Yojimbo – der Leibwächter
(Yojimbo)
Japan 1961, 110 Minuten
Regie: Akira Kurosawa

Drehbuch: Ryuzo Kikushima, Akira Kurosawa
Musik: Masaru Satô
Director of Photography: Kazuo Miyagawa
Montage: Akira Kurosawa
Produktionsdesign: Yishirô Muraki

Darsteller: Toshirô Mifune (Sanjuro), Eijirô Tono (Gonji, Tavernenbesitzer), Tatsuya Nakadai (Unosuke, Bruder Ushitoras), Kyu Sazanka (Ushitora), Yôko Tsukasa (Nui), Isuzu Yamada (Orin, Frau Seibeis), Daisuke Katô (Inokichi, Bruder Ushitoras), Seizaburô Kawazu (Seibei), Takashi Shimura (Tokuemon, Sake-Brauer), Hiroshi Tachikawa (Yoichiro, Sohn Seibeis), Kamatari Fujiwara (Tazaemon, Seidenhändler), Ikio Sawamura (Hansuke, Aufseher), Atsushi Watanabe (Sargmacher), Susumu Fujita (Homma), Kô Nishimura (Kuma, Polizistenmörder), Takeshi Katô (Kobuhachi, Polizistenmörder), Namigoro Rashomon (Kannuki), Yoshio Tsuchiya (Kohei)

Über den aufrechten Gang

Auf dem Berg sitzend,
dem Kampf der Tiger zuschauen

Das Schicksal fällt aus der Luft in Form eines Stocks, der einem Samurai die zufällige Richtung weist, in die er geht. Wohin er geht, ist ihm also gleichgültig. Der Samurai ist einer jener, die keinen Herrn mehr haben, die kein Geld in der Tasche haben, einer jener einsamen Wölfe, die durch die Lande ziehen, um irgendwo nach einer Beschäftigung zu suchen, um ein paar Ryo zu verdienen, ein Samurai, den man – weil ohne Herrn – Ronin nennt. Der Stock zeigt in die Richtung eines Ortes, in dem ihm – als er dort ankommt – ein Hund entgegenkommt, der eine menschliche Hand zwischen den Zähnen trägt. Der Ort wirkt fast wie ausgestorben.

Kuwabatake Sanjuro, wie sich der Samurai nennt – nicht sein richtiger Name –, ist eine jener Figuren des japanischen Regisseurs Kurosawa, die zu einer vergangenen Welt gehören, einer feudalen, streng hierarchischen Lebenswelt, die dem Untergang geweiht ist. Während andere Ronin sich in Räuberbanden als Plünderer zusammengeschlossen haben (exemplarisch in Kurosawas „Die sieben Samurai”) gehört Sanjuro zu jenen aufrechten, ja ehrenhaften Männern, die überall, wo sie hinkommen, sich der Gerechtigkeit verschrieben haben (ähnlich wie in „Die sieben Samurai“ die Ronin, die den Bauern dort helfen). Sie sind keine Revolutionäre oder Rebellen, nein, es sind Männer, die wenig sprechen, die geradezu in sich selbst ruhen und Dummheit, Feigheit, Hinterhältigkeit und Machtstreben verachten. Sie stehen noch mit einem Fuß in der Vergangenheit, mit dem anderen aber schon in der Neuzeit.

Sanjuro jedenfalls (gespielt von dem bei Kurosawa oft beschäftigten Toshirô Mifune) erfährt in besagtem Ort von einem Tavernenbesitzer namens Gonji (Eijirô Tono), dass der Ort der Gewalt, dem wirtschaftlichen Untergang und dem Verfall geweiht sei, weil zwei reiche Familien sich gegenseitig bekämpften und umbringen wollten. Der Aufseher Hansuke (Ikio Sawamura) versucht Kapital daraus zu schlagen, Sanjuro einer der beiden Familien als Leibwächter anzudienen.

