Rufmord – Jenseits der Moral
(The Contender)
USA 2000, 126 Minuten
Regie: Rod Lurie

Drehbuch: Rod Lurie
Musik: Larry Groupé
Director of Photography: Denis Maloney
Montage: Michael Jablow
Produktionsdesign: Alec Hammond

Darsteller: Gary Oldman (Rep. Sheldon „Shelly“ Runyon), Joan Allen (Sen. Laine Hanson), Jeff Bridges (Präsident Jackson Evans), Christian Slater (Rep. Reginald Webster), Sam Elliott (Kermit Newman), William L. Petersen (Gov. Jack Hathaway), Saul Rubinek (Jerry Tolliver), Philip Baker Hall (Oscar Billings), Mike Binder (Lewis Hollis), Robin Thomas (William Hanson), Mariel Hemingway (Cynthia Charlton Lee), Kathryn Morris (Special Agent Paige Willomina), Kristen Shaw (Fiona Hathaway), Douglas Urbanski (Makerowitz), Noah Fryrear (Timmy)

In manchen Dingen muss man kleinlich sein ...

... in anderen wahre Größe zeigen“, äußert im Film Präsident Evans. Rod Luries Streifen über die Schlammschlacht gegen eine Senatorin, die zur Vizepräsidentin auserkoren werden soll, kam kurz vor den letzten Präsidentschaftswahlen in die amerikanischen Kinos und war sicherlich ein deutlicher, Position beziehender Beitrag zu diesem Wahlkampf. Die Sympathie für Clinton ist eindeutig, aber auch ehrlich – sowohl was ihn als Präsidenten, als auch was die Umstände in bezug auf die Levinsky-Affäre angeht, ohne dass die Geschichte darauf direkt Bezug nimmt. Ironie der Geschichte: Gary Oldman, überzeugter Republikaner, kritisierte die Produktionsfirma DreamWorks, sie habe Lurie gezwungen, dem Film eine anti-republikanische Richtung zu geben – durch entsprechende Schnitte. „Wenn man Spielberg, Katzenberg und Geffen [die Chefs von DreamWorks] heißt, kann man keinen Republikaner-freundlichen Film am 13. Oktober herausbringen“, setzte Oldman-Manager Urbanski noch eins drauf – drei Wochen vor den Präsidentschaftswahlen und Oldman nennt den Film ein „Demokraten-Märchen“, Urbanski gar ein „Goebbels-ähnliches Stück Propaganda“. Wie Spielberg & Co. Lurie dazu gezwungen haben sollten, über den Schnitt des Films eine parteipolitische Richtung einzuschlagen, bleibt unerfindlich, zumal der Schluss des Streifens mit einer eher versöhnlichen Geste endet.

Präsident Jackson Evans (Jeff Bridges) sucht nach dem Tod seines Vizepräsidenten für den Rest seiner Amtszeit einen geeigneten Nachfolger. Als aussichtsreicher Kandidat wird der demokratische Gouverneur Jack Hathaway (William Petersen) gehandelt. Der sitzt gerade in seinem Ruderboot beim Angeln, als von der Brücke über ihm ein Pkw ins Wasser stürzt. Ohne zu zögern springt Hathaway ins kalte Nass und versucht, die Frau hinter dem Steuer zu retten. Vergeblich, sie ertrinkt.

Evans jedoch erklärt Hathaway in einem Gespräch, dass der zwar eine heldenhafte Tat vollbracht habe, dies aber eher schaden könne, weil sein Verhalten zu sehr an Ted Kennedys Autounfall 1969 in Chappaquiddick erinnere und die Republikaner diese Assoziation gegen ihn ausspielen könnten. In einem Gespräch mit Stabschef Kermit Newman (Sam Elliott) und Pressesprecher Jerry Tolliver (Saul Rubinek) wird die Senatorin Laine Hanson (Joan Allen) als neue Vizepräsidentin auserkoren. Deren Vater Oscar Billings (Philip Baker Hall) war einst republikanischer Gouverneur von Ohio, ihr Mann William (Robin Thomas) hatte Laines Wahlkampf für den Senatorenposten organisiert.

Der Vorsitzende des verfassungsmäßig vorgeschriebenen Komitees zur Überprüfung der Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten, der Republikaner Shelly Runyon (Gary Oldman) ist überhaupt nicht davon begeistert, dass eine Frau, noch dazu eine, die mal bei den Republikanern war und zu den Demokraten übergetreten ist (was er als „Verrat“ beurteilt), dieses Amt bekleidet. Runyon beschließt mit einer Horde von Schnüfflern, Laine Hanson auszuschalten. Behilflich dabei ist ihm der junge demokratische Abgeordnete Reginald Webster (Christian Slater), der unbedingt Komitee-Mitglied werden will. Wenige Zeit später erhält Laines Pressesprecher Lewis Hollis (Mike Binder) ein Dossier zugespielt, das Fotos enthält, auf denen angeblich Laine während einer sexuellen Orgie während ihrer College-Zeit zu sehen ist: beim Gruppensex.

