Tödliches Kommando - The Hurt Locker
(The Hurt Locker)
USA 2008, 131 Minuten
Regie: Kathryn Bigelow

Drehbuch: Mark Boal
Musik: Marco Beltrami, Buck Sanders
Director of Photography: Barry Ackroyd
Montage: Chris Innis, Bob Murawski
Produktionsdesign: Karl Júlíusson

Darsteller: Jeremy Renner (Staff Sergeant William James), Anthony Mackie (Sergeant J. T. Sanborn), Brian Geraghty (Specialist Owen Eldridge), Guy Pearce (Sergeant Matt Thompson), Ralf Fiennes (Contractor Team Leader), David Morse (Colonel Reed), Evangeline Lilly (Connie James), Christian Camargo (Colonel John Cambridge)

"Open the hurt locker and see ..."

"Der Rausch des Kampfes wird
oft zu einer mächtigen und
tödlichen Sucht. Denn Krieg
ist eine Droge."
(Chris Hedges, Kriegskorrespondent
der New York Times)

Ein Raum wird geschaffen, dann schließt er sich ab, nicht vollständig, aber auf eine Weise, die Einflüsse von außen nur bedingt zulässt. Manche Türen sind offen, manche hermetisch abgeriegelt. Räume können in ihrer Ausdehnung verharren oder sich verkleinern oder sich ausbreiten. Räume existieren in der Zeit, auch wenn sich manche gegen ihre Auflösung, ihre Diffusion manchmal wehren. Räume können sich wehren. Ihr Kodex, ihre Mechanismen, und die Protagonisten, die diese Mechanismen verinnerlicht haben, wehren sich. Sie suchen nach einer Rechtfertigung für die Fortexistenz des Raumes. Andere Räume schließen sich, verschwinden geradezu, weil ihnen von außen keine Existenzberechtigung mehr zuteil wird. In einen solchen Raum "stürzt" uns "The Hurt Locker". Alle Räume sind klar definiert – Zweck, Mechanismen, Verhaltensweisen, Protagonisten sind vorgegeben. Manchmal sind sie einfach, geradezu simpel zu erkennen, manchmal bedarf es längerer Analyse, um sie zu erkennen.

Der Raum, in den uns dieser Film entlässt, hinein katapultiert, ist simpel: Ein Kriegsgebiet, genauer ein Gebiet im Krieg, in dem ein Bombenräumkommando seinen Dienst verrichtet. Ein amerikanisches Räumkommando im Irak. Aber das ist bei Kathryn Bigelows Film unwichtig. Der Film könnte in jedem anderen Kriegsgebiet spielen, mit anderen Beteiligten. "The Hurt Locker" ist kein Kriegsfilm und auch kein Antikriegsfilm im klassischen Sinn. Wir befinden uns in einem Raum, in dem Heckenschützen, versteckte (Zeit-)Bomben, Selbstmordattentäter eine Variable bilden – eine potentiell tödliche Variable. Die andere Variable besteht aus Soldaten des Räumkommandos. Die dritte Variable sind die Zivilisten, die Zivilisten oder als Zivilisten getarnte Bombenleger sein können. Die vierte Variable ist die Umgebung, eine Stadt, die viele Möglichkeiten des Versteckens bietet, die die Aufgabe des Räumkommandos erschweren. Dieser Raum ist begrenzt. Es gibt äußere Einflüsse, doch die spielen eine untergeordnete Rolle.

Man könnte fast meinen, man befinde sich in einem virtuellen Kriegsspiel. Aber das täuscht. Solche Spiele sind nur "Abfallprodukte" eines realen Geschehens in einem solchen Raum.

"Nothing but the hurt left here.
Nothing but bullets and pain
and the bled out slumping
and all the fucks and goddamns
and Jesus Christs of the wounded.
Nothing left here but the hurt." (1)

Ein Minenroboter, der aussieht wie ein etwas größerer Spielzeugpanzer, rollt mit Anhänger auf eine Stelle, an der eine Bombe vermutet wird. Menschen rennen davon. Geschrei. Sergeant Thompson, Specialist Eldridge und Sergeant Sanborn schauen dem Roboter nach. Thompson zieht den Schutzanzug an und bewegt sich auf den Roboter zu, der seinen Anhänger verloren hat. 150 Meter bis zur Bombe. Thompson schwitzt unter dem Anzug. 25 Meter. Todeszone. Die anderen entdecken einen Mann mit einem Mobiltelefon. Aufregung. Hektik. Thompson flüchtet in dem schweren Anzug – nur weg von der Bombe! Zu spät. Explosion. Thompson ist tot.

