Kamikaze 1989
Deutschland 1982, 106 Minuten (DVD: 102 Minuten)
Regie: Wolf Gremm

Drehbuch: Wolf Gremm, Robert Katz, nach dem Roman „Mord im 31. Stock“ von Per Wahlöö
Musik: Edgar Froese
Director of Photography: Xaver Schwarzenberger
Montage: Thorsten Näter
Produktionsdesign: Horst D. Furcht, Roland Mabille

Darsteller: Rainer Werner Fassbinder (Polizeileutnant „Kamikaze“ Jansen), Günther Kaufmann (Anton), Boy Gobert (Konzernchef), Arnold Marquis (Polizeipräsident), Richy Müller (Neffe des Konzernchefs), Nicole Heesters (Barbara), Brigitte Mira (Personaldirektorin), Jörg Holm (Vizepräsident), Hans Wyprächtiger (Zerling), Petra Jokisch (Elena), Franco Nero (Weiss)

Schachmatt !?

Man kann das Thema Totalitarismus ernst nehmen, man kann totalitäre Strukturen und Handlungsabläufe in Komik auflösen – und man kann (fiktive) autoritäre Gesellschaften in skurrilen und fast schon comicartigen Bildern einfangen. Für letzeres entschied sich 1982 Rolf Gremm („Die Brüder“, 1977) in seinem Sciencefiction „Kamikaze 1989“, der eine von einem namenlosen Medienkonzern beherrschte, in naher Zukunft liegende Welt zeigt. Der Film fußte auf einem Roman des weltbekannten Kriminalschriftstellers Per Wahlöö.

Obwohl in Berlin und Düsseldorf gedreht, vermittelt der Film den Eindruck einer Großstadt wie Frankfurt. An dem alles beherrschende Medien-Konzern prangt ein Emblem, das dem einer bekannten deutschen Großbank sehr nahe kommt. Immerhin kann der ebenfalls namenlose Chef des Konzerns (Boy Gobert) für sich beanspruchen, 99% Einschaltquote erreicht zu haben. Zudem beherrscht er als „postmoderner“ Hugenberg über die Presse. Überall sind die Programme des Konzerns präsent: In der Disko, auf den Straßen usw. Allein, unter den einem Prozent Menschen, die sich dem Konzern und seinem allmächtigen Programm entziehen, scheint es auch Gewalttäter zu geben, die dem Medien-Macht-Multi den Garaus machen wollen. Eine Bombendrohung samt Ankündigung, man wolle sich für einen Mord rächen, ruft die Polizei auf den Plan. Der todkranke, im Rollstuhl sitzende Polizeipräsident (Arnold Marquis), der von einer Krankenschwester (Juliane Lorenz, letzte Lebensgefährtin von Fassbinder) gepflegt und gehegt wird, schickt seinen Paradebullen, Polizeileutnant Jansen (Rainer Werner Fassbinder) ins Feld, sprich: zum Konzern. Jansen kann immerhin mit einer Aufklärungsquote von 100% aufwarten.

Empfangen von der in Blau gekleideten Personaldirektorin (Brigitte Mira) und dem psychopathisch wirkenden, des öfteren hämisch lachenden Vizepräsidenten (Jörg Holm), zu denen sich noch der Neffe des Präsidenten (Richy Müller) gesellt, nimmt Jansen seine Ermittlungen auf, während eine gewisse Barbara (Nicole Heesters) über die Kanäle nur gutes Wetter zu verkünden hat.

Eine Bombe sei in dem von 4.100 Angestellten bevölkerten Konzernkomplex deponiert und solle am 13.9. um 14 Uhr detonieren. Der aalglatte, sich seiner Macht bewusste, doch immer freundlich und zuvorkommend wirkende Chef wiegelt ab, stimmt aber schließlich doch einer Evakuierung des Gebäudes zu. Als dann die Personaldirektorin mir nichts dir nichts nach einem Fenstersturz tot vor dem Gebäude liegt, scheint es für Jansen kompliziert zu werden. War das ein Unfall oder Mord? Als der Konzernchef ausgerechnet seinen Neffen als vermeintlichen Täter präsentieren und der Polizeipräsident den Fall ad acta legen will, durchschaut Jansen das Spiel, das man mit ihm treiben will, kommt aber zunächst keinen Zentimeter weiter.

Aber Jansen wäre nicht Jansen, würde er sich durch seinen Vorgesetzten lahm legen lassen. Er ermittelt weiter und unterbricht eine Weile den Kontakt zum Polizeipräsidenten. Zusammen mit seinem Kollegen Anton (Günther Kaufmann) kommt er auf die Spur einer verschwörerischen Gruppe, in deren Machenschaften auch die Ex-Geliebte des Chefs, die schöne Elena (Petra Jokisch), sowie die Wetter-Fee Barbara verwickelt sein könnten. Auch ein gewisser Zerling (Hans Wyprächtiger), der genauestens über den Konzern Bescheid zu wissen scheint, und ein Ex-Angestellter des Konzerns namens Weiss (Franco Nero) scheinen mehr zu wissen, als sie zunächst sagen wollen.

Für Jansen wird es eng. Denn dem Konzernchef ist er inzwischen eher lästig geworden. Und zwei bewaffnete, maskierte Gestalten schießen auf ihn und Anton. Und noch etwas: Alle munkeln von einem angeblichen 31. Stock im Konzerngebäude, das offiziell nur 30 Stockwerke haben soll ...