Die Oberhäupter der beiden Familien, Ushitora (Kyu Sazanka) und Seibei (Seizaburô Kawazu), haben von der Polizei gesuchte Gauner und Mörder angeheuert, um sich gegenseitig den Garaus zu machen. Nur wenige Einwohner, machtlos diesem Treiben gegenüber, versuchen, sich aus dem Krieg der Familien herauszuhalten: neben Gonji der Sargmacher (Atsushi Watanabe), der aus den vielen Toten allerdings Kapital für sein Geschäft schlagen will, und der Seidenhändler Tazaemon (Kamatari Fujiwara), der um sein Geschäft fürchtet.

Sanjuro beobachtet die Szenerie und fasst einen Entschluss: Er will im Ort mit den Banden aufräumen, indem er sie gegeneinander ausspielt. Zunächst provoziert er einige Banditen Ushitoras und beweist dabei, dass er wie kein anderer mit dem Schwert umgehen kann. Dann bietet er sich Seibei als Leibwächter an. Dessen Frau Orin (Isuzu Yamada) allerdings – das bekommt der schlaue Sanjuro mit – plant, nach dem erfolgreichen Einsatz von Sanjuro gegen Ushitora den Ronin zu töten, um das Geld zu sparen, das Seibei Ronin bezahlen muss.

Als es gegen Mittag zur entscheidenden Schlacht der beiden Familien kommen soll, eröffnet Sanjuro Seibei und seiner Frau, er werde nicht für Leute kämpfen, die ihn hinterher ermorden wollen. Und dann stehen sich die Banden auf der Dorfstraße gegenüber. Keiner traut sich, wirklich in einen Kampf einzutreten. Sie drohen sich, machen grimmige Gesichter – aber ihre Feigheit und ihr Angst vor dem Tod hält beide Seiten zurück, in einen offenen Kampf zu gehen. Die Ankunft von Polizei aus dem Nachbarort rettet beide Seiten vor einer Blamage.

Um die Polizisten wieder los zu werden, beauftragt Ushitora zwei Ronin, im Nachbarort einen Polizisten zu ermorden, damit die Polizisten sich um die Aufklärung dieses Mordes kümmern. Und Sanjuro ist so schlau, diese Situation auszunutzen, indem er die beiden Mörder Seibei ausliefert, woraufhin Ushitora einen der Söhne Seibeis als Geisel nimmt. Die Lage spitzt sich immer weiter zu, die verfeindeten Familien buhlen um Sanjuro als Leibwächter. Doch der ist geschickt genug, die Situation eskalieren zu lassen. Auch der plötzlich im Ort auftauchende Bruder Ushitoras, Unosuke (Tatsuya Nakadai), der als einziger einen Revolver besitzt und glaubt, damit mehr Macht zu haben als jeder noch so gute Samurai, täuscht sich gründlich darüber, was jetzt passieren wird ...

Kurosawa zeigt nicht nur die Lebenswelt eines Ronin im Übergang vom Feudalismus zur Neuzeit; er zeigt uns auch eine verkommene japanische Gesellschaft, voller Korruption, Verrat, Intrige und Machtdünkel, von denen beide „Kriegsparteien” vollständig beherrscht sind. Nur wenige Menschen dieser Gesellschaft entkommen diesem Machtspiel, der Samurai Homma (Susumu Fujita) etwa, der für Seibei sein Leben nicht riskieren will und heimlich den Ort verlässt. Oder die junge Frau Nui (Yôko Tsukasa), der Sanjuro das Leben rettet, nachdem sie als Geisel genommen worden ist. Und Gonji, der Sake ausschenkt, der verzweifelt und erbost ist angesichts der Situation im Ort, der Sanjuro zunächst angreift, weil er dessen Plan, die Banden gegeneinander zu hetzen, um sie letztlich alle zu töten oder sich gegenseitig töten zu lassen, für töricht hält, der aber dann erkennen muss, dass dies die einzige Möglichkeit zu sein scheint, sich von der Geißel der Gewalt zu befreien.

