Luther
(Luther)
Deutschland 2003, 121 Minuten
Regie: Eric Till

Drehbuch: Camille Thomasson, Bart Gavigan
Musik: Richard Harvey
Director of Photography: Robert Fraisse
Montage: Clive Barrett
Produktionsdesign: Rolf Zehetbauer

Darsteller: Joseph Fiennes (Martin Luther), Alfred Molina (Johann Tetzel), Bruno Ganz (Pater Johann von Staupitz), Jonathan Firth (Girolamo Aleandro), Peter Ustinov (Friedrich, der Weise), Claire Cox (Katharina von Borg), Uwe Ochsenknecht (Papst Leo X.), Benjamin Sadler (Georg Spalatin), Jochen Horst (Professor Karlstadt), Torben Liebrecht (Kaiser Karl V.), Mathieu Carrière (Kardinal Jakob Cajetan), Marco Hofschneider (Ulrich), Maria Simon (Hanna), Herb Andress (Gunter), Lars Rudolph (Philip Melanchthon)

Voll daneben gelangt

Zweifellos ist es ein schwieriges Unterfangen, einer Person wie Martin Luther in einem Spielfilm gerecht zu werden – zumal es in solchen Fällen nie nur um Bedeutung der Person, sondern auch um die historischen gesellschaftlichen und politischen Umstände ihres Wirkens geht – bzw. gehen müsste. Aber gerade in diesem Punkt ist Eric Tills Versuch, den Reformator filmisch „zu fassen”, gnadenlos gescheitert. Man kann sich lange darüber aufregen, dass Joseph Fiennes nun so gar keine Ähnlichkeit mit dem kleinen, dicken Mann hat, der – übrigens nicht allein und nicht als einziger Reformator – einige Unruhe in das 16. Jahrhundert gebracht und die Allmacht der römisch-katholischen Kirche – ebenfalls nicht allein – gebrochen hat. Viel schwerwiegender sind die historischen Unkorrektheiten und nicht haltbaren Aussagen, die den Film kennzeichnen, und eine Darstellung der Person Luthers, die dem, was man über den Reformator weiß, kaum gerecht werden kann.

Was der Film zeigt bzw. andeutet, sind biografische Notizen, die in eine Handlung eingebettet sind, über die man das Urteil „rein äußerliche Darstellung” fällen muss. Der Film (1483-1546) beginnt mit dem Bekehrungserlebnis während eines Unwetters 1505, Luthers Versetzung an die Universität zu Wittenberg 1508, Luthers Tätigkeit als Doktor der Theologie ab 1512, kreist dann um seine zentrale Glaubensfrage nach dem gnädigen Gott und führt schließlich vor, wie Luther durch den Anschlag von 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg am 31.10.1517 gegen den so genannten Ablasshandel des geschäftstüchtigen Ablasskommissars des Erzbischofs von Mainz, Tetzel (Alfred Molina), wettert. Diese Thesen verbreiten sich schnell in allen deutschen Landen. Die daraufhin erfolgte Vorladung Luthers nach Rom führt nicht dazu, dass Luther mundtot gemacht werden kann. Die Auseinandersetzung um die bevorstehende Kaiserwahl (1519 wird Karl V. (1) zum Kaiser gewählt) und Luthers Schutz durch Kurfürst Friedrich den Weisen (1486-1525, im Film: Peter Ustinov) veranlassen Papst Leo X. (im Film Uwe Ochsenknecht) zum vorübergehenden Einlenken.

