Hundstage
(Dog Day Afternoon)
USA 1975, 124 Minuten
Regie: Sidney Lumet

Drehbuch: Frank Pierson
Director of Photography: Victor J. Kemper
Montage: Michael Chinich, Don Philipps
Produktionsdesign: Charles Bailey

Darsteller: Al Pacino (Sonny), John Cazale (Sal), Charles Durning (Sgt. Moretti), Chris Sarandon (Leon Shermer), Susan Peretz (Angela Wortzik), Sully Boyar (Mulvaney), James Broderick (Sheldon), Penelope Allen (Sylvia), Carol Kane (Jenny), Sandra Kazan (Deborah), Marcia Jean Kurtz (Miriam), Amy Levitt (Maria), John Marriott (Howard), Estelle Omens (Edna), Gary Springer (Stevie)

Grotesk und tragisch

„Dog Day Afternoon“ ist u.a. der Beweis dafür, dass das Groteske, das Makabre, das Schicksalhafte und das Zufällige keine Erfindung des Theaters oder des Kinos sind. Sidney Lumets Film aus dem Jahr 1975, der auf einer wahren Begebenheit 1972 in Brooklyn beruht, zeigt uns, dass alle Elemente der Kunst keine Erfindung aus sich heraus sind, sondern nur und ausschließlich der Realität entstammen – auf eine tragische und eine komische Weise.

„Hundstage“ – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Film des österreichischen Regisseurs Ulrich Seidl – beginnt wie ein Thriller. Drei Männer treffen sich vor einer kleinen Bank. Sie wollen sie ausrauben. Sie gehen hinein, einer von ihnen, Sal (John Cazale), begibt sich zu Filialleiter Mulvaney (Sully Boyar), der andere, Stevie (Gary Springer), postiert sich unauffällig am Eingang und der dritte, Sonny (Al Pacino), hält sich in der Nähe der Kassen auf.

Doch schon bald wird deutlich, dass wir es hier nicht mit Profis zu tun haben. Als Sonny aus einem länglichen Karton in aller Eile eine Waffe auspacken will, stellt er sich dabei so ungeschickt an, dass einem ein erstes Schmunzeln entfährt. Sechs oder sieben Kassiererinnen, einen Portier namens Howard (John Marriott) und den Filialleiter haben die drei ab nun in ihrer Gewalt. Allerdings befindet sich zum Entsetzen von Sonny nur noch ein minimaler Geldbetrag in der Bank, denn das meiste Geld ist bereits am Morgen abgeholt worden. Gerade mal 1.100 Dollar befinden sich im Safe und nur noch wenig mehr Geld in den Kassen. Und Stevie, der das ganze nervlich nicht durchsteht, zieht sich aus dem Coup zurück und geht nach Hause. Sal und Sonny sind allein.

Das ist jedoch nicht das Schlimmste. Am Telefon meldet sich nach nicht einmal einer Viertelstunde Sergeant Moretti (Charles Durning) – und wenig danach ist das gesamte Gebäude von der Polizei umstellt. Hubschrauber umkreisen den Block, die ersten Fernsehkameras tauchen auf. Schaulustige sammeln sich hinter den Polizeiabsperrungen. In einem Hubschrauber sitzt ein Kameramann eines TV-Senders.

Sonny muss überlegen. Sal, äußerlich ruhig und gelassen, aber dreimal so nervös wie Sonny, sitzt zumeist ruhig in einer Ecke, bewacht die Geiseln und vertraut auf das, was Sonny sich einfallen lässt. Die Geiseln haben Angst. Howard hat Asthma und bekommt einen Anfall. Und Sonny lässt ihn – als Beweis für seine Kooperationsbereitschaft mit Moretti – frei. Die Menge hinter den Polizeiabsperrungen tobt, dann ist man wieder ruhig, dann scheint es so, als stünden viele Leute auf Seiten der Bankräuber. Sonny, der sich auf Bitten Morettis vor die Bank begibt, schreit ihnen zu „Attica!“ Dort hatten Polizisten bei einem Überfall nicht nur Schuldige, sondern auch Unschuldige erschossen.

In der Bank bekommt eine der Angestellten einen Anruf ihres Mannes, der doch tatsächlich Sonny fragen lässt, wie lange es denn noch gehe.

Sonny denkt nur noch an eines: Raus. Aber wie? Er fordert einen Hubschrauber, einen Jet am Flugplatz, um die USA verlassen zu können, verspricht, für jede Leistung der Polizei und des FBI, das inzwischen auch da ist, eine Geisel frei zu lassen. In der Bank wird es immer heißer, Mulvaney und eine Angestellte leiden besonders darunter. Aber sie alle merken auch, dass Sonny die Sache ohne Blutvergießen über die Bühne bringen will. Manchmal herrscht schon eine fast entspannte Atmosphäre, die Frauen lachen, machen Witze, Sonny zeigt einer von ihnen, wie man beim Militär mit einem Gewehr hantiert.

Uns Sonny verlangt, dass die Polizei ihm seine Frau bringt, mit der er sprechen will. Was das FBI und Moretti planen, entgeht ihm. Jedenfalls scheint die Polizei alle Forderungen Sonnys erfüllen zu wollen ...

