Avalon
(Avalon)
Japan 2001, 106 Minuten
Regie: Mamoru Oshii

Drehbuch: Kazunori Itô, Neil Gaiman
Musik: Kenji Kawai
Director of Photography: Grzegorz Kedzierski
Montage: Hiroshi Okuda
Produktionsdesign: Barbara Nowak

Darsteller: Malgorzata Foremniak (Ash), Wladyslaw Kowalski (Game Master), Jerzy Gudejko (Murphy), Dariusz Biskupski (Bischof), Bartek Swiderski (Stunner), Katarzyna Bargielowska (Frau an der Rezeption), Alicja Sapryk (Gill), Michel Breitenwald (Murphy of Nine Sisters), Zuzanna Kasz (Geist), Adam Szyszkowski (Spieler A), Krzysztof Szczerbinski (Spieler B), Marek Stawinski (Spieler C), Jaroslaw Budnik (Cooper), Andrzej Debski (Cusinart)

So viele der Tapferen bleiben in der Schlacht ...

„Doch nun lebt wohl! Ich geh' nun einen
weiten Weg mit denen, die Ihr hier bei mir erblickt –
wenn ich denn gehe (denn von Zweifel ist mein Geist verdüstert)
– zum Insel-Tale von Avalon; wo Hagel niemals fällt noch Regen
oder Schnee. Noch bläst dort jemals laut der Wind; es liegt
tief in Wiesen, glücklich, liebreizend mit begrünten Hainen.
Und Senken, über denen man die sommerliche See erblickt,
wo ich mich heilen will von meiner schweren Wunde.
So sprach er, und die Barke mit Ruder und Segel legt ab
vom Ufer einem Schwan gleich mit geblähter Brust ...“
(„The Passing Of Arthur“ aus: „The Idylls of the King“
von Alfred Lord Tennyson)

Avalon – das ist nach Geoffrey of Monmouth (12. Jh.) die sagenumwobene Apfelbaum-Insel, zu der Morgane den sterbenden König Artus bringt, damit er dort geheilt wird. Auf Avalon herrschen Morgane, die Fee, und ihre neun Schwestern, unter deren Obhut Menschen über hundert Jahre alt werden. Artus lebt nach der Sage noch immer dort und wartet darauf, nach Britannien zurückzukehren, wenn es ihn braucht, um seine Feinde zu vertreiben. Die Sage wurde von Marion Zimmer Bradley für einen Roman „feministisch“ aufgearbeitet, ihr Roman filmisch in einem TV-Zweiteiler umgesetzt von Uli Edel 2001 („Die Nebel von Avalon“, USA, Deutschland, Tschechien ,mit Anjelica Huston und Julianna Margulies).

Für den japanischen Regisseur Mamoru Oshii (der wegen seiner Animationsfilme bekannt wurde, v.a. „Gost in the Shell“, 1995) diente die Sage als Ausgangspunkt für ein Kriegs-Simulations-Spiel, das einige (offenbar gut verdienende) Leute in einer nicht allzu fernen Zukunft in einer verarmten Gesellschaft spielen. Gedreht wurde in Polen.

Panzer rollen über die Straßen, Menschen flüchten vor ihnen. Ash (Malgorzata Foremniak), uniformiert und hochgerüstet, kämpft sich durch die triste Stadt. Die, die sie trifft, lösen sich in Fetzen, Punkte und dann in Nichts auf. Männer jagen durch Felder und Wälder, ein Hubschrauber beschießt sie. Ash trifft und zerstört ihn. „Mission Complete.“ Ash befindet sich in einem computersimulierten Spiel namens Avalon und hat das nächste Level erreicht. „Log off“. Sie zieht die Spiel-Haube vom Kopf und „erwacht“ in einem Kellerraum, raucht eine Zigarette. Der Spielmeister (Wladyslaw Kowalski), der auf einem Bildschirm erscheint, empfiehlt ihr, sich für das nächste Level einen Partner zu suchen, da es immer schwieriger werde, allein die nächste Ebene zu erreichen. Ash lehnt ab.

Ash verlässt den Keller. Draußen stehen schweigend an Brücken und Häuserwänden Menschen, regungslos. Sie wirken leblos. Das gleiche Bild in der Straßenbahn. Zu Hause angekommen begrüßt ein Basset freudig seine Herrin. Der Hund erscheint als das einzig wirklich Lebendige in dieser tristen Welt.

Ein früherer Mitspieler von Ash aus der Spielergemeinschaft Wizard, Stunner (Bartek Swiderski), erzählt ihr wenig später, dass ein anderer Mitspieler, Murphy (Jerzy Gudejko), geistesabwesend in einem Krankenhaus dahin vegetiere. Murphy hatte im letzten Level, das die Gruppe zusammen spielte, offenbar versagt. Das Krankenhaus, in dem er liegt, ist von ehemaligen Spielern, die psychisch angeschlagen sind, übervölkert. Oder handelt es sich um andere Geisteskranke? Aber Stunner erzählt ihr noch etwas anderes: In „Avalon“ soll es eine versteckte Ebene geben, ein gefährliches Level, das man bei Gefahr mit „Reset“ nicht wieder verlassen könne. Um auf diese Ebene – Special Level A – zu gelangen, müsse man einen Geist in Gestalt eines kleinen Mädchens besiegen.