Luthers Vorladung vor den Reichstag Worms 1521 (2), auf dem er die Aussagen in seinen kritischen Schriften vor dem Kaiser nicht widerruft („Hier stehe ich, ich kann nicht anders”) führt nicht zu seiner Verhaftung. Durch Flucht entzieht er sich dem Zugriff kaiserlicher respektive päpstlicher Schergen. Seine Schriften verbreiten sich rasant, insbesondere „An den christlichen Adel deutscher Nation: von des christlichen Standes Besserung”, in der er für Reformen im Verhältnis zwischen Kaiser und Reichsständen eintritt, „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche”, in der Luther von den sieben Sakramenten nur zwei gelten lässt, Taufe und Abendmahl, und „Von der Freiheit eines Christenmenschen”, in der er ausführt, dass Freiheit nur im Glauben als Gnade Gottes erfahren werden könne. Luthers Übersetzung der Bibel aus dem griechischen Urtext unter dem Schutz des Kurfürsten Friedrich des Weisen auf der Wartburg nach 1521, seine Heirat mit der ehemaligen Nonne Katharina von Bora (Claire Cox) 1525, und damit der bewusste und offene Bruch mit dem Zölibat, werden im Film ebenso angesprochen wie Luthers Entsetzen über die Bauernaufstände 1525 und deren Niederschlagung.

Was im Film noch einigermaßen realistisch dargestellt wird, ist Luthers Kritik an der päpstlichen Allmacht, als „Stellvertreter Christi auf Erden” zu bestimmen, wie die Bibel auszulegen ist und der Glauben auszusehen habe, und Luthers Angriff auf ein Papsttum, das sich längst in Geschäft und Politik verstrickt hatte, statt im Glauben zu leben. Insgesamt gesehen jedoch reduziert Eric Till die Darstellung der Person Luthers eben auf die Auseinandersetzung um diese Glaubensfragen und damit die Reformation auf eine religiöse Angelegenheit, was sie auch, aber weiß Gott nicht nur war.

Und gerade hier ist der Film schlecht. Das 16. Jahrhundert war geprägt durch die zunehmenden Konflikte zwischen der kaiserlichen, dynastischen Macht und den Reichsständen, den Fürsten, Kurfürsten, Bischöfen. Viele Landesherren, die sich auf die Seite Luthers stellten, taten dies nicht aus rein religiösen Motiven. Es ging um Macht. Diese Auseinandersetzungen zogen sich hin bis ins 17. Jahrhundert, in dem 1648 durch den Westfälischen Frieden die kaiserliche Macht letztlich in ihre Schranken verwiesen wurde. 1648 markierte einen Punkt, ab dem Territorialstaaten zunehmend an Bedeutung gewannen und der Einfluss kaiserlicher und päpstlicher Macht nach und nach gebrochen wurden. Diese Territorialstaaten waren eine Voraussetzung für die spätere Entstehung von Nationalstaaten, die andere die damit verbundene Rechtseinheit auf dem Gebiet jedes Territorialstaats.

Im 16. Jahrhundert ging es nicht um Demokratie und Menschenrechte, wie der Film manches Mal nahe legt. Diese Begriffe waren den einflussreichen Kräften, ja selbst den aufständischen Bauern 1525 fremd. Luther war kein Demokrat. Gerade seine Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern” ist Ausdruck von Luthers fester Überzeugung, die Bauernaufstände müssten durch die Fürsten niedergeschlagen werden, weil die Bauern die von Gott eingesetzte Obrigkeit, der man zu gehorchen hatte, in Frage stellten. Im Film wird jedoch ein Luther gezeigt, der über das Abschlachten der Bauern, die dann bis in das 19. Jahrhundert hinein rechtlose Leibeigene blieben, entsetzt ist. Luthers Lehre vom „leidenden Gehorsam gegen die Obrigkeit” bildete eine für den fürstlichen Territorialstaat zentrale Grundlage.

