Rain - Regentage
(Rain)
Neuseeland 2001, 92 Minuten
Regie: Christine Jeffs

Drehbuch: Christine Jeffs, nach einem Roman von Kirsty Gunn
Musik: Neil Finn, Edmund McWilliams
Director of Photography: John Toon
Montage: Paul Maxwell
Produktionsdesign: Kirsty Clayton

Darsteller: Alicia Fulford-Wierzbicki (Janey), Sarah Peirse (Kate), Marton Csokas (Cady), Alistair Browning (Ed), Aaron Murphy (Jim)

Durchhalten !?

Es herrscht Krieg – und am Ende des Krieges ist ein Opfer zu beklagen. Am Ende sind alle klüger, oder auch nicht. Das ist ein Krieg ohne Maschinengewehre, ohne Granateneinschläge, ohne Kriegsgeschrei. Ein stiller Krieg, ein fast lautloser Krieg, ein Krieg des Schweigens und der fehlenden Worte, ein Krieg aber auch der passenden Worte, der Worte, die sitzen, treffen, der kleinen Hinweise auf eine Katastrophe, die niemand zu verhindern weiß, ein Krieg der Gefühle, der sich am Meer abspielt, diesem Inbegriff der Unendlichkeit, des immer Wiederkehrenden, ein Krieg in der Wärme des Sommers.

Christine Jeffs platzierte ihre Kriegsteilnehmer an die Küste Neuseelands in den Sommer des Jahres 1972. Im Roman von Kirsty Gunn aus dem Jahr 1994 heißt es: „Als der Regen kam, kam er zuerst als eine Vorahnung von Regen.“ („When the rain came it came first as the scent of rain.“) Der Regen kündigt sich an, es duftet nach ihm, bevor irgendein Tropfen vom Himmel fällt.

Kate (Sarah Peirse) und Ed (Alistair Browning), etwa Mitte 40, leben an der Küste in einem Haus, das Ed für die Familie gebaut hat, zusammen mit ihrer 13jährigen Tochter Janey (Alicia Fulford-Wierzbicki) und ihrem achtjährigen Sohn Jim (Aaron Murphy). Janey passt auf Jim auf, behütet ihn, lehrt ihn Schwimmen, tröstet ihn, kuschelt mit ihm. Janey ist mehr als die große Schwester für Jim, eine Art Zweitmutter, vielleicht auch Ersatzmutter. Kates und Eds Ehe ist am Ende. Sie sprechen kaum miteinander, feiern eine Party nach der anderen, trinken den ganzen Tag über Alkohol, Bier, Whiskey and so on. Kate verbringt den Tag im Liegestuhl, langweilt sich, träumt von einem anderen Leben. Ed hat ein Haus gebaut, ein Ferienhaus, eine Hütte, die die Familie zusammenhalten und behüten soll. Sein Traum, sein tiefster Wunsch nach Liebe, Geborgenheit, ein bisschen Sicherheit ist zerplatzt wie eine Seifenblase. Weder Kate, noch Ed wollen wahr haben, dass sie am Ende sind. Sie kümmern sich vor allem um sich selbst, überlassen Janey die Sorge um Jim. Sie führen Krieg, lautlos. Ed ist deprimiert, hilflos, glaubt noch immer an eine Wendung in seinem Leben. Kate wirkt ständig abwesend, auch sie träumt. Beide lieben ihre Kinder, sind aber für Jim und Janey keine wirklichen und wirkenden Eltern.

Janey wird erwachsen. Sie raucht nicht nur ihre erste Zigarette, nimmt einen ersten Drink, obwohl sie den übermäßigen Alkoholgenuss ihrer Eltern hasst, küsst zum ersten Mal einen Jungen, von dem sie eigentlich überhaupt nichts wissen will. Nein, Janey weiß auch genau Bescheid über die Ehe ihrer Eltern. Sie geht auf Distanz, vor allem zu Kate. Sie beobachtet scharf und reagiert ebenso. Sie will Wahrheit und Wahrhaftigkeit.

Der Krieg ist endgültig erklärt, als ein Fotograf im Leben der Familie auftaucht, Cady (Marton Csokas), um die 40 Jahre alt, der ein Boot besitzt. Kate projiziert ihre Wünsche und Sehnsüchte auf Cady, der ihr als Inbegriff all dessen erscheint, was sie vermisst. Cady ist nicht die Ursache der Konflikte, des Kriegs, der sich vor unseren Augen abspielt, er ist das Objekt, das Feindbild des einen (Ed), der teils ungewollte, teils willige Koalitionspartner der anderen (Kate). Cady bricht ein, ohne es zu wollen. Janey weiß sofort Bescheid und greift zum äußersten. Sie lässt sich ein Kleid ihrer Mutter von dieser umnähen, schminkt sich, staffiert sich als Frau, als Objekt der Begierde, das einen Plan verfolgt: die Bestrafung ihrer Mutter für deren Flucht aus der Familie. Sie erzählt Cady, sie wolle für ein Album Bilder von ihr, Cady solle sie fotografieren. Sie verführt den wesentlich älteren Mann mit ihren Blicken, fast unmerklich, unscheinbar, so, als wolle sie sagen: Was willst du denn, so war das nicht gemeint, und lässt ihn doch merken, dass es so gemeint ist.

Dazwischen, in dem ganzen Kriegsgetümmel, spielt Jim, der kleine Jim, der fröhliche Junge (grandios und völlig natürlich gespielt von Aaron Murphy), der im Wasser planscht, der seine Schwester liebt, sich bei ihr aufgehoben, sicher fühlt. Jim verlässt sich auf Janey, für Janey ist Jim der wichtigste Mensch. Doch nun führt auch Janey Krieg, greift ein in die schiefe Kriegskoalition zwischen Kate und Cady, in der letzterer nur Mittel zum Zweck ist, ein Verführter, der sich gern verführen lässt, aber im Grunde mit dem Krieg der Gefühle nichts zu tun haben will. Nun ist er Spielball von Mutter und Tochter. Kate will raus aus ihrer Tristesse, Janey will sie dafür bestrafen.

Christine Jeffs Film ist eine Tragödie, der der Humor dank Aaron Murphy und Alicia Fulford-Wierzbicki, die eine außergewöhnliche schauspielerische Leistung erbringt, nicht fehlt, eine Tragödie, an dessen Ende der Tod lauert. Niemand ist im eigentlichen Sinn Schuld an dieser Katastrophe. Jeder folgt seinen Gefühlen, niemandem ist wirklich ein Vorwurf zu machen. Und doch bleiben tiefe Zweifel, die Frage, wie das passieren konnte, was geschehen ist. Der Rhythmus von Tag und Nacht, von Ebbe und Flut, die Stille der Umgebung, der Landschaft, die Sonne, der Sommer – all dies umgibt wie ein Mantel, der nicht so recht passen will, den Krieg der Gefühle. Krieg entsteht nicht auf Schlachtfeldern, in Schützengräben, er beginnt im Kopf und im Herzen. Janey sagt ihrem Bruder, als der tauchen soll, er müsse Ausdauer haben, es aushalten unter Wasser, immer ein bisschen mehr. Alle halten aus, halten durch, beruhigen sich selbst mit selbst gewählten Durchhalteparolen, ertragen das Leben, statt es zu leben, ertragen einen Tag nach dem anderen, weil sie nicht bei sich sind, sondern von etwas träumen, weil ihnen fehlt, was sie nicht sehen können: sich selbst.

Christine Jeffs Film enthält – ohne dass dies pathetisch gemeint ist – den Stoff des Lebens, ein grandioses Drama voller Zauber und Schrecken.


 

Rain-Plakat
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