Die 39 Stufen (1935)
Der Fremde im Zug (1951)
Die rote Lola (1950)
Der falsche Mann (1956)
Ich beichte (1953)





Die 39 Stufen
(The 39 Steps)
Großbritannien 1935, 86 Minuten (DVD: 82 Minuten)
Regie: Alfred Hitchcock

Drehbuch: Charles Bennett, nach dem Roman von John Buchan
Musik: Hubert Bath, Jack Beaver
Director of Photography: Bernard Knowles
Montage: Derek N. Twist
Produktionsdesign: Albert Jullion, Oscar Friedrich Werndorff

Darsteller: Robert Donat (Richard Hannay), Madeleine Carroll (Pamela), Lucie Mannheim (Annabella Smith), Godfrey Tearle (Prof. Jordan), Peggy Ashcroft (Margaret), John Laurie (John), Helen Haye (Louisa Jordan), Frank Cellier (Sheriff Watson), Wylie Watson (Mr. Memory), Gus McNaughton, Jerry Verno (reisende Geschäftsleute im Zug)

Erst Stolpersteine, dann Belohnung

Armer Richard Hannay (Robert Donat)! Es sind einfach zu viele Menschen in der Londoner Music Hall, die den Gedächtniskünstler Mr. Memory (Wylie Watson) testen wollen. Der antwortet – sofern er eine Frage überhaupt versteht, als Dutzende von Leuten ihm ihre Fragen entgegen schleudern – präzise, ja penibel. Der Kanadier Hannay schreit, was das Zeug hält, und endlich antwortet Mr. Memory, wie viele Kilometer zwischen zwei kanadischen Städten liegen. Der Tumult in der Halle wird größer. Etliche Leute scheinen auf Krawall gebürstet. Und dann fallen auch noch zwei Schüsse. Chaos, Panik. Und Hannay findet sich vor der Music Hall wieder – neben ihm eine hübsche Lady, die sich Annabella Smith (Lucie Mannheim) nennt und als Agentin ausgibt, die geschossen habe, um zwei Verfolger los zu werden, die der britischen Krone schaden wollten. Einem Geheimnisverrat sei sie auf der Spur.

Ach was! Hannay glaubt ihr kein Wort, aber er nimmt sie mit, die schöne Lady, die offenbar weiß, was sie will. Und tatsächlich wird Hannays Wohnung, die der Kanadier für einige Wochen gemietet hat, von zwei Männern beobachtet, und tatsächlich wird die Dame mit dem falschen Namen in seiner Wohnung erstochen. Hannay entkommt den beiden Gestalten in der Verkleidung seines Milchmanns, dem er irgendeine Geschichte über Eifersucht etc. pp. erzählt. Und nun geht es Schlag auf Schlag.

Schlag auf Schlag – so hätte Hitchcocks „The 39 Steps” auch heißen können. Denn Hitchcock lässt sich (jedenfalls für damalige Verhältnisse im Kino) keine Zeit, um von Szene zu Szene zu eilen. Die Flucht des armen Kanadiers, der nicht weiß, wie ihm geschieht, bestimmt das Tempo des Films. Oder umgekehrt? Jedenfalls taucht Hannay erst einmal im Zug nach Schottland unter, denn dort allein, glaubt er, kann er das Geheimnis um die ermordete Mrs. Smith lüften, bei der er eine Karte gefunden hat, auf der der schottische Flecken Alt-na Shellach eingekreist ist. Außerdem hörte er von Mrs. Smith den Namen Prof. Jordan. Und sie erzählte von einem Mann mit einem Finger, dem zwei Glieder fehlen, vor dem sich Hannay in Acht nehmen solle.

Und wie so oft in Hitchcocks späteren Filmen stehen wir, das Publikum, auf Seiten eines unschuldigen Helden, der zu Unrecht verdächtigt wird, einen Mord begangen zu haben. Hannay geht es da fast wie Cary Grant in „North by Northwest”: Die Polizei und die Halunken nehmen ihn in die Zange, und er selbst hat keine Ahnung, was ihm geschieht.

Und Hannay? Der wirkt zwar manchmal verzweifelt, aber das täuscht. Hannay lässt sich durch nichts daran hindern, der Wahrheit auf die Schliche zu kommen. Und er trifft auf drei schöne Frauen. Die eine ist leider schon tot, die zweite, die er, um nicht erkannt zu werden, geküsst hat, verrät ihn im Zug an die Polizei, die ihm durch die Gänge gefolgt ist. Pamela (Madeleine Carroll) denkt gar nicht daran, einen Mörder zu decken, der auch noch die Unverschämtheit besessen hat, sie zu küssen.

Die dritte, die junge, ebenso hübsche Frau Margaret (Peggy Ashcroft), Gattin eines mürrischen, wesentlich älteren Pächters namens John (John Laurie) im schottischen Hochland (Hannay ist der Polizei durch einen Sprung aus dem Zug entkommen) erkennt Hannay beim Essen zu Dritt in der Zeitung. Und als er ihr hilfesuchend einen bittenden Blick zuwirft, denkt ihr Mann natürlich sonst was. So verhilft Margaret Hannay zur Flucht, als die Polizei bei dem einsam gelegenen Cottage ankommt, und streift ihm noch den dunklen Mantel ihres Mannes über – nicht ohne ihm wehmütig und sehnsüchtig hinterher zu schauen.

Noch hat sich Hannay seine Sporen, sprich eine Frau an seiner Seite nicht verdient. Zunächst muss er sich mit den Bösewichtern, die irgendwelche Informationen aus dem Luftfahrtministerium an eine ausländische Macht verschachern wollen, auseinander setzen und gerät wechselweise in deren Gewalt und die der Polizei, die bei Hitchcock mal wieder nicht besonders gut wegkommt und die Hannay natürlich kein Wort glaubt.

Doch Besserung der Verhältnisse kündigt sich an, als er – mit Handschellen gefesselt ausgerechnet an den Arm jener Dame, die ihn im Zug verraten hat – mit Pamela notgedrungen eine Nacht in einem kleinen Gasthaus verbringen muss. Hier zieht Hitchcock alle Register seines britischen Humors. Die Zwangslage – Polizei, Gangster, Pamela – nimmt Hannay mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus.

