L’Amour
(L’Amour, l’argent, l’amour)
Deutschland, Frankreich, Schweiz 2000, 128 Minuten
Regie: Philip Gröning

Drehbuch: Philip Gröning, Michael Busch
Musik: Velvet Underground, Snow Patrol, Calexico, Wardance, Mozart, Yo La Tengo, Fred Frith, Buschkühn, Darlene Hofner
Director of Photography: Sophie Maintigneux, Max Jonathan Silberstein
Montage: Max Jonathan Silberstein, Valdis Oskarsdóttir
Produktionsdesign: Peter Menne

Darsteller: Sabine Timoteo (Marie), Florian Stetter (David), Dierk Prawdzik (Zuhälter), Gerhard Fries (Clochard), Thomas Gimbel (Taxifahrer), Michael Schech (Wurstbudenbetreiber), Marquard Bohm (Vorarbeiter Schrottplatz), Helmut Rühl (Schrottplatzchef), Meral Perin (Kollegin Mary), Julia Lindig (Pensionswirtin), Mia Moser (Peepshow-Kollegin), Lothar Kompenhans (Wachmann), Heiner Stadelmann (Witwer)

Mit viel Schwung scheitern

Gibt es so etwas wie die „deutsche Befindlichkeit“, die „deutsche Seele“, das „deutsche Selbstmitleid“, das „deutsche Klagen“? Ich weiß es nicht. Aber nach Philip Grönings („Die Terroristen“, 1992) Wechselbad von Liebe, Geld und Liebe glaube ich fast und fast fest daran. Hoch gelobt als Parabel über die Ökonomie des Geldes und der Liebe und als doppelt belichteter Roadmovie mit Großaufnahmen von zitternden Körpern und Seelen (so nachzulesen in „taz“ und „Tagesspiegel“) kochen manche Filmkritiker vor Begeisterung. Ich nicht. Ich friere – und das entspricht der winterlichen Stimmung des Films, der an Sylvester beginnt und in der kalten Bretagne endet.

Marie, eine (sehr) junge Frau, hat eine kleine Wohnung und verdient sich ihr Geld mit Prostitution. Irgendwann sagt sie einmal, dass sie keine Lust hat, für neun Mark fünfzig als Kassiererin zu arbeiten. Der ebenso junge David (eigentlich Bruno, aber den Namen mag er überhaupt nicht) (Florian Stetter) hat auf dem Schrottplatz gearbeitet, den Job gerade verloren, und hetzt an Sylvester wütend mit dem Fahrrad nach Hause. Ein Sturz, ein gebrochener Arm, fast rennt er Marie über den Haufen. So lernen sich beide kennen. Sie will ihn mitnehmen, als Kunden, er hat überhaupt keine Lust will allein sein. Beide übernachten bei Marie.

Am anderen Morgen verkündet David, er wolle „weg“. Sie solle mitkommen. Sie will nicht, hält ihn für einen Spinner. Er geht. Aber er kommt immer wieder an den Straßenstrich, schreibt ihr seine Adresse auf. Sie erkennt, dass er kein Typ ist, den man vom Strich mitnimmt.

So weit, so gut.

Sie denkt ausschließlich an schnelles Geld. Deshalb arbeitet sie als Prostituierte. Er denkt zunächst an nichts. Dann an sie. Er verliebt sich in Marie. Beide fahren mit ihrem Auto los. Er ohne Geld, sie mit Geld. Er will Liebe, sie will Geld. Ihm ist Geld unwichtig. Sie kann keine Liebe gebrauchen bei ihrem Job. Was beide zunächst zusammenbringt, ist aber Geld. Ohne Geld (vor allem Benzin und Essen) kein „Weg hier“.

Der erste Versuch scheitert: Er will nicht, dass sie auf den Strich geht. Beide probieren die bürgerliche Existenz. Sie bleibt daheim, er arbeitet zwölf Stunden auf einem Schrottplatz, fast einarmig (wegen seiner Verletzung). Das funktioniert nicht. Sie langweilt sich, er bringt wenig Geld nach Hause. Zweiter Versuch: Er bleibt im Bad, wenn sie jobbt, das, was sie „gelernt“ hat. Sie empfängt Kunden, die er ihr teilweise besorgt. Im Bad wird’s ihm zu langweilig. Um sie vor möglichen gefährlichen Kunden zu schützen, verlässt er das Bad und baut eine Alarmvorrichtung, die er von der Würstchenbude vor dem Hochhaus sehen kann. Die versagt, als ein brutaler Zuhälter Anteil am Kuchen der beiden will, Marie vergewaltigt und David zusammenschlägt.

