München
(Munich)
USA 2005, 164 Minuten
Regie: Steven Spielberg

Drehbuch: Tony Kushner, Eric Roth, nach dem Buch “Vengeance: The True Story of an Israeli Counter-Terrorist Team” von George Jonas
Musik: John Williams
Director of Photography: Janusz Kaminski
Montage: Michael Kahn
Produktionsdesign: Rick Carter

Darsteller: Eric Bana (Avner), Daniel Craig (Steve), Ciarán Hinds (Carl), Mathieu Kassovitz (Robert), Hanns Zischler (Hans), Ayelet Zorer (Daphna), Geoffrey Rush (Ephraim), Gila Almagor (Avners Mutter), Michael Lonsdale (Vater), Mathieu Amalric (Louis)

Teufelskreise

„Souverän ist, wer über den
Ausnahmezustand entscheidet.”
(Carl Schmitt)

Das Töten ist normal, alltäglich. Es gehört zum Leben wie essen, trinken, schlafen, lieben. In einem Atemzug. Ein Kind wächst im Körper einer Frau und ihr Mann sorgt für Sicherheit. So zynisch dies klingen mag, so normal empfindet es Avner (Eric Bana). Das Töten ist eingeübt, über mehr als zwei Jahrzehnte tradiert – sozusagen als schier unverzichtbarer Bestandteil einer Kultur. Und auch einer zweiten Kultur, der der Palästinenser und arabischen Staaten. Manche sprechen von einer Spirale der Gewalt, von einem Teufelskreis. Aber diese Begriffe können nur sehr vage beschreiben, was sich in Konflikten wie diesem wirklich abspielt – Konflikte, in denen jede Partei behauptet, nicht nur das unverbriefte Recht, sondern auch die höchste Legitimität auf ihrer Seite zu haben. Die Legalität verkommt zu einem Mittel der Legitimität, die für nicht mehr hinterfragbar erklärt wird – von beiden Seiten. Die Religion dient wechselseitig als Legitimationsgrundlage für die emphatisch vorgetragenen Forderungen nach dem „Recht auf Heimat”, dem „Recht auf Staatlichkeit”, das „Existenzrecht” der jeweiligen Gruppen in staatlichen Gemeinschaften. Jahrzehntelang bestreitet die eine Seite der anderen diese Recht – vice versa. Die einen wollen den Staat Israel vernichten und die Juden ins Meer treiben; die anderen leugnen schon die Existenz eines palästinensischen Volkes.

Die Verlinkung dieses Konflikts in den übergeordneten der beiden „Supermächte” USA und Sowjetunion und ihre Blöcke lassen irgendeine Lösung dieses Konflikts als völlig unmöglich, ja absurd erscheinen. Die gewaltige Macht des Argumentes, dass die Juden ein Recht auf staatlich organisierte Heimat nach dem Holocaust hätten, konfrontiert sich mit dem ebenso mächtigen Argument, die Palästinenser seien im Zuge der Gründung Israels vertrieben worden und dadurch ihres Rechts auf staatlich organisierte Heimat beraubt worden. Wer sich nicht auf eine der beiden Seiten stellt, wird von beiden angegriffen. Wer sich auf eine der beiden Seiten stellt, wird von der anderen zum Feind erklärt.

Es ist schon so, wie der von Hitler faszinierte Staatsrechtler Carl Schmitt sagte: Wer die Legitimität in einem moralischen, politischen, kulturellen, ethnischen, ökonomischen Sinn, allumfassend, auf seine Fahnen schreiben kann, wird zur schier unangreifbaren Machtzentrale, wenn er Massen dafür mobilisieren kann – einer Machtzentrale, die im Namen des Rechts jedes Recht für sich in Anspruch nimmt. Wenn die Legitimität in dieser Hinsicht siegt, bleibt die Legalität auf der Strecke. Die Frage nach der Legitimität des einen oder anderen Rechts erweist sich für einen Beobachter, wenn er sich denn neutral stellen könnte, wie die nach der Henne und dem Ei.

Zeit, Entwicklung, spielen in einem solchermaßen beschriebenen Konflikt nicht eine untergeordnete, sondern gar keine Rolle. Alles, was die Welt ansonsten verändert hat, wird dem Gegensatz der Legitimitätssideologien untergeordnet. Selbst die gegenseitige Anerkennung der Rechte auf Heimat und Staatlichkeit durch die palästinensische und israelische Seite ändert kaum etwas an den legitimitätsbedingten Ausgangsbedingungen des Konflikts. Fast 60 Jahre nach Gründung Israels ist man im Nahen Osten heute nicht viel weiter als 1972.