Die Lösung des Falls allerdings liegt noch weit weg: in London.

Wie ein klassisches Märchen, allerdings ohne übernatürliche Gestalten, durchstreift Hannay, der unschuldige Kerl, die Geschichte wie ein Hans im Glück, der auf dem Weg zum Glück einige Stolpersteine überwinden muss, bis er Pamela zum Traualter führen kann (sogar eine Wahlrede muss er halten, weil man ihn fälschlicherweise für einen gewissen Captain Fraser hält). Die erste Frau ist tot, verschafft ihm aber die „Zauberformeln”, um sich zu retten, die zweite ist verheiratet, verhilft ihm aber zur Flucht und rettet ihn (weil ein dickes Gebetbuch in dem Mantel steckt, den sie ihm umlegt) vor dem Tod, als er von dem Oberbösewicht beschossen wird, und die dritte ist eine Verräterin, die sich dann aber eines besseren belehren lässt. Und die Hartnäckigkeit Hannays tut ein übriges, um Pamela zu gewinnen, der wahrscheinlich um die halbe Welt geflohen wäre, um seine Unschuld zu beweisen – und um Pamela zu bekommen.

„The 39 Steps” kündigt einige andere Hitchcock-Filme an. Das Motiv des unschuldig Verfolgten taucht wieder auf in „Der unsichtbare Dritte”, und vorher schon in „Ich beichte”, „Der falsche Mann”, und natürlich auch in „Über den Dächern von Nizza”. Bestechend an diesem Film ist die für damalige Verhältnisse rasante Inszenierung. In nur gut 80 Minuten lässt Hitchcock seinen Helden durch halb England respektive Schottland flüchten – mit nur wenigen Ruhepausen.



Der Fremde im Zug
(Strangers on a Train)
USA 1951, 93 (dt. Version), 97 (US-Version), 103 (Preview-Version) Minuten
Regie:  Alfred Hitchcock

Drehbuch:  Raymond Chandler, Whitfield Cook, Ben Hecht, Czenzi Ormonde, nach einem Roman von Patricia Highsmith
Musik:  Dimitri Tomkin
Director of Photography: Robert Burks
Montage:  William H. Ziegler
Produktionsdesign:  Ted Haworth, George James Hopkins

Darsteller: Farley Granger (Guy Haines), Ruth Roman (Anne Morton), Robert Walker (Bruno Anthony), Leo G. Carroll (Senator Morton), Patricia Hitchcock (Barbara Morton), Kasey Rogers alias Laura Elliott (Miriam Joyce Haines), Marion Lorne (Mrs. Anthony), Jonathan Hale (Mr. Anthony), Howard St. John (Capt. Turley), John Brown (Prof. Collins), Robert Gist (Leslie Hennessy)

Fremdes und Eigenes

Ein Mann lässt sich von seiner Mutter die Fingernägel schneiden – und hasst seinen Vater abgrundtief. Er träumt davon, etwas Großes zu tun; er will im Leben nichts, aber auch gar nichts auslassen. Bruno Anthony (Robert Walker) heißt der Mann und ist etwa 40 Jahre alt. Seine Mutter (Marion Lorne) ist eine jener Mütter, für die ein Sohn immer der kleine Bub bleibt. Bruno schwankt gegenüber seiner Mutter zwischen inniger Abhängigkeit und Verachtung.

Ein anderer Mann ist tief enttäuscht. Seine Frau Miriam (Kasey Rogers) bekommt ein Kind von einem anderen. Schon lange will sich Miriam scheiden lassen; doch nun, als der junge Mann namens Guy Haines (Farley Granger) Erfolge als Tennisspieler hat, hat Miriam es sich anders überlegt. Sie lehnt die Scheidung ab, die Guy nun will, der sich in die Tochter eines Senators, Anne Morton (Ruth Roman), verliebt hat, die er heiraten will. Guy ist wütend.

Zwei Wagen halten am Bahnhof. Zwei Männer steigen aus. Man sieht nur ihre Schuhe und Hosen. Der eine hat weiße Schuhe mit schwarzem Besatz an. Die Hosen sind zu kurz. Der andere trägt dunkle Schuhe. Beide eilen zum selben Zug. Beide setzen sich an einen Tisch, stoßen mit den Füßen zusammen. Erst jetzt sieht man Guy und Bruno ganz, die sich in die Augen schauen. Bruno spricht Guy an. Bruno ist auf eine fast freundliche Art aufdringlich, fragt den bekannten Tennisspieler aus, weiß schon einiges über ihn und erfährt noch mehr. Obwohl Guy eigentlich nicht will, nimmt er die Einladung Brunos an, in dessen Abteil zusammen zu essen. Im Restaurant ist nämlich kein Platz mehr frei.

Bruno redet. Gezielt lenkt er Guys Aufmerksamkeit auf dessen Problem: die Scheidung von Miriam, die nicht erfolgen kann, solange sie nicht einwilligt. Bruno spricht vom perfekten Mord, einem „Austausch-Mord”. Guy soll sich vorstellen, er bringe Brunos Vater um und Bruno Guys ungeliebte Frau. Die Probleme beider wären gelöst, und keiner würde in Verdacht geraten, da niemand wisse, dass beide sich kennen. Guy hält dies für einen makabren Scherz und scherzhaft tut er so, als ob er mit diesem „Austausch-Mord” einverstanden wäre, als er in Metcalf aussteigt, um Miriam dazu zu bewegen, sich endlich von ihm scheiden zu lassen.

