Tesis – Faszination des Grauens
(auch: Tesis – Der Snuff-Film)
(Tesis)
Spanien 1996, 125 Minuten
Regie: Alejandro Amenábar

Drehbuch: Alejandro Amenábar, Mateo Gil
Musik: Alejandro Amenábar, Mariano Marín
Director of Photography: Hans Burman
Montage: María Elena Sáinz de Rozas
Produktionsdesign: Wolfgang Burmann

Darsteller: Ana Torrent (Ángela Márquez), Fele Martínez (Chema), Eduardo Noriega (Bosco Herranz), Xabier Elorriaga (Prof. Jorge Castro), Miguel Picazo (Prof. Figueroa), Nieves Herranz (Sena Márquez), Rosa Campillo (Yolanda), Francisco Hernández (Ángelas Vater), Rosa Ávila Ángelas Mutter), Olga Margallo (Vanessa Romero)

Torturen ...

Bevor Alejandro Amenábar so berühmt gewordene Filme wie „Öffne die Augen” (1997), „The Others” (2001) und „Das Meer in mir” (2004) drehte, wurde er 1996 mit einem Film bekannt, in dem er bereits seine Vorliebe für psychologische Thriller auslotete. „Tesis” spielt – wie die beiden erst genannten Filme – vor allem mit dem Mittel der Täuschung, die sich sowohl über die Geschichte und Charaktere selbst, als auch über die Bilder vermittelt.

Die Handlung spielt im Universitätsbetrieb in Madrid am Fachbereich für Kommunikationswissenschaften. Die Studentin Ángela (Ana Torrent) hat ein Konzept für ihre Diplomarbeit im Fach Medienwissenschaften erarbeitet, das sie Prof. Figueroa (Miguel Picazo) vorlegt. Der ist sehr angetan. Ángela interessiert sich u.a. für Gewaltdarstellung in den Medien und sucht nach Filmen, die wegen ihrer exzessiven Gewaltdarstellung verboten wurden. Sie spricht ihren Kommilitonen Chema (Fele Martínez) an, der sie zunächst barsch zurückweist, dann aber doch mit sich nach Hause nimmt und ihr ein Gewaltvideo mit dem Titel „Flesh Blood” vorführt. Ángela schaut nur ab und an angewidert den Folterszenen in diesem Video zu.

Am nächsten Tag findet Ángela Prof. Figueroa tot im Vorführraum der Fakultät. Sie nimmt das Video an sich, das der Professor offenbar kurz zuvor dort gesehen hat, und geht damit zu Chema, der sich den Film sofort ansieht. Entsetzt hält Ángela die Hände vor ihre Augen. Der Film zeigt die Folterung, Ermordung und Zerstückelung einer jungen Frau, die auf einen Stuhl gefesselt wurde. Chema sagt, er kenne die Frau. Es sei Vanessa Romero (Olga Margallo), die vor Jahren spurlos verschwunden sei, eine Studentin am Fachbereich.

Chema merkt, dass der Film geschnitten wurde. Offensichtlich hat der Mörder all jene Passagen des Films herausgeschnitten, in denen möglicherweise Vanessa seinen Namen nannte. Und Chema entdeckt noch mehr: Der Film wurde mit einer zur Tatzeit gerade erst auf den Markt gekommenen Kamera der Marke Sony XT-500 mit Digital-Zoom aufgenommen – einer sehr teuren Kamera. Ángela hat Angst und will über die Angelegenheit eigentlich nichts mehr wissen. Doch sie forscht dann doch weiter, sammelt Zeitungsausschnitte über das Verschwinden von Vanessa, während sich Chema über einen Bekannten an der Universität, der die Videokameras, die dort angebracht sind, überwacht, Zutritt zum Archiv verschafft, aus dem Prof. Figueroa offenbar das Video entwendet hatte. Chema entdeckt hinter einer Tür, die zu den Räumen der alten Heizungsanlage führt, weitere Videos.

Inzwischen kümmert sich Prof. Castro (Xabier Elorriaga) um Ángelas Diplomarbeit und übernimmt die Vorlesungen des verstorbenen Figueroa. Castro interessiert sich besonders für den Teil der Arbeit, in der Ángela Gewaltdarstellungen in Medien behandeln will. Als Ángela in den Gängen des Fachbereichs einen Studenten mit einer Sony XT-500 sieht, schöpft sie Verdacht, zumal der Student, Bosco Herranz (Eduardo Noriega), bemerkt, dass Ángela ihn beobachtet, und sie verfolgt. Ist er der Mörder Vanessas?

