner Krien
Montage: Anneliese Schönnenbeck
Produktionsdesign: Gerhard Ladner, Max Mellin

Darsteller: Hans Albers (Hannes Kröger), Ilse Werner (Gisa Häuptlein), Hans Söhnker (Willem), Hilde Hildebrand (Anita), Gustav Knuth (Fiete), Günther Lüders (Jens), Ilsa Fürstenberg (Gisas Mutter), Ethel Reschke (Margot), Erna Sellmer (Frau Kaasbohm), Helmut Käutner (Karl), Kurt Wieschala (Jan)

Beim ersten Mal, da tut’s noch weh ...

„Mein erster, das war ein Matrose,
der war auf der Brust tätowiert.
Er trug eine meerblaue Hose,
und ich hab mich so schrecklich geniert.
Er nahm meine Hand und versprach mir,
die Treue und gab mir sein Wort,
er nahm keine andere nach mir,
– und am morgen, da musst er an Bord.

Beim erstenmal, da tut's noch weh,
da glaubt man noch, dass man es nie verwinden kann,
dann geht die Zeit, und peu à peu
gewöhnt man sich daran.“

Keine „richtige deutsche Frau“ war zu sehen, keine Seeleute im von Goebbels geforderten Sinn, keine deutschen Helden der Meere. Selbst die junge Ilse Werner wird im Unterrock gezeigt, wie sie sich die Nylons auszieht und ihre wunderschönen Beine zeigt. Und die Gisa, die sie spielt, ist eher eine selbständige Frau als ein Heimchen am Herd, das nur darauf warten würde, der „Volksgemeinschaft“ ihren Dienst zu erweisen. Goebbels war erbost, als er das Endprodukt Helmut Käutners sehen musste. So hatte er zwar durchgesetzt, dass der Filmtitel den Zusatz „Nr. 7“ (Straßenname) bekam, um nicht den Eindruck zu erwecken „Große Freiheit“ richte sich gegen die Unfreiheit im nationalsozialistischen Deutschland. Auch der ursprüngliche Name für Hannes, Johnny, musste eingedeutscht werden. Alles andere aber war „auf dem Mist“ Käutners gewachsen.

Der zunehmende Bombenkrieg kam Käutner zugute. Er musste die Dreharbeiten zu den Außenaufnahmen, später auch zu den Innenaufnahmen, die anfangs in Babelsberg abgewickelt wurden, nach Prag verlegen, weil es in Hamburg zu riskant wurde. Im Mai 1943 hatte man begonnen, den Film in Hamburg und Berlin zu drehen. Am 24.7.1943 bombardierten die Alliierten Hamburg. In Prag konnte Käutner – relativ unbehelligt von der NS-Zensur – den Film im wesentlichen nach seinen Vorstellungen zum Abschluss bringen.

Allerdings wurde der Film dann von Goebbels verboten – jedenfalls durfte er in Deutschland nicht aufgeführt wurden. Das Verbot erstreckte sich allerdings nicht auf die okkupierten Gebiete; denn die NS-Führung wollte wenigstens Kasse machen. Immerhin hatte Goebbels Käutner 1,5 Mio. Reichmark zur Verfügung gestellt. So fand dann am 15.12.1944 die Uraufführung in Prag statt, während der Film in Deutschland erst nach der bedingungslosen Kapitulation, als erster unter dem Nationalsozialismus fertiggestellter Film von den Alliierten freigegeben, am 6.9.1945 in Berlin uraufgeführt und mit riesigem Erfolg in weiteren Kino gezeigt wurde.

„Treusein, so sprach er, ich kann es
versuchen, ich war's zwar noch nie.
Wird’s ein Knabe, so nenn ihn Johannes,
wird’s ein Mädchen, so nenn' es Marie.

Er ist nicht zur Hochzeit gekommen,
er war auch zur Taufe nicht da.
Ich hab einen anderen genommen,–
Und zu dem sagt Johannes Papa.“

Der mit dem 1936 entwickelten, noch relativ aufwendigen Agfa-Color-Farbfilmverfahren gedrehte Film beginnt mit der Ankunft der drei Matrosen Fiete (Gustav Knuth), Jens (Günther Lüders) und Karl (Helmut Käutner) im Hamburger Hafen. Die drei wollen ihren alten Freund, den gealterten Seemann Hannes (Hans Albers) besuchen, der in St. Pauli im Vergnügungslokal „Hippodrom“ als singender Seemann auftritt. Schon vor Jahren hatte Hannes die Seefahrt aufgegeben, weil sein Bruder Jan (Kurz Wieschala) ihm das Geld für eine geplante Ausbildung zum Seemann gestohlen hatte.

Das „Hippodrom“ gehört Anita (Hilde Hildebrand), mit der Hannes ein Verhältnis hat, das allerdings schon länger nicht mehr in Ordnung zu sein scheint. Die Wiedersehensfreude der vier Seeleute wird jäh unterbrochen, als Hannes aus dem Krankenhaus angerufen wird. Dort liegt sein Bruder Jan im Sterben. Jan bittet Hannes, sich um eine junge Frau zu kümmern, die er vor Jahren hatte sitzen lassen: Gisa (Ilse Werner). Obwohl Hannes zunächst seinem Bruder selbst im Angesicht des Todes keinen Gefallen erweisen will, lenkt er dann doch ein, holt Gisa nach Hamburg, nimmt sie bei sich auf und verschafft ihr eine Stelle als Verkäuferin.

