Instinkt
(Instinct)
USA 1999, 126 Minuten
Regie: Jon Turteltaub

Drehbuch: Gerald Di Pego, nach dem Roman „Ishmael“ von Daniel Quinn
Musik: Danny Elfman
Director of Photography: Philippe Rousselot
Montage: Richard Francis-Bruce
Produktionsdesign: Garreth Stover

Darsteller: Anthony Hopkins (Dr. Ethan Powell), Cuba Gooding Jr. (Dr. Theo Caulder), Donald Sutherland (Dr. Ben Hillard), Maura Tierney (Lynn Powell), George Dzundza (Dr. John Murray), John Ashton (Wächter Decks), John Aylward (Gefängnisdirektor Keefer), Thomas Q. Morris (Pete), Doug Spinuzza (Nicko), Paul Bates (Bluto), Rex Linn (Wächter Alan), Rod McLachlan (Wächter Anderson)

Triviale Kulturkritik à la „Zurück zur Natur“

Zivilisationskritik ist eine feine Sache. Das meine ich durchaus nicht zynisch. Wer die großen Zivilisationskritiker – wenn sie sich selbst als solche bezeichnen würden – einmal gelesen hat, (etwa Norbert Elias, Michel Foucault) weiß, wie spannend die Auseinandersetzung mit sozialen Prozessen, Verhaltensweisen, Denkmustern usw. sein kann, die uns heute als völlig normal, selbstverständlich, fast natürlich erscheinen, als ob sie keine Geschichte hätten, zeit- und raumlos wären. 1999 drehte John Turteltaub („Während Du schliefst“, 1995; „Cool Runnings“ , 1993) einen Thriller, der eben in dieser Hinsicht auf ein sehr geteiltes Echo bei Kritik und Publikum stieß.

Die Behörden des afrikanischen Staates Ruanda liefern den amerikanischen Anthropologen Dr. Ethan Powell (Anthony Hopkins) an die Vereinigten Staaten aus. Powell soll zwei Polizisten ermordet haben. Als Powell, am Flughafen angekommen, wiederum aggressiv reagiert, wird er in den Hochsicherheitstrakt eines völlig überfüllten Gefängnisses gesteckt, in dem sich auch eine Abteilung mit seelisch kranken Straftätern befindet. Die Zustände in dieser Anstalt sind untragbar, Überbelegung, zu wenig Personal, verständnislose, teils sadistische Wächter. Gefängnisdirektor Keefer (John Aylward) ist das Schicksal der Gefangenen gleichgültig, Aufpasser Decks (John Ashton) hält sie für minderwertige Kreaturen, mit denen er Spielchen treiben kann. Der Gefängnispsychologe Dr. Murray (George Dzundza) ist völlig überfordert und hat es längst aufgegeben, an den Zuständen etwas zu ändern.

Da Powell seit zwei Jahren nicht redet und zudem niemand weiß, warum er extrem aggressiv reagiert, wird eine richterliche Anhörung Powells angesetzt. Powells ehemaliger Kollege Dr. Ben Hillard (Donald Sutherland) wird zur Begutachtung beauftragt. Dessen junger Kollege Dr. Theo Caulder (Cuba Gooding Jr.) bittet Hillard inständig, ihm den Fall zu übertragen. Er würde Powell schon zum Sprechen bringen. Trotz einiger Zweifel willigt Hillard ein.

Unter strengen Sicherheitsmaßnahmen kommt es zur ersten Begegnung zwischen Caulder und Powell, der – als Caulder ihm zu nahe kommt – wiederum aggressiv reagiert. Doch dann macht Powell langsam den Mund auf. Caulder weiß nur, dass Powells Verhalten etwas mit seiner Forschung über Gorillas zu tun hat, und befragt dazu auch Powells Tochter Lynn (Maura Tierney), die ihr Vater vor Jahren verlassen hat. Sie erzählt Caulder, dass ihr Vater auch schon vor seinem Verschwinden in Ruanda ein maßloser Einzelgänger war, der sich ausschließlich für seine Forschungen interessiert habe. Scheibchenweise erzählt Powell, welche Bedeutung das Leben unter den Gorillas für ihn hatte und wie es zum Mord an ruandischen Polizisten gekommen war ...

