Das Attentat
(Ghosts of Mississippi)
USA 1996, 130 Minuten
Regie: Rob Reiner

Drehbuch: Lewis Colick
Musik: Marc Shaiman
Director of Photography: John Seale
Montage: Robert Leighton
Produktionsdesign: Lilly Kilvert

Darsteller: Alec Baldwin (Bobby DeLaughter), James Woods (Byron De La Beckwith), Virginia Madsen (Dixie DeLaughter), Whoopi Goldberg (Myrlie Evers), Susanna Thompson (Peggy Lloyd), Craig T. Nelson (Ed Peters), Lucas Black (Burt DeLaughter), Alex Vega (Claire DeLaughter), William H. Macy (Charlie Crisco), Ben Bennett (Benny Bennett), Darrell Evers (Darrell Evers), Yolanda King (Reena Evers), Jerry Levine (Jerry Mitchell), James Van Evers (Van Evers)

Zu viel political correctness

1996 inszenierte Joel Schumacher eine Geschichte über Selbstjustiz eines Schwarzen, der zwei weiße Rednecks im Justizgebäude erschoss, die seine kleine Tochter brutal misshandelt und vergewaltigt hatten. Matthew McConaughey spielte den Anwalt, der Carl Lee Hailey (gespielt von Samuel L. Jackson) verteidigte. Der Film basierte auf dem gleichnamigen Buch von John Grisham „Die Jury“ („A Time To Kill“). Schumacher gelang es, die Atmosphäre von Rassismus, Gewalt und Verfolgung in einer Kleinstadt in Mississippi überzeugend darzustellen. Auch wenn der Film an die intensive Schilderung des Romans nicht herankommen konnte, war „Die Jury“ doch ein beeindruckendes Dokument über die weiterhin bestehende rassistische Mentalität in einem der Südstaaten der USA.

Im selben Jahr nahm sich Rob Reiner eines ähnlichen Falls an, der auf einer wahren Begebenheit beruhte. Am 12. Juni 1963 – ein Tag, an dem Präsident John F. Kennedy im Fernsehen eine Ansprache an die Nation zur Gleichberechtigung aller Menschen, unabhängig von ihrer Hautfarbe und Herkunft hielt – wurde der schwarze Bürgerrechtler Medgar Evans (James Pickens Jr.) vor seinem Haus in Jackson (Mississippi) hinterrücks erschossen. Der Täter – der weiße Rassistenführer Byron De La Beckwith (James Woods) – wurde in zwei Prozessen durch eine jeweils weiße und rassistisch eingestellte Jury freigesprochen, obwohl die Beweislage gegen ihn erdrückend war. 26 Jahre später wurde der Fall von dem damaligen Staatsanwalt DeLaughter (Alec Baldwin) aufgrund von neuen Hinweisen wieder aufgerollt und De La Beckwith in einem dritten Prozess – diesmal aus einer Jury von acht schwarzen und vier weißen Geschworenen – wegen Mordes verurteilt.

Reiner schildert den Fall nicht aus der Perspektive der Angehörigen des Mordopfers, sondern aus Sicht des Staatsanwalts und seiner Bemühungen, Licht in den Fall zu bringen. DeLaughter erhält einen Hinweis auf ein Buch, in dem ein ehemaliges Ku Klux Klan-Mitglied eine Rede De La Beckwiths zitiert, in dem dieser indirekt den Mord als seine Tat zugibt, rechtfertigt und stolz darauf ist. Der Autor dieses Buchs hat noch immer (berechtigte) Angst vor Da La Beckwith, da dieser – obwohl inzwischen ein alter Mann – noch sehr viel Einfluss in den entsprechenden rassistischen Kreisen hat. DeLaughter nimmt sich des Falls an und verspricht der Witwe Medgar Evers, Myrlie (Whoopi Goldberg), den Mörder zu überführen. Bei seinen Recherchen findet er heraus, dass 1963 und danach Akten verschwanden, insbesondere die Verhandlungsprotokolle. Aber er findet auch die Mordwaffe, ein Gewehr, das eindeutig als Tatwaffe identifiziert werden kann. Die Leiche Evers wird exhumiert und neu untersucht.

Allerdings macht sich DeLaughter mit seinen Ermittlungen keine Freunde. Seine Frau Dixie (Virginia Madsen) wendet sich von ihm ab, er erhält anonyme Drohungen per Telefon und schließlich auch eine Bombenwarnung. Weil er Myrlie Evers verschwiegen hatte, die Tatwaffe gefunden zu haben (er befürchtete, dass sie diese Information weitergeben würde und damit die weiteren Ermittlungen behindert werden könnten), traut sie ihm nicht mehr über den Weg. Schwarze Bürgerrechtsvereinigungen prangern den Staatsanwalt öffentlich an, er wolle sich nur einen Namen machen, aber den Fall klammheimlich unter den Tisch fallen lassen.

DeLaughter lässt sich jedoch nicht davon abhalten, den Fall zu Ende zu bringen. In der Toilette des Gerichtsgebäudes gesteht ihm De La Beckwith, den Mord begangen zu haben und stolz darauf zu sein. Tiere liebe er, „Nigger“ aber gehörten ausgerottet. Nach der Beweisaufnahme stehen die Chancen 50 zu 50, ob die Jury De La Beckwith schuldig spricht oder nicht ...