Als Gisa sich nach einigen Wochen mit dem jungen, sympathischen Werftarbeiter Willem (Hans Söhnker) anfreundet, der ihr immer wieder nachsteigt, und sich in ihn verliebt, kommt es zu Komplikationen. Denn Hannes hat sich alles ganz anders vorgestellt: Er glaubt, in Gisa die Frau seines Lebens gefunden zu haben, plant beider Zukunft (er will eine Barkasse kaufen und Hafenrundfahrten anbieten) und sieht sich zutiefst enttäuscht, als er merkt, dass Gisa ihn zwar mag und schätzt, aber nur mit Willem zusammen sein will.

Hannes beschließt, seine Arbeit im „Hippodrom“ aufzugeben und mit seinen drei Freunden wieder zur See zu fahren.

„Beim ersten mal, da tut's noch weh
da glaubt man noch, dass man es nie verwinden kann,
dann geht die Zeit, und peu à peu
gewöhnt man sich daran.“

Die Geschichte selbst ist – trotz ihrer Dramatik – schlicht, ja fast simpel, allerdings in keiner Weise klischeebeladen, und Käutner verstand es, über eine detailgetreue Milieuschilderung des von Vergnügungen aller Art beherrschten Lebens in St. Pauli ein visuelles wie erzählerisches Meisterstück zu inszenieren – einen Film, der abseits jeglicher NS-Ideologie, aber notgedrungen auch abseits jeglichen Kriegsgeschehens und der tatsächlichen Verhältnisse 1943 einen Einblick in das von Prostituierten, Musikern, Seeleuten, Hafenarbeitern usw. bevölkerte St. Pauli verschafft. Die von Werner Eisbrenner komponierten Lieder – inzwischen weltbekannt – untermauerten diese Art der Inszenierung nahtlos. Im „Hippodrom“ fließt der Alkohol, werden Verbindungen geknüpft und wieder gelöst – z.B. bei Jens, der sich in die junge Margot (Ethel Reschke) verliebt, die allerdings ein paar Tage später mit einem anderen Matrosen anbandelt.

Die Unbekümmertheit, mit der dieses „ruchlose“ Milieu gezeigt wird, konnte den NS-Oberen nicht gefallen. Die meisten Frauen sind Prostituierte, und selbst die „anständigen“ Damen wie Gisa oder Willems Zimmerwirtin Frau Kaasbohm (Erna Sellmer) sind weit davon entfernt, dem NS-propagierten Frauenbild zu entsprechen.

Das gleiche gilt für die Männer. Hans Albers ist in diesem Film natürlich in seinem Element. Seine hellblauen Augen, die aus der knallig bunten, in satten Farben gefilmten Umgebung immer wieder „herausstechen“, wirken, als ob er uns mit ihnen die Reeperbahn, die Große Freiheit Nr. 7, das Hippodrom usw. zeigen wollte. Dort reitet Gustav Knuth auf einem Esel durch die Manege, den Kopf dem Hinterteil des Tieres zugewandt. Die Sprache ist die der „normalen“ Leute und des Milieus, nicht die des NS-Durchhalte- oder -Ablenkungsfilms. Albers Hamburger Schnauze, Hilde Hildebrands „Beim ersten Mal da tut’s noch weh“ (das Albers später im Film nochmals singt), Hans Söhnkers Darbietung eines Mannes, der weiß, was und wen er will, Ilse Werners selbstbewusste junge Frau Gisa – das ist vor allem pralles Leben, aber es ist eben – trotz der Änderung des Filmtitels – auch ein Stück, ein großes Stück Freiheit. Trotz aller Dramatik der Geschichte, trotz aller enttäuschten Hoffnungen und trotz aller von der Liebe verlassenen Matrosen, trotz aller leichten Mädchen und schweren Jungs ist dieses Käutner’sche St. Pauli Ausdruck eines freien, lebensbejahenden, Vitalität versprühenden und letztlich immer wieder auf die Zukunft hoffenden Milieus und seiner Menschen. Man könnte fast sagen: Der Film kündet vom Ende des Schreckens, von einer Zeit nach dem grausamen Krieg und der Vernichtung. Er knüpft an das an, was vor 1933 einmal war und was wieder sein wird.

Helmut Käutner (1908-1980) gehörte v.a. in den 50er Jahren zu den führenden Regisseuren in Deutschland. Zu den Höhepunkten seiner Arbeit gehörten v.a. „Der Hauptmann von Köpenick“ (1956) und „Des Teufels General“ (1955), aber auch der Nachkriegsfilm „Unter den Brücken“ (1946) und „Die letzte Brücke“ (1954). Während des Dritten Reiches drehte er mit Rühmann und dessen späterer Frau Hertha Feiler „Kleider machen Leute“ (1940), der den Nazis ebenfalls nicht gefiel und darum erst ab 18 freigegeben wurde.