Wir müssen zusammenhalten
(Musíme si pomáhat)
Tschechien 2000, 124 Minuten
Regie: Jan Hrebejk

Drehbuch: Jan Hrebejk, Petr Jarchovský
Musik: Ales Brezina
Director of Photography: Jan Malír
Montage: Vladimír Barák
Produktionsdesign: Milan Bycek,

Darsteller: Bolek Polívka (Josef Cizek), Anna Sisková (Marie Cizková), Csongor Kassai (David Wiener), Jaroslav Dusek (Horst Prohaska), Jirí Pecha (Frantisek Simacek), Martin Huba (Dr. Albrecht Kepk), Simona Stasová (Libuse Simácková), Vladimir Marek (SS-Offizier), Jirí Kodet (Dr. Fischer), Richard Tesarík (Hauptmann)

Überleben und Opportunismus

Darf man lachen, wenn es um den Holocaust geht? Manche meinen: Nein. Und der tschechiche Film von Jan Hrebejk kam bei manchen Rezensenten nicht besonders gut weg: er verharmlose die Zeit der Vernichtung. Ich sah den Film mit anderen Augen.

Josef Cizek (Bolek Polívka) war vor dem Krieg leitender Angestellter beim Vater von David Wiener (Csongor Kassai), Horst Prohaska (Jaroslav Dusek) Fahrer bei Herrn Wiener. Doch die Zeiten haben sich nach dem „Anschluss“ der sog. Sudetengebiete und der Besetzung der „Rest-Tschechei“ bzw. ihre Deklaration zum „Protektorat“ drastisch geändert. Auch die Familie Wiener wird wie alle Juden nach Theresienstadt deportiert, um von dort später in die Vernichtungslager verteilt zu werden. Prohaska dagegen macht als Sudetendeutscher eine lausige, aber durchaus lukrative Karriere. Sein Job ist es, die Habseligkeiten der Verschleppten zu erfassen. Und Cizek? Er hat nicht nur seine Arbeit verloren und muss seit einem Unfall humpeln, bei dem ihm ein Bein dreimal gebrochen wurde. Er liegt fast den ganzen Tag auf dem Sofa und lamentiert über die schlechten Zeiten. Cizek ist verzweifelt, ihn nervt es, wenn Prohaska alle paar Tage ihn und seine Frau Marie (Anna Sisková) aufsucht. Prohaska, selbst verheiratet, ist hinter Marie her.

Doch eines Tages ändert sich alles. David Wiener konnte aus Theresienstadt fliehen. Halb verhungert und von den Folterungen im KZ gezeichnet, taucht er in seiner Heimatstadt auf. Simacek (Jirí Pecha), der einst so freundliche Hausmeister und Nachbar der Cizeks, sieht ihn hinter einer Häuserwand und bekommt es mit der Angst zu tun, schreit den deutschen Besatzern hinterher: „Jude, Jude, hier ist ein Jude!“ Doch die hören ihn nicht und David kann entkommen.

Als Cizek bekannt wird, dass die Villa der Wieners einer deutschen Familie zur Verfügung gestellt werden soll, macht er sich nachts heimlich auf zu dem Haus, um den wertvollen Familienschmuck der Wieners, den er dort versteckt hatte, zu holen und sicherzustellen; noch immer glaubt er insgeheim, dass er die Familie wiedersehen wird. Er trifft auf David, der sich dort versteckt hält. Schnurstracks nimmt er David mit.

Josef und Marie verstecken David in einem mehr oder weniger geheimen Raum hinter einem Schrank in ihrer Wohnung, der als Speisekammer dient. Da allerdings hängt ein halbes Schwein, dass Marie nun verarbeiten muss, damit David in dem Versteck Platz hat.

Als Prohaska überraschend auftaucht und das Schwein sieht, warnt er Cizek. Wer Lebensmittel hortet, wird von den Deutschen hart bestraft. Doch Prohaska verrät Cizek nicht, isst ordentlich mit. Cizek befürchtet, dass Prohaska dahinter kommen könnte, dass sie David in der Wohnung verstecken. Daher nimmt er wider Willen eine Arbeit bei den Deutschen an, um Prohaska von seiner Wohnung fernzuhalten.

Als der neue Bewohner der Villa der Wieners, Dr. Kepk (Martin Huba), bei den Nazis in Ungnade fällt, soll ihn Prohaska bei den Cizeks unterbringen. Es wird eng ...

Hrebejks Film handelt von Menschen, ganz „normalen“ Menschen, die sich plötzlich einer in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Situation ausgesetzt sehen. Die Stärke des Films liegt darin, dass Hrebejk ihn zwischen Tragödie und Posse, das heißt in der Tradition des tschechisch-böhmischen Humors, ansiedelt. Alle Figuren werden in ihrer Ambivalenz angesichts drastisch veränderten Lebensbedingungen überzeugend vorgeführt.