Kurze Zeit später findet man auf einem Rummelplatz Miriam – erwürgt. Für Guy beginnt ein Alptraum. Die Polizei verdächtigt ihn, sich der lästigen Frau entledigt zu haben. Seinem Alibi schenkt man wenig Glauben. Nur Anne, ihr Vater (Leo G. Carroll) und ihre vorlaute, aber sympathische Schwester Barbara (gespielt von Hitchcocks Tochter Patricia) halten zu Guy. Der wird nicht nur auf Schritt und Tritt abwechselnd von zwei Polizisten beobachtet. Auch Bruno passt ihn ab, gesteht ihm den Mord an Miriam und fordert nun seinerseits, Guy solle seinen Part der angeblich beiderseitigen Vereinbarung erfüllen und Brunos Vater ermorden.

Hitchcocks „Strangers on a Train” (mit dem verfälschenden deutschen Titel „Der Fremde im Zug”) ist eine – nach einem Roman von Patricia Highsmith entstandene – exzellente Studie über die verborgenen „negativen” Gefühle, vor allem Hass und daraus resultierende Mordgedanken, in uns allen. (Psychologische) Spiegelung spielt bei Hitchcock oft eine Rolle, und in diesem Film setzt er sie visuell glänzend um. Den Mord an Miriam z.B. sehen wir durch ein Glas ihrer auf den Boden gefallenen Brille. Spiegelung meint vor allem die Verdopplung des Guten und Bösen in einem Menschen in zwei verschiedene Personen – Guy und Bruno. Bruno ist sozusagen das personifizierte Böse Guys – vice versa. Bruno drückt zunächst einmal nichts anderes aus als den inneren Wunsch Guys, Miriam endlich los zu werden, von ihr, ihrer Untreue, ihren Rachegefühlen befreit zu werden. Weil Guy dabei nicht einmal an Mord auch nur denkt, muss es sein Alter Ego aussprechen. Bruno kennt keine Grenzen, etwas zu denken, etwas zu sagen und etwas zu tun.

Das alles funktioniert allerdings nur durch eine Art teuflichen Pakt. Dass Guy Brunos „Vertragsangebot”, Mord gegen Mord, als makabren Scherz versteht, deutet auf die ethische Integrität des Guten in ihm, spielt aber für Bruno keine Rolle. Er fordert Vertragserfüllung, taucht auf einem Fest der Familie Morton ungeladen auf, legt seine Hände um den Hals einer älteren Dame und erschrickt, als er Barbara sieht, die eine ähnliche Brille mit dicken Gläsern trägt wie Miriam. Auch in Bruno ist nicht alles vollkommen negativ. Das Gute ist in ihm in eine Art Panzer gesperrt, zu dem sozusagen der Teufel die einzigen Schlüssel besitzt. Nach dem Mord hilft Bruno – als wenn es nichts Selbstverständlicheres gebe – einem älteren blinden Mann über die Straße – so, als ob sich das eingesperrte Gute für einen Moment lang unbewusst Bahn in ihm brechen wollte.

Die Spiegelung allerdings bezieht sich noch auf andere Personen. Miriam als böse Ehefrau hier, Anne als gute Ehefrau in spe dort. Dazwischen fungieren Barbara und in gewisser Weise auch die Polizei als Mittler, als Sucher nach der Wahrheit, als Kontrolleure des Geschehens, die jedoch überhaupt nichts unter Kontrolle haben. Sie stehen gewissermaßen als mehr oder weniger hilflose „Moderatoren” neben dem (emotionalen) Geschehen. Nur Guy selbst kann den „Fall” letztendlich lösen.

Miriam ist tot. Guys Hochzeit mit Anne scheint nichts im Wege zu stehen – außer dem schlechten Gewissen, den Gewissensbissen des Mitwissers am Mord, Guy, der niemandem über die Existenz Brunos und seine Täterschaft erzählen darf, weil er sonst gar als Auftraggeber des Mordes verdächtigt würde. Bruno dagegen ist in einer ähnlich misslichen Lage. Denn Guy weigert sich, Brunos Vater zu erschießen. Das ganze „Komplott” des Bösen gerät in Gefahr zu scheitern.

Die Auflösung dieses äußeren wie inneren Konflikts personalisiert sich u.a. in Anne. Sie entdeckt die Wahrheit. Doch Bruno, ob nun gesehen als Personifizierung des Bösen von Guy oder als „Anderer”, als Psychopath, hat einen Trumpf im Ärmel: das Feuerzeug Guys mit dessen Initialen. Dieser Trumpf unterstützt Bruno scheinbar bei seiner Absicht, Guy zum Mord zu bewegen.

Hitchcock drehte zwei Szenen des Films in verschiedenen Versionen. Die eine Szene: Guy erklärt sich plötzlich bereit, Brunos Vater des nachts zu erschießen. Man sieht ihn in das Haus eindringen, bis er vor der Tür des väterlichen Schlafzimmers steht. In der letztendlich veröffentlichten Version dieser Szene spürt man instinktiv, dass Guy Brunos Vater nur vor seinem Sohn warnen will. In der anderen Szene ist dies nicht so klar; dort entsteht ein eher zwiespältiger Eindruck (wird er, oder wird er nicht?). Die zweite Szene ist die Schlusssequenz des Films. Der Film endet nicht mit einem Telefonat zwischen Guy und Anne und deren strahlendem Lächeln. Die letzte Szene spielt in einem Zug. Anne und Guy gegenüber sitzt ein Pfarrer, der Guy fragt, ob er nicht der bekannte Tennisspieler sei. Guy will schon freundlich antworten, doch dann erinnert er sich an seine letzte Zug-Bekanntschaft, Bruno, steht mit Anne auf und verlässt das Abteil. Eine jener typischen ironisierenden Schlussszenen Hitchcocks, in der er den Ernst der Geschichte humorvoll auflöst.

Erwähnt sei schließlich Hitchcocks Vorliebe für Geschichten, die in Zügen spielen. Die Widersprüchlichkeit zwischen dem „sicheren” Reiseweg von A nach B wird durch die entsprechende Geschichte konterkariert: Als Guy Bruno über den Weg läuft, ändert sich sein ganzer Lebensweg. Der Zug fährt nach Metcalf, aber Guy kann Bruno nicht entkommen. Der Zug, der Wege öffnet, schließt doch zugleich Fluchtmöglichkeiten aus.

