Unter den Brücken
Deutschland 1945, 95 Minuten
Regie: Helmut Käutner

Drehbuch: Helmut Käutner, Leo de Laforgue, Walter Ulbrich
Musik: Bernhard Eichhorn
Director of Photography: Igor Oberberg
Montage: Wolfgang Wehrum
Produktionsdesign: Jupp Büttgen, Hans Ender, Anton Weber

Darsteller: Hannelore Schroth (Anna Altmann), Carl Raddatz (Hendrik Feldkamp), Gustav Knuth (Willy), Margarete Haagen (Hauswirtin), Ursula Grabley (Vera), Hildegard Knef (Mädchen in Havelberg), Walter Gross (Mann auf der Brücke)

Woher und wohin?

Ein Film kann kaum privater und politischer zugleich sein als Helmut Käutners "Unter den Brücken", gedreht 1944, von der Zensur freigegeben 1945, aber wegen des Krieges erst 1950 in den deutschen Kinos zu sehen. Dabei geht es nicht um die abstruse, schwammige Vorstellung, alles Private sei politisch, die in den 60er Jahren so gerne von der "Studentenbewegung" gepflegt wurde. Nein. Das Private in Käutners Geschichte (die übrigens von Walter Ulbrich produziert wurde, der Jahrzehnte später die Weihnachtsvierteiler des ZDF produzieren sollte) bleibt privat, ganz privat, aber es postuliert in der Zeit des Krieges, der Vernichtung und des Untergangs des "Tausendjährigen Reiches" etwas, das so wichtig war wie das Brot zum Leben. Es rekurriert auf eine Privatsphäre, in der das Politische, das Gemeinwesen aufgehoben sein muss, bevor überhaupt an so etwas wie Demokratie gedacht werden kann.

Käutner (Große Freiheit Nr. 7", 1944; "Des Teufels General", 1955; "Der Hauptmann von Köpenick", 1956; "Die Zürcher Verlobung", 1957) sprach später davon, dass ihm "Unter den Brücken" sein liebster Film gewesen sei. Das hat möglicherweise seinen tieferen Grund genau in dieser fast gespenstischen Szenerie, in dieser Geschichte, in der es keinen Krieg, keine Vernichtung und keinen Faschismus zu geben scheint. In gewisser Weise ist "Unter den Brücken" eben schon ein Nachkriegsfilm, einer, den man zwischen den Zeilen und Zeiten "lesen" muss.

Brücken, blühende Landschaften, Kähne und Schlepper, Industrieanlagen – Hendrik und Willy sehen dies alles meist nur von ihrem Kahn aus, die ganze Strecke zwischen Rotterdam und Berlin, die Havel entlang, die Elbe rauf und runter, und in jedem Hafen ein Mädchen oder auch mal keines. Hendrik und Willy sind gute Freunde und gute Schipper. Aber eine Frau haben sie bislang nicht an Bord gebracht; dann müsste einer gehen, meinen sie. Denn oft verlieben sie sich in dieselben Frauen. Sie lauschen dem Wasser, dem Wind im Schilf, den Hupen der anderen Kähne, spielen Schifferklavier und singen. Eigentlich sind sie glücklich mit ihrem Leben. Nur wünscht sich jeder von beiden eben doch eine Frau, nicht irgendeine, nicht für eine Nacht, sondern für dauernd.

Gespenstisch ist diese Atmosphäre – gespenstisch, weil Käutner den Krieg und alles, was damit zusammenhängt, heraus lässt. Es gibt ihn scheinbar nicht. Doch wenn jemand damals im vorletzten und letzten Kriegsjahr diesen Film hätte sehen können, und auch wenn ich ihn heute sehe, so musste und muss einen das Gefühl von etwas Bedrohlichem, Mysteriösen und Gespenstischen beschleichen angesichts der Realität da draußen. Der Krieg ist eben doch auf eine ganz eigentümliche Weise präsent. Und noch präsenter wird er durch die Handlung, die Personen, deren Verhalten, das alles andere als kriegsbezogen ist. Dieser extreme Kontrast, ja diese Polarisierung des Filmischen gegenüber der Realität können die Zensoren, die den Film freigaben, wohl kaum erkannt haben.