Staff Sergeant William James stößt zu der Einheit, der "Kompanie Bravo", die noch 28 Tage im Einsatz sein wird. Sanborn, Eldridge und die anderen der Kompanie haben die Aufgabe, James zu schützen, während er versucht, eine Bombe zu entschärfen. James aber ist anders als Thompson; das merkt Sanborn sofort. James interessiert nicht, ob er in Verbindung zu Sanborn bleibt. Er will die Gefahr, er liebt die Gefahr. Er will Erfolg. Und er denkt, er sei der Beste. Bei einem dieser Einsätze löscht er ein von einem Scharfschützen in Brand geschossenes Auto und sucht – vom Kofferraum sich nach vorne ins Wageninnere vorarbeitend – den Zünder. Im Kofferraum liegen mehrere große Bomben. Sanborn ist die Situation zu brenzlig; er will abrücken. Doch James denkt nicht daran. Er setzt sein Headset ab und sucht und sucht und sucht nach dem Zünder. Er findet ihn, kehrt zurück. Sanborn ist sauer, verpasst James eine.

Nächster Tag, nächster Einsatz ...

"Believe it when you see it.
Believe it when a 12-year-old
rolls a grenade into the room.
Or when a sniper punches a hole
deep into someone’s skull.
Believe it when four men
step from a taxicab in Mosul
to shower the street in brass
and fire. Open the hurt locker
and see what there is of knives
and teeth. Open the hurt locker and learn
how rough men come hunting for souls." (1)

"The Hurt Locker" wurde bekanntlich mit sechs Oscars ausgezeichnet (Bester Film, beste Regisseurin, Drehbuch, Montage, Ton und Tonschnitt). Diese Entscheidung kann ich nachvollziehen. Tatsächlich ist aus der "Kooperation" von Regie, Drehbuch und Montage ein beeindruckender Film zustande gekommen, der in seiner spezifischen Art einmalig ist. Dabei ist "The Hurt Locker" sicherlich ein Film über den Krieg, besser: ein Film im Krieg. Aber das Entscheidende ist etwas anderes. Bigelow und Mark Boal benötigen keine Einleitung, keine Vorgeschichte, um den Zuschauer direkt in das Geschehen einzubinden. Man findet keine Erklärungen, keine Psychologie, keine Nebenschauplätze – nichts dergleichen. Man wird tatsächlich mitten in diesen Raum "verfrachtet", in dem die Geschichte spielt, die im engeren Sinn nicht einmal eine Geschichte ist. Denn was geschieht, geschieht immer wieder (mehr oder weniger) gleich. Boal, Journalist, der durch etliche Reportagen bekannt wurde (u.a. "Death and Dishonor", adaptiert für den Film "Im Tal von Elah" 2007; "Jailbait", ein Artikel, der für die Serie "The Inside" verwendet wurde), hatte 2004 für eine Reportage mehrere Wochen eine militärische Einheit im Irak begleitet und aus diesen Erfahrungen eine episodenhafte Geschichte geschrieben.

Die Wirkungen dieses "Hineinwerfens" des Betrachters in einen solchen Raum des Grauens, des Todes wird durch die Benutzung der Handkamera massiv unterstützt. Dabei sieht man sich fast immer in der Rolle der Protagonisten im Film. Die dadurch erzeugte Nähe, auch und vor allem räumliche Nähe zu den Akteuren, verstärkt die Wirkung des Schreckens in diesem hermetisch abgeschirmten Raum, in dem das Kommando tätig ist.

