Spurwechsel
(Changing Lanes)
USA 2002, 99 Minuten
Regie: Roger Michell

Drehbuch: Chap Taylor, Michael Tolkin
Musik: David Arnold
Director of Photography: Salvatore Totino
Montage: Christopher Tellefsen
Produktionsdesign: Kristi Zea

Darsteller: Ben Affleck (Gavin Banek), Samuel L. Jackson (Doyle Gipson), Kim Staunton (Valerie Gipson), Toni Collette (Michelle), Sydney Pollack (Stephen Delano), Tina Sloan (Mrs. Delano), Richard Jenkins (Walter Arnell), Akil Walker (Stephen Gipson), Cole Hawkins (Dany Gipson), Ileen Getz (Ellen), Jennifer Dundas (Mina Dunne), Matt Malloy (Ron Cabot), Amanda Peet (Cynthia Banek), Myra Lucretia Taylor (Abarbanel), Bruce Altman (Joe Kaufman), William Hurt (Sponsor), Dylan Baker (Finch), Michael Patrick McGarth (Seavers), Joe Grifasi (Cosell)

Ein falscher Schritt folgt dem nächsten

Für Paramount gilt, was für alle Hollywood-Produktionsfirmen ungeschriebenes Gesetz ist: Irgendeine Art von Happy-End muss sein, wenn ein Regisseur die passende Werbung ergattern will. Und so hat Roger Michells („Notting Hill“, „Persuasion“) neuer Film gleich zwei Happy-Ends – ein aus der Handlung resultierend glaubwürdiges und ein aufgesetztes. Da teilen ein weißer aufstrebender, vermögender Jung-Anwalt und ein zur unteren Mittelschicht gehörender schwarzer Versicherungsangestellter für einen Tag ihr Leben, einen Tag, der es in sich hat. Vor allem aber: Am Schluss müssen sie feststellen, dass zwar die Größe des Portemonnaies ihre Welten in vielem trennen mag, so gut wie alles andere aber nicht. Ein Unfall, der nicht nur zufällig passiert, sondern eine gewisse Logik in sich birgt, bringt beide zusammen, lässt sie aufeinander prallen, nicht nur ihre Autos, sondern auch ihre Probleme. „Changing Lanes“ ist kein Thriller, wie der Trailer vielleicht (bewusst) vermuten lässt, sondern ein Film über die Folgen der durch den Zusammenprall in Gang gesetzten Explosionskraft zweier Männer nach einer „Wegkreuzung“, ein Weg zurück, um möglicherweise vorwärtszukommen.

Die Nobelkarosse Gavin Baneks (Ben Affleck) und die Blechkiste Doyle Gipsons (Samuel L. Jackson) nehmen Verbindung auf – auf beider Weg zum Gericht. Banek will in einem Erbschaftsprozess Dokumente vorlegen, um seinen Chef und Schwiegervater Stephen Delano (Sydney Pollack) und dessen Partner in der Anwaltskanzlei, in der Bank arbeitet, rein zu waschen, die eine Stiftung des verstorbenen Großvaters von Mina Dunne (Jennifer Dundas) durch dessen Unterschrift kurz vor seinem Tod in die Finger bekommen haben. Mina Dunne behauptet, ihr Großvater sei nicht mehr geistesgegenwärtig gewesen, die Anwälte hätten ihn überrumpelt.

Doyle Gipson muss zum Sorgerechtsverfahren, das seine Frau Valerie (Kim Staunton) angestrengt hat, die sich mit ihren beiden Söhnen von Doyle trennen und von New York wegziehen will. Gipson will das verhindern und hat vor, ein Haus in Queens zu erwerben, um die drei dort einzuquartieren, damit er seine Söhne regelmäßig sehen kann. Gipson ist Alkoholiker gewesen, jetzt zwar clean, aber seine Frau kann und will nicht mehr mit ihm leben.

Beide haben es eilig. Banek allerdings ist etwas skrupelloser als Gipson und fährt mit der Bemerkung, er habe keine Zeit und „Mehr Glück beim nächsten Mal“ auf und davon. Sein Pech: Die wichtigste Akte hat er am Unfallort liegen gelassen. Gipson nimmt sie an sich und kommt zu spät zur Verhandlung. Das Gericht hat entschieden, das Sorgerecht der Mutter zu übertragen.