Eines Nachts sehen Hendrik und Willy auf einer Brücke eine junge Frau, und sie vermuten, sie wolle ins Wasser springen, sich töten. Sie fischen jedoch lediglich einen Zehnmarkschein aus dem Wasser, den sie hat fallen lassen, gehen auf die Brücke und treffen tatsächlich auf eine verstörte Frau, Anna (Hannelore Schroth), die sich ihnen gegenüber zunächst nicht offenbaren will. Trotzdem nimmt sie das Angebot Hendriks an, sie auf beider Kahn nach Berlin mitzunehmen, wo sie wohnt.

Beide verlieben sich in Anna. Doch die flüchtet geradezu in ihre kleine Wohnung, irgendwo in der Nähe des Hafens. Nur langsam öffnet sie sich den beiden um sie bemühten, aber nicht wirklich aufdringlichen Männern, deren Freundschaft darüber fast zu Bruch geht. Und sie erfahren auch, warum Anna so verzweifelt war, was der Geldschein für eine Bedeutung hat und dass sie sich nicht umbringen wollte ...

"Unter den Brücken" ist sowohl ein "Kriegs"film – im Sinne eines auf den Krieg und das NS-Regime bezogenen Films –, als auch ein Nachkriegsfilm – im Sinne eines auf das Leben nach dem Krieg bezogenen Streifens. Das Überwältigende dieser – relativ einfachen, alltäglichen – Geschichte ist eben dieser Bezug zu einem Alltag, den es im damaligen Deutschland schon jahrelang nicht mehr gab: Verfolgung, Vernichtung, Krieg, Denunziation, Mitläufertum, Angst und Existenzangst usw. bestimmten den Alltag in NS-Deutschland. Dem setzt Käutner (1908-1980) einen Alltag gegenüber, der eher an die besseren Tage der Weimarer Republik – deren es auch nicht gerade viele gab – erinnert.

Aber nicht nur das. Käutner postuliert aus der Geschichte heraus Werte, die dem NS-Terrorregime völlig fremd sind: Freundschaft, Liebe, Nachbarschaftshilfe, Kooperation auf freiwilliger Basis, ja Demokratie in den Beziehungen (die Art der Konfliktregelung z.B. zwischen Hendrik und Willy) usw. Diese Werte werden jedoch nicht mit dem Zeigefinger der Handlung übergestülpt, sondern ergeben sich direkt, praktisch aus dem Verhalten der Beteiligten. Sie sind unmittelbares Resultat einer – der damaligen Wirklichkeit diametral entgegengesetzten – Praxis und repräsentieren den Wunsch, auf was eine Nachkriegsordnung unbedingt aufbauen müsse. Sie deuten auch auf etwas hin, was (auch heute noch) fundamental erscheint: Ein demokratisches Zusammenleben kann sich nur auf ein demokratisches Miteinander sozusagen "auf unterster Ebene" entwickeln, nie "von oben" aufgezwungen werden.

Das macht den Film so aktuell, so frisch, so bedrückend er angesichts der Zeit seines Entstehens andererseits auch sein mag.

Die drei Hauptdarsteller – Raddatz, Knuth und Schroth – spielen ihre Rollen genauso, wie der Rückbezug zur Weimarer Republik, der den Film prägt, es erfordert. Insofern hätte die Handlung auch 1925 spielen können. Die Kamera fängt eine natürliche und Industrielandschaft friedlicher Jahre ein – eine Szenerie, die nicht nur gespenstisch wirkt, sondern auch stets vermuten lässt, die brutale Gewalt der Kriegshandlungen könne jeden Moment in diesen Frieden hereinbrechen. Diese Art der Inszenierung erhöht den Anspruch des Regisseurs im Hinblick auf die Nachkriegsordnung visuell wie handlungstechnisch auf die Geschichte von Freundschaft und Liebe bezogen noch um einiges.

Wertung: 10 von 10 Punkten.

© Bilder: UFA.
Screenshots von der DVD.

20. Mai 2009