Ein besonderes Lob gilt Robert Walker, der kurze Zeit nach Fertigstellung des Films während der Dreharbeiten zu seinem nächsten Film verstarb und der Bruno Anthony in beispielhafter Weise als Inkarnation des grenzenlos Bösen spielt, aber dennoch zugleich als einen Mann, dessen Gefühle man durchaus nachvollziehen kann. Gerade in dieser schauspielerischen Leistung wird das Nebeneinander von Gut und Böse zu einem Tatbestand des eigenen Inneren.



Die rote Lola
(Stage Fright)
Großbritannien 1950, 110 Minuten (105 Minuten DVD)
Regie:  Alfred Hitchcock

Drehbuch:  Whitfield Cook, James Bridie, nach einem Roman von Selwyn Jepson
Musik:  Leighton Lucas, Cole Porter, Mischa Spoliansky, Louiguy
Director of Photography:  Wilkie Cooper
Montage:  Edward B. Jarvis
Produktionsdesign:  Terence Verity,

Darsteller: Jane Wyman (Eve Gill), Marlene Dietrich (Charlotte Inwood), Michael Wilding (Det. Insp. Wilfred Smith), Richard Todd (Jonathan Cooper), Alastair Sim (Commodore Gill), Sybil Thorndike (Mrs. Gill), Kay Walsh (Nellie Goode)

Maskerade

„I’ve a beau, his name is Jim,
He loves me and I love him,
But he tells me I’m too prim,
That means I’m too slow.
I let him rant, I let him rave,
I let him muss my permanent wave,
But when he says ‚Let’s misbehave’,
My reply is ‚No!’” (1)

Wir sind, was wir spielen. Wir spielen, was wir sind. Einen flüchtenden Mann treibt es zu seiner Jugendfreundin, die glaubt ihn zu lieben, der aber eine andere liebt, deren Mann er getötet haben soll. Versteckspiele, Schauspielerei, Masken. Psychologische Schminke verpasste Hitchcock seinem Film, gedreht zwischen „Under Capricorn” (1949) und dem dann in den USA inszenierten „Strangers on a Train” (1951). Eigentlich ist so gut wie alles in diesem Film gelogen. Und man schmähte Hitchcock für eine anfängliche, ausgiebige Rückblende, die der Regisseur selbst später als dramaturgisch verfehlt ansah. Das hier zu diskutieren, würde zu viel über den Film verraten. Jedenfalls kann ich in diesem Flash back kein dramaturgisches Missgeschick sehen. Mich hat es nicht gestört.

Ein junger Mann namens Jonathan Cooper (Richard Todd) ist in eine Diva verliebt, die Schauspielerin Charlotte Inwood (Marlene Dietrich), und von Anfang an lassen Hitchcock und die Dietrich keinen Zweifel daran, dass Charlotte durchtrieben, hinterhältig – und schön ist. Sie glaubt, sagt sie Jonathan, sie habe bei einem Streit unabsichtlich ihren Mann getötet – so erzählt es Jonathan in der Rückblende Eve (Jane Wyman), seiner Jugendfreundin. Männer sind für Charlotte nichts weiter als ein Spielzeug, und Marlenes Blick in die Kamera, zu uns, lässt daran ebensowenig Zweifel. Eines ihrer (weißen) Kleider ist mit Blut beschmiert, und alles, aber auch wirklich alles deutet auf sie als Mörderin hin, sagt Jonathan, der das Kleid in Besitz hat.

Beschuldigt allerdings wird Jonathan. Denn als der ihr in Charlottes Wohnung ein anderes Kleid besorgen will, das Mordwerkzeug wieder an den Kamin stellt, einen Einbruch vortäuscht und wieder gehen will, überrascht ihn das Mädchen Charlottes, Nellie (Kay Walsh). Hat sie ihn erkannt? Oder hat sie nur von oben gesehen, dass ein Mann die Treppe hinunter läuft, um zu entkommen? Jonathan flieht, als die Polizei ihn sprechen will, zu Eve (Jane Wyman), der Jugendfreundin, einer freundlichen, sympathischen, aber unscheinbaren jungen Frau, die Schauspielerin werden will, aber noch ganz am Anfang steht. Sie bringt ihn hinaus ans Meer zu ihrem Vater, Commodore Gill (Alastair Sim), einem vernünftigen alten Herrn, der seine Tochter ermahnt, den Verstand zu benutzen, statt dem Gefühl zu folgen – und doch weiß, dass Eve dies nicht tun wird.

Eve will Jonathan retten. Denn sie glaubt an seine Unschuld und die Schuld Charlottes. So schleicht sie sich heimlich in die Dienste der Diva – über Nellie, der sie Geld gibt und erzählt, sie sei Journalistin. Nellie soll einige Tage verschwinden, damit Eve sieht vertreten kann. Und sie versucht, Inspektor Wilfred Smith (Michael Wilding) auszuhorchen, um mehr über die Inwood und die Ermittlungen der Polizei herauszubekommen. Ein gefährliches Spiel, ein Versteckspiel, das nicht einfach zu organisieren ist. Nie darf Smith sie mit der Inwood zusammen sehen.

„It’s not ‘cause I wouldn’t,
It’s not ‘cause I shouldn’t,
And, Lord knows, it’s not ‘cause I couldn’t,
It’s simply because I’m the laziest gal in town.
My poor heart is achin’
To bring home the bacon,
And if I’m alone and forsaken,
It’s simply because I’m the laziest gal in town.
Though I’m more than willing to learn
How these gals get money to burn,
Ev’ry proposition I turn down,
Way down,
It’s not ‘cause I wouldn’t
It’s not ‘cause I shouldn’t,
And, Lord knows, it’s not ‘cause I couldn’t,
It’s simply because I’m the laziest gal in town.” (1)

Versteckspiele. Lügen. Maskerade. Nichts anders ist „Stage Fright” (Lampenfieber) von Anfang an. Hitchcock, könnte man meinen, macht sich lustig, vor allem über den billigen Krimi, den abgeschmackten Whodunit. Denn im Grunde kommt keiner in diesem Film wirklich gut weg:

– Eve nicht, halb unschuldiges Kind, halb – was ihre Aufmachung angeht – zu junges „spätes” Mädchen, Eve, die in ihrer Leichtgläubigkeit zum Hobby-Detektiv degeneriert, ohne wirklichen Erfolg, weil zum Schluss ein anderer den Fall löst, Eve die immer im Hintergrund steht, wenn Charlotte anwesend ist.