In diesen Rahmen setzt Steven Spielberg seinen Film. Es ist völlig unerheblich, ob die Geschichte, die er erzählt und der er das Buch von George Jonas „Vengeance: The True Story of an Israeli Counter-Terrorist Team” zugrunde legte, in allen Einzelheiten wahr ist. Der Wahrheitsgehalt der Geschichte liegt in dem, was sie aussagt, in der Wahrhaftigkeit des Gezeigten und Gedeuteten.

Avner ist Mossad-Agent. Er wird offiziell entlassen, um inoffiziell zu töten. Palästinensische Terroristen einer Gruppe namens „Schwarzer September” haben 1972 elf israelische Sportler während der Olympischen Spiele in München erst als Geiseln genommen und dann – nach einem dilettantischen Befreiungsversuch der deutschen Sicherheitskräfte – getötet. Der Mossad-Führer Ephraim (Geoffrey Rush) hat den Auftrag, eine Gruppe von Spezialisten auf die Urheber dieses Massakers anzusetzen. Avner, dessen Frau gerade schwanger ist, soll die Gruppe leiten, die fast ein Dutzend Palästinenser liquidieren soll. Der Südafrikaner Steve (Daniel Craig), der Deutsche Hans (Hanns Zischler), der Franzose Robert (Mathieu Kassovitz) und Carl (Ciarán Hinds) und Avner lassen sich verpflichten. Falls etwas schief geht, wissen Ephraim, der Mossad und die israelische Regierung offiziell nichts von der Aktion der Gruppe: in gewisser Weise ein Himmelfahrtskommando, für das – unter Absegnung durch die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir (Lynn Cohen) – der Mossad Millionen von Dollar, deponiert in einer Bank in der Schweiz, zur Verfügung stellt.

Avner nimmt Kontakt zu einem Franzosen in Paris auf, Louis (Mathieu Amalric), der zusammen mit seinem Vater (Michael Lonsdale), Informationen für viel Geld verkauft. Louis und sein Vater stehen auf keiner Seite; sie verkaufen an die Meistbietenden. Louis besorgt dem Anti-Terror-Team um Avner Informationen über den Aufenthalt der „Zielpersonen”, die sich auf Zypern, in Paris, in Beirut und anderswo bewegen. Er sorgt für die logistischen Vorbereitungen, für die Bomben, die eingesetzt werden sollen usw. Die Gruppe muss nur noch zuschlagen und versuchen, unerkannt zu entkommen.

Dabei legt Avner Wert darauf, dass nur die Zielpersonen, nicht aber Unbeteiligte, wie etwa die Tochter einer der Zielpersonen, getötet werden. Robert soll die gelieferten Bomben einsatzfähigmachen, Carl hat die Aufgabe, mögliche Spuren zu beseitigen und für einen geordneten Rückzug zu sorgen.

Die Mordserie kann beginnen ...

Spielberg inszeniert „München” anfangs als eine Mischung aus Spielhandlung und Dokumentation, geht dann zum Genre des Thrillers über und lässt sein Publikum zum Schluss, man könnte sagen: mit Avner allein. Es dürfte kein Zweifel an der Sympathie des Regisseurs mit Israel bestehen; insbesondere die Szenen mit Avners Mutter (Gila Almagor) und seiner Frau Daphna (Ayelet Zorer) machen dies deutlich. Aber „München” handelt nicht – um dies deutlich zu sagen – von einer Rechtfertigung des Handelns der einen oder anderen Seite im Nahostkonflikt. „München” handelt von der Zerstörung eines Mannes, Avner. Spielberg hätte in diesem Sinn auch eine Geschichte über eine Terroreinheit der Palästinenser wählen können. Jedenfalls ist der interessierte Vorwurf, dies sei ein pro-israelischer Film, nur mehr oder weniger ein Reflex des anfangs geschilderten Konflikts zweier Legitimitätsideologien, die sich in ihrer Struktur so ähnlich sind, dass ihre Protagonisten dies vehement bestreiten müssen.