Gremm entfacht ein teilweise grelles, auf jeden Fall aber farbenfrohes Sciencefiction-Theater, das in der Ausstattung und vor allem in den Personen an jene Comics erinnert, die man nicht allzu ernst nehmen kann, aber auch nicht nur für reine Fiktion halten sollte. Die Figuren sind überzeichnet, während die Handlung durchaus ihre realistische Berechtigung hat. Dafür spricht schon Per Wahlöö, dessen Romane sicherlich in den Bereich der seriösen Schriftstellerei mit ebenso ernsthaftem Hintergrund gehören. Das Schrille der Gremmschen Inszenierung kann darüber nicht hinwegtäuschen, eher im Gegenteil. Das Parodistische der Inszenierung, durch das einerseits die Machtgelüste und totalitären Eigenheiten einer medial überformten und beherrschten Gesellschaft in den Bereich der Groteske „verbannt“ werden, während andererseits gerade dadurch die Gefahren visuell vermittelter Machtphantasien umso deutlicher werden – dieses Parodistische lässt in allen Figuren Gutes wie Böses zum Vorschein geraten, oder eben das letztlich Lächerliche der Macht.

Gremm setzt in den Mittelpunkt der Handlung den bizarren Polizeileutnant Jansen – und damit den Schauspieler Rainer Werner Fassbinder (übrigens in seiner letzten Rolle vor seinem Tod im selben Jahr am 19. Juni 1982; der Film kam erst nach seinem Tod in die Kinos). Fassbinder nahm seine Rolle ernst und hörte auf den Regisseur, ohne sich in dessen Kompetenzen einzumischen. Die beiden Freunde Gremm und Fassbinder kamen – so auch der Eindruck nach Sicht eines Specials auf der 2005 erschienenen DVD – exzellent miteinander aus, was dem Film mehr als gut bekam. Und Fassbinder gab sein Bestes: Im Ganzkörper-Leoparden-Look dieses erfolgreichen Bullen – selbst sein Taschentuch trägt das Muster besagten Tieres – geht der Schauspieler voll auf. Ein Eigenbrötler, der sich bei seinem Chef nur meldet, wenn er Lust hat, ein eigener Kopf, der ermittelt, wie er will. Ein Alkoholiker dritten Grades, der kaum etwas mit seinen eher kleinbürgerlich wirkenden Kollegen gemein hat.

Einer eben, der seine „Kundschaft“ kennt, wie einer aus dem kriminellen Milieu wirkt, ein bisschen arrogant, aber nicht zu viel, ein bisschen geckenhaft, aber auch in Maßen. Ein Exzentriker par excellence, der sich jedoch sicher von niemandem bestechen ließe; das ginge ihm gegen die Hutschnur. Einer, für den Gewaltanwendung ein Mittel zum Zweck ist, und dabei ist er nicht gerade zimperlich – etwa wenn er einen Verdächtigen durch laute Musik fast zum Wahnsinn treibt oder sich mit einem Absperrbrett auf dem Dach des Konzerns eines Verfolgers entledigt, der in die Tiefe stürzt.

Gremm holte für diese Parodie noch andere Schauspieler in sein Ensemble, die in den Jahren zuvor oft in Fassbinder-Filmen zu sehen waren, vor allem Günther Kaufmann, Brigitte Mira und auch Juliane Lorenz. Franco Nero, den Fassbinder bei den Dreharbeiten kennen lernte, sollte in seinem letzten Film „Querelle“ eine Hauptrolle bekommen, und auch mit Boy Gobert hatte er schon in Daniel Schmids „Schatten der Engel“ 1976 zusammengearbeitet.

Die Geschichte selbst beinhaltet im Kern ein Komplott des eiskalten Konzernchefs, das die letzten unabhängig (von den Intentionen des Medienriesen) denkenden Intellektuellen ausschalten sollte, die sich nun nach den nicht ganz erfolgreichen Versuchen, sie auf diese Weise kaltzustellen, rächen wollen. Dabei kommt dem italienischen Star-Schauspieler Franco Nero in der Rolle des Weiss (Neros erste Rolle in einem deutschen Film) eine zentrale Bedeutung zu. Damit zeigt Gremm auch in durchaus kritischer Absicht die Unfähigkeit der Intellektuellen, der Macht etwas Wirksames entgegenzusetzen. Franco Neros Weiss, in eine Uniform gekleidet, so dass man ihn fast für einen vergessenen Angehörigen der deutschen Wehrmacht halten könnte, verbirgt sich, schweigt, verdeckt seine Unfähigkeit gegenüber der Macht des Medienkonzerns hinter der Fassade des intellektuellen, leicht elitären Sonderlings, der nur noch in der anonymen Drohung ein Mittel sieht, dem Konzernchef Paroli zu bieten, dem er und andere zuvor abgenommen hatten, sie sollten eine neue Aufklärung des Volkes initiieren. Auch diese Dummheit, dem Konzernchef auf den Leim gegangen zu sein, rächt sich in der Pose des verkleideten „Spinners“.

Für heutige Sehgewohnheiten wirkt „Kamikaze 1989“ vielleicht etwas zu schrill. Doch nach zweimaligem Sehen des Films muss ich gestehen, dass ich solche Filme heute eher vermisse.