Lola + Bilidikid
(Lola + Bilidikid)
Deutschland 1999, 90 Minuten
Regie: E. Kutlug Ataman

Drehbuch: E. Kutlug Ataman
Musik: Arpad Bondy
Director of Photography: Chris Squires
Montage: Ewa J. Lind
Produktionsdesign: John Di Minico

Darsteller: Gandi Mukli (Lola), Baki Davrak (Murat), Erdal Yildiz (Bilidikid), Michael Gerber (Friedrich), Inge Keller (Ute), Murat Yilmaz (Iskender), Hasan Ali Mete (Osman, Murats Bruder), Hakan Tandogan (Fatma Souad), Chihangir Gümüstürkmen (Lale Lokum), Celal Perk (Sherazat), Mesut Özdemir (Kalipso), Willi Herren ( Rudy), Mario Irrek (Hendryk), Jan Andres (Walter)

Standpunkt-Mentalität statt Drama

Berlin-Kreuzberg, Türke, schwul, Szene – aus solchen Stoffen werden gute Filme gemacht, es sei denn, man zaubert daraus einen überladenen und mit Abziehbildern geradezu überfrachteten Mix, der wenig überzeugen kann. Für manche gilt „Lola + Bilidikid“ inzwischen als Kult. Sicher, der Film ist keiner der üblichen Coming-Out-Streifen mit psychoanalytischer Selbstbeweihräucherung. Trotzdem will er gefallen. Er drückt und drückt und drückt auf das Verständnis des Publikums, dass man eigentlich gar nicht mehr anders kann als: Verständnis haben. Oder heucheln?

Murat (Baki Davrak) ist ein 17jähriger Türke und schwul. Er treibt sich herum in der Transvestiten- und Schulenszene in Kreuzberg. Seine Mutter liebt ihren Sohn, hält zu ihm, was da auch kommen mag. Murats Bruder Osman (Hasan Ali Mete) hingegen will aus ihm einen „richtigen Mann“ machen, fährt mit ihm auf den Strich, damit Murat bei einer Prostituierten lernt, was ein „richtiger Mann“ zu lernen hat. Murat entzieht sich dieser Prüfung.

Zur Szene gehören auch Lola (Gandi Mukli) – der als Transvestit auftritt – und sein Freund Bilidikid, eigentlich Bili (Erdal Yildiz) – ein wahrer Billy the Kid, ein in Leder gehüllter Macho, der mit Lola schläft, aber von einer „normalen“ Familie träumt und von Lola deren Geschlechtsumwandlung verlangt. Lola hat andere Sorgen. Er wurde aus seiner Familie ausgestoßen, Murat ist sein Bruder. Und auf Anraten Bilidikids sucht er Murat.

Murat hat auch andere Probleme, als sich von Osman drangsalieren zu lassen. Drei deutsche Neo-Nazis prügeln ihn in der Toilette und verfolgen ihn ständig. Als er erfährt, dass Lola sein Bruder ist, spitzen sich die Konflikte zu. Er erfährt den Grund für die Vertreibung Lolas. Osman ist daran wesentlich beteiligt.

Als Lola tot im Wasser gefunden wird, kommt es zu einer Katastrophe ...

Ataman taucht seine Geschichte in düstere, trostlose, teilweise sehr beeindruckende Bilder einer Stadt bzw. eines Stadtteils, in der Hoffnungslosigkeit, aber auch verzweifeltes Bemühen um eine Verwirklichung der Träume von einem besseren Leben und das Scheitern zentrale Momente sein sollen. Leider übertreibt er es aber auch manchmal. Die Frittenbude mit verständnisvoller deutscher Besitzerin, die immer wieder gezeigten trostlosen Straßenbilder und das Verharren in Kreuzberg, als ob das ein eigenständiger Ort sei, völlig abgekapselt von der „Außenwelt“, sind manchmal zu viel des Guten.

