Niklashauser Fart
Deutschland 1970, 90 Minuten (DVD: 86 Minuten)
Regie: Rainer Werner Fassbinder

Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder, Michael Fengler
Musik: Peer Raben, Amon Düül II
Director of Photography: Dietrich Lohmann
Montage: Thea Eymèsz, Rainer Werner Fassbinder
Produktionsdesign: Kurt Raab

Darsteller: Michael König (Hans Böhm), Hanna Schygulla (Johanna), Margit Carstensen (Margarethe), Michael Gordon (Antonio), Rainer Werner Fassbinder (Schwarzer Mönch), Günther Kaufmann (Bauernführer), Kurt Raab (Bischof), Franz Maron (Margaretes Mann), Walter Sedlmayr (Pastor), Karl Scheydt (Niklashauser Bürger), Magdalena Montezuma (Penthesilia), Chris Karrer, Peter Leopold, Falk Rogner, John Weinzierl (Amon Düül II)

Insider-Blicke

Die Geschichte, an die Fassbinder in einem seiner weniger bekannten Filme 1970 anknüpfte, hatte sich tatsächlich im Jahr 1476 im fränkischen Niklashausen ereignet. Der Pauker Hans Böhm verbrannte am 24. März dieses Jahres seine Pauke und verkündete den Bauern, ihm sei Maria erschienen und habe ihn aufgefordert, zum Volk zu sprechen. Schon bald werden aus den ursprünglich christlichen Ansprachen Böhms sozialrevolutionäre Forderungen, d.h. er will die Abschaffung der reichen Stände und ihrer Privilegien, er will gleichen Lohn für gleiche Arbeit und die Schaffung von Gemeineigentum der Bauern. Doch zwischen der Mentalität der Bauern und der Böhms klafften Welten. Denn die Bauern konnten sich eine Veränderung ihrer Situation ausschließlich durch ein Wunder vorstellen, nicht aber durch eigenes Handeln. In Böhm sahen sie keinen Revolutionär, sondern eine Art Messias. Böhm konnte diese Kluft nicht schließen. Und als er schließlich von der Obrigkeit festgenommen und am 15.7.1476 in Würzburg öffentlich verbrannt wurde, standen die Bauern untätig und apathisch beiseite.

Fassbinders Film allerdings erzählt diese Geschichte nicht nach. Die Akteure im Film sind teilweise in mittelalterlichen Kostümen zu sehen, teilweise aber auch in Lederkleidung und Jeans. Auch ein VW fährt über die Straße. Fassbinder lässt das Zeitliche Zeitliches sein. Das hat seinen Grund darin, dass der Film in einer Phase der sog. „Studentenbewegung” gedreht wurde, in der sich einerseits die jungen Filmemacher dazu entschlossen hatten, keine explizit politischen Filme zu drehen, andererseits innerhalb der linken Bewegung sich revolutionäre, zur Gewalt entschlossene Gruppen herausbildeten, bis hin zu den ersten Vorläufern der RAF, die, wenn auch auf teilweise unterschiedliche Weise, die bestehenden Verhältnisse beseitigen wollten. Fassbinder greift – wie auch später etwa in „Die dritte Generation” oder „Mutter Küsters Fahrt zum Himmel” – mit diesem Film in diese Debatte ein, allerdings aus einer ihm eigenen Distanz zu allen Entwicklungen im Bereich der extremen Linken.

Der Film selbst spielt im dörflichen Bereich, auf Wiesen, Feldern, einer Müllkippe, in einer Villa und auf einem Zeltplatz. Die Situation, in der sich die Personen bewegen, scheint damit auf zweierlei Weise verfremdet. Zum einen zeitlich, da die Dialoge aus allen möglichen Jahrhunderten stammen. Doch auch räumlich ist der Film verfremdet, wenn beispielsweise auf einem Zeltplatz die Revolutionäre aus dem 15. Jahrhundert von Polizei und Militär aus der Gegenwart massakriert werden.