– Ihr Vater nicht, der seine Tochter nicht davon abhält, dieses dumme Spielchen zu treiben, anstatt Jonathan dazu zu bewegen, sich der Polizei zu stellen, um die Aufklärung des Mordes zu beschleunigen. Doch immerhin ist es Commodore Gill, dem am Schluss eine gute Idee hat.

– Charlotte nicht, die ihre Falschheit nur schwerlich hinter dem ganzen Glitzer und Glamour auf der Bühne verstecken kann.

– Inspektor Smith nicht – ordinary: Smith –, den Hitchcock als sympathischen Mann und polizeilichen Trottel vorführen lässt – durch Eve –, und Polizisten mochte der Suspense-Meister eigentlich noch nie so richtig.

– Und Mrs. Gill schon gar nicht, die von allem keine Ahnung hat, dummes Zeug redet und mal wieder – in Gestalt der glänzenden Schauspielerin Sybil Thorndike – als Typ von Mutter vorgeführt wird, der man im wirklichen Leben lieber aus dem Weg geht.

Liebe funktioniert in diesem Spiel der Eitelkeiten, Lügen und des Verrats nur als Vehikel, das von der Aufklärung des Mordes ablenkt. Eve meint, Jonathan zu lieben – und verliebt sich dann (in einer wunderschönen Szene im Auto) in „Ordinary” Smith. Jonathan glaubt, Charlotte zu lieben – und sieht sich später bitter enttäuscht. Der Impresario der Diva, Freddie (Hector McGregor) glaubt, der Star wolle mit ihr ..., aber der Blick der Dietrich lässt keine Zweifel zu, dass Charlotte Männer eigentlich hasst.

„Nothing ever worries me,
Nothing ever hurries me.
I take pleasure leisurely
Even when I kiss.
But when I kiss they want some more,
And wanting more becomes a bore,
It isn’t worth the fighting for,
So I tell them this:
„It’s not ‘cause I wouldn’t,
It’s not ‘cause I shouldn’t,
And, Lord knows, it’s not ‘cause I couldn’t,
It’s simply because I’m the laziest gal in town.” (1)

So simpel die Geschichte in „Stage Fright” im Grunde ist, so effektvoll setzt sie Hitchcock in der Maskerade der Personen in Szene. Und selbstverständlich fehlt auch die ihm eigene Komik nicht, etwa wenn Commodore Gill, der es eilig hat, an einer Schießbude eine Puppe gewinnen will, die skurrile Schießbuden-Besitzerin (Joyce Grenfell) ihn durch Geschwätzigkeit jedoch aufhält, und er nur durch einen Trick zu dem begehrten Objekt kommt. Oder wenn Eve ihrem Vater aus der Ferne durch Handzeichen andeuten will, dass neben ihm Nellie steht, der er das Geld geben soll, Gill jedoch nicht gleich kapiert, wer da neben ihm steht.

Hitchcock engagierte neben Marlene Dietrich und Jane Wyman damals bekannte englische Bühnenschauspieler, die ihre Arbeit im Film mehr als zufriedenstellend verrichteten. Auch wenn „Stage Fright” nicht zu den allerbesten Filmen Hitchcocks zählen dürfte, überzeugt der Thriller doch bereits durch Momente, die in späteren Filmen Bedeutung erlangten. In der Figur des Jonathan Cooper beispielsweise ist bereits in Ansätzen sichtbar, was in „Psycho” (1960) in Gestalt des Norman Bates zur Vollendung geriet. Während die böse und irgendwo auch dumme Mutter in „Stage Fright” noch eher eine komische Einlage ist, wird sie ebenfalls in „Psycho” zur Wurzel allen Übels.

(1) „The Laziest Gal in Town”, geschrieben von Cole Porter (1927)



Der falsche Mann
(The Wrong Man)
USA 1956, 105 Minuten (DVD: 101 Minuten)
Regie: Alfred Hitchcock

Drehbuch: Maxwell Anderson, nach seinem Roman „The True Story of Christopher Emmanuel Balestrero, Angus MacPhail
Musik: Bernard Herrmann
Director of Photography: Robert Burks
Montage: George Tomasini
Produktionsdesign: Paul Sylbert, William L. Kuehl

Darsteller: Henry Fonda (Manny Balestrero), Vera Mils (Rose Balestrero), Anthony Quayle (Frank O’Connor), Harold Stone (Lt. Bowers), John Heldabrand (Tomasini), Doreen Lang (Ann James), Norma Connelly (Betty Todd), Lola D’Annunzio (Olga Conforti), Dayton Lummis (Richter Groat), Charles Cooper (Det. Matthews), Esther Minciotti (Mutter Balestrero), Laurinda Barrett (Constance Willis), Nehemiah Persoff (Gene Conforti), Richard Robbins (Daniel), Robert Essen (Gregory Balestrero), Kippy Campbell (Robert Balestrero)

Das Stigma des Verdachts

Hitchcocks 1956 gedrehter Film „The Wrong Man” fällt im Werk des Regisseurs unter mehreren Gesichtspunkten aus dem Rahmen. Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit – im Unterschied zu allen anderen Hitchcock-Filmen. Hitchcock verzichtete völlig auf die ansonsten in seinen Filmen verwendeten humorvollen Einlagen. Das Thema war Hitchcock offensichtlich zu ernst und es heißt, dass dies seine Ursache vor allem darin habe, dass er selbst – aufgrund eines Ereignisses in seiner Kindheit – eine außergewöhnliche Angst vor dem Eingesperrtsein gehabt habe.

