Batman begins
(Batman begins)
USA 2005, 141 Minuten
Regie: Christopher Nolan

Drehbuch: Christopher Nolan, David S. Goyer, nach den Figuren von Bob Kane
Musik: Ramin Djawadi, James Newton Howard, Mel Wesson, Hans Zimmer
Director of Photography: Wally Pfister
Montage: Lee Smith
Produktionsdesign: Nathan Crowley

Darsteller: Christian Bale (Bruce Wayne / Batman), Michael Caine (Alfred), Liam Neeson (Ducard), Katie Holmes (Rachel Dawes), Gary Oldman (Jim Gordon), Cillian Murphy (Dr. Jonathan Crane), Tom Wilkinson (Carmine Falcone), Rutger Hauer (Earle), Ken Watanabe (Ra’s Al Ghul), Mark Boone Jr. (Flass), Linus Roache (Thomas Wayne), Morgan Freeman (Lucius Fox), Larry Holden (Finch), Gerard Murphy (Richter Faden), Colin McFarlane (Loeb), Sara Stewart (Martha Wayne), Gus Lewis (Bruce Wayne, 8 Jahre alt), Richard Brake (Joe Chill), Christine Adams (Jessica)

Gerechtigkeit statt Rache, eine neue Lesart Batmans

„Beim Recht geht es um Ausgleich und
Harmonie, bei der Rache geht es um die
eigenen Gefühle.“
(Rachel)

Erzählen heißt auch Zuhören, dem Erzähler zugewandt sein, und hat damit vor allem anderen eine soziale, ja in gewisser Hinsicht eine „demokratische“ Form. Es ist „mehr“ als nur Aufzählen von Ereignissen, und „weniger“ als ideologische „Sinn“stiftung. Es ist im richtig verstandenen Sinn keines von beiden. Jede (klassische wie moderne) Erzählung stellt als erstes Charaktere, (Ausgangs-)Situation, Zeitumstände etc. an den Anfang, fährt fort mit der Vorstellung von Kontrahenten respektive Konflikten, und gelangt über verschiedene Gefahrensituationen und Komplikationen zu einem Höhepunkt: dem Entscheidungskampf meist zweier Kontrahenten bzw. Gruppen. Oft entwickeln sich aus diesem Entscheidungskampf neue Gefahrensituationen, neue Kontrahenten usw. Das Ende der Erzählung ist meist nur ein vorübergehendes, trägt neue Risiken in sich, während die Erzählung endet. Dieser „offene“ Schluss ist der entscheidende point of discussion für den Zuhörer.

Moderne Geschichtenerzähler, etwa im Kino, handeln hier, wenn sie es ernst meinen, nicht anders als die früher von Dorf zu Dorf wandernden Erzähler, um die sich gebannt und gespannt Jung wie Alt versammelten und lauschten. Hier liegt auch der Unterschied zu dem, was man im allgemeinen Hollywood-Kino nennen kann: die romantische Komödie endet mit einem Happy-End, dem nichts folgt. Der Action-Film endet mit dem Sieg des Guten, dem ebensowenig irgend etwas folgt. Die klamottenhafte Komödie endet mit den Lachern, mit denen sie begonnen hatte – und nichts folgt (wenn sie denn überhaupt zum Lachen ist).

Einer doppelten Gratwanderung kommt es gleich, wenn ein Regisseur wie Christopher Nolan („Memento“, „Insomnia“) den waghalsigen Versuch unternimmt, zwischen ernsthafter Erzählung und Hollywood-Blockbuster einen Film zu drehen und gleichzeitig der Stoff einem sehr bekannten Comic entstammt, einer Gattung von Literatur, die sehr engen, eigenen Gesetzen folgt. Nolan wagte sich an „Batman“, an dem zuletzt Joel Schumacher 1997 kläglich gescheitert war („Batman & Robin“). Nolan und sein Drehbuchautor David S. Goyer erzählen den Anfang der Comic-Geschichte, wie aus Bruce Wayne Batman, der menschliche Fledermaus-Held, wurde.

Im Alter von acht Jahren verliert der junge Bruce (Gus Lewis) seine Eltern durch einen Raubmord auf den Straßen von Gotham City. Bruce war Zeuge dieses Überfalls. Thomas Wayne (Linus Roache) hinterlässt seinem Sohn eine große Firma, die v.a. Waffen produziert und zunächst der dubiose Mr. Earle (Rutger Hauer) leitet. Ein zweites Ereignis prägt den jungen Bruce: Bei einem Sturz in einen Brunnen vor dem prächtigen Anwesen der Eltern griffen ihn Hunderte von Fledermäusen an. Die sich daraus entwickelnde Phobie und der Gedanke an Rache für den Mord an seinen Eltern bestimmen sein weiteres unstetes Leben, das von Unsicherheit, Fragen nach dem Sinn des Geschehenen, Verzweiflung und eben Rachegedanken geprägt ist. Auf seiner Irrfahrt begibt sich Bruce (Christian Bale) nach Tibet in die Hände und in die Gefangenschaft einer zweifelhaften Vereinigung namens Liga der Schatten, angeführt von Ra’s Al Ghul (Ken Watanabe). Dort wird er von Henri Ducard (Liam Neeson) zum Kämpfer in allen Sparten ausgebildet. Ducard will Bruce in die Liga aufnehmen, die sich zum Ziel gesetzt hat, alles „Schlechte“ mit Stumpf und Stiel auszurotten, auch Gotham City, das sich in der Zwischenzeit zu einem Hort des Verbrechens, der Armut, der Korruption und der Unterdrückung entwickelt hat.