Der Film ist eher gehalten wie eine Mischung aus Theaterstück, klassischer Tragödie und – intellektuellem Spaziergang. In etlichen Szenen reden die Revolutionäre über ihre Absichten und wie diese – die Enteignung der Reichen, die Schaffung von Gemeineigentum etc. – verwirklicht werden können und wie vor allem das einfache Volk dafür gewonnen werden kann. Dies geschieht zumeist auf Spaziergängen durch Wald und Wiesen. In anderen Szenen proklamieren die Revolutionäre frontal zum Publikum (und dem Volk) ihre Absichten, in Reimen, Liedern oder Reden. Auf einer dritten Handlungsebene wird sozusagen zur Tat geschritten.

Der Film beginnt mit der „Erleuchtung” des einem Hippie sehr ähnlich sehenden Böhms (Michael König) durch Maria. Ihm zur Seite stehen seine Freundin Johanna (Hanna Schygulla), der einem Friedrich Hecker im Aussehen nachempfundene Antonio (Michael Gordon) und der schwarze Mönch (Fassbinder selbst in seiner bekannten Lederjacke). Dieser schwarze Mönch ist die eigentlich treibende Kraft hinter Böhm; er will die Dinge vorantreiben, während der örtliche Pastor (Walter Sedlmayr) Böhm vor der Gewalt gegen die Obrigkeit warnt und meint, man könne ein Übel nicht mit einem noch größeren Übel austreiben. Das schaffe ein neues, viel schlimmeres Ungleichgewicht.

Aber der schwarze Mönch hat mehr Einfluss auf Böhm. Während er den Prediger zunächst noch vor den Bauern mit Johanna als Maria (mit langer blonder Perücke) auftreten lässt, bringt er ihn schon bald dazu, gegen den Wucher, die Kapitalflucht, die Irreführung des Volks durch die Medien usw. zu agitieren. Man hört die Gruppe das italienische „Bandiera Rossa” auf Deutsch singen. Man spekuliert über die Marxsche Mehrwerttheorie usw.

Böhm bewirkt sogar, dass die reiche Margarethe (Margit Carstensen), die ihn liebt und ihn und die anderen in ihrem Haus aufnimmt, ihren schwer kranken Mann ersticht. Und es ist Johanna, die den schwarzen Mönch dazu bringt, von der Religion wegzukommen:

„Du wolltest, dass sie frei sind, alle frei.
Der Zweck heiligt die Mittel. Wir haben
uns verrechnet. Alle werden sich
verrennen. Statt klarem Kopf Religion.
Du wolltest, sie sollen denken. [...]
Dabei ist alles so einfach. Darum
arbeitet einer, dass ein anderer
die Lust haben kann. So einfach
ist das. Warum siehst du es nicht?”

Der schwarze Mönch sieht es. Der Aufstand steht bevor. In einer Szene auf einer Müllkippe kündet Penthesilea, umrandet von zwei Frauen, von Blut überströmt, vom Donner, der aus den Wolken herabkommt. Die Internationale wird gespielt.

In diesem Moment greift die Obrigkeit zum Faschismus. Auf einem Zeltplatz nehmen sie Böhm fest und massakrieren fast alle anderen – bis auf den schwarzen Mönch und den Bauernführer (Günther Kaufmann). Danach heißt die Parole der verbliebenen Revolutionäre: „Macht kaputt, was euch kaputt macht.” Auf den starken Staat reagieren sie mit Terrorismus, nachdem der Bischof (Kurt Raab) als Repräsentant der Macht auf einem Schrottplatz Böhm hat am Kreuz verbrennen lassen.

Natürlich ist dieser Film auf eine besondere Weise plakativ, vielleicht sogar in der Herleitung politischer Geschehnisse manchmal etwas grob vereinfachend. Entscheidend jedoch ist eher, dass Fassbinder beabsichtigte zu zeigen, „wie und warum eine Revolution scheitert”.

