Lushins Verteidigung
(The Luzhin Defence)
Großbritannien, Frankreich 2000, 112 Minuten
Regie: Marleen Gorris

Drehbuch: Peter Berry, nach dem Roman von Vldadimir Nabokov
Musik: Alexandre Desplat
Director of Photography: Bernard Lutic
Montage: Michiel Reichwein
Produktionsdesign: Tony Burrough

Darsteller: John Turturro (Alexander Luzhin), Emily Watson (Natalia), Geraldine James (Vera), Stuart Wilson (Valentinov), Christopher Thompson (Stassard), Fabio Sartor (Turati), Peter Blythe (Ilya), Orla Brady (Anna), Mark Tandy (Luzhins Vater), Kelly Hunter (Luzhins Mutter), Alexander Hunting (Der junge Luzhin), Luigi Petrucci (Santucci)

Liebe, Schicksal, Vergangenheit, Trugbilder

Marleen Gorris („Antonias Welt“, 1995; „Die letzte Insel“, 1990) wagte sich an Vladimir Nabokovs Roman, in dem es um die Liebe zwischen einem Schachgenie und einer jungen russischen Frau geht, aber auch um die Folgen von Sucht und die Übergänge zwischen Genie und Wahnsinn.

Alexander Luzhin (John Turturro) reist 1929 nach Norditalien, um an einem Schachturnier gegen den italienischen Schachgroßmeister Turati (Fabio Sartor) teilzunehmen. Zur selben Zeit befindet sich die junge Russin Natalia (Emily Watson) in dem Hotel, in dem auch Luzhin abgestiegen ist. Ihre Mutter Vera (Geraldine James) will Natalia unbedingt mit einem reichen Mann verkuppeln. Der Comte de Stassard (Christopher Thompson) erscheint ihr der geeignete Ehemann – gut aussehend, höflich, zuvorkommend und natürlich reich.

Natalia allerdings interessiert sich mehr für das seltsame Schachgenie. Luzhin verhält sich oft abwesend, lebt offenbar ausschließlich in der Welt des Schachs, achtet nicht auf sein Äußeres – aber vor allem: Als er Natalia das erste Mal bewusst begegnet – sie trägt ihm eine gläserne Schachfigur hinterher, die ihm aus der Hosentasche gefallen ist –, kann Luzhin seinen Blick nicht mehr von Natalia abwenden. Sie fasziniert ihn. Kurz darauf macht er ihr, als sie gerade Tennis spielt, einen Heiratsantrag. Natalia ist überrascht, kann ihre Freude aber kaum verhehlen. Sie werde ihm so schnell antworten, wie er seinen Heiratsantrag gemacht habe, ohne auch nur zu wissen, wie sie heißt, geschweige denn mehr.

Luzhin scheint nur über Schach sprechen zu können. Tanzen könne er noch, erzählt er Natalia. Die ist ebenso fasziniert von dem merkwürdigen Mann wie er von ihr. Sie beschließt, seinen Heiratsantrag anzunehmen – zum Entsetzen ihrer Mutter.

Dann allerdings taucht nicht nur Natalias Vater auf, den Vera zu Hilfe gerufen hat, sondern auch Valentinov (Stuart Wilson) – der langjährige Schachlehrer Luzhins. Als Luzhin ihn bemerkt, kann er sich nicht mehr auf das Schachspiel konzentrieren. Der Kampf mit Turati scheint schon verloren. Die Beziehung zwischen Luzhin und Valentinov war keineswegs so rosig, wie Valentinov gegenüber Natalia behauptet. Im Gegenteil: Er ist gekommen, um Luzhin zu demütigen, zu erniedrigen, den Sieg über Turati zu verhindern ...

