It’s All About Love
(It’s All About Love)
Dänemark 2002, 104 Minuten
Regie: Thomas Vinterberg

Drehbuch: Mogens Rukov, Thomas Vinterberg
Musik: Nikolaj Egelund, Zbigniew Preisner
Director of Photography: Anthony Dodd Mantle
Montage: Valdis Oskarsdóttir
Produktionsdesign: Ben Van Os, Jette Lehmann

Darsteller: Joaquin Phoenix (John), Claire Danes (Elena), Sean Penn (Marciello), Douglas Henshall (Michael), Alun Armstrong (David), Margo Martindale (Betsy), Mark Strong (Arthur),Geoffrey Hutchings (Mr. Morrison), Sean-Michael Smith (Pete)

Filmtod im Eis

Als Thomas Vinterberg in „Das Fest“ 1997 daran ging, in kaum zu überbietender, fast schon dokumentarischer Klarheit die Fassade der bürgerlichen Familie einzureißen, da wirkte dies wie ein Folgeprojekt des traditionellen Totentanzes skandinavischer Literatur, eine Demaskierung von Personen, deren Wunden sich nie schließen werden und deren Schuld nie vergeben werden  würde. Die Badewanne war das Symbol dieser Schuld, der Vergewaltigung zweier Kinder durch den Vater, aber ein Symbol, dessen reale Handfestigkeit so tragisch im Raum stand, dass Objekt und Symbol sich zu einer unverbrüchlichen Einheit verschmolzen. Die Enthüllung des Verdrängten kontrastierte mit dem Versuch der Verkleisterung und des Tot-Schweigens.

Auch in diesem Film, abseits von Dogma-Regeln, spielt Symbolik eine tragende Rolle. Vinterberg geht in „It’s All About Love“ geradewegs dazu über, eine Geschichte in bedeutungsschwangerer Symbolik zu erzählen, die Symbole erzählen zu lassen – so scheint es zumindest, und der Film verkündet die Bedeutung von Symbolen in einer fast schon unerträglichen Aufdringlichkeit. Sicher, Joaquin Phoenix und Claire Danes spielen das getrennt lebende Ehepaar, das sich nach Monaten wieder trifft, nach Kräften gut. Auch die teilweise unheimliche Stimmung erzeugt ein Frösteln angesichts der mehr oder weniger verborgenen Geheimnisse hinter dem Handeln der Figuren. Und trotzdem: Gegenüber „Das Fest“ scheinen sich das Dramatische und die Symbolik, das Tragische und seine Metaphern in ihrer Bedeutung und Kausalität verkehrt zu haben.

John (Joaquin Phoenix) kommt im Jahr 2021 in New York an. Seine Frau Elena (Claire Danes), eine weltberühmte Eiskunstläuferin, soll die Scheidungspapiere unterschreiben. John hat wenig Zeit, ist auf der Durchreise, hat wichtige geschäftliche Termine. Seinen Weg durch New York pflastern Leichen, zuerst eine am Ende der Rolltreppe auf dem Flughafen, später in den Straßen. An gebrochenem Herzen sollen sie gestorben sein. Niemand kümmert das. Im Fernsehen werden Bilder aus Uganda gezeigt, wo die Menschen über dem Boden schweben, weil die Schwerkraft nicht mehr so funktioniert, wie sie es sollte. Mitten im Sommer fängt es in Amerika an zu schneien. Hoch oben in einem Flugzeug sitzt Johns Bruder Marciello (Sean Penn) und philosophiert über den Zustand und das Ende der Welt. Und Elena? Müde vom Eiskunstlauf ist sie von anderen abhängig, die an ihr viel Geld verdienen. Elena hat Angst, sucht bei John Schutz, fühlt sich verfolgt. Auch ihr Bruder Michael (Douglas Henshall) scheint in die korrupten Machenschaften eines Teils ihrer Familie und eines dubiosen Mr. Morrison (Geoffrey Hutchings) verstrickt zu sein. John und Elena kommen sich wieder näher. Er muss seine Weiterfahrt verschieben, flüchtet mit Elena, doch die dubiosen Gestalten aus ihrem Umkreis lassen nicht locker.