Dem äußeren Anschein nach ein „normaler“ Thriller. Aber dem ist nicht so. „Hundstage“ erzählt eine verwickelte Geschichte. Verwickelt nicht im Sinne von schwierig zu verstehen, sondern von dramatisch verwickelt und tragisch. Da überfällt ein Mann eine Bank, nicht um für sich einen Reibach zu machen, sondern für seine „Frau“ – einen Mann, nämlich Leon Shermer (Chris Sarandon), der sich als Frau fühlt und mit dem Sonny eine nicht gerade unkomplizierte Beziehung hat. Er will das Geld, damit sich Leon zur Frau um-operieren lassen kann. Er benutzt den schwachen, unsicheren und unberechenbaren Sal, um dieses Vorhaben zu verwirklichen – und zieht Sal damit in eine Geschichte hinein, die der nicht mehr überschauen kann.

Entscheidend für den Fortgang der Geschichte aber ist, dass sich verschiedene Personen näher kommen, näher kennen lernen: Sonny und Moretti, Moretti und Leon, der von seiner Beziehung zu Sonny erzählt, auch Sheldon und Sonny. Man lernt sich im wahrsten Sinn des Wortes kennen. Und wenn da nicht der Bankraub und die Geiselnahme wäre ...

Und wir lernen Sonny kennen – eine Vietnamkriegsteilnehmer, verheiratet mit einer hysterischen Frau, von der er drei Kinder hat und von der er getrennt lebt, aufgewachsen bei einer herrschsüchtigen Mutter, mit einem Mann zusammenlebend, der lieber eine Frau sein möchte. Wir wissen nicht, warum Sonny so oder so handelt. Aber er handelt, hat nur noch im Kopf, heil aus der Sache herauszukommen, und er muss sich von Leon sagen lassen, dass das alles ein ziemlicher Scheiß war, was er da versucht hat. Vor allem aber bemerken wir auch, wie sich das Verhalten aller Beteiligten unter dem Eindruck der Medien verändert. Eine Angestellte, die mit Sonny einmal vor der Bank steht, flieht nicht, obwohl die Polizei sie dazu auffordert, sondern geht mit Sonny in die Bank zurück. Sie bleibe bei ihren Mädchen, sagt sie. In Wirklichkeit will sie zurück an den Fernsehschirm. Es bereitet ihr und auch anderen der Frauen Vergnügen, im Mittelpunkt der TV-Berichterstattung zu stehen. Auch Sonny benutzt die Medien, schreit „Attica!“ und genießt die Begeisterung des Publikums vor der Bank. Er glaubt, das könne ihm nützlich sein, um aus der Sache heil heraus zu kommen. Und Moretti und Sheldon (James Broderick) vom FBI? Sie müssen aufpassen, nicht in die gleiche Falle zu tappen wie ihre Kollegen in Attica. Wenn sie irgend jemand aus der Reihe der Schaulustigen oder gar der Geiseln auch nur verletzen, wird ihnen das keine guten Nachrichten bringen.

Lumet stellt Al Pacino ganz in den Mittelpunkt der Handlung. Und Pacino glänzt in dieser Rolle, die sicherlich zu seinen Besten gehört. Man fiebert mit diesem Sonny mit. Was geht in seinem Kopf vor, was wird er tun, was kann er tun, wie schätzt er die Lage ein. Sonny, das könnte einer aus unserer Nachbarschaft sein. Sonny ist kein Gangster. Er begeht eine Verzweiflungstat aus lauteren Motiven, will Leon helfen, durch eine Geschlechtsumwandlung seine Identität zu finden. Sonny will niemanden töten. Er will nur heil aus der Sache raus.

Sal hingegen – gespielt von John Cazale, der in „Der Pate“ an Pacinos Seite den schwachen Bruder Michael Corleones gespielt hatte – ist gar nicht friedlich. Wenn Sonny es ihm sagen würde, brächte er alle Geiseln um. He’s like a monster but in a box. Sprich: Eine Zeitbombe, die jederzeit hoch gehen könnte. Er hält sich abseits, distanziert von allen, horcht nur auf das, was Sonny sagt.

Lumet gelingt es über zwei Stunden lang, Spannung aufrecht zu erhalten. Immer wieder kommt es zu brenzligen Situationen, etwa als die Polizei versucht, durch den Hintereingang der Bank in das Gebäude zu gelangen. Der Showdown selbst setzt der Verzweiflungstat ein tragisches Ende und hinterlässt einen Mann, der nicht mehr weiß, wie ihm eigentlich geschieht. Die Hitze tut ein übriges, um die angespannte Situation immer einmal wieder zu verschärfen. Und gleichzeitig demonstriert „Dog Day Afternoon“ die Hilflosigkeit, die sich in einer solchen Situation breit macht – auf allen Seiten und verstärkt durch den Einfluss der Medien, deren Einfluss sich kaum einer entziehen kann oder will. Selbst der Mann, der die Pizza bringt, und ein anderer, der den Bus bereit stellt, mit dem Sonny, Sal und die Geiseln zum Flugplatz fahren, sehen sich primär als TV-Stars, nicht als Beteiligte an einem gescheiterten Bankraub.

Ergänzt wir diese Art der Inszenierung durch die bereits genannten grotesken und komischen Szenen, etwa auch jene, in der Sonnys Frau Angela (Susan Peretz) bei einem Telefonat mit ihm eine Art verbalen Beziehungskrieg beginnen will.

Ein Jahr später wird Lumet seine bittere Medienkritik in „Network“ inszenieren. Einiges davon deutete sich in „Dog Day After“ schon an. Und Lumet verstand es in beiden Filmen, die Auswirkungen der medialen Überformung von Ereignissen durch die Medien auf die beteiligten Personen zu demonstrieren.

© Bilder: Warner Brothers.
Screenshots von der DVD.