Banek kann die Akte in seinem Prozess nicht vorlegen und hat nur bis zum Abend Zeit sie wiederzubeschaffen.

Von nun an beginnt ein Zweikampf, ein mühsamer Kleinkrieg zwischen den beiden Männern. Gipson will von Banek die zwanzig Minuten zurück, die er durch den Unfall verloren hat, Banek die Akte. Doch beide geben nicht nach. Sie verlagern ihr eigenes Problem auf den anderen. Banek beauftragt auf Vorschlag seiner Ex-Geliebten Michelle (Toni Collette) einen Hacker, Gipsons Konten zu sperren, Gipson rächt sich, indem er am Auto Baneks die Radmuttern löst ...

Der psychologische Kleinkrieg, den Michell inszeniert, lebt vor allem durch die intensive Charakterdarstellung durch Jackson und Affleck. Beide handeln nach ihrem jeweiligen Malheur in jeder Hinsicht kontraproduktiv: Sie nehmen Rache. Der jeweils andere wird zum Schuldigen des eigenen Unglücks erklärt. Der relativ alltägliche Ausgangspunkt, ein Verkehrsunfall mit glimpflichem Ausgang, lässt die charakterlichen Schwächen der beiden Männer eskalieren. Eine falsche Reaktion lässt die nächste folgen. Wie in einer chemischen Kettenreaktion treibt der Zweikampf die Kontrahenten nahe an den Abgrund.

Dabei verzichtet Michell zum Glück für die Handlung auf eine stetige Steigerung bis zum Exzess. Er „baut“ Ruhepausen ein, in denen Gipson wie Banek bis zu einem gewissen Punkt reflektieren, was sie gerade getan haben. Banek weiß genau, dass beim Abschluss des Testaments nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Er selbst konnte feststellen, dass Mina Dunnes Großvater nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war, als er unterschrieb. Aber mehr will er eigentlich darüber nicht wissen. Er verdrängt die näheren Umstände und das, was er weiß, und lässt sich allein – ohne Unterstützung durch Delano – in den Prozess schicken. Jetzt, als ihm die verloren gegangen Akte langsam aber sicher einen Strick um den Hals zu legen scheint, will er mehr wissen und verschafft sich Zugang zu den Akten, die Delano ihm vorenthalten hat.

Gipson wiederum hat sich zwar von seiner Alkoholsucht befreit. Doch sein Anti-Alcoholic-Sponsor (William Hurt, leider nur in einer Nebenrolle) sagt ihm ganz offen, dass Alkohol nicht die Droge ist, die für ihn gefährlich ist. Es sei das Chaos, das Gipson durch sein Verhaltensmuster anrichte. Etwas ähnliches sagt ihm seine Frau. Gipson will alles richtig machen, will alles hinbiegen, das Glück erzwingen – und macht alles falsch. „Das ist genau das, was dir immer wieder passiert“, sagt seine Frau, als er ihr von den „Unfallfolgen“ erzählt, „und was mir niemals geschieht, es sei denn, ich stehe unter deinem Einfluss.“ Gipson sitzt vor einem Glas Bourbon in irgendeiner Kneipe. Er starrt das Glas an, vermischt es mit Cola, trinkt aber nicht. Dafür beginnt er einen sinnlosen Streit mit zwei Typen und schlägt sie vor der Bar nieder. Das ist sein Problem.

