Untreu
(Unfaithful)
USA 2002, 124 Minuten
Regie: Adrian Lyne

Drehbuch: Alvin Sargent, William Broyles, nach dem Film „La Femme Infidele“ (1968) von Claude Chabrol
Musik: Jan A. P. Kaczmarek
Director of Photography: Peter Biziou
Montage: Anne V. Coates
Produktionsdesign: Brian Morris

Darsteller: Diane Lane (Connie Sumner), Richard Gere (Edward Sumner), Erik Per Sullivan (Charlie Sumner), Olivier Martinez (Paul Martel), Dominic Chianese (Frank Wilson), Margaret Colin (Sally), Kate Burton (Tracy), Chad Lowe (Bill Stone), Michelle Monaghan (Lindsay), Lucretia Taylor (Gloria), Erich Anderson (Bob Gaylord)

Märchenstunde hat nicht immer Gold im Munde

Einen extremen Verriss fand der neue Film von Adrian Lyne – neben durchaus positiven Filmkritiken – in der „taz“: Lyne wolle immer dasselbe: „Das Kalte muss aufs Heiße, also der Yuppie auf die Frau, damit die Erotik prickelt und knistert wie von selbst. Niemand wusste besser, wie diese Erotik zugleich geschmackvoll und provokativ zu inszenieren sei. Anführungszeichen bitte selbst setzen. [...] Ein legerer Beau mit leuchtend blauem Schal, wie einer Gauloises-Reklame entstiegen: Liberté, toujours! Mal zärtlich, mal aggressiv macht er sich über Edwards Frau Connie (Diane Lane) her, die gar nicht weiß, wie ihr geschieht. Leider ist sie nicht die Einzige.“ Über die Motive der Figuren lasse Lyne das Publikum im Dunkeln (1).

Was also hat Adrian Lyne („Ein unmoralisches Angebot“, 1993, mit Robert Redford und Demi Moore; „Eine verhängnisvolle Affäre“, 1987, mit Michael Douglas, Glen Close und Ann Archer) aus Chabrol gemacht?

Connie Sumner (Diane Lane, zuletzt in „Hardball“, 2001), ihr Mann Edward (Richard Gere, zuletzt „The Mothman Prophecies“, 2002) und beider Sohn Charlie (Erik Per Sullivan) sind eine offenbar glückliche Familie, die in einem gepflegten Vorort von New York mit Hund und Haushälterin leben. Doch eines Tages ändert sich für die Sumners alles: Als Connie während eines starken Sturmes in der City den Buchhändler Paul Martel (Olivier Martinez) kennenlernt, der sie in seine Wohnung einlädt, um ihr Pflaster für ihre aufgeschlagenen Knie zu geben, verliebt sich Connie in den Lebenskünstler. Sie ist fasziniert von ihm, besucht ihn wieder, und schon bald entwickelt sich zwischen beiden eine stürmische Affäre.

Edward bemerkt, dass sich Connie verändert hat, und eines Tages bestärkt sich sein Verdacht, dass sie einen anderen Mann kennen gelernt haben könnte. Er beauftragt einen Detektiv, der Fotos von Paul und Connie macht.

Edward ist entsetzt, fährt zu Martels Haus – und klingelt. Ruhig betritt er seine Wohnung, stellt sich als Connies Mann vor, trinkt zwei Wodkas, die ihm Paul anbietet – und schlägt zu. Paul ist tot ...

In „Die untreue Frau“ (1968) zeigte Claude Chabrol, wie ein Pariser Anwalt (Michel Bouquet) den Liebhaber seiner untreuen Frau (Stephane Audran) ermordet und – alle Einzelheiten berücksichtigend– sein gewohntes Leben weiterführt, bis er sich zum Schluss doch noch widerstandslos verhaften lassen muss. Dieser Streifen kam an die Spannungsbögen der Filme Alfred Hitchcocks durchaus heran und analysierte mit Schärfe und satirisch die Verhaltensweisen des bourgeoisen Lebens in der Pariser Hauptstadt und die Doppelmoral ihrer Protagonisten.

