City Hall
(City Hall)
USA 1996, 111 Minuten
Regie: Harold Becker

Drehbuch: Ken Lipper, Paul Schrader, Nicholas Pileggi, Bo Goldman
Musik: Jerry Goldsmith
Director of Photography: Michael Seresin, Jamie Silverstein
Montage: David Bretherton, Robert C. Jones
Produktionsdesign: Jane Musky

Darsteller: Al Pacino (Bürgermeister John Pappas), John Cusack (Kevin Calhoun), Bridget Fonda (Marybeth Cogan), Danny Aiello (Frank Anselmo), Martin Landau (Richter Walter Stern), David Paymer (Abe Goodman), Anthony Franciosa (Paul Zapatti), Richard Schiff (Larry Schwartz), Lindsay Duncan (Sydney Pappas), Nestor Serrano (Det. Eddie Santos), Mel Winkler (Det. Albert Holly), Lauren Vélez (Elaine Santos), Chloe Morris (Maria Santos), Ian Quinlan (Randy Santos), Roberta Peters (Nettie Anselmo), Angel David (Vinnie Zapatti), Larry Romano (Tino Zapatti), Rob LaBelle (James Wakeley), Ray Aranha (James Bone)

Die Intrige und ihr Klischee

Intrige und Komplott, Verrat und Lüge, Korruption und Bestechung waren im absolutistischen System mehr oder weniger legaler Bestandteil der Politik am Hofe. Man durfte sich nur nicht von den falschen Leuten erwischen lassen. Eine gelungene Intrige versprach machtpolitischen und finanziellen Gewinn. Mit ihr konnte man Heiraten erzwingen, unliebsame Koalitionen verhindern und dynastische Ränke schmieden. Ein schönes Beispiel für diese historische Intrige lieferte Stephen Frears 1988 in „Gefährliche Liebschaften” mit Glenn Close und John Malkovich.

Der demokratische Rechtsstaat kennt die politische Intrige offiziell nicht, das heißt: er will sie nicht kennen, obwohl jeder weiß, dass es sie gibt. Sie hat sich aus dem verpönten und mit der Französischen Revolution besiegten Absolutismus klammheimlich in die zivilisierte Demokratie herüber geschleppt. Und schon Robespierre und Napoleon wussten sie weidlich zu nutzen. Aber nicht nur im politischen Bereich – und da wahrlich nicht ausschließlich in den Geheimdiensten –, sondern auch in den privaten Gefilden unserer Mitmenschen blüht die giftige Blume des Komplotts und der Korruption. Für manchen ist es fast zur Selbstverständlichkeit geworden, gegen einen unliebsamen Zeitgenossen alle Hebel der Intrige in Gang zu setzen, um ihn los zu werden. Dabei ist der Intrigant in der Regel auf Hilfe gleichgesinnter Mitmenschen angewiesen. Erst dann laufen die Telefonverbindungen heiß, werden Pläne geschmiedet und irgendwann zugeschlagen, um den erwünschten Erfolg zu generieren. Und für manchen eher weniger netten Menschen unserer Tage verspricht dieser Erfolg mehr Befriedigung als für andere die verschiedenen Formen der Lebenslust, zu denen der Intrigant meistens kaum fähig ist, weil ihn machtpolitische Ziele mehr reizen als alles andere.

Auch im zeitgenössischen politischen System sind die genannten Merkmale einer vergangen geglaubten und nur scheinbar disqualifizierten Epoche weit verbreitet. Intrige und Korruption sind fester Bestandteil sozialer Strukturen vor allem dort, wo Macht sich konzentriert und kaum kontrolliert institutionalisieren kann.

„Was will er denn?” mag der geneigte Leser mich jetzt fragen.

Nun, wie auch in anderen Bereichen gibt es nicht nur Erscheinungen wie Intrige und Komplott, sondern auch deren Verballhornung im sich über die Zeit festsetzenden Klischee. Eingefahrene, überkommene, aber nichtsdestotrotz dauerhaft wirksame Vorstellungen, meist verbunden damit, dass Personen bestimmter Gruppen Verhaltensweisen zugeschrieben werden, die (fälschlich) verallgemeinernd auf diese Gruppe und ihre Mitglieder bezogen werden, und ebenso mit Vorurteilen, die für den Träger unerlässlich geworden sind, finden wir auch im Bereich des Kinos.

Und Harold Beckers „City Hall” gehört zu jenen Filmen des politischen Thrillers, die plastisch vorführen, wie sich eine stereotype Vorstellung über die zeitgenössische politische Intrige – man könnte fast sagen: den Gegenstand geradezu verharmlosend – in den Köpfen der Konsumenten solch eines Films festsetzen könnte – wenn wir nicht alle aufpassen würden.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Bei einer Schießerei in den Straßen von Brooklyn werden der Polizist Santos (Nestor Serrano), der Dealer Tino Zapatti (Larry Romano), Mitglied einer bekannten und mächtigen Mafia-Familie, und aus Versehen auch ein sechsjähriger Junge, der mit seinem Vater auf dem Heimweg war, erschossen. Der Fall beschäftigt nicht nur die Polizei, sondern auch der New Yorker Bürgermeister John Pappas (Al Pacino) mischt sich – vordergründig als politischer Saubermann – in die Angelegenheit ein – zusammen mit seinem engen Berater Kevin Calhoun (John Cusack).

Alles deutet darauf hin – bzw. soll darauf hindeuten –, dass Santos in dubiose Machenschaften verwickelt war. Es wird bekannt, dass Zapatti nur aufgrund eines Bewährungsgutachtens in Freiheit war, das geschönt war und zudem von dem angesehenen Richter Walter Stern (Martin Landau) zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht worden war.