Und im Rahmen dieser Voraussetzungen schildert Spielberg den Ausschnitt aus einem jahrzehntelangen Konflikt die überwiegende Zeit des Films in Bildern, die an nichts als an einen „normalen” Thriller zu erinnern scheinen. Doch in einigen Szenen – und das ist das „Glänzende” an dieser Inszenierung – scheint eben das durch, was ich die internalisierte Zensur der Beteiligten nennen würde. Etwa, als Ephraim mit Avner auf einer Promenade spazieren geht. Man sieht ältere und junge Leute, die sich einen schönen Tag zu machen scheinen, Kinder, die spielen und herum hüpfen, und man sieht Avner und Ephraim, die für diese Menschen zwei ganz normale Spaziergänger zu sein scheinen, über das Töten und den Hinterhalt sprechen, über die Rache und deren Legitimation. In einer anderen Szene treffen Avner und sein Team ungewollt in Beirut auf palästinensische Freischärler, die im selben Raum übernachten wollen wie Avner und seine Leute. Avner gibt sich als RAF-Mitglied aus, die anderen als IRA-Leute u.a., um nicht erkannt zu werden. Dann sieht man Avner mit dem Anführer der Palästinenser auf der Treppe reden. Und das, was der Palästinenser sagt, über seine verlorene Heimat, den Kampf, Israel – all das ähnelt in seiner verbalen und inhaltlichen Struktur so sehr den Gedanken Avners, das man – außer den umgekehrten Vorzeichen – kaum einen Unterschied ausmachen kann.

Oskar Negt und Alexander Kluge schrieben 1993 u.a.:

„Die gefährlichste und, wo sie gelingt, wirksamste
Zensur gründet jedoch in den Angstreaktionen, die
in Selbstzensur enden, in der Furcht vor den Folgen
des eigenen Wortes, besonders bedrohlich deshalb,
weil durch ‚Verinnerlichung’ der Zensurinstanz
selbst noch der zweifelhafte Vorteil , sich zu einem
äußerlich bedrückenden, materiellen Objekt
möglicher Auseinandersetzungen verhalten zu
können, verlorengegangen, enteignet ist”, (1)

Dieser Aspekt muss – nicht erst aus Anlass dieses Films – erweitert werden. Avner und seine Leute, Ephraim, und auch Avners Mutter, auf der anderen Seite aber auch die Palästinenser haben ihre jeweiligen Legitimitätsideologien derart verinnerlicht und damit die Selbstzensur, dass ein irgendwie geartetes Infragestellen auch nur minimalster Aspekte dieser Ideologien und ihrer praktischen Folgen nicht mehr möglich zu sein scheint.

Die Bilder, die folgen, zeigen den Anti-Terror-Terror des israelischen Teams um Avner, sie zeigen das Auge-um-Auge-Prinzip ihres Handelns, das wiederum nur Ausfluss einer geradezu vollständigen Internalisierung der Legitimitätsideologie ist. Und das allerdings ähnelt nicht nur minimal an die rechtstheoretische, aber eben auch zutiefst politische Legitimitätstheorie Carl Schmitts: Die politischen Willensäußerungen eines Volkes, die gesetzlichen Regelungen, die dessen Regierung trifft, sind nicht einfach beliebig; sie sind Ausdruck der Existenz eines „gleichartigen Volkes” bzw. seiner werthaften Institutionen,

„in denen das Volk seine werthafte Einheit
und Substantialität zum Ausdruck gebracht hat.
Es handelt sich um einen im höchsten Maße
unverifizierbaren Begriff, der besonders
geeignet ist, für eine Vielfalt politischer
Zwecke instrumentalisiert zu werden.” (2)

Die Legalität (politischen) Handelns gründet nach dieser Theorie nicht mehr in demokratischen Verfahren, sondern in der Nation, der Rasse, der Ethnie, deren Existenz(recht) und Existenzsicherung, eben jenen undefinierbaren theoretischen Konstrukten, die einzig Legitimität begründen sollen und denen das Legalitätsprinzip untergeordnet werden soll. Golda Meir formuliert anfangs des Films genau dies.

Es ist genau diese Last des Nationalismus als Legitimitätsideologie, die Avner verinnerlicht hat, und es ist genau diese Verinnerlichung, die ihn dazu treibt, sich einem solchen Team anzuschließen. Es ist kaum anders erklärbar, dass Avner unter Tränen am Telefon sein gerade geborenes Kind hört, ihm etwas Liebevolles sagt, während er gleichzeitig mitten in den Vorbereitungen zum nächsten Attentat steckt.