Will man böse sein – und ich will gerade mal böse sein –, dann ist „Ghosts of Mississippi“ (der deutsche Titel „Das Attentat“ ist eine mittlere Katastrophe) ein Film, der dem Anspruch an political correctness vollauf genügt. Es schickt sich nicht, Menschen mit anderer Hautfarbe zu ermorden oder schlechter zu behandeln – natürlich ein Standpunkt der Blasshäutigen, der Fahlen, der Weißen, der Milchgesichter, um mal von einem „indianischen“ Standpunkt aus zu sprechen, denn alle anderen haben mit solcher Mentalität nie viel am Hut gehabt, es sei denn als Reaktion auf ihre eigene Diskriminierung. Und das wirft auf solche Filme, die überkorrekt sein wollen, schon einmal ein ebenso fahles Licht. Reiner drehte routiniert, engagierte bekannte Hollywood-Stars, die gerade mal so viel spielen durften, wie das allzu politisch korrekte Drehbuch erlaubte und sich in Klischee-Figuren ergehen, dass es manchmal eher abstoßend als irgendwie korrekt wirkt. Das nimmt dem Film im übrigen auch einiges an Spannung.

Auch Schumachers „Die Jury“ war natürlich korrekt, denn in der Schmiede aller Filmschmieden darf es nur solche Linien-Filme geben. Aber in „Die Jury“ standen mehrere Personen im Mittelpunkt, die zudem in ihrer charakterlichen Zeichnung wesentlich differenzierter waren als jede Figur in Reiners Streifen. Der Anwalt Brigance hatte selbst anerzogene rassistische Neigungen, war aber zugleich äußerst bestürzt über die Grausamkeit, die der Tochter Haileys widerfahren war, und vor allem widersprach es seinem Gerechtigkeitsgefühl, Hailey für dessen Selbstjustiz auf den elektrischen Stuhl wandern zu sehen. Daneben spielte Donald Sutherland einen älteren Anwalt, der die Verhältnisse und Ränke, die politischen Spielchen usw. im Staate Mississippi genau kannte, es schon aufgegeben hatte, dagegen anzukämpfen und dann doch noch eine Chance sah, wieder gegen den Rassismus anzutreten. Und es gab einen Richter – gespielt von Patrick McGoohan –, der einiges zu verbergen hatte. „Die Jury“ war im Vergleich zu Reiners Film ein sehr differenzierter Streifen.

Das ist die eine Wahrheit über „Ghosts of Mississippi“.

Trotz der aalglatten Rolle, die Alec Baldwin zur Beruhigung aller gegenwärtigen Bleichgesichter nach dem Motto „Wir tun etwas“ spielt, trotz der Vorzeige-Schwarzen Myrlie Evers in Gestalt von Whoopi Goldberg, die erst gegen Ende des Films aus der vorgeschriebenen Rolle etwas herausfällt, trotz der Vorzeige-Rassistin Dixie alias Virginia Madsen, eine Schauspielerin, die mit ihrer Rolle (mal wieder) völlig überfordert ist, ist Reiners politische Position gegen die noch immer herrschende Diskriminierung von Schwarzen: ehrlich, nicht nur politisch korrekt. Auch das merkt man dem Film an, und das ist die zweite Wahrheit über „Ghosts of Mississippi“. Der Mainstream-Charakter des Films kann daran nichts ändern. Man nimmt Reiner dies ab. James Woods spielt darüber hinaus einen De La Beckwith, dessen Mentalität er überzeugend darstellen kann.

Die dritte Wahrheit ist, dass die Opfer rassistischer Gewalt und bürgerlicher Diskriminierung in dem Film nur Randfiguren spielen. Whoopi Goldberg und Alec Baldwin telefonieren nach dem Muster: Er: „Ich tue was ich kann.“ Sie: „Ich zweifle daran.“ That’s all. Und: Die Unterschiede in der Mentalität zwischen der Situation 1963 und der 26 Jahre später – die es zweifellos gibt – kommen in dem Film zu kurz, wahrscheinlich auch deshalb, weil der weiße Held Alec Baldwin zu sehr im Vordergrund steht. Hinzu kommt, dass der wirkliche Bobby DeLaughter gar kein Vorzeigeweißer (sprich: europäischer Abstammung) ist, sondern kaukasische Vorfahren hat. Die gegenwärtige Bürgerrechtsbewegung erscheint im Film lediglich als eine Gruppe von sozial aufgestiegenen Schwarzen, die sich nur beklagen können, dass DeLaughter zu wenig tue bzw. nur scheinbar etwas tue. Das nimmt dieser Bürgerrechtsbewegung das Verdienst, das ihr tatsächlich zukommt. Ihre Kämpfe haben zu einem politischen Umschwung in den Vereinigten Staaten geführt, der nicht unterschätzt werden kann – trotz aller verbliebenen rassistischen Mentalität und trotz allen Leids, das Nicht-Weiße noch heute erdulden (müssen).

„Ghosts of Mississippi“ ist vielleicht ein Fall für den Geschichtsunterricht, so ehrlich Reiner Stellung nimmt, ein erster Einstieg in die Problematik, aber auch nicht mehr. Denjenigen aber, die sich der political correctness verschrieben haben, dem weißen Establishment, wie man es früher einmal nannte, die weiterhin ihre überkorrekten Stellungnahmen gegen Diskriminierung abgeben und gleichzeitig ihren schwarzen Angestellten oder Bediensteten Hungerlöhne zahlen, wird Reiner mit seinem Film kaum weh getan haben.