Sisters - Schwestern des Bösen
(Sisters)
USA 1973, 93 Minuten
Regie: Brian de Palma

Drehbuch: Brian de Palma, Louisa Rose
Musik: Bernard Herrmann
Director of Photography: Gregory Sandor
Montage: Paul Hirsch
Produktionsdesign: Gary Weist

Darsteller: Margot Kidder (Danielle Breton / Dominique Blanchion), Jennifer Salt (Grace Collier), Charles Durning (Joseph Larch), William Finley (Emil Breton), Lisle Wilson (Phillip Woode), Dolph Sweet (Det. Kelly)

Hommage an Hitchcock - nur teilweise gelungen

Es ist das Unvorhergesehene und das Unvorhersehbare, was Brian de Palma (“Carrie”, 1976; “Die Unbestechlichen”, 1987; “Carlito’s Way”, 1993; “Mission Impossible”, 1996) in einem seiner frühen Filme zum Gegenstand eines Psychohorrors gemacht hat. Man könnte es auch Schicksal nennen – eher ist es die Art von Zufall, dessen Folgen man nicht abschätzen kann. De Palma ist ein Bewunderer Hitchcocks; und doch ist der Vergleich von “Sisters” etwa mit “Psycho”, den manche angestellt haben, doch etwas weit hergeholt. Vor allem die Überraschungsmomente halten sich in “Sisters” im Vergleich zu “Psycho” und vielen anderen Hitchcock-Filmen doch sehr in Grenzen. Die Handlung ist oft vorhersehbar – in dem Umfang, wie sie für die Beteiligten unvorhersehbar ist.

So trabt der junge Phillip Woode (Lisle Wilson) schnurstracks in den Tod – ohne auch nur das Geringste zu ahnen. Er verliebt sich in die junge Danielle (Margot Kidder), die er bei einer Fernsehshow kennen gelernt hat – bei einem Experiment: Sie spielt eine blinde Frau, die sich auszieht, er einen Mann, der dies zufällig beobachtet. Und die Kandidaten sollen nun raten, ob er sich dem Voyeurismus hingibt oder abwendet. Er wendet sich ab – und nach der Show, bei der er eine Dinner zu zweit in einem Nobelrestaurant gewonnen hat, Danielle zu. Eine Liebesnacht, ein Gang zur Konditorei, eine Torte mit der Aufschrift “Glückwunsch für Danielle und Dominique” – und schon findet er einen entsetzlichen Tod durch etliche Stiche mit einem Messer, mit dem Danielle eigentlich die Torte anschneiden sollte.

Schon hier wird dem Betrachter die Situation deutlich vor Augen geführt: Die junge Danielle schluckt Pillen, Phillip lässt die letzten dieser Pillen – ohne zu ahnen, wofür sie gut sind – in den Abguss fallen. Und als er zurück ist von der Konditorei, hat sich Danielle in Dominique verwandelt, ihre Zwillingsschwester, das mordende alter ego, mit der Danielle einmal im wahrsten Sinn des Wortes eng verbunden war. Natürlich ist Danielle nicht Dominique – aber das Böse ihrer vor einem Jahr verstorbenen Schwester lebt in ihr fort – wenn sie nicht die Pillen nimmt – oder ist es das Böse, das aus ihr selbst kommt? –, die ihr ihr Ehemann, der Psychiater Emil Breton (William Finley) verschrieben hat.

Danielle – das ist die Flüchtende vor sich selbst, die Angsterfüllte, die ihre ganze Wut, ihre verdrängten Urängste mit Mord zu töten versucht.

Die andere Geschichte ist die der Journalistin Grace Collier (Jennifer Salt), die den Mord von ihrer gegenüberliegenden Wohnung aus beobachtet hat – der aber niemand glaubt, weil Emil die Spuren samt der Leiche Phillips hat säuberlich verschwinden lassen. Und Grace hat wegen ihrer kritischen Berichterstattung über Cops nicht gerade Sympathie bei dem ermittelnden und dann schnell nicht mehr ermittelnden Detective Kelly (Dolph Sweet). Fortan ermittelt sie selbst. Grace ist die personifizierte Ungläubige, die sich nichts vormachen lässt: Was sie gesehen hat, hat sie gesehen. Und private eye Larch (Charles Durning) soll ihr dabei helfen, das Gesehene auch für andere sichtbar zu machen ...