Und doch kommen in den Äußerungen Golda Meirs wie in denen von Avners Mutter eben auch und notwendigerweise Bedürfnisse, Erfahrungen, Hoffnungen usw. zum Ausdruck, die einen realen Hintergrund haben und sich nicht vollständig einer Legitimitätsideologie unterordnen lassen. Es sind vor allem die Erfahrungen des Holocausts. Genau dieses Leid ist es aber eben auch, das Avner am Schluss in den Zweifel treibt.

Spielberg rollt diese Verzahnung realer Ängste und grausamer Vergangenheitserfahrungen mit einer Legitimitätsideologie am Beispiel Avners auf. Avners Gruppe zerfällt, aber vor allem zerfällt Avner innerlich. Wenn er sich am Schluss entscheidet, mit seiner Frau und seiner Tochter in New York zu bleiben, statt nach Israel zurückzukehren – voller Angst um das Leben seiner Familie –, dann hat er sozusagen „zur Hälfte” die Spirale von Terror und Anti-Terror in sich bereits überwunden. Es ist diese seelische Verworfenheit, die eine zutiefst humane Gewissensentscheidung auslöst. Ephraim reagiert entsprechend: Ohne es zu sagen, kann man an seinen Augen ablesen, dass er meint, Avner habe den Kontext der Legitimitätsideologie verlassen. Er katapultiert Avner quasi mit einem Blick und einem „Nein” aus der israelischen Identität.

Es ließen sich – allerdings nicht auf Basis dieses Films – bei den Palästinensern ähnliche Strukturen aufzeigen. Darüber hinaus setzt Spielberg mit „München” seine Kritik an solchen Legitimitätsideologien insofern fort, als er bereits in „Minority Report”, in dem es um die Aburteilung von Menschen ging, die keines Verbrechens schuldig waren, sondern verurteilt wurden, weil sie den Willen zum Verbrechen hatten, deutliche Aussagen traft. Auch in „Minority Report” ging es um die staatlich legitimierte Ausübung von Gewalt ohne Legalitätsbasis vor dem Hintergrund einer Legitimitätsideologie, die den Staat als Wächter eines „homogenen Volkes” verkaufte.

Auch wenn „München” viele Dinge nicht offen ausspricht, sondern „bloß” zwischen den Zeilen lesen lässt, ist doch der Film Teil einer zunehmenden Kritik an einer Staatlichkeit, die sich anmaßt, sich aus sich selbst zu rechtfertigen, statt Ausdruck freier demokratischer Willensbildung zu sein. Gerade in Bezug zu den aktuellen weltpolitischen Auseinandersetzungen ist der Film daher hoch brisant. Man nehme nur den Konflikt um den Iran, in dem sich solche Legitimitätsideologien diametral gegenüberstehen: ein islamistischer iranischer Präsident, der Israel und seine Menschen ausradieren will, und ein amerikanischer Präsident, der innerlich schon lange entschlossen scheint, dem Iran den Garaus zu machen.

Es gibt keine eindeutigen Gefühle gegenüber Eric Banas Avner. Er mordet. Und bei allem Mitgefühl für die ermordeten israelischen Sportler, bei aller Abscheu vor den palästinensischen Terroristen des „Schwarzen September”, ist es erschreckend, wie kaltschnäuzig und skrupellos das israelische Team operiert. Und doch ist da gleichzeitig so etwas wie Sympathie – nicht für die Morde, sondern für Avner, einen Menschen, der innerlich zerrissen ist, ohne dass er es anfangs merkt.

Man kann „München” selbstverständlich auch als einen Hollywood-Film abtun, man kann den Film – je nach politischer Couleur positiv oder negativ instrumentalisieren. Dann allerdings enthebt man sich der Möglichkeit, nicht nur nachzudenken, sondern auch die „gängigen” politischen Konflikte vielleicht einmal in einem anderen Licht zu sehen. Spielberg erweist sich mit „München” als ein zutiefst humaner Hollywood-Regisseur. Und das sollte man wirklich ernst nehmen.

(1) Oskar Negt, Alexander Kluge: Maßverhältnisse des Politischen. 15 Vorschläge zum Unterscheidungsvermögen, Frankfurt am Main 1993, S. 72 f.
(2) Ulrich K. Preuß: Legalität und Pluralismus. Beiträge zum Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main 1973, S. 15.

© Bilder: United International Pictures