In „Untreu“ zeigt Adrian Lyne ... ja, eigentlich, wenn man es genau nimmt, zeigt er uns: gar nichts! Man könnte aber auch argumentieren, dass er uns an der Nase herumführt, nach dem Motto: „Hier steh’ ich nun, ich armer Tor, und bin so schlau als wie zuvor.“ So fühlt ich mich jedenfalls am Ende des Films. Zuerst werden uns die Sumners präsentiert, eine „gut situierte“ New Yorker Familie, Papa verdient ordentlich, Mama macht Haushalt und betreut Sohnemann, alle lieben sich und sind so glücklich, wie es dem Wunschdenken entspricht. Dann bricht Connie aus – völlig unvermittelt, das heißt ohne ersichtlichen Grund. Oder doch? Ist es Connie langweilig geworden in ihrer Familie, ist es der ewige Alltagstrott? Reicht ihr das aus, um eine Affäre anzufangen? Darüber darf man getrost stundenlang spekulieren, auch wenn man zu keinem Ergebnis kommt und solche Diskussionen ziemlich langweilig ausarten können.

Jedenfalls kommt dann der Märchenstunde zweiter Teil: Eine Art Film-Vorzeige-Franzose weht ihr regelrecht im Sturm vor die Füße, Buchhändler, ansehnlich, relaxt, Colgate-Lachen und immer eine Lebensweisheit auf den Lippen, etwa: Man kann keine Fehler machen, man macht etwas oder man macht es eben nicht. Mein Gott! Ein Beau aus der Werbung also, und die zunächst zurückhaltende Connie kann nicht mehr widerstehen. Was soll’s, passiert doch alle Tage, oder?

Dass der gehörnte Richard Gere bald hinter die morgendlichen und nachmittäglichen Schäferstündchen kommt, sogar einen Privatdetektiv beauftragt – wen sollte es noch wundern, ist diese Geschichte doch so alt wie der Bart des Propheten und so abgestanden wie kalter Kaffee.

Weiter geht’s in der Märchenstunde: Gere trifft Martinez, bleibt ganz ruhig, trinkt zwei Wodka in dessen Wohnung; dann wird ihm schlecht und schwindlig, er setzt sich auf das Bett, wo der Martinez mit der Lane, und haut ihm ein Loch in den Kopf. War das jetzt Mord, Totschlag oder ein furchtbar dämlicher Regieeinfall? Denn schon in der Art und Weise, wie die Tat ausgeführt wird, manipuliert Lyne das Publikum: Eigentlich wollte Gere ja gar nicht und ist doch entsetzt über sich selbst ob seiner kruden Tat. Kann jemand jetzt erraten, wie der Film ausgeht?

Fortsetzung Märchen: Gere kann es nicht fassen (ich auch nicht), doch nach kurzer Zeit geht er mit eifriger Sorgfalt daran, alle Spuren zu beseitigen, Blut, Fingerabdrücke usw., rollt die Leiche in einen Teppich, bleibt kurz im defekten Fahrstuhl hängen (was die Spannung nicht im mindesten erhöht, weil man eh schon ahnt, dass er unentdeckt davon kommt), trägt den toten Martinez anschließend fast schon seelenruhig zur Vordertür hinaus in den Kofferraum seines Wagens und bettet ihn auf der Müllkippe zur letzten Ruhe. Damit ist die Fortsetzung des An-der-Nase-Herumführens gesichert. Denn warum um Gottes Willen auf der Müllkippe? Warum verscharrt er ihn nicht außerhalb im Wald, fünf bis sechs Meter unter der Erde? Und bevor er zur Müllkippe fährt, muss Gere noch rasch zur Schulaufführung seines Sohnes, die Leiche im Kofferraum, Frau und Sohn, die natürlich keine Ahnung haben, bringt er anschließend – mit der Leiche – nach Hause, und dann fährt er zur Müllkippe.

OK, das sollte kein Thriller werden, eigentlich schade, aber derartige Ungereimtheiten und Kruditäten habe ich schon lange nicht mehr gesehen.