Kurz darauf ist Ashs Bassett verschwunden. Dafür erscheint bei ihr Bischof (Dariusz Biskupski), ein Spieler, von dem die anderen sagen, er sei besser und schneller als Ash. Bischof ist allerdings auch einer der „neun Schwestern“ – der Programmierer –, die Avalon entwickelt haben. Er will, dass Ash mit ihm und anderen versucht, Level A zu erreichen. Nach der Überwindung einer sog. „Zitadelle“, einer mit allen Finessen ausgestatteten panzerartigen Kampfmaschine, steht der Geist (Zuzanna Kasz) vor Ash. Der Zugang zu Ebene A scheint nahe. Und Ash kann den Geist ausschalten. „Welcome to Class Real.“ Als Ash „erwacht“, befindet sie sich in einem Raum, in dem der Napf ihres Hundes steht und der Basset auf einem Plakat zu einem Konzert abgebildet ist. Sie verlässt den Raum und befindet sich in einer scheinbar ganz anderen Welt ...

Oshii erzählt eine in sich geschlossene Geschichte über eine „eigene“ Welt von Spielern eines nicht ganz ungefährlichen Spiels in einer verarmten, düsteren, tristen Umgebung. Die Spielregeln bestimmen die Geschichte. Die Personen haben ihnen zu folgen. Die äußere Realität, der die Spieler entstammen, ist in leichten grauen, braunen und grünen Farbtönen fotografiert, so, als wenn ein Schwarz-Weiß-Film nachträglich ein wenig eingefärbt worden wäre (was wohl technisch auch entsprechend umgesetzt wurde). Durch diese Tönung des Films und dadurch, dass die Handlung entweder im Dunkeln oder in einer merkwürdigen Form von Dämmerung spielt, in der nicht Tages-, sondern eher Neonlicht vorherrscht, erzeugt Oshii eine kalte, trostlose Welt, die für sich genommen auch Teil einer virtuellen Welt sein könnte. Die Menschen, die sich neben den Spielern in dieser Welt bewegen, oder besser: eben nicht bewegen, wirken einerseits wie Ausstattungsobjekte eines Spiels, andererseits wie Figuren, die ihrer Verzweiflung zum Opfer gefallen sind.

Das einzig Lebendige in dieser Welt ist der Basset. Wenn Ash nach Hause kommt, freut sich Schlappohr, bekommt zu Essen, frisst gierig, wird müde, streckt sich aus und schläft zufrieden und satt auf dem Boden. Diese Begegnung des Nach-Hause-Kommens zu dem Hund ist auch fast der einzige Moment in „Avalon“, in dem Ash so etwas wie Freude im Gesicht geschrieben steht, nur eine Spur von Gefühl in einer ansonsten emotionslosen Umgebung. Ash ist eine schöne Frau, doch ihre Schönheit wirkt so, als ob sie simuliert wäre. Ihr einziger Lebenszweck ist Avalon. Ash wie die anderen wirken wie Menschen, die mit dem Leben abgeschlossen haben, die nur noch eines kennen: Zeitvertreib im Kriegsspiel, die nur noch ein Ziel haben: das nächste Level zu erreichen. Nur in der Erinnerung an Murphy scheint in Ash so etwas wie Trauer, vielleicht auch eine Spur Liebe aufzutauchen, etwas leicht Nostalgisches.

Das Spiel baut nur äußerlich auf der Avalon-Sage auf. Die Programmierer nennen sich die „neun Schwestern“, Avalon, die Insel, ist das Ziel des Spiels, ein unendliches Ziel, denn letztlich darf es kein letztes Level geben; dann wäre das Spiel zu Ende. Die Sage degeneriert zur äußeren Form von Spielregeln. Allerdings versuchen die Programmierer, von Ebene zu Ebene der Sage näher zu kommen – bis hin zur Ebene A, einer bunten, lebendigen Welt, wie wir sie aus Großstädten kennen, eine Welt, in der Menschen leben und nicht dahin vegetieren, in der ein Konzert stattfindet, in dem eine Sängerin die Sage von Artus und der geheimnisvollen Insel besingt (mit der wunderschönen, eigens für den Film komponierten, kantatenähnlichen Musik Kenji Kawais).