Genau dies ist das Thema von „The Wrong Man”. Ein rechtstreuer, braver Familienvater, der seine Familie – Frau Rose (Vera Miles) und zwei kleine Söhne – mehr schlecht als recht durch seine Arbeit als Musiker über Wasser halten kann, bekommt es eines Tages mit den Tücken des Gesetzes zu tun. Christopher Emmanuel Balestrero (Henry Fonda), den alle Manny nennen, wird verhaftet, weil er mehrere Delikatessengeschäfte und eine Versicherung beraubt haben soll. Zwei Angestellte der Versicherung, bei der Manny die Lebensversicherung seiner Frau beleihen wollte, meinen, ihn als den Mann erkannt zu haben, der sie vor kurzem überfallen hat.

Manny wird vorläufig festgenommen, ihm werden Fingerabdrücke abgenommen und er wird bis zum nächsten Tag, an dem er dem Untersuchungsrichter vorgeführt wird, in eine Zelle gesperrt. Da er nicht vorbestraft ist, setzt der Richter eine Kaution fest: 7.500 Dollar. Sein Schwager Gene Conforti (Nehemiah Persoff) kann das Geld beschaffen. Und ein Anwalt namens Frank O’Connor (Anthony Quayle) will Manny vor Gericht verteidigen. Er macht Manny klar, dass er und Rose beweisen müssen, wo er sich an dem Tag des Überfalls auf die Versicherung aufgehalten hat. Beide waren an diesem Tag in Urlaub, und Manny hatte Karten mit drei Männern gespielt. Doch zwei der drei Männer sind verstorben und der dritte ist nicht aufzufinden.

Das Schlimmste jedoch kommt noch. Rose Balestrero verkraftet die Ereignisse nicht mehr. Sie wird krank und muss in eine Heilanstalt eingewiesen werden.

Obwohl Hitchcock keinen Spielfilm im dokumentarischen Stil drehte, entwickelt sich „The Wrong Man” zu einer eindringlichen Dokumentation des Themas: Wie kann sich ein einzelner gegen die Mühlen des Polizei- und Justizsystems wehren, zumal der Betroffene, ein rechtschaffender Bürger, nie etwas mit der Polizei zu tun hatte und keinerlei Erfahrungen im Umgang mit Polizisten hat. Manny beantwortet alle Fragen von Lt. Bowers (Harold Stone) gewissenhaft und wahrheitsgemäß. Bowers lässt ihn durch die zwei Delikatessen-Läden hindurchgehen, ein Gefühl, das für Manny unerträglich sein muss, so, als ob er schon verurteilt wäre. Erst dann erfolgt eine Gegenüberstellung mit verschiedenen anderen Männern. Wie gelähmt durchschreitet Manny sämtliche Instanzen des Ermittlungsverfahrens bis hin zum Untersuchungsrichter, der die Kaution festsetzt. Die Polizei montiert alles, was sie von Manny weiß und von ihm erfährt und was die (zweifelhaften) Zeugen aussagen, zu einem Konstrukt, das dem Staatsanwalt die Verurteilung leicht machen soll. Gesichtspunkte, die für Manny sprechen, interessieren die Polizisten nicht. Sie lassen ihn einen Zettel schreiben mit den Worten, den der wirkliche Täter den Versicherungsangestellten vorlegte, sie lassen ihn noch einen Zettel schreiben, und Manny macht den gleichen Rechtschreibfehler wie der Täter. Ein weiterer Baustein im Gestrüpp des Ermittlungsverfahrens.

Wer gegen dieses System nicht gewappnet ist, muss verlieren. Das Recht, die Aussage zu verweigern, sich einen Anwalt zu nehmen, das Zustandekommen der Ermittlungsergebnisse zu überprüfen usw. – all das entfällt angesichts der Unerfahrenheit Mannys und seines Entsetzens, das ihn lähmt.

Henry Fonda, versiert in der Darstellung des im wahrsten Sinn dieser Worte aufrechten amerikanischen Durchschnittsbürgers (bis er 1968 in Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod” das genaue Gegenteil dieses Typus verkörperte) war eine Idealbesetzung für die Rolle des Manny Balestrero. Fonda überzeugt durch sein Verhalten, seine Blicke, die immer wieder das blanke Entsetzen, die Hilflosigkeit und die Angst um seine Familie widerspiegeln. Er spielt nicht nur einen Mann, der trotz seiner misslichen finanziellen Situation niemals zu illegalen Mitteln greifen würde, um seine Schulden bezahlen zu können. Im Gegenteil: Er will seiner Frau, die 300 Dollar für eine dringende Zahnbehandlung benötigt, auf legale Weise helfen und ihre Lebensversicherung beleihen. Genau dieses gesetzestreue Verhalten wird ihm zum Verhängnis, weil zwei Angestellte in ihm denjenigen wiederzuerkennen glauben, der die Versicherung beraubt hat. Fonda spielt Manny auch als jemanden, der es gelernt hat, sich freundlich und gefasst zu verhalten. Niemals bricht er aus diesem Verhaltensmuster aus.

Vera Miles als seine Frau Rose lebt in einer Welt wie ihr Mann, in der für sie, Manny und die beiden Söhne Robert und Gregory alles in Ordnung ist, trotz der Schulden von gerade einmal 45 Dollar unbezahlter Rechnungen, weil das Familiensystem zu funktionieren scheint. Sie lieben sich und ihre Söhne. Der Einbruch des Verdachts, der Beschuldigung, der potentiellen Verurteilung bringt dieses System derart durcheinander, dass Rose krank wird. Sie kann die Dinge, die in die Familie eindringen, nicht mehr realistisch beurteilen und verkapselt sich in dem, was man so unschön und sicherlich auch undifferenziert „geistige Umnachtung” nennt. Sie baut einen emotionalen und geistigen Schutzwall um sich herum, sogar gegen ihren Mann, den sie ebenfalls der „anderen” Welt zuordnet. Das Abgesperrtsein in der Anstalt entspricht ihrem inneren Empfinden.

