Young Adam
(Young Adam)
Großbritannien, Frankreich 2003, 93 Minuten
Regie: David Mackenzie

Drehbuch: David Mackenzie, nach dem Roman von Alexander Trocchi
Musik: David Byrne
Director of Photography: Giles Nuttgens
Montage: Colin Monie
Produktionsdesign: Laurence Dorman

Darsteller: Ewan McGregor (Joe Taylor), Tilda Swinton (Ella Gault), Peter Mullan (Les Gault), Emily Mortimer (Cathie Dimly), Jack McElhone (Jim Gault), Therese Bradley (Gwen), Ewan Stewart (Daniel Gordon), Stuart McQuarrie (Bill), Pauline Turner (Connie), Alan Cooke (Bob M’bussi), Rory McCann (Sam)

Gähnende Langeweile

Kino ist ein Ort des Erzählens. Wer nichts zu erzählen hat, macht keine Filme. Oder doch? David Mackenzies „Young Adam” nach Motiven des Romans von Alexander Trocchi scheint zumindest eine Geschichte zu erzählen, die sich in einem Satz zusammenfassen lässt: Bindungsunfähiger Mann verschweigt den Unfalltod einer Geliebten und entwickelt ein schlechtes Gewissen, weil ein anderer Mann für den Tod der Frau als Mörder verurteilt wird. Damit ist im Grunde alles gesagt, was man über den Film sagen könnte – fast alles.

Der Film spielt in den 50er Jahren in Schottland. Joe (Ewan McGregor) arbeitet als Kohlenschiffer auf einem Kahn, der dem Ehepaar Les (Peter Mullan) und Ella (Tilda Swinton), eigentlich nur ihr, gehört. Man schippert über die Kanäle und Flüsse des Landes. An Bord befindet sich noch der kleine Sohn des Paares Jim (Jack McElhone).

Giles Nuttgens fotografierte in beeindruckenden Bildern die schottische Landschaft, die Häfen, die Kanäle usw. David Byrne zauberte, kann man durchaus sagen, dazu eine ebenso stimmige Musik. Und insoweit – das heißt: ohne die Geschichte und die Art, wie sie erzählt wird – ist der Film stimmig.

Aber was passiert nun eigentlich?

Zunächst finden Joe und Les im Hafen eines Tage eine Leiche. Sie ziehen eine junge Frau aus dem Wasser, rufen die Polizei, die vermutet, sie sei ermordet worden. Denn sie war lediglich mit einem Unterrock bekleidet. Kurze Zeit später beginnt Joe ein sexuelles Abenteuer mit Ella, die sich zunächst dagegen wehrt, aber angesichts der Tatsache, dass ihr Mann impotent ist, sich dann doch auf Joe einlässt. Joe nutzt jede Gelegenheit, um mit Ella zu schlafen – als Les mit Jim im Kino ist, als er in einer Kneipe Karten spielt usw. In diese Szenerie zwischen den einzelnen Sexszenen baut Mackenzie Alltagsszenen auf dem Schiff ein – ein ruhiger, stiller Alltag auf einem Kahn. Zum zweiten montiert er in kurzen Rückblenden die nicht sehr lange zurückliegende Liaison zwischen Joe und einer gewissen Cathy (Emily Mortimer). Diese Rückblenden zeigen Joe als erfolglosen Schriftsteller, über den sich Cathy beschwert. Und allerspätestens nach einer ziemlich langweiligen halben Stunde – zwischen Sex, Kahnfahren und Rückblenden – wissen wir, dass Cathy die Leiche ist, die Joe und Les aus dem Wasser gefischt haben.

Joe verhält sich unwissend. Niemand ahnt von der Geschichte, die dahinter steckt, dass Cathy, die Joe heiraten wollte, weil sie von ihm schwanger war, bei einem Unfall nachts ins Wasser gefallen und ertrunken ist, weil sie nicht schwimmen konnte, und Joe keine Anstalten unternahm, um sie zu retten.