Die zentrale Aussage des Films kann man rasch erkennen: Powell hält die Zivilisation für eine verquere, „unnatürliche“ Entwicklung, eine, in der die Menschen sich zur Krone der Schöpfung erklärt haben, allen anderen Lebewesen und der Natur überlegen, sie kontrollierend, sie beherrschend. Zu dieser Erkenntnis ist er gelangt, als er in die Gemeinschaft frei lebender Gorillas aufgenommen worden sei, die im Einklang mit der Natur und nicht gegen sie lebten. Powells Aggressionen haben ihren Grund in dem unbändigen Hass auf die Fortschrittsideologien der Zivilisation.

Die Romanvorlage von Daniel Quinn („Ishmael“) setzte sich unter Reflexion evolutionsgeschichtlicher Erkenntnisse und Spekulationen mit Grundannahmen der (westlichen) Zivilisation auseinander, mit Mustern wie Konkurrenz, Kontrolle, Herrschaft, Macht, Überlegenheit usw. Doch bei Turteltaub und Drehbuchautor Gerald Di Pego verbleibt die Zivilisationskritik einem Zustand verhaftet, der dem von „Zurück zur Natur“-Bewegungen entspricht. Solche Bewegungen traten – übrigens schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts – immer dann auf, wenn gesellschaftliche Umbruchsituationen zu enormen sozialen Verwerfungen führten. Doch auch die Anfänge konservativer Kulturkritiken gehören in das Repertoire zunächst ungestümer Widerstände gegen Umbruchsituationen.

„Instinkt“ erweist sich als ein Film, der sich auf dem intellektuellen Stand der Maschinenstürmer des 19. Jahrhunderts festfrisst. Damals kam es angesichts der industriellen Revolution zu gewaltsamen Attacken der riesigen freigesetzten Masse von Arbeitern gegen die moderne Maschinerie. Turteltaub nimmt die Erkenntnisse der Zivilisationskritik oder besser der Auseinandersetzung mit der Entstehung dessen, was wir Zivilisation nennen, nicht zur Kenntnis. Der Film tut so, als wenn es weder Max Weber, noch Norbert Elias, noch Michel Foucault usw. geben würde, die sich – jeder auf seine Weise – mit den Entstehungsbedingungen der modernen Gesellschaft befasst hatten und deren Forschungen zudem durch zahlreiche weitere inzwischen modifiziert und ergänzt worden sind. Durch die Ignoranz diesen Forschungen gegenüber, deren Erkenntnisse längst auch in eine breitere Öffentlichkeit Eingang gefunden haben, wird Turteltaubs Streifen ahistorisch wie die Bewegungen, die in einer illusionären Vorstellung eines „Zurück zur Natur“ (in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hieß es: „Ab in die Toskana“, um dort ein angeblich paradiesischen Urzuständen analoges Leben zu fristen) nichts weiter waren, als die Spiegelung dessen, was sie kritisierten: Das Postulat einer Anti-Zivilisation war schon immer verknüpft mit dem phantasiereich aufgeladenen Bild eines „richtigen“ „Urzustandes“ „des Lebens“ – wie es eben „natürlich“ sei.

Genau dieses Bild reproduziert Turteltaub in der Gestalt Powells, ebenso die falschen, einem Schein aufsitzenden Illusionen, irgendein Mensch sei in der Lage, von Kontrolle und Konkurrenz, Herrschaft und Macht durch ein „Zurück zur ...“ – ja zu was eigentlich? – zu lassen.

Auch die Romantik als Gegenbewegung zur Aufklärung schuf solche Bilder, wenn die Sehnsucht nach einem „urwüchsigen“ Leben etwa in vorgestellte, konstruierte Gemälde „germanischer“ Vergangenheit verlagert wurde. Genau dieses „Zurück zu ...“ drückt das über situative Ängste weit hinausgehende Unbehagen gegen nun wirklich nicht kritikunwürdige Umwälzungen in der Geschichte der Menschheit als sozusagen ersten, vor allem emotionalen, verzweifelten Protest plastisch aus.

Das Problem ist allerdings, dass auch dieser Protest sich nichts anderes bedienen kann als dessen, was er kritisiert: Kontrolle, Konkurrenz, Herrschaft. Denn selbst ein Gang „Zurück zu ...“ wäre ein bewusster, das heißt kontrollierter Akt, in Konkurrenz zum Rest der Menschen, die dies nicht vollziehen. Auch eine kultur- und zivilisationskritische Erkenntnisse ernst nehmende Gesellschaft müsste durch Kontrolle, Herrschaft und Konkurrenz – denn demokratische Verhaltensmuster kommen ohne Konkurrenz und kontrollierte Entscheidungsmechanismen, als Macht, gar nicht aus – die Bedingungen zu klären versuchen, die zum Erhalt des Planeten, der Arten und zu einem menschenwürdigen Leben aller auf diesem Planeten führen sollen.

