Winterschläfer
(Winter Sleepers [USA])
Deutschland 1997, 122 Minuten
Regie: Tom Tykwer

Drehbuch: Tom Tykwer, Anne-Françoise Pyszora, nach ihrem Roman
Musik: Reinhold Heil, Johnny Klimek, Tom Tykwer
Director of Photography: Frank Griebe
Montage: Katja Dringenberg
Produktionsdesign: Alexander Manasse, Uli Hanisch

Darsteller: Ulrich Matthes (René), Marie-Lou Sellem (Laura), Floriane Daniel (Rebecca), Heino Ferch (Marco), Josef Bierbichler (Theo), Laura Tonke (Nina), Sofia Dirscherl (Marita), Sebastian Schipper (Otto), Saskia Vester (Anna), Werner Schnitzer (Berater), René Schoenenberger (Gerd), Simon Donatz (Peter), Jakob Donatz (Luis), Agathe Taffertshofer (Edith), Robert Meyer (Keibl), Harry Täschner (Kuhn)

Wenn die Symbole Feste feiern ...

„Wenn ich es höre, das dumme Lied,
Dann möcht’ ich mir zerraufen
Den weißen Bart, ich möchte fürwahr
Mich in mir selbst ersaufen.“
(Heinrich Heine: Deutschland – ein Wintermärchen)

Irgendwo las ich, Tom Tykwers bajuwarisches Drama über schicksalhaft verbundene fünf Personen sei ein emotional und intellektuell bewegender Film über die Befindlichkeit von Tykwers eigener, „verlorener“ Generation, in dem er aus der oberflächlichen Alltäglichkeit eine Welt von Melancholie und Poesie zum Leben erwecke. Es mag sein, dass man sich mit derlei Interpretationen und Argumentationsketten zufrieden geben mag. Die Beschwörung oder aber auch die kritische Beleuchtung dessen, was so leichtfüßig als „deutsche Befindlichkeit“ markiert wird, war nicht nur einmal Anlass zu schwülstiger bis biederer Filmakrobatik, und ehrlich gesagt kann ich in „Winterschläfer“ nicht viel mehr sehen als eine solche mal biedere, mal selbstbemitleidende, mal eklektizistische und mal dem schwülstigen Heimatfilm nahe Beweihräucherung einer Selbstsicht, die über eine Generation nicht viel aussagt, ja nicht einmal über die Personen, die im Film selbst agieren.

Zwei Paare bekommt man in der Berchtesgadener Bergwelt zu Gesicht: den als Einzelgänger ausgelegten René (Ulrich Matthes), der im Kino Filme vorführt und dessen Kurzzeitgedächtnis durch einen Unfall geschädigt ist (er macht daher Fotos von den Dingen, die tagtäglich geschehen). René verliebt sich in die Krankenschwester Laura (Marie-Lou Sellem), die gerne Schauspielerin wäre, und mit ihrer Freundin Rebecca (Floriane Daniel) zusammenwohnt. Rebecca hat eine schwierige Beziehung zu dem Halodri und Skilehrer Marco (Heino Ferch), die vor allem im Bett fröhliche Urständ feiert.

Das schicksalschwere Ereignis, das diese vier Personen nun mit dem Bergbauern Theo (Josef Bierbichler) zusammenführt, ist ein Unfall, in den René und Theo sich verwickeln. Theo muss auf eisglatter Fahrbahn Renés Auto – das eigentlich Marco gehört und René diesem entwendet hat – ausweichen. Folge: René fährt die Böschung hinab, befreit sich aus dem Wagen und geht seiner Wege; er hat (Amnesie) den Unfall schon vergessen. Theo wird von einem vorbeifahrenden Mann aus seinem Auto befreit und muss feststellen, dass seine junge Tochter schwer verletzt am Straßenrand liegt (sie hatte sich im Anhänger versteckt). Sie liegt im Koma und wird u.a. von Laura versorgt. Theo sucht verzweifelt nach dem, der an diesem Unfall beteiligt war.

Frank Griebe taucht diese Geschichte in stimmungsvolle, manchmal bedrückende, manchmal überwältigend schöne Bilder einer verschneiten Bergwelt. Gerade diese Bilder aber sind es auch, untermalt von einer oft monotonen, mir über weite Strecken wirklich auf den Nerv gehenden Musik, die zur gewollt depressiven Atmosphäre beitragen, die sich allerdings aus dem Spiel der Schauspieler kaum ergibt, sondern dem gequälten Wollen und Sollen des Regisseurs zu verdanken ist. Ferch, Matthes, Sellem und Daniel spielen scheinbar wurzellose, unambitionierte Gestalten, die offenbar mit ihrem Leben nicht sehr viel anfangen (können), die ihm keine Richtung verleihen (können). Keiner der vier Figuren aber ist wirklich in irgendeiner Weise interessant. Ich weiß nicht, ob Tykwer dies selbst bewusst war. Jedenfalls lässt er die blonde Rebecca auffallend in Rot auftreten (Lippen, Kleidung, sogar Unterwäsche, Blut). Marco, der Skilehrer, wurde in ebenso auffallendes Blau gepfercht.. Kontrapunkt: die schwarzhaarige Krankenschwester und der dunkle René. Was soll das?

Nicht nur einmal sind die vier zu beobachten, wie sie (allein) aus dem Fenster sehend, eine Zigarette rauchen. Stimmung! Rebecca fühlt sich nicht richtig geliebt, Marco wird eifersüchtig, als sie mit René tanzt und ihn sympathisch findet. Laura wirkt des öfteren abwesend. Und wenn sie nicht gestorben sind ...

Aber vor den Tod setzt Tykwer die von Anfang an völlig klare Auflösung seines Befindlichkeitsdramas, auf die man allerdings geschlagene zwei Stunden warten muss. Der Ur-Bauer Theo findet das inzwischen im Schnee fast verschwundene Auto, stellt fest, dass es Marco gehört, und verfolgt den blassen Skilehrer als vermeintlichen Unfallverursacher in den Bergen. Holdrio! Das alles klingt nicht nur wirklich nach „Försterliesel“, es ist auch wirklich eher eine modern aufgepeppte Reminiszenz an den schicksalsschweren und -beladenen Heimatfilm der 50er Jahre als alles andere. Da sollen sich eben Seelen-Welten auftun, Abgründe zeigen (in einen springt Marco last but not least mit seinen Brettern), „das Wesentliche“, „das Wesen“ herausschälen – und schon sind wir bei den alten deutschen Philosophen des 19. Jahrhunderts, denen die eigenen Flausen im Kopf wichtiger waren als das, was um sie herum geschah.

Tykwer, der mit „Lola rennt“ (1998) und „Heaven“ (2002) und selbst mit „Der Krieger und die Kaiserin“ (2000) nicht nur annehmbare Arbeiten vorlegte, kann ich mit „Winterschläfer“ nun wirklich nicht folgen. Man kann in Filme so einiges hinein interpretieren. Doch wenn die Bedeutungslosigkeit, die Belanglosigkeit und die Langeweile – einer Generation oder auch „nur“ einiger Personen – nicht nur Thema eines Films sind (es wäre ja schön gewesen, wenn dem hier wenigstens so wäre), sondern geradezu selbstmitleidig zelebriert werden – noch dazu hinter der Maskerade eines intellektuellen Anspruchs, der sich selbst nicht wirklich ernst nehmen kann (oder doch?), ist bei mir – um es einmal ganz un-intellektuell zu sagen –: der Ofen aus.

Oder noch un-intellektueller: „Winterschläfer“ ist todlangweilig.