Marleen Gorris erzählt die tragische Geschichte eines Mannes, der sich bereits in seiner Kindheit dazu getrieben sah, sich ausschließlich auf das Schachspiel zu konzentrieren. In etlichen Rückblenden wird die schwierige Beziehung seiner Eltern (Kelly Hunter und Mark Tandy) beleuchtet. Sein Vater fühlte sich zur Schwester seiner Frau Anna (Orla Brady) mehr hingezogen als zu seiner Frau. Dasselbe schien für den jungen Alexander (Alexander Hunting) zu gelten. Alexander wollte nicht in die Schule, hatte keine Freunde, spürte die Probleme seiner Eltern und sah plötzlich im Schach einen Ausweg für sein Dilemma. Als seine Mutter stirbt, versenkt er sich aus Schuldgefühlen noch mehr in das Schachspiel. Dann tauchte plötzlich Valentinov auf, der seine Chance erkannt hatte, mit Alexander viel Geld zu verdienen.

Zehn Jahre lang hielt Valentinov Luzhin in seiner Abhängigkeit; dann ließ er ihn nach mehreren Misserfolgen fallen. Jetzt will er sich rächen, als er sieht, wie Alexander wieder auf die Beine kommt.

Mit dieser tragischen Biografie trifft ein fast schon autistisch zu bezeichnender Mensch auf die Liebe einer Frau, die nicht irgendeinen x-beliebigen reichen Charmeur zum Mann will. Natalia ist fasziniert von Luzhin, der ihr keine Komplimente macht, der sie liebt, ohne ihre Geschichte zu kennen, der ihr sagt, genau auf sie habe er sein Leben lang gewartet und dies in jeder Hinsicht ernst meint. Beide allerdings unterschätzen, wie stark die Abhängigkeit, die Schach-Sucht Alexanders ist. 9.263 Tage, vier Stunden und fünf Minuten spiele er jetzt Schach, antwortet er auf eine Frage Natalias. Die versucht Luzhin zu helfen, wo immer es geht. Sie setzt ihre Liebe ein gegen die Intrige Valentinovs. Sie versucht Luzhin zu überzeugen, dass sie auch ohne Schach ein glückliches Leben führen können.

Gorris spielt mit diesen unterschiedlichen und von beiden nur schwer erkennbaren Erwartungshaltungen, die zwei unterschiedlichen Welten zu entstammen scheinen. Das allerdings ist trügerisch. Während Luzhin sich am Schach, an der Mathematik, an der Logik, der Perfektionierung des Spiels festklammert, um der Kindheit zu entkommen, flüchtet Natalia vor der Fremdbestimmung durch Konventionen – vor allem repräsentiert durch ihre Mutter – in eine Welt der einzigartigen Emotion: Luzhin ist für sie eine Singularität. Für Luzhin ist Natalia vor allem die emotionale Erinnerung an seine Tante Anna, die er mehr geliebt hat als seine Mutter. In dieser engen Schleuse treffen sich die Liebenden. Aber weder die Welt der Konvention und der Intrige, noch die Vergangenheit lassen beiden eine Chance. Luzhins Verteidigung kennt nur einen Ausweg.

John Turturro glänzt in der Rolle des Schachgenies, besser als beispielweise Russell Crowe in „A Beautiful Mind“ als Nobelpreisträger John Nash. Er verdeutlicht die Ausweglosigkeit eines Mannes, der seiner Vergangenheit nicht entrinnen kann, auch nicht durch die Hilfe und Liebe Natalias dazu in der Lage ist. Emily Watson hätte für ihre Rolle der Natalia einen Oscar verdient. Sie ist überzeugend in der Rolle einer Frau, die sich nicht an irgendwelche Vorgaben halten will, einer Frau mit unbändigem Willen und der Fähigkeit zu bedingungsloser Liebe.

Marleen Gorris ist großartiges Erzählkino gelungen. Selbst in Unkenntnis des Romans von Nabokov schildert sie eindrücklich das Schicksal zweier Menschen, deren Biografien nicht „zusammenkommen“ können, weil es ihre Umwelt und ihre Vergangenheit nicht zulassen und Luzhin die Kraft und die Fähigkeit fehlt, seiner autistisch-süchtigen Lebensweise zu entrinnen.