Amenábar lässt lange offen, wer hinter der Ermordung Vanessas stecken könnte. In Verdacht geraten alle – außer Ángela:

  • Bosco, der vorgibt, Ángela zu mögen und sich ihr als sympathischer junger Kerl präsentiert. Trotzdem sind Ángelas Gefühle ihm gegenüber ambivalent.
  • Prof. Castro, der Ángela das „Du” anbietet und sich anscheinend väterlich um sie und ihre Diplomarbeit kümmert. Gleichzeitig verkündet er seinen Studenten gegenüber, Filmemacher müssten ausschließlich solche Filme drehen, die das Publikum will.
  • Yolanda (Rosa Campillo), Boscos Freundin, von der er sich trennen will. Bosco ist bekannt als jemand, der laufend andere Freundinnen hat. Treibt die Eifersucht Yolanda zum Mord?
  • Aber auch Chema sagt Ángela nicht alles, was er weiß. Immerhin war er zusammen mit Bosco und Vanessa in einer Arbeitsgruppe, die merkwürdige filmische Experimente diskutierte. Nur diskutierte?
  • Und welche Rolle spielte Prof. Figueroa in diesem Dunkel an Verdächtigungen und Verbrechen?

„Tesis” ist ganz überwiegend aus der Perspektive von Ángela gedreht, einer sehr ernst wirkenden jungen Frau, die zwar bei ihren Eltern und ihrer Schwester Sena (Nieves Herranz) wohnt, aber dennoch sehr zurückgezogen zu leben scheint. Einerseits ist sie von der exzessiven Gewalt angewidert, andererseits zieht die Gewalt sie immer wieder in ihren Bann: Sie will wissen, wer für diese Grausamkeiten verantwortlich ist. Und das geht weit über das Thema ihrer Diplomarbeit hinaus. Ihr zur Seite steht ein flippiger, mürrischer Kommilitone, Chema, der zu Hause eine ganze Sammlung von Gewaltvideos, harten Pornos usw. angelegt hat. Und Ángela kann nicht verstehen, wie sich Chema – ohne auch nur einmal angewidert wegzuschauen – solche Filme ansehen kann.

Amenábars „Tesis” ist über weite Strecken sehr spannend inszeniert. Und am Schluss scheint Amenábar noch als i-Tüpfelchen auf seine Geschichte einen Schlag gegen die Medien zu platzieren: Nach der Aufklärung des Falls zeigt das spanische Fernsehen Auszüge aus einem der Foltervideos. Allerdings hat die Inszenierung auch einige Ungereimtheiten. Zum einen flüchtet Ángela vor Bosco Herranz innerhalb der Universität ausgerechnet in Bereiche, in denen sich kein Mensch aufhält, anstatt – sie hat schließlich Angst um ihr Leben, weil Bosco der Mörder sein könnte – dorthin zu laufen, wo sich viele Menschen aufhalten, was angesichts des Universitätsbetriebs auch leicht möglich gewesen wäre. Zum anderen, und das wiegt als Einwand viel schwerer, erwägen weder Ángela, noch Chema, mit dem Video zur Polizei zu gehen. Schließlich ist dieses Video ein klarer Beweis für die Ermordung der damals verschwundenen Vanessa. Ángela geht selbst dann nicht zur Polizei, als ihr und Chema bekannt wird, dass fünf weitere Opfer auf die gleiche bestialische Weise gefoltert und ermordet wurden.

Dieses Verhalten ist kaum vernünftig zu erklären. Denn schließlich wächst dadurch auch die Gefahr für Ángela, selbst zur Zielscheibe des Mörders zu werden, sobald der merkt, dass sie ihm auf der Spur ist. Statt dessen begibt sie sich nachts (!) allein (!) in das Haus von Bosco (!), von dem sie zumindest vermutet, er könne der Täter sein. All diese Mängel des Drehbuchs – und anders kann man das nicht bezeichnen – dienen Amenábar „nur” dazu, durch die Nichtbeachtung von Logik in dieser Hinsicht die äußere Spannung aufrechtzuerhalten, anstatt z.B. zu versuchen, durch die Einführung weiterer Verdächtiger die Geschichte zu „verschachteln”, die dann ermittelnde Polizei im Dunkeln „tappen” zu lassen, weil der wirkliche Täter sie z.B. geschickt auf eine falsche Spur lockt usw. usf.

Auch die am Schluss etwas aufgesetzt wirkende Medienschelte greift zu kurz, weil dieser Kritik ansonsten im Film kaum eine Bedeutung zugemessen wird. Schade drum. Andererseits ist der Film gut besetzt, vor allem durch Ana Torrent und Fele Martínez, und trotz aller Kritik sei er zur Ansicht empfohlen.