Kurosawa zeigt die Hilflosigkeit einer Welt, in der ein ehrenhafter, d.h. den althergebrachten Ehrbegriffen verhafteter, Samurai nur eine Möglichkeit sieht, diesen Krieg zu beenden: durch den Tod aller daran Beteiligter. Sanjuro besitzt ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden; aber die Mittel, die er wählt, um Gerechtigkeit zu schaffen, gehören der (seiner) vergangenen Welt an. Auf der anderen Seite stehen Intriganten und Machtbesessene, Dummköpfe und Feiglinge, die mit aller Gewalt in eine Art Machtvakuum hineinstoßen wollen, das in der japanischen Gesellschaft ganz offensichtlich existiert.

Doch „Yojimbo” – und das gilt für alle Kurosawa-Filme – beschränkt sich nicht auf eine historische Darstellung anhand einer solchen Geschichte. „Yojimbo” erzählt – wie „Ran”, „Sanjuro”, „Die sieben Samurai” , „Das Schloss im Spinnwebwald” oder auch „Rashomon” – eben auch von der Gegenwart – einer Gegenwart, in die derartige Strukturen, Verhaltensweisen usw., wie der Film sie zeigt, tradiert wurden. Und Kurosawa deutet wie in den genannten Filmen an, wo er die einzige Möglichkeit des Individuums sieht, in der modernen Zivilisation zu existieren, zu bestehen: in der Macht über sich selbst und dem Verzicht darauf, Macht über andere auszuüben. Hier liegt zumindest eine Quintessenz des Werks des großen japanischen Regisseurs, die im übrigen auch in jenen Filmen zum Ausdruck kommt, die in der japanischen Gegenwart spielen (etwa „Bilanz eines Lebens“ und „Engel der Verlorenen“). Sanjuro steht – abseits aller historischen Bezüge – für einen Menschen mit aufrechtem Gang, der auf alles Ideologische verzichtet, der es abgelegt hat, soweit dies irgendwie möglich ist – einen Menschen irgendwo zwischen Sisyphus und dessen Verzweiflung, immer wieder von vorn anfangen zu müssen, und dessen Kraft, den Weg immer erneut zu gehen, und jenem modernen Helden, der, den eigenen Tod stets vor Augen, sich eben doch dem Leben verschrieben hat und seinem Gerechtigkeitssinn unabänderlich zu folgen bereit ist.

Dieses moderne Individuum, das beständig im Jetzt lebt, nicht in der Vergangenheit und nicht in einer unüberschaubaren Zukunft, hat in Kurosawas Werk fast schon eine Art kosmische Energie. Sanjuro verlässt am Schluss des Films den Ort, wie er ihn betreten hat: ohne Geld, ohne Anerkennung – es sei denn von Gonji und Nui –, ohne irgendeinen Vorteil im neuzeitlichen Sinn – aber eben aufrecht und mit dem Gefühl, die Dinge ein bisschen zum Besseren verändert zu haben. Dabei stilisiert Kurosawa seine Helden nicht zu Übermenschen ohne Schwächen. Auch Sanjuro ist keine edle Comicfigur ohne Fehl und Tadel. Er bleibt ganz Mensch. Und gerade dies macht ihn zu einer Person, die uns nicht nur nahe ist, sondern die in uns selbst – mehr oder weniger verborgen – wirkt.

Und nicht zuletzt versetzt Kurosawa die Geschichte mit einer mehr oder weniger unterschwelligen Komik, etwa in einer Szene, in der er Ushitoras dicken und dummen Bruder Inokichi (Daisuke Katô) zusammen mit Gonji den Korb wegtragen lässt, in dem sich Sanjuro versteckt hat, um sich dem Zugriff von Ushitoras Gaunern zu entziehen, die ihn schwer verletzt haben. Wie Inokichi in dieser Szene durch den Wald saust, halb wackelnd, halb rennend, ist schon mehr als einen Lacher wert.

© Bilder: KSM und Pegasus Home Entertainment
Screenshots von der DVD.