Ohne zu viel verraten zu wollen, endet das Kasperletheater mit der Rettung der Familie. Falsch, nicht der Familie, sondern einer bestimmten Ideologie über die Familie, wie sie in amerikanischen Filmen gang und gebe ist. Immerhin wird der arme Franzose wenigstens von einem Fahrer auf der Müllkippe gefunden und erhält – ist doch anzunehmen – ein anständiges Begräbnis. Die Sumners sind wieder eine glückliche Familie, wenn auch mit einem schlechten Gewissen der Eltern, aber das wird sich bald legen.

Ich fass es nicht!

Was diese Geschichte noch mit Chabrol zu tun hat? Nichts mehr. Die Sex-Szenen zwischen Martinez und Lane sind einfach nur langweilig, mit Dialogen geschmückt à la „Soll ich dich ficken?“ „Ja, fick mich, fick mich!“, ihre „Verarbeitung“ durch Lane plump, platt, flach. Als sie z.B. von Martinez kommend in der U-Bahn sitzt, wechselt die Kamera zwischen ihrem Gesichtsausdruck und der Erinnerung an das gerade stattgefundene Bettszenario. Einige Kritiker des Films meinten, gerade in dieser Szene würden die Konflikte überzeugend im Gesichtsausdruck der Lane sichtbar. Das einzige, was ich sah, war eine Schauspielerin, die ja nun wirklich nicht schlecht spielt, bei der aber das, was sie spielt, an Gemeinheit und Publikumsbetrug grenzt: Eine Frau, die einen heimlichen Liebhaber hat, hat entweder ein schlechtes Gewissen ihrem Mann gegenüber oder sie hat es eben nicht. Die Lane hat es, weil sie ihren Mann liebt. Was will uns der Autor damit sagen? Nichts? Richard Gere hat auch ein schlechtes Gewissen, weil er einen Mord (Verzeihung: Totschlag? Oder war es nur eine gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge?) begangen hat. Aber die Einheit und der Zusammenhalt der Film-Fantasy-Family lässt das alles im Glanze der Notwehr erscheinen. Das schlechte Gewissen ist mehr Alibi für Nicht-Bestrafung, denn irgendwie überzeugend. Der arme Martinez, nun ist er tot, und am Schluss kann unser Hausphilosoph daher nur noch sagen:

„Ja, ja, das Leben!“

Überraschend an dem Film ist im ersten Moment, dass Richard Gere und Diane Lane ihre Rollen weitgehend perfekt spielen. Bedenkt man jedoch, dass der Hintergrund dieser Geschichte, die uns Lyne da auftischt, nicht so sehr Chabrols „La Femme Infidele“, sondern sattsam bekannter Hollywood-Mainstream ist, löst sich das Rätsel. Ihr perfektes Spiel ist einfach nur Routine. Man ist als Zuschauer (leider) dran gewöhnt.

Wenn einer in diesem Film Moralapostel ist, dann ist es Adrian Lyne. So wie in US-Kriegsfilmen das Abschlachten legitimiert wird angesichts der höheren Moral einer ethisch einwandfreien Weltmacht, so ist es hier die Ermordung des Liebhabers, der der abgestandenen Familienideologie zum Opfer fällt. In den USA ist die „klassische“ Kernfamilie schon längst nur noch ein kleiner Teil der Wirklichkeit. Etliche andere Familienformen, einschließlich einer hohen Zahl von Stieffamilien, Singledasein, extrem hohe Scheidungsraten prägen die amerikanische Gesellschaft. Man mag das bedauern oder nicht. Aber allein schon deshalb ist „Untreu“ ein im wahrsten Sinn des Wortes unrealistischer Film. Und die Affäre? Mein Gott! Reicht denn schon eine Affäre ohne weitere Zutaten, ohne Entwicklung von Konflikten, ohne ersichtlichen nachvollziehbaren Grund aus, um einen Film zu machen? Für Lyne scheint’s so zu sein. Für mich war es nur – boring!

Nein, wirkliche Konflikte wirklicher Menschen gibt es in „Untreu“ nicht. Die Figuren erscheinen wie aufgezogene Marionetten, wie sie in zig Filmen schon zu sehen, aber nicht zu spüren waren. Aalglatt führt uns Lyne am Nasenring ins Verderben dieses Kasperletheaters. Aber man muss sich wirklich nicht für dumm verkaufen lassen.

(1) Zit. n. www.angelaufen.de