Der Film blendet darüber hinaus die ganze Kraft der Reformation in Zentraleuropa aus. Weder Zwingli, später Calvin für die Schweiz, die gar nicht erwähnt werden, noch Philip Melanchthon, der als Randfigur auftritt, noch Thomas Münzer, der sich auf die Seite der aufrührerischen Bauern stellte, haben Platz in einem historischen Lehrstück, das keines ist. Luther selbst erscheint als zweifelnder, oft furchtsamer, fast schon labiler Reformator, eine Darstellung durch Fiennes, die jeglicher Grundlage entbehrt. Karl V. (Torben Liebrecht, der auch nicht die Spur von Ähnlichkeit mit dem Kaiser hat) wird als naiv hintertriebener, fast schon feiger Jüngling präsentiert – eine Visualisierung, die der Person dieses – das kann man aufgrund der Quellenlage sicherlich behaupten – äußerst intelligenten Kaisers kaum nahe kommen kann. Uwe Ochsenknecht als Papst Leo X. ist eine schauspielerische Katastrophe. Die Reduzierung dieses Papstes auf einen genusssüchtigen und geldgierigen Lebemann verabsolutiert eine Seite dieses Mannes, und Ochsenknecht erscheint fast wie ein aus der Gegenwart in das 16. Jahrhundert hinein katapultierter Playboy. Alfred Molina spielt den Ablasshändler Tetzel so blass und oberflächlich, dass man wegschauen möchte. Einzig Peter Ustinov als Friedrich der Weise kann durch Verschmitztheit, Witz und Klugheit dieser Figur etwas an Glaubwürdigkeit vermitteln.

Insgesamt scheinen Eric Till bzw. Camille Thomasson und Bart Gavigan, die das Drehbuch schrieben, der Meinung gewesen zu sein, sie müssten möglichst viele Fakten aus dem Leben Luthers in zwei Stunden Film unterbringen. Das führt dazu, dass besonders in der zweiten Hälfte des Streifens durch die Ereignisse gehetzt wird, als ginge es ums Leben. Luthers Beziehung zu Katharina von Borg erscheint nicht als Liebesgeschichte, sondern wird in die Inszenierung hinein gequetscht, um dieses Faktum irgendwie auch noch zu erwähnen. Da ist keine Leidenschaft, kein Sich-Annähern, nur der Satz aus dem Mund Katharinas: „Wir machen gerne Musik zusammen”. Grotesk!

Bruno Ganz als Pater Johann von Staupitz, geistlicher Vater des jungen Luther, spielt Lebendigkeit und Mitgefühl für seinen Zögling, aber er kann es nicht überzeugend vermitteln. Überhaupt wirkte die Inszenierung auf mich wie ein Spiel mit einer Ansammlung von Schachfiguren, ein Spiel, dessen Ausgang von vornherein klar ist. Die Personen jagen durch Gänge, treffen sich mal hier, mal dort, so etwa, wie dies in schlechten und eifrig hin geschluderten Fernsehspielen gang und gebe ist, wenn es um Geschichte geht. Verschwiegen wird auch, dass Karl V. zwar Luther im Wormer Edikt ächtete, nichtsdestotrotz aber von Luthers Schriften angetan war. Gerade diese Diskrepanz zwischen persönlichen und machtpolitischen Motiven im Kampf zwischen kaiserlich-dynastischen Interessen und landesherrlichen Zielen der Fürsten sowie der Politik des Vatikans verliert sich in einem Film, der nicht einmal in die Nähe der historischen Qualität eines Schulbuchs gerät. Die Hintergründe der im Film dargestellten Machtpolitik bleiben im Dunkeln. Und das ist mehr als nur ärgerlich.

Summa summarum muss man „Luther” Geschichtsklitterung vorwerfen. Fast erscheint es, als ob man dem Reformator ein Denkmal ohne Tadel setzen wollte, rein und unschuldig, anstatt sich der historischen Figur und der Geschichte seiner Zeit anzunähern.

(1) Zu Karl V. vgl. die Biografie von Alfred Kohler: Karl V. 1550-1558. Eine Biographie, München 1999.
(2) Zur Reformation und insbesondere dem Wormser Reichstag vgl. Heinrich Lutz: Das Reich, Karl V. und der Beginn der Reformation. Bemerkungen zu Luther und Worms, in: Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs, hrsg. von H. Fichtenau und E. Zöllner, Wien / Köln / Graz 1974, S. 47-70.