Aber diese Simulation einer bunten Welt darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass in diesem Spiel nur eines zählt: Intelligenz, kalter Verstand, Schnelligkeit. Der Spielleiter bewertet das Verhalten der Spieler nicht; er gibt nur Hinweise, wie ein Schiedsrichter. Er mischt sich nicht ein. Warum auch? Niemand muss dieses Spiel spielen. Wer es tut, verschreibt sich seinen Regeln. Das Spiel ist Computer- und Internetspielen wie Counterstrike nachempfunden. Je weiter Ash nach oben kommt – bis zur bunten Class Real – desto zweifelhafter wird, ob es im Film überhaupt eine reale Ebene gibt. Die triste Welt, der Ash entstammt, könnte genauso gut virtuell sein. Insofern drängen sich natürlich Vergleiche mit „Matrix“ (USA 1999) auf. Dort beherrschen Computerprogramme die Welt, in der Menschen nur noch eine bewusstseinsmanipulierte virtuelle Realität besitzen. Aber diese Ähnlichkeit ist nur äußerlich.

In „Avalon“ existiert eine monotone, einsame, verlassene Welt. Das Leben hat diese Welt verlassen. Die Personen reagieren wie Rädchen im Getriebe, ohne dass es ihnen unbedingt bewusst ist. Zwischen ihnen herrscht kein wirklicher, lebendiger Zusammenhang. Sie sind lediglich funktional verbunden – in bezug auf das Kriegsspiel. Kontrapunkt zu dieser Tristesse ist die Sage um die Insel Avalon. Jede Sage, jeder Mythos, jede Legende enthält etwas Heldenhaftes, Verschworenes und vor allem Sinnstiftendes neben dem Erfundenen, Übersinnlichen und Religiösem. Ein Mythos ist „fest“, fixiert, Ausgangspunkt für eine Gemeinschaft und ihr Leben, ihre Art zu leben. In der Welt von Ash verkommt dieser Mythos zu einer oberflächlichen Form im Rahmen der Spielregeln. Als der Geist Ash am Schluss wieder erscheint, wird die Widersprüchlichkeit der Situation von Leben und Tod manifest. Das Gesicht des Geistes deformiert sich von einem Kindergesicht in das eines Puttengesichts, einen simulierten Engel, keinen „wirklichen“, einen virtuellen Engel ohne Leben, einen Todesengel, der nur eines verspricht: das nächste Level (das noch programmiert werden muss).

In „Avalon“ geht es nicht um irgendeine Kritik an PC-Spielen oder an Spielsucht. Das Spiel steht nur als Stellvertreter für virtuelle Beziehungen in einer realen Welt, einer extrem „vernünftigen“ Welt, einer bis zum Exzess durch den kalten Verstand bestimmten Welt, in der die Beziehungen zwischen Menschen funktional geregelt sind, in der Emotionen dem tötenden Verstand unterworfen wurden. Wie in einer durch-ökonomisierten Welt, in der alles und jeder primär, sekundär und tertiär den scheinbar naturwüchsigen Regeln der Ökonomie untergeordnet ist, ist in „Avalon“ kein Platz für Gefühle. Ash und die anderen befolgen diese Regeln, ohne sich bewusst zu sein, was sie dort eigentlich tun. Sie haben diese Regeln – aus welchen Gründen im einzelnen auch immer – internalisiert. Ob die Welten in „Avalon“ alle virtueller Natur sind oder nicht, spielt insofern gar keine Rolle mehr.

Die Selbstbestimmung, die Ash an den Tag legt, ist nur vordergründig und Ausdruck davon, dass sie vollständig in die Welt des Spiels eingebunden ist. Dieses Spiel hat totalitären Charakter, nicht im klassischen Sinn einer totalitären Diktatur, sondern totalitär im Sinne von völliger Eingebundenheit und Abhängigkeit von seinen Strukturen und Regeln im Rahmen einer pseudo-pluralistischen Entscheidungsfreiheit. Dieser Paradoxie entspricht der emotionale Panzer, den sich Ash zugelegt hat. Als ihr Basset verschwunden ist, ist sie überrascht, aber nicht deprimiert. Als von Bischof gesagt wird, er sei besser als sie, wird sie kurzzeitig wütend, aber umgehend hat sie sich wieder im Griff und plant ihr nächstes Spiel. Ash hat gelernt, ihre Gefühle in einer Weise zu beherrschen, dass es möglich wird, in einer Welt des kalkulierenden kalten Verstandes zu existieren. Diese Herrschaft über sich selbst ist keine Form der emotionalen Selbstbeherrschung, sondern Ausdruck der Diktatur des tötenden Verstandes über die abgespaltenen Gefühle.

Oshii formuliert dies in „Avalon“ in extremer Art, überspitzt vieles – und schafft dadurch ein glaubwürdig erschreckendes, nicht nur filmisches Ereignis. „Avalon“ ist einer der Filme, die man entweder uneingeschränkt mag oder ebenso uneingeschränkt ablehnt.


 

Avalon-Plakat
Avalon-1
Avalon-2
Avalon-3