„Da kommt einer und möchte gerne,
dass die Leute ihre miesen Verhältnisse
ändern. Dazu will er die Leute aufrufen.
Aber zunächst einmal muss er sie
dazu bringen, ihm überhaupt zuzuhören
und ihm zu glauben. Er ist also
gezwungen, mit Mitteln zu arbeiten,
die den Leuten vertraut sind.
Schließlich hat er sie auf seine
Seite gebracht, aber mit den Mitteln
von gestern. Und mit dem, was er
ihnen jetzt über die schöne Zukunft
von morgen sagt, können sie nichts
anfangen. Es ist Teil ihrer miesen
Lage, dass sie sich eine andere gar
nicht mehr vorstellen können.
Hans Böhm scheitert daran, dass er
die Aufklärung herzustellen versucht
mit Techniken der Gegenaufklärung.
Aber wie hätte er seine Arbeit sonst
tun sollen.?”

Man sieht, es handelt sich um eine Art Insiderfilm, wobei Fassbinder selbst davon überzeugt gewesen sein muss – warum sonst dieser Film? –, dass es sich um keinen solchen handeln würde. Die Textpassage zeigt in deutlicher Weise das Grundübel der damaligen Linken, sich selbst als so etwas wie eine „Avantgarde” zu verstehen, d.h. sich selbst für aufgeklärt, das „einfache Volk” für nicht aufgeklärt zu halten – ein letztlich elitäres Denken. Die Selbstzweifel über den eigenen Film kamen schon bald. Man sei sich schon bald nicht mehr über alles an dem Film sicher gewesen, und man denke darüber nach, warum man den Film gemacht habe: „... weil es ein Film über unsere eigene Situation ist.” Hier kommt die Insidersicht des Films deutlich zum Ausdruck: Eine Linke Ende der 60er Jahre, die vor allem mit einem beschäftigt ist: mit sich selbst.

So sind denn auch die Schauspieler im Film kaum mehr als Statisten, Repräsentanten von Überzeugungen, aber kaum wirklich fühlende Menschen. Sie stehen für etwas, kaum für sich selbst – außer Fassbinder selbst als schwarzer Mönch. Man könnte fast sagen: „Niklashauser Fart” ist eine komplizierte Selbstdarstellung des Regisseurs und seiner Probleme innerhalb der Linken der damaligen Zeit. Anders einige Jahre später, als Fassbinder – sicher gerade wegen der Weiterentwicklung der Linken Anfang bis Mitte der 70er Jahre – in „Die dritte Generation” und in „Mutter Küsters Fahrt zum Himmel” in deutliche Distanz zur Parteilinken und zur RAF trat und dafür herbe Proteste linker Gruppen erntete.

Nur am Schluss dieses – in seinen Stilmitteln sicher ungewöhnlichen, für manchen wohl auch schwer verständlichen – Films spürt man die Unsicherheit, das Vage der eigenen Situation. Die Hoffnung und der Wunsch ersetzen den Realitätsbezug, als der schwarze Mönch nur noch berichten kann:

„Einer wollte mit anderen die
Gewaltherrschaft direkt angreifen.
Beim Sturm auf die Polizeikaserne
in der Hauptstadt kamen viele um.
Er wusste noch nicht, dass man
auf manche Art kämpfen kann.
Als er nach drei Jahren mit über
80 anderen auf einem Boot
wiederkam, fielen bei der Landung
fast alle. Aber er und seine
Genossen hatten aus ihren Fehlern
gelernt. Sie gingen in die Berge.
Zwei Jahre später siegte die
Revolution.”

Hier spürt man deutlich das Selbstmisstrauen, die Kehrseite der Hoffnung, den Zweifel an den eigenen Zielen und Methoden des Kampfes. Und aus welchen Fehlern hatte man was eigentlich gelernt?

Heute ist „Niklashauser Fart” „nur” noch eine Art Zeitdokument, ein Teil der Selbstdarstellung eines Teils der damaligen Linken, die sich in wenigen Jahren zersplitterte, verschwand, in Terrorismus ergoss oder den Marsch durch die Institutionen wagte, aus dem am Ende u.a. „Die Grünen” hervorgingen. Auf das Werk Fassbinders bezogen allerdings steht der Film in einem homogenen Kontinuum und ist daher zu Unrecht mehr oder weniger in Vergessenheit geraten.

Übrigens tritt in dem Film die seinerzeit populäre Gruppe Amon Düül II auf, die in einer Szene einen ihrer Songs präsentiert.

© Bilder: Arthaus
Screenshots von der DVD