Bad Lieutenant – Cop ohne Gewissen
(Bad Lieutenant: Port of Call - New Orleans)
USA 2009, 122 Minuten
Regie: Werner Herzog

Drehbuch: William M. Finkelstein
Musik: Mark Isham
Director of Photography: Peter Zeitlinger
Montage: Joe Bini
Produktionsdesign: Toby Corbett

Darsteller: Nicolas Cage (Terence McDonagh), Eva Mendes (Frankie Donnenfeld), Val Kilmer (Stevie Pruit), Fairuza Balk (Heidi), Xzibit (Big Fate), Shawn Hatasoy (Armand Benoit), Jennifer Coolidge (Genevieve), Tom Bower (Pat McDonagh), Vondie Curtis-Hall (James Brasser), Brad Dourif (Ned Schoenholtz), Denzel Whitaker (Daryl)

"Haben Fische Träume?"

Immer auf Beutezug. Das Auge sieht mehr, immer mehr. Das eine Krokodil liegt bewegungslos im Gras und lauert auf ein Stück menschliches Fleisch. Die Cops, nicht entfernt, nehmen einen Verkehrsunfall zu Protokoll, bei dem ein anderes Krokodil das Zeitliche gesegnet hat. Die Leguane drehen ihre Augen in alle Richtungen und lauern auch auf Beute – Tag und Nacht sozusagen. So auch Lieutenant Terence McDonagh – immer auf de Suche nach Beute. Ganz zu Anfang des Films: eine Wasserschlange, die sich in ein überflutetes Gefängnis aufmacht. Und ganz zum Schluss Fische, die sich still durch ein großes Aquarium bewegen. Welche Perspektiven tun sich hier auf?

Werner Herzog – ja der Werner Herzog – schickte sich an, Abel Ferraras Geschichte von 1992 mit Harvey Keitel in der Hauptrolle neu zu verfilmen. Allerdings wird man schnell feststellen, dass beide Filme wenig miteinander gemeinsam haben – auch wenn Ferrara über Herzogs Absicht nicht sehr erfreut gewesen sein soll.

Herzog in Hollywood, Herzog und Hollywood. Ist das vorstellbar? Es ist, denn der Regisseur von "Fitzcarraldo", "Woyzeck", "Aguirre, der Zorn Gottes", "Nosferatu", "Jeder für sich und Gott gegen alle" und einigen anderen Meisterwerken bleibt sich mit seinem neuen Film selbst treu – auch wenn diese Geschichte in New Orleans spielt, in einer "ganz anderen" Atmosphäre.

Beute. Zunächst aber handelt sich kurz nach der Verwüstung durch "Katrina" Terence ein schmerzhaftes Rückenleiden ein, weil er den Gefangenen Chavez durch einen Sprung ins Wasser aus dessen Zelle befreit, die schon zu mehr als der Hälfte unter Wasser steht. Die Heldentat verschafft ihm sechs Monate die Beförderung zum Lieutenant. Kurz danach entdecken Terence und sein Kollege Stevie Pruit in einer Wohnung fünf Tote – eine Familie, die aus dem Senegal stammte. Der Vater hatte mit Drogen gedealt. Und schnell ermitteln die beiden Cops, dass er im Terrain des Drogenbosses Big Fate gedealt hatte. Die üblichen Verdächtigen sind ausgemacht, nur, wie soll er Big Fate das Verbrechen nachweisen? Keine DNS, keine Fingerabdrücke oder sonstigen Spuren am Tatort. Profiarbeit. Irgendwann findet Terence den fünfzehnjährigen Daryl, der zufällig Zeuge der Mordtat geworden war, weil er der Familie Lebensmittel liefern wollte. Er versucht Daryl zu schützen; doch der haut aus Angst um sein Leben bald darauf nach England ab – mit Hilfe seiner Großmutter und einer reichen Lady, für die diese arbeitet.

Terence allerdings hat noch ganz andere Probleme. Er und seine Freundin, die Prostituierte Frankie, sind drogensüchtig. Bei Ned hat Terence Schulden, die nach und nach auf 5.000 Dollar angewachsen sind. Einem Freier von Frankie, nimmt er Geld weg, weil dieser Frankie geschlagen hatte. Jetzt hat Terence auch noch dessen reichen und einflussreichen Vater und dessen "Spürhunde" am Hals.

Doch Terence kennt offenbar immer eine Lösung, um aus jedem Schlamassel herauszubekommen ...

"Please release me, let me go,
For I don't love you anymore.
To live a lie would be a sin.
Release me and let me love again."

Was hier zunächst wie eine der vielen film-noir-Geschichten aussieht, ist auch eine, wenn auch eine besondere. Die Handlung selbst scheint in ihren Grundzügen simpel: Cop schlängelt sich legal oder illegal (scheißegal!) durch das von Katrina verwüstete New Orleans, seinen eigenen Vorteil immer im Blick. Terence McDonagh kennt nur sich selbst. Es macht ihm nichts aus, dass seine Freundin Frankie, die in einem noblen Appartement wohnt, Prostituierte ist. Es scheint ihn auch wenig zu bewegen, dass sein Vater, ebenfalls früher Cop, sich dem Alkohol ergeben hat und in Genevieve eine Gleichgesinnte gefunden hat. Auch der Mord an der sengalesischen Familie interessiert ihn nur bedingt. Terence hat Rückenschmerzen. Warum hat er den verdammten Kerl aus der Zelle gerettet? Das hat er nun davon. Aber eigentlich ist er nicht einmal deswegen sauer. Er betäubt seine Schmerzen mit Tabletten und allerlei Drogen, die er sich entweder aus der Asservatenkammer der Polizei besorgt – und als das nicht mehr funktioniert, stellt er im Dunkeln der Straße einige Pärchen, denen er Drogen abnimmt, um sie selbst zu konsumieren.