Doch instinktiv spürt im Lauf der Zeit Bruce, dass der Weg der Liga nicht der seine ist. Er befreit sich aus den Fängen Ducards und kehrt nach Gotham zurück. Rache ist nicht mehr sein Weg. In Gotham herrscht ein Gangster-Syndikat unter der Führung des skrupellosen Carmine Falcone (Tom Wilkinson). Dort treibt aber auch ein gewisser Dr. Jonathan Crane (Cillian Murphy), ein Psychiater, sein Unwesen. Bruce trifft seine Freundin aus der Kindheit, Rachel (Katie Holmes), wieder, die inzwischen Staatsanwältin ist und neben Polizeiinspektor Jim Gordon (Gary Oldman) die einzige zu sein scheint, die gegen die Zustände in Gotham kämpft. Rachel glaubt, Bruce habe sich zu einem Millionen Dollar schweren Nichtsnutz entwickelt und wirft ihm dies auch vor. Doch Bruce beschließt heimlich, den Kampf für ein anderes Gotham aufzunehmen, aber nicht wie Gordon und Rachel mit Hilfe der üblichen polizeilichen und justiziellen Mittel. Ein unerkannter, außergewöhnlicher Held soll den nicht korrupten Teilen der Justiz beim Kampf gegen Falcone & Co. entscheidende Hilfe leisten. Dies, glaubt Bruce, ist der einzige Weg, der für ihn gangbar ist, auch um mit den Schrecken seiner eigenen Vergangenheit fertig zu werden.

Mit Hilfe des langjährigen, Bruce liebenden Butlers der Familie Alfred (Michael Caine) und des im Wayne-Konzern fast vergessenen Waffen-Experten Lucius Fox (Morgan Freeman) entwickelt Bruce den Helden Batman – mit Fledermaus-Kostüm, der sich an schnell ausfahrbaren Drahtseilen durch die Lüfte schwingt oder im von Fox entwickelten Super-Auto nicht nur durch die Straßen Gothams, sondern sogar über die Dächer flitzt. Aus Bruce, der sich nach außen als Tarnung bewusst den Anschein eines nichtsnutzigen Playboys gibt, wird (zumeist nachts) Batman. Falcone, Crane, der die Stadt mit Giftgas bedroht, Earle, aber zum Schluss auch Ducard werden zur Zielscheibe Batmans ...

Es ist schon erstaunlich, wie Christopher Nolan die Gratwanderung zwischen Hollywood-Blockbuster und anspruchsvoller Erzählung in „Batman Begins“ meistert. Der Film ist zunächst einmal visuell ein Genuss. Dabei wird Gotham City nicht, wie in den anderen Batman-Filmen, als Fantasie-Stadt gezeigt, sondern als vorstellbare US-Millionenstadt. Überhaupt legte Nathan Crowley bezüglich des Produktionsdesigns sehr viel Wert auf wirklichkeitsgetreue Darstellung. Aus den Comic-Figuren werden vorstellbare Personen – soweit dies bei einer Comic-Verfilmung möglich ist. Vor allem aber: Nolan und Goyer erzählen eine Geschichte, die sowohl der klassischen Erzählstruktur (s.o.) streng folgt, als auch einen visuellen wie verbalen Kommentar zur Realität abgibt. Dabei arbeiten beide, vor allem im ersten Teil des Films, abgrenzbare Positionen, die sich innerhalb dieser Realität finden lassen, heraus, die da sind:

– eine von Wirtschaftsmagnaten beherrschte, größtenteils korrupte Stadt, in der Verbrechen, vor allem aus dem Bereich der durch diese Verhältnisse produzierten Armut heraus stark zugenommen haben. Diese Welt wird als von neoliberaler Ideologie überformte und geformte Welt dargeboten, in der nur noch eine verschwindende Minderheit (hier repräsentiert durch Gordon und Rachel) verzweifelt gegen Korruption usw. kämpfen.

– eine Gruppe von elitären, selbstgerechten Kriegern unter Führung von Ra’s Al Ghul und Ducard, die nicht die Armut und die Ursachen von Verbrechen bekämpfen wollen, sondern die Armen und die Kriminellen, sprich: sie beabsichtigen auszurotten – samt der gesamten Stadt.