Cizek, der mit den Nazis nichts zu tun haben will, andererseits aber auch nicht weiß, wie man sie wieder los wird, wird aus seiner tiefen Verzweiflung und Verbitterung gerissen, als David auftaucht. In seinem Herzen gibt es kein Zögern, David zu schützen, trotz seiner Angst vor Entdeckung. Als er eine Arbeit an der Seite Prohaskas annimmt, gilt er bei den Nachbarn als Kollaborateur. Das ist ihm zwar nicht egal, aber Cizek hat sich darauf versteift, einen Tag nach dem anderen zu überstehen, zu überleben, egal wie lange alles dauern mag. Wenn er allerdings seine Frau Marie nicht hätte, wäre es schlechter um Cizek bestellt.

Prohaska ist Kollaborateur, ein Opportunist, wie er im Buche steht, allerdings kein fanatischer Nazi. Er schlängelt sich durch die neue Zeit, besorgt hier Würste und dort Medikamente, ohne zu wissen, dass er damit auch David hilft. Prohaska ist kein schlechter Mensch, aber unter diesen Umständen sieht er keine andere Möglichkeit für sich als die der Kollaboration. Trotzdem schützt er seinen Freund Cizek und seine Frau, wenn auch zunächst vor allem, weil er hinter Marie her ist.

Fast beiläufig wirkt das Leben von Marie und Josef; das Außergewöhnliche wird rasch zur neuen Normalität. Die Schliche, der Trick, die Lüge, die Geschicklichkeit, die Phantasie, situationsbedingtes effektives Handeln, alles vor dem Hintergrund der immensen Gefahren – all dies ersetzt die kleinstädtische Normalität der Vorkriegszeit. Man lebt von einem Tag zum anderen. Beide wissen, was passieren würde, wenn man David entdecken würde. Doch Cizek ist die merkwürdige Freundschaft zu Prohaska jetzt endlich etwas wert: Er kann ihn nämlich dazu benutzen, sein Geheimnis zu schützen, ohne dass der etwas merkt.

Die gute Tat, die Josef und Marie hier begehen, ist zu einem Großteil auch weniger guten Gründen geschuldet. David wird geschützt. Doch gleichzeitig wird er im Laufe der Zeit auch zu einer Notwendigkeit für die Cizeks. Denn als das Kriegsende naht, ist allen bewusst, was mit Kollaborateuren geschehen wird. Und Cizek gilt als solcher. David muss bleiben. Er wird zum Pfand des Überlebens nach dem Krieg.

Prohaska ahnt sehr früh, dass Cizek jemanden versteckt. Doch er sagt keinen Ton. Er will Marie, die sich heftig gegen seine Zudringlichkeit wehrt. Auch als er merkt, dass er bei Marie keine Chance hat, verrät er nichts. Denn einerseits würden ihn die Deutschen fragen, warum er Cizek eine Arbeit bei ihnen verschafft hat, warum er dauernd in seinem Haus verkehrt hat, andererseits weiß Prohaska genau, dass die Russen auf dem Vormarsch sind.

Was ist Opportunismus? Diese Frage stellt sich in jedem Moment des Films. Aber mehr noch: Wo sind die Grenzen des Opportunismus? Was passiert, wenn jemand sich opportunistisch verhält? Und wie wirkt sich dies aus, wenn für jeden das opportune Verhalten auf einer anderen Ebene liegt?

Wenn Prohaska immer wieder gegenüber Cizek proklamiert, dass „wir zusammenhalten müssen“, so ist dies angesichts der sich überschneidenden Handlungsabläufe der einzelnen Figuren zumindest doppeldeutig. Prohaska meint natürlich vor allem sich selbst; er hat insgeheim eine Versicherung abgeschlossen für die Nachkriegszeit, indem er David nicht verrät. Cizek hat mit Prohaska eigentlich nichts am Hut; er will ihm allerdings auch nichts Böses. Also schmiedet er eine unausgesprochene Koalition mit Prohaska. Dazwischen steht Marie. Sie ist die einzige, die David um jeden Preis schützen will.

David selbst wird immer mehr zum Spielball des Opportunismus – und zumindest in diesem Fall rettet ihm dies das Leben.

Bolek Polívka, Anna Sisková, Jaroslav Dusek und Csongor Kassai bilden eine exzellente Besetzung der vier Hauptrollen des Films.

„Musíme si pomáhat“ ist eine sehr nahe gehende, hintergründige Geschichte, mit der Jan Hrebejk eine überzeugende Verschränkung von Burleske und Tragödie gelungen ist. Der Film rutscht weder in Absurditäten, noch in irgendwelche Albernheiten. Es gibt Stellen, an denen man lachen muss, aber vor allem hat das Komische dort seinen Ort, wo es Cizek und seiner Frau gerade noch einmal gelingt, Davids Entdeckung zu verhindern.

Verzeihende Gesten? Verharmlosung? Die einzigen, die wirklich das Recht hätten zu verzeihen oder nicht zu verzeihen, sind entweder tot, ermordet, oder sie leben mit der Erinnerung an das Grauen. „Musíme si pomáhat“ kann nicht verzeihen, nur zum Nachdenken anregen – und das ist schon viel. Der Film verharmlost nichts, im Gegenteil. Er macht auf eine zutiefst berührende Art, ohne jemals rührselig zu sein, die Augen auf für die Frage, wie Menschen in Extremsituation handeln, denken, sich verhalten.