Darüber könnte man noch hinwegsehen, wenn die Geschichte selbst nicht völlig überfrachtet und überdramatisiert wäre. Die Ausgangssituation zweier Brüder, beide schwul, die sich nicht kennen, und eines weiteren Bruders, der Dreck am Stecken hat, taugt sicherlich für ein spannendes Drama. Dass Ataman dieser Konfliktsituation allerdings nach Art eines Westerns oder Thrillers einen tödlichen Showdown verpasst, wirkt völlig aufgesetzt. Nicht nur das. Den Figuren fehlt es an glaubwürdigen Konturen, an Reiz. Murat, Lola und Bilidikid stehen für etwas, versprühen aber keinen eigenen Charakter, sind phantasielos gezeichnet nach dem Motto: Sehr her, so geht es schwulen Türken in Kreuzberg.

Als Murat, weil er ihm Geld schuldet, von Bilidikid aufgefordert wird, mit einem deutschen Schwulen, der gerade auf der Suche nach einem geeigneten „Objekt“ ist, in die U-Bahn-Toilette zu gehen, damit der Murat einen blasen kann, geht Murat ohne zu zögern mit. Ataman zeigt Murats interesseloses Gesicht in der Toilette. Nicht, das so etwas nicht vorkommen würde, aber im Film steht es wieder mal „für etwas“. Seht her, und so weiter.

Ataman verbreitet Botschaften statt eine Geschichte glaubwürdig zu erzählen. Alles wirkt wie auf eine Katastrophe hin geschnitzt. Kreuzberg erscheint am Schluss wie Dodge City, das von Gesetzlosen tyrannisiert wird und wo alles möglich zu sein scheint. Die drei deutschen Neo-Nazis haben noch weniger Konturen als ihre türkischen Gegenüber. Und nicht zuletzt Murats Mutter hat Ataman eine Rolle der Inkompetenz, eine reine Statistenrolle zugedacht, die dann aber am Schluss obendrein für etwas herhalten muss: Als sie von Osmans Schuld erfährt, geht sie auf die Straße und wirft ihr Kopftuch weg. Das ist schwer zu ertragen, weil es aus ihrer Rolle her nicht verständlich ist, ein willkürlicher, aufgesetzter Akt, eine Art „Standpunkt“-Mentalität, die das Drehbuch hier offenbart.

Dem allem wird dazu noch eine zweite Geschichte untergebuttert, die mit der Haupthandlung nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Ein Freund Lolas aus der Szene, Iskender (Murat Yilmaz), beginnt ein Verhältnis mit dem schwulen Architekten Friedrich (Michael Gerber), dem seine aristokratische Mutter Ute (Inge Keller) ständig auf der Pelle sitzt, um ihn dazu zu bewegen, in ihre Villa zu ziehen. Iskender nutzt die Beziehung zu Friedrich, leiht sich ohne Erlaubnis dessen Superschlitten aus. Friedrich will, dass seine Mutter Iskender als seinen Partner (oder was auch immer) akzeptiert. Er bittet Iskender, Ute nach Hause zu fahren. Ute versucht, durch Bestechung mit einem teuren Ring Iskender von Friedrich fernzuhalten. Der reagiert aggressiv und schmeißt den Ring aus dem Fenster. Vor der Villa angelangt, dreht Ute sich noch einmal um und bittet Iskender um Verzeihung, nimmt ihn in den Arm – und fordert ihn in typisch aristokratischem Ton auf, ihre Koffer ins Haus zu tragen. Eine wunderschöne Szene, in der die Theater-Diva Inge Keller glänzt. Der Film hätte mehr davon gut ertragen. Doch leider gehört diese Episode nicht zur Haupthandlung, der es an ähnlich überzeugender Kraft fehlt.

Botschaften sind etwas Feines. In Filmen jedoch degenerieren Botschaften zumeist (kontraproduktiv) zu Kitsch, Rührseligkeit oder falschem Verständnis. Das genau geschieht hier. Dem Film fehlt es an einer überzeugenden Atmosphäre, alles wirkt gestylt, aber nicht echt, die Figuren sind eher Charaktermasken, als dass sie Charakter hätten. Kreuzberg verkommt zum Ort solcher Botschaft. Da weiß ich nicht so genau, ob Ataman den schwulen Türken wirklich einen Gefallen getan hat.


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