Der Fall scheint klar: Ein überarbeiteter Bewährungshelfer namens Schwartz (Richard Schiff) beurteilte Tino Zapatti falsch, ein Richter fragte nicht nach und ein Polizist namens Santos war in dunkle Geschäfte verwickelt.

Die Anwältin der Familie Santos allerdings, Marybeth Cogan (Bridget Fonda), erfährt über Santos Kollegen Holly (Mel Winkler), dass Santos keineswegs korrupt gewesen sei, sondern hinter den Verbrechern im Umkreis der Familie Zapatti her war. Er beschuldigt die Partei des Bürgermeisters, die Zapattis zu schützen.

Cogan berichtet dies Calhoun, und beide forschen weiter. Tatsächlich gibt es eine Verbindung zwischen dem Mafia-Boss Paul Zapatti (Anthony Franciosa) und Bürgermeister Pappas. Dessen Parteigenosse Frank Anselmo (Danny Aiello), der über Brooklyn herrscht, bemüht sich – zunächst vergeblich – um die „Beteiligung” Zapattis an einem von der Stadt geplanten Großprojekt namens „Bank Exchange”. Dabei geht es Anselmo und Zapatti nicht um Aufträge, sondern um das Hochtreiben der Grundstückspreise in Brooklyn.

Als wenig später ein weiteres Mitglied der Familie Zapatti, Vinnie (Angel David), der Tino zu Santos geführt hatte, nach einem Gespräch mit Calhoun und Cogan ermordet aufgefunden wird, zieht sich der Kreis der Verdächtigen immer enger. Calhoun hat einen schwerwiegenden Verdacht ...

So klar wie Kloßbrühe – könnte man sagen. Fast von Anfang an offenbart der Film, dass der New Yorker Oberbürgermeister in die Machenschaften einiger Parteigenossen und der Mafia verstrickt ist. Von Anfang an ahnt man, um welche Betrügereien und Spekulationen es geht. Von Anfang an ist klar, dass der ermordete Polizist zu Unrecht beschuldigt wird. Kurzum: Von Anfang an ist dieser Film – langweilig. Auch Al Pacino reißt da nicht viel heraus. Er hält als Bürgermeister Pappas eine Rede auf der Trauerfeier (von den Anwesenden nicht gern gesehen) für das getötete Kind, einzig zu dem Zweck, im Licht der Öffentlichkeit als Speerspitze im Kampf gegen das Verbrechen zu erscheinen. Und Pacino – was sollte man auch anderes erwarten – gelingt es mit Leichtigkeit, diese einem modernen Volkstribun ähnliche Rede zu inszenieren. Sicherlich ein kleiner Höhepunkt dieses Films – aber das war es dann auch schon fast.

Schwerwiegender ist allerdings der Einwand, dass dieser Film eben genau die klischeebehafteten vorschnellen Urteile in bezug auf politische Intrige und Korruption verbrät, wie ich sie oben zu schildern versucht habe. Die Personen bleiben blass und unnahbar. Pacino kommt hierbei noch am besten weg. Der Mafia-Boss Zapatti dagegen ist nichts weiter als eine grau-blasse Comicfigur. Anwältin Cogan und Bürgermeister-Adjutant Calhoun spielen die Drahtzieher des Drehbuchs. Ich habe John Cusack nun wirklich schon besser gesehen. Danny Aiello als korrupter Parteibonze ist genau so, wie sich klein Erna und klein Fritzchen so einen Kerl vorstellen. Und auch Martin Landau als Richter Stern wird eher fürs Marionettentheater verheizt, als dass er eine Chance bekäme, einen Menschen aus Leib und Seele zu spielen.

„City Hall” ist ein plakativer Aufreißer-Film, einer, der es nicht besser versteht und wahrscheinlich auch gar nicht verstehen will, einer, der vielleicht im Ansatz auf ein Problem aufmerksam machen kann (aber müssen darauf noch aufmerksam gemacht werden?), keine Gefahr für die wirklich korrupten Politiker oder Mafiosi, keiner, der auch nur ein kleines Stückweit in die Beziehungsgeflechte zwischen Wirtschaft, Politik und Kriminalität einzudringen versucht, geschweige denn in die sozialen und persönlichen Strukturen, in denen Korruption, organisiertes Verbrechen und deren Verschmelzung mit der Politik. „City Hall” will irgendwie vieles sein – Politthriller, Mafia-Film und die Geschichte zwischen einem erfahren politischen Fuchs (Pacino) und einem idealistischen jungen Politiker (Cusack), für den der erstere großes Vorbild ist –, ist aber nichts richtig. Pacino und Cusack haben sicherlich einige gute Szenen, vor allem am Schluss des Films. Ihre Charaktere werden jedoch nicht entwickelt, nur behauptet. Das gilt im besonderen für Cusacks Calhoun.

Vergleicht man „City Hall” beispielsweise mit „All the President’s Men” („Die Unbestechlichen” 1976) von Pakula oder ähnlichen Filmen, schneidet er schlecht ab. Um es noch einmal zu betonen: Die wirklichen Zusammenhänge zwischen Politik und Verbrechen werden nicht entwickelt. Dazu hätte es einer eingehenderen filmischen Darstellung bedurft, wie die zunehmende Konzentration politischer Macht in den Händen weniger und die Wirkungslosigkeit von Kontrollmechanismen zu Korruption und Intrige verleiten (können).

Francis Ford Coppola hatte es vor Jahren eigentlich deutlich gemacht, wie man solche Filme in etwa zu drehen hat. „City Hall” jedenfalls hat von der Paten-Trilogie nichts gelernt. Er kommt daher wie eine reißerische Überschrift in irgendeiner Boulevard-Zeitung, in großen Lettern, aber mit wenig Inhalt. Schade.

© Bilder: Columbia TriStar