„The Wrong Man” ist einmal ein „anderer” Hitchcock, jedenfalls im anfangs beschriebenen Sinn. Trotzdem ist der Film eben auch typischer Hitchcock. Der Spannungsaufbau entspricht vielleicht nicht dem ansonsten gewohnten Suspense. Er ergibt sich jedoch aus einer schier ausweglos erscheinenden Situation, an deren Ende letztlich nur die Kapitulation vor dem maßgeschneiderten System von Polizei und Justiz stehen kann.

Trotz all dem ließ Hitchcock am Ende des Films einen Schriftzug einmontieren, auf dem zu lesen ist, dass Rose nach einiger Zeit geheilt entlassen werden und die Familie an einem anderen Ort ein neues Leben anfangen konnte. Ich vermute in dieser Einblendung eines der üblichen erzwungenen Zugeständnisse an die Zensur. Dieser Schlussakkord nimmt dem Film viel von seiner Tragik, denn er besagt letztlich, dass es nicht nur immer eine Chance gibt, dem System zu entkommen, was der Wirklichkeit z.B. sog. „Justizirrtümer” sicherlich nicht entspricht, sondern auch, dass in aller Regel ein Unschuldiger irgendwann davon kommt und keine nennenswerten Blessuren bleiben. Selbst wenn der Inhalt dieses Schriftzugs der Wirklichkeit der wirklichen Familie Balestrero entsprechen sollte, verpufft die eigentlich recht harsche Kritik des Films dadurch zu einem großen Teil, und auch, dass es mehr oder weniger nur der Zufall war, dass der wirkliche Täter irgendwann gefasst wurde.



Ich beichte
(I Confess)
USA 1953, 95 Minuten (DVD: 91 Minuten)
Regie: Alfred Hitchcock

Drehbuch: Paul Anthelme, George Tabori, William Archibald
Musik: Dimitri Tiomkin
Director of Photography: Robert Burks
Montage: Rudi Fehr
Produktionsdesign: Ted Haworth, Georges James Hopkins

Darsteller: Montgomery Clift (Pater Michael William Logan), Anne Baxter (Ruth Grandfort), Karl Malden (Inspektor Larrue), O. E. Hasse (Otto Keller), Brian Aherne (Willy Robertson), Roger Dann (Pierre Grandfort), Dolly Haas (Alma Keller), Charles Andre (Pater Millars), Judson Pratt (Det. Murphy), Ovila Légaré (Villette), Gilles Pelletier (Pater Benoit)

Verborgenes

Es ist Nacht. Ein Mann in einer Soutane schleicht aus einem Haus, dreht sich kurz um und verschwindet im Dunkeln. Ein Priester wundert sich, was sein Bediensteter noch so spät in der Kirche macht. Otto Keller (O. E. Hasse) scheint nervös, aufgerieben, ängstlich. Er will beichten, jetzt, um diese Zeit. Der junge Priester, Michael William Logan (Montgomery Clift), der seit zwei Jahren in dieser Kirche in Quebec sein Amt ausübt, erfährt, dass Keller einen Mord begangen hat. Keller tötete den Anwalt Villette (Ovila Légaré) und stahl ihm Geld, um mit seiner Frau Alma (Dolly Haas) woanders ein neues Leben zu beginnen. Er sagt Logan, er könne es nicht mehr mit ansehen, wie hart seine Frau arbeiten müsse. Und immer wieder fleht, bettelt und fordert Keller von Logan, er solle sein Beichtgeheimnis nicht brechen. Von Gott habe er nun die Absolution, von den Menschen werde er sie nie bekommen. Deshalb müsse, müsse Logan schweigen.

Wir befinden uns in einer katholischen Umgebung. Katholischer kann es eigentlich nicht zugehen. Es hat alles seinen Sinn und Zweck, seinen Gang der Dinge, und über das, was daneben, außerhalb dieser geordneten Wege passiert, sozusagen am Wegesrand, verborgen, soll geschwiegen werden; es soll dort bleiben und nicht ans Tageslicht gelangen. Logan ist tief getroffen, entsetzt, aber er beherrscht sich. Er weiß, dass er das Beichtgeheimnis nicht brechen darf. Es bedeutet mehr als die ärztliche oder anwaltliche Schweigepflicht, denn es kommt von Gott. Und er, Logan, ist als Beichtvater nur Mittler zwischen Gott und dem sündigen Menschen. Er stellt diese Beziehung bloß her, um die Vergebung der Sünden zu bewirken, die Schuld abzutragen.

Aber Logan ist auch Mensch. Und ein Mensch ist ermordet worden. Logan schweigt. Gegenüber der Polizei, gegenüber allen anderen. Man könnte es Schicksal nennen, dass zwei junge Mädchen dem untersuchenden Kriminalbeamten Inspektor Larrue (Karl Malden), der nichts von Glauben und alles von Fakten und deren Verknüpfung zu einem vorzeigbaren Ermittlungsergebnis zu halten scheint, dass diese beiden ihm erzählen, dass sie in der Nacht des Mordes einen Mann aus dem Haus des Opfers gehen sahen, der eine Soutane getragen habe. Und Larrue deutet auch das Schweigen Logans und die Tatsache, dass Logan sich mit einer Frau am Morgen nach der Tat vor dem Haus des Anwalts getroffen hat, als Verdachtsmoment, weil Logan die Identität dieser Frau nicht preisgeben will. Pierre Grandfort (Roger Dann) ist ein angesehener Bürger der Stadt, und es war seine Frau Ruth (Anne Baxter), die Logan liebt und ihren Mann nicht, mit der sich der Priester getroffen hatte. Für Larrue, der Zwei und Zwei zusammenzählt, ist es nur eine Frage der Zeit, hinter die Dinge zu kommen, die man ihm verschweigt, dahinter nämlich, dass Logan und Ruth vor dem Krieg ein Paar waren, dass Villette beide nach dem Krieg erpresst hatte, weil Ruth sich mit Logan getroffen hatte, obwohl sie inzwischen mit einem anderen verheiratet war, und Logan sich entschlossen hatte, Priester zu werden.