Dritter Versuch. Beide flüchten vor dem Zuhälter via Paris in die Bretagne. Durch eine Dummheit gerät beider Auto in Brand. Beide können sich gerade noch retten und brechen in eine Strandhütte ein. Sie besitzen nichts als ihre teilweise zerrissenen Kleider am Leib. Marie hat noch eine Reserve, einen 500-Mark-Schein im Halsband ihres Hundes, der die beiden ständig begleitet. Sie nimmt den Schein und verbrennt ihn im Feuer, das beide wärmen soll. Ende.

Ein Film über die Ökonomie des Geld und der Liebe. Ho Ho Ho!! Ein Film über zwei Kinder, die noch nicht erwachsen sind. Ha Ha Ha! Ein Film über ein bestimmtes Milieu. Hi Hi Hi! Tut mir leid, dass ich bissig werde. Aber Grönings Film ist Langeweile über gute zwei Stunden. Die Quintessenz der Geschichte ist, dass sie keine hat. Die Logik der Handlung ist, dass sie keine hat. Die Geschichte ist eine Geschichte, die keine Geschichte ist. Die Personen sind Charaktere, die keine Charaktere sind. Da rackern sich Sabine Timoteo und Florian Stetter zwei Stunden lang wie die wild gewordenen Epigonen des Drehbuchautors ab, als ob es um ihr Leben ging, aber es geht nicht um ihr Leben. Da verschwendet Timoteos Marie ihre Zeit in etlichen Bettszenen mit unzähligen Freiern, um Geld zu verdienen, es auf ihr Konto einzubezahlen und gleich danach wieder per Karte abzuheben, um Grönings simple Symbolik von einem gefüllten Konto als Ausdruck des „Angekommenseins“ zu untermauern – und es wirkt nur lächerlich und kindisch.

Einer ihrer Freier, ein älterer Mann (Heiner Stadelmann) ist anders als die anderen. Er verlangt von Marie, ein Kleid anzuziehen, dass seiner Frau gehört hat. Er will nicht mit Marie schlafen, sondern im Kleid noch einmal spüren, wie es war, seine Frau zu umarmen. Er trauert. Gröning will damit was anderes: Symbolik! Welch enorme Symbolkraft, wenn Marie an diesem alten Mann erkennt, wie wichtig Liebe ist!! Sie ist hin und weg. Der entscheidende Punkt von der „Ökonomie des Geldes“ zu der der Liebe?

Ebenso David. Zu Geld gekommen durch die Prostitution kauft er sich Cowboystiefel, eine Pistole, ein goldenes Armband und verpasst sich statt seiner langen schwarzen Haare einen blonden Kurzhaarschritt. Ein mehr als aufdringlicher Hinweis auf die Annäherung von Geld und Liebe. Irgendwann schießt er mit dem Revolver im Bad, während Marie einen Kunden hat, ins Waschbecken. Was bitte soll das? Bin ich zu blöd, um das zu verstehen?

Und der Hund namens Kurt, der arme Kerl, ist immer dabei. Er wird uns so offensichtlich und bewusst und aufdringlich als Schutzengel der beiden Hauptdarsteller – Nebendarsteller sind unwichtig wie überhaupt der Rest der Welt – präsentiert, dass man manchmal am liebsten schreien möchte: Ja, Herr Gröning, ich habe es ja verstanden!!

Und weiter geht’s mit der Symbolik. Die anderen feiern Sylvester, die beiden Helden haben nichts zu feiern. Die eiskalte Winterlandschaft, der weiße Schnee, die Unschuld und die Schuld ... er ist einfach nur eine Qual, dieser Film.

Und als ob das alles nicht reichen würde, überschwemmt Gröning die triste Geschichte mit wackelnder Handkamera (ist modern), spärlichen bis unbeholfenen Dialogen (ist modern?), Licht- und Überblendungseffekten, Doppelbelichtungseffekten, Zeitrafferaufnahmen (ist alles modern) und der Musik von Velvet Underground u.a., um uns so richtig in Stimmung zu versetzen für eine theatralisch überdehnte und letztendlich nichtssagende Geschichte von Befindlichkeit, Seele, Selbstmitleid, Wehklagen und einem puritanischen Ende mit viel Liebe und keinem Geld. Amen und Ende.

Eine intellektuelle Fehlleistung, die ihresgleichen sucht.

© Bilder: Epix Media