Im Unterschied etwa zu Ridley Scotts "Black Hawk Down", der den Anspruch erhob, dem Zuschauer den Schrecken des Krieges ganz nahe zu bringen – ein Ding der Unmöglichkeit für alle, die keinen Krieg selbst miterlebt haben –, steht "The Hurt Locker" jedoch für etwas anderes. Sicher, die Szene, in der ein Junge, der zuvor den amerikanischen Soldaten DVDs verkaufte, als lebende Bombe gefunden wird, ist grauenhaft genug. Aber, wie gesagt, darum geht es nicht primär in "The Hurt Locker". Bigelow zeigt uns Menschen, die in einem weitgehend abgeschlossenen Raum unterschiedlich reagieren. Während Sergeant Sanborn vor allem auf die Sicherheit seiner Leute bedacht ist und jedes unnötige Risiko vermeiden will – während Specialist Eldridge die Situation in diesem Raum kaum aushalten kann und nur weg will –, verhält sich James ganz anders. James ist süchtig. Er betrachtet sich nicht so sehr als Minenräumer, Bombenentschärfer. James liebt dieses Risiko, für ihn ist aus einem Job eine Leidenschaft geworden. Seine einzige Leidenschaft. Als Kind liebe man alles, die Puppe, mit der man spielt, die Eltern, einfach alles, was man erfährt. Aber im Laufe der Zeit bliebe davon kaum noch etwas übrig. Irgendwann liebe man nur noch eine Sache. Bei James ist es die Sucht. Er geht auf die Bomben zu, um sich zu befriedigen, um seine Sucht zu stillen. Er ist unfähig, zu seiner Frau und seinem kleinen Kind zurückzukehren und zu bleiben. Er zieht wieder in den Krieg, nicht um des Krieges, sondern um seiner Sucht willen.

Nur einmal, als er den toten Jungen findet, der ihm kurz zuvor DVDs verkauft hatte, den Jungen, der als lebende Bombe missbraucht wird, flippt James aus, sucht vergeblich nach den Mistkerlen, die dem Jungen das angetan haben. Das "Schließfach des Schmerzes" öffnet sich für einen langen Moment. Dann aber kehrt er in seine Sucht zurück. Dass für einen Süchtigen wie James für den Raum, in dem er wirkt, und die Aufgaben, die dort zu erledigen sind, kein Hindernis darstellt, im Gegenteil, ist das eigentlich Erschreckende dieses Films. Denn James erweist sich als der optimale Bombenentschärfer.

Bigelow enthält sich jeder politischen Stellungnahme zum Irakkrieg. Das Entscheidende ist die Wirkung des Films, die besagt: Wer einen solchen, klar definierten Raum betritt und zu einer entscheidenden Komponente in diesem Raum wird, läuft Gefahr, über eine Art Suchtbeziehung die Merkmale, die diesen Raum definieren, vollständig zu verinnerlichen. Je weiter er sich von der Außenwelt, von dem "Nicht-Raum" "da draußen" abkapselt, desto mehr verstrickt er sich in die Gesetzmäßigkeiten dieses Raums und unterwirft sich ihnen – und zwar in einem "positiven" Sinn über den Suchtmechanismus.

Gilt dies auch für ganz andere Räume? Ich will darüber nicht spekulieren. Aber eines scheint doch sicher: Je weniger Beziehungen, Einflüsse, wechselseitiger Austausch zwischen Räumen bestehen, je größer ist die Gefahr einer sich verselbständigenden Eigendynamik, auch und gerade für diejenigen, die sich innerhalb eines solchen Raums aufhalten. Man kann statt Räume auch "System und Subsysteme" sagen. Betrachtet man vielleicht unter solchen Gesichtspunkten etwa die Börse als einen solchen Raum oder Subsystem, wird vielleicht deutlich, was ich meine. Innerkirchliche Verhältnisse, v.a. in der katholischen Kirche, wären ein anderes Beispiel für solche Räume, in denen sich auf Dauer eine Eigendynamik entwickelt, die riskant werden kann.

"The Hurt Locker" wurde zurecht mit sechs Oscars ausgezeichnet. Bei mehrmaliger Sicht des Films, das kommt hinzu, entdeckt man neue Gesichtspunkte, Anhaltspunkte, Verzweigungen usw. Ein beeindruckender Film, in dem es Kathryn Bigelow gelungen ist, durch Kamera, Drehbuch, Ton, Darsteller usw. eine dramatische Homogenität zu erzeugen, die man selten im Kino erlebt.

(1) Brian Turner: The Hurt Locker, in: Here, Bullet (2005).

© Bilder: Concorde Filverleih.
Wertung: 10 von 10 Punkten.
Prädikat: Besonders wertvoll.

(16. März 2010)