Wie in anderen seiner Filme („Der falsche Mann” etwa oder „Der Fremde im Zug” und „Der unsichtbare Dritte”) interessierte Hitchcock sich auch in „I Confess” für eine Situation, in der ein Unschuldiger in Verdacht gerät und sich der Strick um seinen Hals immer enger zusammenzieht. Hitchcock interessiert, wie sich „normale” Menschen in solchen Situationen in einer bestimmten sozialen Umgebung verhalten, was sie empfinden, was sie denken. Und so nimmt es nicht Wunder, dass Hitchcock in der ursprünglichen Version des Stücks ein Ende vorsah, bei dem Logan sein Leben lassen muss. Nicht nur das. Aus der Beziehung zu Ruth vor dem Krieg sollte in dieser Fassung ein uneheliches Kind hervorgegangen sein. Beides sollte die Tragik des Geschehens unterstreichen – und beides wurde von der Zensur gestrichen.

Für das Hollywood der 50er Jahre musste es immer eine Art Ausweg, ein für das Publikum gedachtes Glücksmoment geben, einen in diesen Fällen schmählichen, trügerischen, ja betrügerischen Akt der „Befreiung” von Druck, Tragik und Endgültigkeit (so auch in „Der falsche Mann”, ein Film der nicht damit enden durfte, dass die Frau eines unschuldig verfolgten Mannes in einer Heilanstalt in geistiger Umnachtung lebt).

Trotz dieser Eingriffe der Zensur ist „Ich beichte” ein an Dramatik kaum zu überbietender Film, in dem Hitchcock nicht nur das Dilemma eines Priesters schildert – beeindruckend dargestellt von Montgomery Clift – zwischen seinem Gelübde als Priester (hier: Beichtgeheimnis) und seinen menschlichen Gefühlen für irdische Gerechtigkeit. Logan befindet sich einer viel verzwickteren personellen Konstellation. Er bewegt sich, ohne dies entschieden zu haben oder zu wollen, in einem Geflecht zwischen

– Ruth, die ihn immer noch liebt und nicht akzeptieren kann, dass Logan sich einem anderen Leben verschrieben hat, über deren beider Vergangenheit er schweigt, um Ruth als Frau eines angesehenen Mannes nicht zu gefährden, und

– dem Täter, Keller, dessen Verhalten er verabscheut (eigenes besseres Leben durch Mord an einem anderen), und

– dem Mordopfer, das ausgerechnet der Mann ist, der ihn und Ruth erpresst hatte,
und

– Inspektor Larrue, dem Repräsentanten der irdischen Gerechtigkeit, dem er durch sein Schweigen die Wahrheit vorenthält, und

– Gott, dem er sich voll und ganz mit seinem „Beruf” und seinem Menschsein verschrieben hat, und

– nicht zuletzt in einem drastischen Sinn der Öffentlichkeit, die all das, den Mord, die „Verfehlungen” des Priesters und der Frau eines angesehenen Bürgers, wenn es denn herauskommen sollte, nie und nimmer dulden würde (ein Verhalten, was im letzten Teil des Films eine brutale Praxis hervorbringt).

Logan schweigt, und ihm wird der Prozess gemacht. Er würde, schuldig gesprochen, aufs Schafott steigen und bis zu seinem Tod schweigen, die Wahrheit, die in dieser Umgebung nichts zählt, mit ins Grab nehmen. Und niemand, außer Ruth, die vor Verzweiflung möglicherweise zugrunde gehen würde, hätte angesichts der unglaublichen Gefasstheit Logans, die in seinem Glauben wurzelt, irgendwelche Zweifel, dass der Gerechtigkeit Genüge getan worden sei.

Man kann sich, zumindest in dem, was wir „zivilisierte Gesellschaft” nennen, kaum eine tragischere Situation für einen Menschen vorstellen, der zwischen katholisch-kleinbürgerlicher Mentalität, Doppelmoral (Villette, der Erpresser; Keller, der Mörder, der vorgibt, für seine Frau gehandelt zu haben), Glauben, Verbrechen, Vergangenheit usw. eingesperrt ist. Das Verborgene, Versteckte, Zugedeckte beherrscht die Szenerie, in der bestimmte Dinge einfach nicht passieren dürfen, und wenn sie passieren, nicht ans Tageslicht gelangen dürfen, und wenn sie ans Tageslicht gelangen, skrupellos gemaßregelt werden.

Montgomery Clift war einmal mehr eine exzellente Wahl für die Rolle Pater Logans, und auch die übrige Besetzung lässt nichts zu wünschen übrig. Anne Baxter spielt eine Frau, die gegenüber ihrem Mann kein Geheimnis aus ihrer Liebe zu Logan macht, und die beider Vergangenheit preisgibt, um Logan zu helfen – auch wenn sie damit das Gegenteil bewirkt. Vor allem aber O. E. Hasse in der Rolle des Otto Keller leistet (wie gewohnt) überzeugende Arbeit als Mann, der zwar vorgibt, durch den Mord seiner Frau zu helfen, in Wahrheit sich aber selbst meint. Vor allem in der Schlussszene, in der Keller Logan gegenübersteht, beweist Hasse all das, was einen guten Schauspieler ausmacht, indem er als Keller in einer für ihn ausweglosen Situation nochmals versucht, den anderen und sich selbst etwas vorzumachen.

Daneben verkörpert Karl Malden einen intelligenten Polizisten – in Hitchcocks Filmen eher eine Seltenheit angesichts seines kritischen und distanzierten Verhältnisses zur Polizei –, der sich allerdings in seinen eigenen Ermittlungen maßlos verstrickt, weil er die Bedeutung der Umgebung, in der er arbeitet, für das Ermittlungsergebnis nicht erkennt. Zu erwähnen ist schließlich Dolly Haas als Frau Keller, für die im Laufe der Ereignisse die Spannung zwischen der Treue zu ihrem Mann und der Wahrheit unerträglich wird.


 

Die 39 Stufen-Filmplakat
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Ich beichte-Filmplakat
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