– ein Held, ein geschlagener, geschundener Held, der von Anfang an innere Zweifel hegt, diesen Weg der Liga der Schatten zu gehen, weil er spürt, dass dieser Weg nur Tod, Vernichtung und Ungerechtigkeit bringen kann, nicht aber eine lebenswerte Welt, und der sich dafür entscheidet, anonym als personifizierte Heldenfigur, als verfremdete Gestalt an der Lösung der sozialen wie seiner individuellen Probleme zu wirken.

Dekliniert man diese drei Punkte auf reale Verhältnisse herunter, entkleidet man sie der stilisierten und überformten Comic-Muster, ergibt sich ein durchaus realitätsgetreues Bild der amerikanischen Gesellschaft. Man denke an den viel gelobten Ex-Bürgermeister von New York, Giuliano, der Manhattan von Armen und Kriminellen befreite, indem er sie vor allem durch Spezialeinheiten der Polizei vertrieb. Man denke an die politischen Positionen, in denen Arme und Kriminelle gar nicht mehr oder nur als „Kollateralschäden“ vorkommen. Man denke an die Ideologeme des Neoliberalismus, in der Globalisierung und all ihre Folgen als quasi naturwüchsige Entwicklungen erscheinen. Man denke an das Problem des Unternehmenstotalitarismus, der in ökonomischer, sozialer, kultureller und politischer Hinsicht ganze Gesellschaften lenkt oder zu lenken beabsichtigt – mit heute noch unabsehbaren Folgen, sicher aber mit der Konsequenz eines tiefen sozialen Grabens zwischen Arm und Reich und der Aufkündigung dessen, was sozialer Rechtsstaat und soziale Gerechtigkeit bedeuten. In den USA ist dies an allen Ecken und Enden bereits mehr als deutlich sichtbar.

Batman erscheint in dieser Hinsicht in Nolans Film als eine Art comichaft „überdrehter“ Bürgerrechtler, der sein Handeln ausschließlich am Maßstab von Gerechtigkeit, Verantwortung und Humanität ausrichtet, allerdings eben nicht von Anfang an. Indem Nolan durch mehrfache Rückblenden in die Vergangenheit Bruce Waynes immer wieder die widersprüchliche Entwicklung der Hauptfigur rekonstruiert, die in Tibet lange Zeit in Gefahr steht, sich der Liga und ihrem obskuren und brutalen Weltbild anzuschließen, zeigt er nicht nur, wie un-eindeutig ein „Held“ am Maßstab der Wirklichkeit gemessen ist – und dekliniert damit den Heldenstatus auf ein realistisches Maß herunter, ganz wie in der klassischen Erzählung. Er führt in die Geschichte – ganz anders als im Comic – auch ein Maß ein, dass ganz wichtig im Sinne der Erzählstruktur ist: Historizität, auch in Bezug auf den einzelnen. Batman ist eben in diesem Film nicht ein „geborener“ Rächer, sondern eine Figur, die nach einer schwierigen Entwicklung erkennt, dass nicht Rache, sondern individuelle Verantwortung und Gerechtigkeit Maßstab seines Handelns sein müssen, wenn er sein eigenes Trauma überwinden und zur Änderung der Zustande in Gotham City beitragen will.

An diesem Punkt ist – trotz aller Blockbuster-Qualität, die der Film ganz im Sinne Hollywoods eben auch hat (rasante Autofahrten, Kämpfe und Verfolgungsjagden usw.) – entscheidend, dass die denkanalytisch mögliche Diskrepanz zwischen Individualität und Sozialität im praktischen Verlauf der Geschichte aufgehoben wird. Der einzelne handelt dann gerecht und menschlich, wenn sein Handeln Kongruenz aufweist, d.h. nicht widersprüchlich ist bezüglich Individualität und Sozialität. Batman erkennt den inneren Kontext zwischen subjektiver Verwobenheit in die vertikale und horizontale Dimension seiner sozialen Umgebung und der strukturellen Entwicklung dieser Umgebung und ihren negativen Folgen selbst. Die Diskrepanz zum Handeln der Wirtschaftsmagnaten in Gotham und der selbsternannten Elite der Liga wird damit umso deutlicher.

Durch diese Richtung und Qualität der Geschichte erscheint auch der Schluss des Films in einem anderen Licht. Das „Explosive“ des Blockbusters ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Und wie in der klassischen Tragödie kündigt sich an, dass zwar eine Schlacht gewonnen ist, aber nicht der Krieg: Joker, der nächste Bösewicht, kündet von seinem Treiben.

Christian Bale war eine exzellente Wahl für diesen Batman. Und obwohl der Rest des Ensembles fast nur „dienende“ Funktion in der Geschichte hat, störte mich dies wenig. Viel wichtiger war mir, dass Nolan – trotz Hollywood – zu dem gefunden hat, was im Kino so wichtig ist: Geschichten zu erzählen, denen man gebannt und gespannt zuhören und zusehen kann.