Terence Geldschulden, vor allem bei Ned, interessieren ihn ebenfalls kaum. Irgendwann wird er das Geld schon auftreiben – und wenn er sich mit Big Fate, dem Drahtzieher der Morde, zusammentun muss.

Terence McDonagh instrumentalisiert alle um ihn herum. Er ist Gesetzeshüter, aber eigentlich ist er das Gesetz. Das Gesetz handelt nur für ihn, die Illegalität ebenfalls. Er ist der selbst ernannte Schmied, nicht der Amboss.

Immer enger scheint sich die Schlinge um seinen Hals zu ziehen, als er dem Söhnchen eines reichen Papas Geld wegnimmt. Auch dieses Problem löst sich aber letztlich zu seiner Zufriedenheit.

Dies ist die eine, sozusagen "klassische" Perspektive, die der Film eröffnet. Und Nicolas Cage spielt diesen drogensüchtigen, spielsüchtigen, lebenssüchtigen, korrupten Cop, für den scheinbar nur einer zählt, er selbst, mit beeindruckender Prägnanz. Cage humpelt durch die Szenerie eines auch nach Monaten noch durch die Folgen von Katrina geschundenen New Orleans wie ein Gejagter, der Jäger sein will, und das auch schafft. Am Ende steht gar seine Beförderung zum Captain auf der Tagesordnung.

Doch Herzog lässt auch eine weitere Perspektive zu – den Blick auf eine Welt, die einem im Grunde nur Angst machen kann. Denn Terence steht nicht für sich allein. Herzog beschaut diese Welt aus den Augen des Krokodils am Unfallort oder die der Leguane (eine Szene, die er selbst gedreht hat). Gerade in dieser letzten Szene wird die "Beschau" dieser Welt mehr als deutlich. Cages Terence fühlt sich durch die Leguane, die ihn zu beobachten scheinen, gestört, während gleichzeitig die Cops durch Kameras aus dem Fenster irgendwelche Verdächtigen beobachten. Terence ganzes Misstrauen diesen Leguanen gegenüber, die ihre Augen in alle Richtungen drehen, die alles mitbekommen, scheint das Misstrauen gegenüber etwas oder jemandem, das oder der aus einer Außenperspektive auf die Handlung stammt.

Das Spiel der Hauptfigur scheint nicht nur, es ist riskant. Terence bewegt sich stets am Rande der eigenen Niederlage. Aber er kennt das System nur zu genau. Er weiß, das er verlieren kann, aber er glaubt an den eigenen Sieg. Dabei charakterisiert Herzog Terence nicht als ausschließlich egozentrischen Kerl. Im Laufe der Handlung wird deutlich, dass ihm nichts alles gleichgültig ist. Er rettet Chavez aus der überfluteten Zelle, sicherlich nicht ohne Spekulation auf den eigenen Vorteil – aber nur deswegen? Er rettet Frankie vor dem Zugriff derjenigen, denen er Geld weggenommen hat – nur im eigenen Interesse?

"Haben Fische Träume?" Als Terence diese Frage stellt, wird deutlich, dass irgendwo in diesem Cop noch etwas Humanes zu finden ist. Die Frage ist schon fast eine, die aus einer Außenperspektive stammen könnte. Fast. Am Schluss haben all diejenigen ihr Fett abbekommen, die es verdient haben. Oder etwa nicht? Sagen wir es so: Das System funktioniert – nicht trotz Korruption, unzulässigen Polizeiübergriffen (etwa wenn Frankie die Großmutter seines Hauptzeugen und die alte Dame, die von ihr betreut wird, massiv unter Druck setzt), Cop-Kriminalität usw. sondern gerade deswegen. Noch deutlicher: Ohne dies würde das System nicht funktionieren. Das ist das eigentlich Erschreckende der Story.

Es ist kaum vorstellbar, dass hier "nur" eine Cop-Geschichte erzählt wird. Dieser Terence ist einem noch nicht einmal unsympathisch. Irgendwie kann man ihn verstehen, auch wenn man selbst über viele Dinge anders denkt und wenn man anders handeln würde. Wirklich? Wenn die Leguane "Please Release Me" zu singen scheinen – was heißt scheinen: Herzog singt hier, wenn man so will, "selbst" –, so wird der Blick auf eine katastrophale Welt – unsere Welt – sichtbar. New Orleans und Terence stehen dafür. Das "System" aber ist insgesamt so.

Es hat schon fast etwas Beruhigendes, Erlösendes, wenn Terence am Schluss mit Chavez vor dem großen Aquarium sitzt. Die Luft ist raus, der ganze Dreck scheint hinter ihm zu liegen. Scheint.

© Bilder: Millennium Films.

Wertung: 10 von 10 Punkten.

(27. Februar 2010)