Pleasantville – Zu schön, um wahr zu sein
(Pleasantville)
USA 1998, 121 Minuten
Regie: Gary Ross

Drehbuch: Gary Ross
Musik: Randy Newman
Director of Photography: John Lindley
Montage: William Goldenberg
Produktionsdesign: Jeannine Claudia Oppewall

Darsteller: Tobey Maguire (David Wagner / Bud Parker), Reese Witherspoon (Jennifer Wagner / Mary Sue Parker), Jeff Daniels (Bill Johnson), Joan Allen (Betty Parker), William H. Macy (George Parker), J. T. Walsh (Big Bob), Don Knotts (TV-Techniker), Marley Shelton (Margaret Henderson), Jane Kaczmarek (Davids und Jennifers Mutter), Paul Walker (Skip), Dawn Cody (Betty Jean), Maggie Lawson (Lisa Anne), Andra Taylor (Peggy Jane)

Eine lohnenswerte satirische Zeitreise

Kritik an konformistischen Verhaltensweisen und an Konventionen hat oft die Eigenheit, extreme Gegenpositionen zu beziehen. Die Figuren suchen dann ihr Glück zumeist in einer Anti-Haltung, die eher die Rückseite der Medaille Konformismus bildet denn eine wirkliche Alternative. Anders der 1998 von Gary Ross gedrehte Film „Pleasantville”.

Die Zwillinge David und Jennifer Wagner haben anscheinend nicht viel miteinander gemein. Während Jennifer (Reese Witherspoon) alles tut, um insbesondere beim anderen Geschlecht Karriere zu machen, aufgeschlossen ist, verkörpert David (Tobey Maguire) eher den introvertierten Außenseiter, der mit sich und der Welt nicht so recht im Einklag steht. Er verkriecht sich deshalb in die heile Welt der 50er Jahre per Fernsehsendung: In „Pleasantville” ist noch alles in bester Ordnung: Mami kocht, Papa arbeitet, die Feuerwehr löscht keine Feuer, denn die gibt es nicht, sondern holt Katzen von Bäumen. Sexualität gibt es in Pleasantville nicht, nur Händchenhalten als höchstes der Gefühle zwischen Männlein und Weiblein. Im Ort regnet es nicht, und das Ende des Ortes auf der einen ist zugleich Anfang des Ortes auf der anderen Seite. Kurzum: Protestantisch, prüde, unschuldig wie Adam und Eva vor dem Sündenfall. David kennt die Serie so gut, dass er inzwischen fast alles auswendig weiß, was in ihr passiert, obwohl in diesem Paradies auf Erden der 50er Jahre eigentlich gar nichts passiert.

Eines Tages jedoch ändert Pleasantville alles im Leben von David und Jennifer. Als sich beide um die Fernbedienung des TV-Gerätes streiten und diese dabei zerbricht, erscheint prompt an der Wohnungstür ein Fernsehtechniker (Don Knotts) mit einem Ersatzteil. Doch kaum hat David den Knopf gedrückt, finden sich die Geschwister plötzlich in Pleasantville wieder. Sie sind entsetzt, und Jennifer macht ihrem Bruder heftige Vorwürfe wegen seiner Besessenheit für die TV-Serie. Aus David wird Bud, aus Jennifer Mary Sue Parker und Papa und Mama Parker sind auch schon da (Joan Allen und William H. Macy).

David ist sich der Folgen dieser „Versetzung” bewusst: Wenn sich beide nicht an die Regeln in Pleasantville halten, werden sie alles völlig durcheinander bringen. Doch genau das geschieht. Denn als einer der Basketball-Spieler, Skip (Paul Walker), David fragt, ob er mit seiner Schwester ausgehen dürfe, nimmt das Chaos seinen Lauf. Denn Jennifer denkt überhaupt nicht daran, sich an die Regeln zu halten, küsst Skip an einem romantischen Örtchen und macht noch so einige andere Dinge mit Skip, von denen dieser keine Ahnung hatte.

David arbeitet derweil in einem Café bei Bill Johnson (Jeff Daniels). Und ohne, dass er es zunächst beabsichtigte, bringt er Bill auf den Geschmack: Bill fängt an zu malen. Auch die Fernsehmutter der Geschwister bekommt plötzlich Farbe, wie alles, was durch den Einfluss von David und Jennifer sein Schwarz-Weiß-Grau in Pleasantville verliert. Jennifer fragt Betty, ob sie denn nicht wisse, was so alles mit Sexualität verbunden sei – und Betty macht ihre ersten Erfahrungen allein in der Badewanne. Mehr und mehr Farbe dringt in Pleasantville ein, mehr und mehr Leute erkennen plötzlich den Spaß im Leben und am Leben.

Doch auch Widerstand gegen das farbige Chaos regt sich. Allen voran Big Bob (J. T. Walsh) und Papa George Parker wollen durch Verbote die Rückkehr zu den alten Regeln erreichen. Andere werden gar gewalttätig: Sie verbrennen voll geschriebene Bücher, in denen bis vor kurzem nur weiße Seiten zu finden waren, und hängen Schilder an ihre Geschäfte mit der Aufschrift „No colored”.

Pleasantville scheint sich zu teilen in die anständigen Bürger, die das Chaos verhindern wollen, und in diejenigen, die plötzlich merken, dass sie wirklich leben ...