Das Klima verändert sich. Es schneit, es friert. Marciello ist sich bewusst, dass er sterben wird, weil sein Flugzeug nirgendwo mehr landen kann. Das Ende naht. John und Elena flüchten erneut, wieder mit Hilfe von Michael, der allerdings einiges zu verbergen hat ...

Die Ausgangssituation des Films könnte spannender nicht sein: eine korrupte, innerlich eiskalte Welt, in der nur noch das Geschäft zählt, in der eine berühmte Eiskunstläuferin von skrupellosen Leuten ausgenutzt wird, die Klone von Elena herstellen, um das Geschäft in die Zukunft zu verlängern. Dagegen steht der Versuch Johns und Elena, die wieder zueinander finden, dieser brutalisierten Welt zu entkommen. Die Liebe gibt ihnen die Stärke dazu. Die Liebe und der Tod ringen miteinander.

Doch was sich in der ersten halben Stunde des Films als Möglichkeit für eine spannende wie bedeutsame Geschichte anlässt, wird sodann in einer selten gesehenen Mischung aus Metaphern, Symbolik, ja Trivialität und – der Filmtitel deutet es bereits an – klischeehafter Sprache  geradezu ertränkt. Nach dem Motto „Nur die Liebe zählt“ philosophiert Sean Penns Marciello im Flugzeug auf Courths-Mahler-Niveau oder schlimmer mit Binsenweisheiten und Wahrheiten, denen niemand widersprechen kann. Eis und Schnee durchziehen in unerträglicher Weise als Symbole für eine emotionslos gewordene Welt den gesamten Film bis zum Showdown, in dem die beiden Liebenden vergleichbar der trivialen Dramaturgie von Groschenromanen den Eis-Tod finden. Die Botschaft, wenn sie denn eine sein soll, ist aufdringlich und deshalb nichtssagend. Es hätte nur noch gefehlt, Sean Penns Marciello direkt über den Liebenden mit dem Flugzeug abstürzen zu lassen.

Man könnte Vinterberg den Versuch unterstellen, an einer Rekonstruktion der Liebe zu arbeiten. Aber selbst wenn dies so sein sollte, erstickt er diesen Versuch gleich selbst in: EIS. Die Eiswürfel im Glas, das Eis im Stadion, der Schnee, in dem sich John und Elena tummeln – alles in dieser Welt löst sich in Eis auf. Der Weltuntergang als Vereisung – dabei gehen sämtliche erzählerischen und dramaturgischen Möglichkeiten der Geschichte schonungslos unter. Traumsequenzen – auch so könnte man diesen Film deuten. Als Traum, Alptraum in einer Welt, in der die Liebe nur noch ein Nischendasein führt, bis das Eis auch diese Nischen endgültig schließt. Doch auch unter einem solchen Aspekt gesehen destruiert die Metaphorik alles Erzählerische, Inhaltliche, etwa wenn man das Eis für eine Art globale Antwort auf globale Ent-Emotionalisierung deuten würde. Ebenso verhält es sich in bezug auf die durchaus ansehnlichen schauspielerischen Leistungen der beiden Hauptdarsteller. Selbst die werden im Eis eingefroren.

Was bleibt, ist ein Gefühl der Bedeutungslosigkeit, der Distanz, der Unnahbarkeit, ein Gefühl, das im Laufe des Films wächst. Symbolik, Metaphern, triviale Aussagen ersetzen zusehends, was doch zu entwickeln, auszupacken, darzustellen wäre, wie es Vinterberg in „Das Fest“ vorgeführt hatte. Die Gefühle der Figuren geraten so nicht nur in den Geruch des Klischees, sie stinken förmlich nach Abziehbild und banaler Psychologie. Die vorgetäuschte Schwere des Films entpuppt sich als Blendwerk, als trügerische Fassade einer propagierten Aussage – „Nur die Liebe zählt“ –, der niemand widersprechen, mit der aber in dieser Art und Weise auch niemand etwas anfangen kann.

© Bilder: Senator-Film