Laine ist erschüttert. Aber sie erklärt dem aufgebrachten Kermit Newman und auch Präsident Evans, dass es unter ihrer Würde sei, darauf in irgendeiner Weise einzugehen. „Mein privates Sexualleben geht niemanden etwas an.“

Vor dem Komitee wird Laine hart attackiert. Aber sie weigert sich, auf diese Fotos in irgendeiner Weise einzugehen. „Wenn ich ein Mann wäre, hätten meine sexuellen Kontakte als Student heute keinerlei Bedeutung. Deshalb sollten sie auch in meinem Fall keine Rolle spielen.“ Doch Runyon eröffnet das Feuer. Er lässt die Ex-Frau von Mr. Hanson vorladen und bezichtigt Laine Hanson des Ehebruchs, weil sie mit ihrem Mann bereits sexuellen Kontakt hatte, als er noch mit Cynthia Lee (Mariel Hemingway) verheiratet gewesen sei. Runyon attackiert weiter: Sie haben den Eid auf die Verfassung abgelegt mit den Worten: „So wahr mir Gott helfe.“ Wie stimme das überein mit ihrer Forderung nach der Trennung von Kirche und Staat? Sie sei für die Straffreiheit bei Abtreibung. Wenn die Zahl der Abtreibungen in den USA weiter zunehme und auch noch die Fristenlösung eingeführt werde, käme dies einem Holocaust-ähnlichen Verbrechen nahe – und so weiter.

Laine bleibt hart. Sie sagt nichts zu den Vorkommnissen in ihrer College-Zeit. Aber sie ist so erschüttert, dass sie die Bewerbung für das Amt aufgeben will. Präsident Evans jedoch hält an ihrer Nominierung fest. Und inzwischen hat Kermit Newman Informationen beschaffen lassen, um Runyon das Handwerk zu legen ...

Das Thema des Films ist zweifellos realistisch. Schlammschlachten gegen politische Gegner zum Zwecke ihrer Diffamierung sind – nicht nur in den USA – an der Tagesordnung. Auch ist es noch immer eine Tatsache, dass Frauen, die für ein Amt kandidieren, aufgrund anderer Kriterien beurteilt werden als Männer. Auch die Geschichte, die Lurie zeigt, ist durchaus vorstellbar. Zudem ist es Unsinn zu behaupten, es gehe in diesem Film einseitig gegen die Republikaner. Der demokratische Gouverneur Hathaway und der junge demokratische Abgeordnete Reginald Webster, der Runyon unterstützt, stehen nicht gerade in einem positiven Licht.

Die Scheidelinie, die Lurie zieht, verläuft nicht so sehr zwischen den beiden Parteien, sondern zwischen der Basis des erzkonservativen (teilweise faschistoiden) christlichen Fundamentalismus und der eines aufgeklärten Liberalismus, und das heißt auch zwischen grundlegenden Positionen in der amerikanischen Gesellschaft. Hier bezieht der Film eindeutig Position, ohne allerdings in Feindbild-Schemata zu verfallen. Runyon wird nicht als der teuflische Bösewicht in die Ecke der Verdammnis gestellt. Präsident Evans ist nicht der absolute politische Saubermann, den man auf den Sockel stellen müsste.

Luries Film ist ein politisches Drama, das durch die Darstellung seiner Figuren und vor allem durch eine überraschende Wendung am Schluss immer spannend bleibt. Zudem geht Lurie der Frage nach, wie ein Mensch das Treibhausklima der Verunglimpfung ertragen kann. Laine Hanson lässt sich in ihrer Haltung, ihr Privatleben nicht in der Öffentlichkeit zu diskutieren, nicht beirren, ist aber zugleich derart unter Druck und verletzt, dass sie bereit ist, das Handtuch zu werfen. Joan Allen spielt diese Rolle weder zu sensibel, noch zu unterkühlt; sie findet das richtige Mittelmaß.

Lurie schildert im übrigen auch eindrücklich die mediengesteuerten und mediensteuernden Mechanismen zwischen der politischen Klasse und der Öffentlichkeit. Runyons Schlammschlacht konterkariert Stabschef Newman mit geheim gehaltenen Ermittlungen, über die ich hier nichts weiter verraten will. Darf man mit den gleichen oder ähnlichen Mitteln zurückschlagen?