„Pleasantville” ist eine wirklich gelungene Parabel, die mit drei Wirklichkeitsebenen arbeitet: der realen Welt des Publikums, der Kinowelt der Gegenwart und der Fernsehwelt in Pleasantville innerhalb der Kinowelt. Was sich zunächst nur in den beiden letzten Welten abzuspielen scheint, hat einen direkten Bezug zur realen Welt. Den beiden Geschwistern wird nämlich, je länger sie sich in Pleasantville aufhalten, bewusst, dass nicht nur sie die Einwohner des Fernsehortes, sondern letztere auch sie verändert haben.

Pleasantville ist vordergründig ein Ort der absoluten Unschuld wie das Paradies vor dem Sündenfall. David und Jennifer stehen für die Schlange, die die Bürger des Ortes dazu bringen, vom sündhaften Apfel der Lust am Leben zu essen. Doch das ist nur möglich, weil in den braven Bürgern selbst diese Lust und damit auch die Fähigkeit zur Schuld verborgen liegt. Pleasantville ist wie das Paradies und Adam und Eva eine Erfindung, die Erfindung eines zeitgeschichtlichen Paradieses durch Menschen für Menschen. Die Geschwister brechen in dieses Paradies ein und machen sichtbar, was es mit Paradiesen auf sich hat. Aber gleichzeitig stehen sie nicht für das Non-Konformistische, das den Konformismus eliminiert, sondern letztlich für die Erkenntnis, dass das Leben aus konformen wie nicht konformen, konventionellen wie nicht konventionellen Elementen besteht – ob man das nun will oder nicht.

Die Geschwister durchlaufen eine unterschiedliche Entwicklung. Während Jennifer anfangs glaubt, in dieser heilen Welt nicht existieren zu können, sich für etwas Besseres hält, lässt sie sich nach und nach auf Pleasantville ein, weil sie keine andere Wahl hat. Am Ende liest sie sogar Bücher, und Jungens sind nicht mehr das einzige, was sie interessiert. Umgekehrt David: Er will in Pleasantville zunächst alles so lassen wie es ist, weil er sich selbst nach diesem unschuldigen Paradies sehnt. Dann begreift er, dass die Farbe, die langsam aber sicher in die Serie eindringt, die Spreu vom Weizen trennt.

Es gibt keine Regeln für das Leben. Es gibt nur das Leben. Ross erzählt eine Geschichte, ruhig, gelassen, ohne pathetisches Abdriften oder lehrhafte Kommentare. Keine der Personen wird verurteilt, sondern in ihrer Eigenheit und Entwicklung gezeigt.

Die suggestive Kraft der Bilder in „Pleasantville” nimmt das Publikum mit auf eine Reise durch die menschlichen Seelen, nicht zu einer politischen Revolution. Gegensatzpaare wie „Kollektivismus” und „Individualismus” oder Konformität und Rebellion geraten dabei in ein anderes Licht, erscheinen nicht so sehr als extreme Andere, sondern als widersprüchliche Einheit menschlichen Verhaltens. Es gibt Situationen, mit denen man sich abfinden muss und auch kann, andere, in denen man rebellieren kann und muss – um seiner selbst und der Menschlichkeit willen.

Hier den richtigen Weg zu finden, veranschaulicht der Film in einer unaufdringlichen, spannenden und zudem einzigartigen Weise über den Weg des „Einstiegs” in eine TV-Sendung der 50er Jahre. Die Entwicklung der Personen, auch in der TV-Sendung, kulminiert in dem, was man Authentizität nennen könnte. Der leise propagierte Individualismus besteht in gesundem Egoismus und sozialem Verhalten, nicht in purem Egozentrismus.

Insofern ist „Pleasantville” auch eine teils satirische, teils bissige, aber immer verbindlich bleibende, nicht auf Feindseligkeit ausgerichtete Kritik am american way of life, die (liebevoll) trifft.

Tobey Maguire und Reese Witherspoon, Joan Allen und William H. Macy, und vor allem auch Jeff Daniels vermitteln glaubhaft die allmähliche Entwicklung der jeweiligen Figuren, worauf es gerade in diesem Streifen mehr als sonst ankommt. Auch J. T. Walsh kann dem Führer des Schein-Paradieses Big Bob mit seinen ebenso pseudoparadiesischen Regeln einiges abgewinnen. Die Nebenrollen sind ebenfalls ausgezeichnet besetzt.

Die Sehnsucht nach einem Paradies deutet auf die Unfähigkeit, mit der Realität zurecht zu kommen. Die bewusst inszenierte Sehnsucht nach so etwas wie Pleasantville verlagert diese Sehnsucht in die vier Wände eines jeden. Sie bleibt Traum und die Wirklichkeit außen vor. Ross zeigt überzeugend wie widersprüchlich unser Verhältnis zur Wirklichkeit oft ist. Anstatt uns über Konformität oder Widerstand im einzelnen praktisch zu entscheiden, flüchten wir in Zauberwelten, um einer Entscheidung für unser Leben aus dem Weg zu gehen. Oder wir geben uns nach außen selbstbewusst, ohne zu merken, dass wir zwar sprühen vor Energie, diese aber in allzu oberflächlichen Handlungen verpuffen lassen.

Eine satirische Zeitreise, die man wahrlich genießen kann und sollte.

© Bilder: Concorde Filmverleih


 

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