Was nun in der letzten Stunde des Films folgt, könnte man als gnadenlose Einfallslosigkeit des Regisseurs bezeichnen. Ich kann nicht beurteilen, ob das folgende irgend jemand begeistern könnte, aber ich kann es mir kaum vorstellen:

Les erfährt von dem Verhältnis zwischen Ella und Joe. Er verlässt das Schiff, das ihr gehört, Jim geht von Bord, um auf die Schule zu gehen. Joe hat nacheinander Sex mit Ellas Schwester Gwen, deren Mann Tom bei einem Unfall von einem Bus überfahren wurde und die zwei Wochen auf dem Kahn mitfährt, und mit der Frau eines Mannes, der ihm ein Zimmer vermietet hat, nachdem Joe das Schiff Ellas verlassen hatte. Es scheint ihn zu quälen, dass ein anderer für den Tod Cathys zum Tode verurteilt wird, aber außer einem anonymen Brief, den er im Gerichtsgebäude bei dem Anwalt des Beschuldigten heimlich hinterlässt und in dem er den Unfalltod von Cathy schildert, fällt ihm nichts ein, um die Verurteilung zu verhindern. Am Schluss wirft Joe ein Andenken von Cathy an der Stelle in den Fluss, an der sie ertrunken ist und geht. Vorhang!

Quälende eineinhalb Stunden musste ich miterleben, was nicht erlebenswert war. Es mag sein, dass der Roman, der dem Film zugrunde liegt, spannender und in der Charakterzeichnung intensiver ist. Es mag sein, dass man aus solch einer Geschichte auch einen spannenden Film machen könnte. Doch das, was Mackenzie mir hier bietet, hat nur etwas mit langatmiger Langeweile zu tun. Was „hängen” bleibt, sind Joes verschiedene sexuelle Abenteuer, die er so mitnimmt wie das Essen an Bord oder die tägliche Reinigung vom Kohlenstaub. Man darf McGregor dann an einer Stelle auch nackt sehen – was die prüden Filmzensoren in den USA dazu veranlasste, den Streifen nur geschnitten in die Kinos zu lassen.

McGregor läuft geschlagene eineinhalb Stunden mit (im wesentlichen jedenfalls) einem einzigen Gesichtsausdruck durch die Landschaft, der wohl vermitteln soll, dass es sich um einen einsamen Wolf, der nirgendwo so etwas wie Heimatgefühl entwickeln kann, handelt. Frauen scheinen für diesen Joe Mitnahmeartikel zu sein, die man trifft und genauso schnell wieder verlässt. Der Kern der Geschichte – der Unfalltod von Cathy und irgend so etwas wie ein schlechtes Gewissen Joes – wird letztlich nicht in eine Erzählung verpackt, sondern mit nichtssagenden, sich ständig wiederholenden Alltagsszenen „verziert”, die vielleicht in eine Dokumentation über Kahnschiffer passen würden, aber in dieser Eintönigkeit nicht in einen Spielfilm.

Tilda Swinton, eine Schauspielerin, die ich sehr schätze, spielt die verbitterte Ella zwar wirklich nicht schlecht. Aber trotzdem fehlt auch ihr der gewisse Pfeffer, an dem es dem ganzen Film mangelt. So dreht man Däumchen, wartet auf Besseres, aber außer der Musik und den Bildern der Umgebung, in der der Film spielt, hat „Young Adam” nichts Besseres.

Von einer anderen Seite betrachtet: Wenn es dem Film darum ginge, eine gewisse Beliebigkeit, Eintönigkeit, Depressivität respektive Verzweiflung innerhalb gewisser Lebensumstände zu zeigen, so wäre dies in Bezug auf den oben genannten Kern der Geschichte sicherlich Anlass genug für einen guten Film geworden. Wenn allerdings die Inszenierung selbst beliebig und eintönig daher kommt, so treibt das eher den Betrachter in Verzweiflung und Depressionen. Man kann auch sagen, das einzige, was in „Young Adam” wirklich passiert, ist die Verurteilung eines Unschuldigen, der am Strang enden wird, weil irgend so ein Feigling nicht bereit ist, der Polizei die Wahrheit über den Unfalltod Cathys zu erzählen. Dass die Motivation für das Verhalten Joes nach 20 bis 30 Minuten bereits bekannt ist, nimmt der Geschichte sowieso schon fast alles an dem bisschen Spannung, die davor vielleicht noch vorhanden war.

Es gibt Filme, die mich ärgern, und „Young Adam” gehört dazu. Sie ärgern mich, weil dem Kino mit solchen Filmen ein Bärendienst erwiesen wird.

© Bilder: Alamode Film.