Der Zufall und das für die einzelnen Beteiligten Unvorhersehbare reagiert weiter – nur für den Zuschauer nicht, der sich in diesem Punkt wiederum an Hitchcock erinnern mag – etwa an “Frenzy”, einem Film, bei dem wir immer schon mehr wissen als die Beteiligten – der Mörder, der unschuldig Verdächtigte, der Polizist ... Es gibt nur eine Person, die dieses Gesetz des Unvorhersehbare durchbrechen will: Grace, die nicht locker lässt, die nicht verzweifelt, die schnurstracks dann aber auch in eine Falle läuft – und trotzdem nicht aufgibt, selbst, als es zu spät zu sein scheint.

De Palma zeigt uns Danielle als eine schizoide Persönlichkeit, die das Schöne, Erhabene, Menschliche genauso in sich vereinigt wie das Brutale, Mordende, Kaltblütige. Neben ihr, hinter ihr steht ein unangenehm aussehender und wirkender Mann, Emil, dessen schütteres Haar und große Brille abweisend wirken – ein Mann, der Danielle nur schützen will, allerdings mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen und ebenso ein Opfer des Unvorhersehbaren wird. Aber im Unterschied zu Phillip, den die Zuneigung in die tödliche Falle tapsen lässt, ist es bei Emil der Drang zum Vertuschen, zum Verbergen des furchtbaren Geheimnisses dieser jungen Frau, die ihm zum Verhängnis wird. Die Spannung des Films – mag sie auch nie so ein Suspense sein wie bei Hitchcock – erwächst aus diesem Wissen des Zuschauers in der Differenz zur Unwissenheit der Akteure. Selbst Danielle ist nur sie selbst, wenn sie mordet. Auf alles, was dazu führt, hat sie keinen Einfluss: Die Pillen sind weg, Emil hält sie in seiner Klinik gefangen – all das geschieht ohne ihren Willen, ohne dass sie eine Wahl hätte.

Die Szene, die zum Mord an Phillip führt, die des Einbruchs von Larch in der Wohnung Danielles und die in der Klinik Emils gehören zu den spannenden Szenen des Films. Andererseits gelingt es de Palma nicht wirklich, an die Techniken Hitchcocks so heranzukommen, dass der Film über 93 Minuten einen Spannungsbogen aufrecht erhalten könnte. Auch z.B. der Einsatz der Splitscreen-Technik ändert daran nichts Wesentliches. Der dramaturgische Effekt, den Zuschauer immer einen Schritt voraus sein zu lassen, ist bei Hitchcock in punkto Suspense bis zur Vollkommenheit ausgereizt. Man denke etwa an die Szene, als der Mörder in “Frenzy” verzweifelt auf einem Kleinlaster seine Krawattennadel sucht. Und noch ein Moment kommt in solchen Szenen bei Hitchcock zum Tragen: die Ironie, wenn etwa Bob Rusk in dieser Kartoffel-Szene den Fuß seines Opfers im Gesicht hat. Auch die Morde im Vergleich beider Filme sind völlig unterschiedlich inszeniert. Der Mord an Brenda in “Frenzy” mit der Krawatte ist so fürchterlich und so ironisch zugleich, dass allein daraus eine gruselige Spannung erwächst. Der Mord an Phillip ist nur blutrünstig – sonst nichts.

Man kann de Palmas “Sisters” zweimal sehen – aber beim zweiten Sehen ist der Film dann doch eher schon fast langweilig. “Frenzy” kann ich immer wieder sehen – obwohl ich die Handlung in- und auswendig kenne.

So bleibt “Sisters” ein einmal sehenswerter, aber insgesamt in sich nicht stimmiger Film – nicht was die Handlung selbst betrifft, aber was das Spannungsverhältnis betrifft zwischen dem, was der Zuschauer den Akteuren voraus hat, und wie die Akteure handeln. Alles läuft am Schluss auf zu viele Zufälle und oberflächliche dramaturgische Kniffe hinaus. Warum Grace von Emil psychisch manipuliert wird, damit sie sich an den Mord an Phillip nicht erinnern soll, bleibt unerfindlich. Es spielt keine Rolle mehr, nachdem Emil tot, Danielle in Polizeigewahrsam und die ganze Geschichte der Zwillinge aufgedeckt ist.

Die Hommage an Hitchcock ist also nur bedingt gelungen. Daran ändert die zweifellos geniale Musik Bernard Herrmanns auch nichts.

Wertung: 7 von 10 Punkten.

29. Juni 2008