Präsident Evans, der stets ans Essen denkt, ist einer der aufgeklärten Liberalen, doch zugleich ein Fuchs, der taktiert, laviert, intrigiert – natürlich nur „for the best“ und im Interesse der Nation. Jeff Bridges spielt einen gewieften Präsidenten, doch zugleich auch den – mal schwachen, mal starken – Menschen der sich hinter dieser Funktion verbirgt.

Auch Gary Oldman und Christian Slater mimen keine Feindbilder, wie Oldman dies (wie oben zitiert) kurz vor Anlauf des Films kommentiert. Runyon ist ein von seinen Prinzipien überzeugter Politiker, der allerdings längst das Maß an wirklicher, überzeugender und ehrlicher political correctness verloren hat und nach dem Grundsatz handelt: Der Zweck heiligt die Mittel.

In einer meinem Gefühl nach zentralen Szene, in der Runyon sich mit Laine Hanson zum Essen trifft, fordert sie ihn auf, die Schlammschlacht zu unterlassen. Runyon sagt ihr, er sei entschlossen, ihre „abwegigen Sexualpraktiken“ an die Öffentlichkeit zu bringen. Verächtlich hält er ihr entgegen: „Man muss nicht unbedingt ein Kennedy oder Lincoln sein, um dieses Amt zu übernehmen. Aber man muss zumindest das Potential solcher Größe mitbringen. Und das haben sie wahrlich nicht.“ Unterhalb dieses verbalen Schlagabtauschs zeigt Lurie noch etwas anderes. Als Hanson etwas zu spät zum Lunch kommt, ist Runyon bereits dabei, gierig sein Fleisch zu essen. Er sagt dem Kellner, er solle Hanson das gleiche bringen. Doch die lehnt ab, will kein Fleisch essen. Runyon versucht es noch einmal. Hanson bestellt etwas Vegetarisches. Runyon gibt auf, doch schlingt umso gieriger sein Fleisch, spricht mit vollem Mund. Runyon hasst das Liberale, das Aufgeklärte, das auch noch von einer Frau vertreten wird. Aber in diesem Hass steckt zugleich Neid. Wenn er sein Essen hinunterschlingt, dann drückt sich darin der Wunsch aus, Laine Hanson gleichzeitig zu vernichten und zu besitzen. Runyon, das ist der Repräsentant einer Doppelmoral, der nach außen den Anspruch erhebt, Sittenwächter der Nation zu sein, aber im Innern von seinen Begierden geplagt wird, zu denen er sich nicht öffentlich bekennen kann, vom Neid, dass andere zu ihren Begierden und Bedürfnissen stehen. Hier bekommt das Verhältnis zwischen Privatleben und Öffentlichkeit noch eine andere Seite, die des Verklemmten, Versteckten, Verborgenen. Wenn dieses Verdrängte aber an die Öffentlichkeit gerät, muss es bis in alle Ewigkeit verdammt werden. Das ist ungefähr so wie in der katholischen Kirche: Es gab und gibt zahlreiche Priester, deren Verhältnis zu ihrer „Haushälterin“ auch den Vorgesetzten bekannt ist. Es wird geduldet, solange es nicht an die Öffentlichkeit gelangt.

Der Schluss des Films – eine Rede Präsident Evans – ist sicherlich (mal wieder) ein typisch amerikanischer Schluss. Trotzdem hält sich aber das Pathos, auch dank Jeff Bridges und seiner Schlussbemerkung hinter vorgehaltener Hand, in Grenzen.

„The Contender“ bezieht Stellung. Lurie will es nicht allen recht machen. So wird der Film auch nicht allen gefallen (haben), besonders nicht in den Vereinigten Staaten. Immerhin bezieht er eindeutig Position für Liberalismus und Aufklärung, gegen jenen beschämenden, reaktionären Fundamentalismus, der eine ganze Gesellschaft in einen als höhere Moral apostrophierten, aber umso erbärmlicheren, destruktiven Sumpf ziehen will.

Man könnte den Film auch auf andere Weise kritisieren, nämlich unter dem Vorbehalt der amerikanischen Außen- wie Innenpolitik. Aber dieses Kriterium anzulegen, hieße, sich mit den wirklichen und wirkenden Mechanismen einer Gesellschaft nicht zu befassen. Allerdings wünscht man sich sozusagen als Ergänzung einen weiteren Streifen, der sich mit den Ambivalenzen derjenigen befasst, die sich zwar als aufgeklärte Liberale verstehen, bei denen der Hang zu political correctness allerdings die Formen einer neuen Ideologie annimmt.