Betrug und Selbstbetrug treffen in den beiden Männern aufeinander und ziehen gezielte gegenseitige Provokationen nach sich. Michell verschafft einen Einblick in diese beiden Männer und es ist belanglos, ob sie reich oder arm, schwarz oder weiß sind. Sie sind sich ähnlich in ihren Schwächen. Michell treibt beide so weit, dass sie in einen Grenzbereich gelangen. Beide sind weder nur gut oder nur böse, sie denken nach, meist zu spät. Erst als sie an ihren Grenzen angekommen sind, sind Entscheidungen fällig. Baneks Frau Cynthia (Amanda Peet) sagt ihrem Mann ganz offen, für welches Leben er sich entschieden hat: Ein Leben an der Seite einer Frau, deren Vater als Anwalt den Gesetzen folgt, die Betrug und falsches Spiel unvermeidlich beinhalten. Auch von ihm verlangt sie, ein Leben zu führen, das den Gesetzen der Wall Street verpflichtet ist. Ihre Mutter habe gewusst, dass ihr Vater 20 Jahre lang eine Geliebte hatte. Aber sie sei bei ihm geblieben, weil es unmoralisch sei, einen Mann zu verlassen, der ihr ein solches Leben verschafft habe.

Gipson nähert sich ebenfalls seiner Grenze. Er muss einsehen, dass er seinen Weg, alles richtig machen zu wollen, verlassen muss, um nicht noch weiter Chaos zu produzieren. Er muss akzeptieren, dass seine Frau ihn mit den Kindern verlassen will, weil sie dieses Chaos nicht ertragen kann.

Die Grenzbereiche der beiden Männer sind nicht weit voneinander entfernt. Auf der einen Seite der Grenze befindet sich ein Leben im Selbstbetrug oder Chaos, auf der anderen eines, in dem man zu sich selbst findet und loslässt. Samuel L. Jackson, einer meiner Lieblingsschauspieler, und Ben Affleck, nicht gerade einer meiner Lieblingsschauspieler, spielen diese Parts bravourös. Sie hetzen sich, bis die Luft raus ist, und sie haben das Glück, das „Land“ auf der anderen Seite der Grenze in sich noch nicht ganz verloren zu haben. Hätten sie das nicht, würden sie sich bis aufs Messer, bis zum Tod bekämpfen (etwa wie Al Pacino und Robert de Niro in „Heat“, bei deren Zweikampf nur eines zählt: Einer ist tot am Ende).

Die Nebenrollen kommen in dem Streifen leider etwas zu kurz, das gilt für Sydney Pollack, Toni Collette und vor allem William Hurt. Zum einen ist dies bedingt durch die Fokussierung auf die beiden Hauptfiguren, zum anderen hätte man sich mehr in dieser Hinsicht trotzdem gewünscht.

„Changing Lanes“ spielt in Manhattan, an der Wall Street. Zwei Männer geraten aus den Fugen, die das Leben dort selbst verursacht, weil sie sich diesem Leben, jeder auf seine Weise, verschrieben haben. Ein Funke entzündet eine Entscheidungsschlacht, die in der Katastrophe enden könnte. Die Skyline und die Bilder der Stadt – hervorragend fotografiert von Salvatore Totino – kontrastieren mit der Innensicht der beiden Männer nur scheinbar. Die Fassade der Stadt kann die Fassade, hinter der sich Banek und Gipson verbergen, nicht verhüllen. Delano lebt in und von dem, was sich und was er vor anderen, vor allem vor dem Gesetz, verbergen will. Er sagt Banek ganz offen, dass, weil Dunne sein Vermögen letztlich auch nur durch Betrug – um der Steuerersparnis wegen durch eine Stiftung – gemacht habe, u.a. durch Kinderarbeit in Malaysia, der Betrüger auch betrogen werden dürfe. Das ist seine Rechtfertigung des eigenen Handelns.

Für beide Männer gibt es ein Happy End. Das erste, von Affleck überzeugend gespielt, überzeugt auch mich, das zweite wirkt aufgesetzt wie ein Muss. Das nimmt dem Film am Schluss (leider, leider) an Glaubwürdigkeit. Denn die Geschichte hätte zweifellos aus ihrer ganzen Logik und den Charakteren heraus auch anders ausgehen können. Durch dieses doppelte Happy End schafft Hollywood (wieder einmal) die Verkehrung des inneren Kampfes zweier Menschen um sich selbst und ihre Umgebung zu einer allgemein-moralischen Frage, zum amerikanischen Traum vom Individualismus, zum ideologischen Korsett. Das kann einen verdammt ärgern, auch wenn die Schlussszene großartig fotografiert ist.