All dies verkommt in Turteltaubs Drama, das darüber hinaus noch mit einem Gefängnisdrama üblicher Art verknüpft wird, zu einer oft naiven Reproduktion kulturkritischer Anfangsüberlegungen, die auch in der Überzeichnung der beiden Hauptfiguren Plastizität gewinnt: Cuba Gooding Jr. als in jeder Hinsicht kontrollierter Psychologe, der glaubt, mit Psychologie jeden Fall lösen zu können; Anthony Hopkins als auch äußerlich entsprechend gestalteter Prototyp eines zum Halb-Gorilla mutierten Menschen, der sich darüber bewusst ist, dass er die Reste seiner menschlichen Eigenschaften nicht eliminieren kann, am Schluss aber trotzdem den Weg „Zurück zu ...“ wählt. Die Charaktere mutieren zu hohlen Abziehbildern einer primitiven Illusion, etwa wenn Caulder – Powells Denken angeblich endlich verstehend – sich in den Regen stellt, die Arme nach oben ausgestreckt das Gefühl des „naturverbundenen Lebens“ demonstriert, um jedem noch nicht überzeugten Zuschauer das „Back to ...“-Feeling zu vermitteln.

Wenn man will, kann man wissen, das Geschichte nichts Beliebiges ist, in der Menschen nach dem Prinzip „Ich will“ oder „Ich will nicht“ Zeit und Raum überwinden können. Es bleibt dabei, dass nur der Mensch darüber entscheiden kann, ob er sich selbst und seine Welt reflektiert und daraus Schlüsse zieht, aber auch, dass er aufgrund seiner Einbindung in Zeit und Raum über den Tellerrand seiner jeweiligen Epoche nur begrenzt hinausschauen kann. Diese Chance des Begrenzt-Darüber-Hinaus-Schauens ist allerdings eine gewaltige. Nur sie gewährleistet nämlich, aus den Mängeln, Fehlern, Irrtümern, Irrwegen der Vergangenheit und Gegenwart lernend Künftiges anders zu gestalten.

In „Instinkt“ allerdings wird dies alles über den billigen Haufen der rückwärts gewandten „Back to ...“-Ideologie geworfen. Denn gerade die Bilder von einem „ursprünglichen Leben“ der Gorillas oder wem auch immer sind Vorstellungen, die aus der Gesellschaft in die Natur übertragen werden, um sie hinterher als positives Postulat, als gesellschaftlichen Idealzustand wieder zu reproduzieren. Diese Projektion von Begriffen aus der menschlichen Gesellschaft in die Natur ist ein altbekanntes Mittelchen. Manche Anthropologen z.B. sprechen vom Löwen als „Gesundheitspolizist“, weil der Löwe vor allem kranke Tiere jagt und frisst. Ein Musterbeispiel, wie ein Begriff aus menschlichen Beziehungsstrukturen als Eigenschaft des Tierreichs manifestiert wird, um ihn dann wiederum in die Gesellschaft zurück zu projizieren und die „natürliche“ Notwendigkeit einer bestimmen Sorte von Gesundheitspolizei zu legitimieren.

Anthony Hopkins und Cuba Gooding Jr. machen unter diesen Vorgaben ihre Sache dennoch durchaus gut. Es gelingt beiden, sowohl das Muster für ein Zivilisations-Abziehbild des Menschen (Caulder) wie für den „Back to ...“-Anthropologen (Powell) so weit wie möglich in Szene zu setzen. Weniger engagierte und talentierte Hauptdarsteller, und „Instinkt“ wäre als seichtes B-Movie zum Ladenhüter degeneriert.

Drehbuch und Regie sind an der Umsetzung der Romanvorlage und einer fundierten kulturkritischen Auseinandersetzung gnadenlos gescheitert. Der Film verheddert sich gegen Ende in einen Showdown, der die typischen Hollywood-Manierismen, dazu noch flach reproduziert, was seinem eigenen Anspruch zuwiderläuft. Die anfangs des Films noch viel versprechende Story und die beiden Hauptdarsteller können diesen dramaturgischen Zusammenbruch nicht verhindern. Nicht zuletzt die oft verhaltene, zumeist klischeehafte Darstellung der Psychologie in bezug auf  schwerwiegende Störungen machen „Instinkt“ zu einem Lehrstück eines anspruchsheischenden Films, der diesem Anspruch in keiner Weise gerecht werden kann.

© Bilder: Buena Vista (Touchstone)