Deadlock
Deutschland 1970, 85 Minuten
Regie: Roland Klick

Drehbuch: Roland Klick
Musik: Can
Director of Photography: Robert van Ackeren
Montage: Jane Seitz
Produktionsdesign: Kuli Sander

Darsteller: Mario Adorf (Charles Dump, die Ratte), Anthony Dawson (Sunshine, der alte Killer), Marquard Bohm (Kid, der junge Killer), Mascha Rabben (Jessy, das Mädchen), Siegurd Fitzek (Enzo, der elende Schnüffler), Betty Segal (Corinna, die abgetakelte Schachtel)

Patt

"Anarchie ist Ordnung."
(Roland Klick)

Wüste – Leere. Sand, Steine. Am Horizont erscheint etwas, das sich bewegt, zunächst nur ein Punkt, aus dem Punkt wird ein Strich. Und dann sieht man ihn: Kid (Marquard Bohm). Er torkelt, einen Koffer in der einen Hand, ein Gewehr in der anderen, durch die staubige Gegend, in der die Sonne unbarmherzig brennt. Kid ist am Arm verletzt, eine Schusswunde. Kid kann kaum noch, fällt hin und bleibt ohnmächtig liegen.

Roland Klick („Supermarkt“, 1974; „White Star“, 1983) zeigt uns eine „einfache“ Situation. Das Bild ist reduziert: eine menschenleere, steinige und staubige Gegend, irgendwo in Amerika, ein paar wenige Figuren – eine Szenerie, die völlig abgeschieden von der sonstigen Welt erscheint, eine geradezu simple Story. In dem Koffer ist eine Menge Geld; woher es stammt, interessiert nicht. Legal ist es nicht erworben, das ist das einzige, was wir erahnen können.

Kid ist auf dem Weg in ein herunter gekommenes Kaff, in dem die Häuser verfallen sind wie alles andere. Das Kaff heißt Deadlock und bis auf drei Menschen haben es alle anderen verlassen. Charles Dump (Mario Adorf) haust in Deadlock, ein ebenso herunter gekommener Kerl. Corinna, die „abgetakelte Schachtel“, wie es in der Besetzungsliste des Films heißt, säuft sich dort durch ihr verkommenes Leben, dessen Verlauf wir nicht kennen, aber dessen Ergebnis – und die junge Jessy, die nichts spricht, die ein bisschen „neben der Kappe“ zu sein scheint, geistert durch die Geisterstadt, die wie ein verlassener Ort des Westens und des Westerns erscheint – jene Art von Geisterstädten, in denen es einmal hoch her ging, vielleicht wegen Goldminen oder der Eisenbahn, die hier vorbeifuhr oder was auch immer, und die irgendwann im wahrsten Sinn des Wortes den Geist aufgegeben hat.

Deadlock – das heißt auf Deutsch: Blockierung, Verklemmung, Stillstand – aber auch Patt-Situation. Deadlock steht auch für ein Riegelschloss, also ein Schloss, das nur von einer Seite geöffnet werden kann.

Von alldem hat die Geschichte etwas, mehr als etwas. Wir sehen einem Schlammassel zu, wir sehen Figuren an einem toten Punkt, in einer ausweglosen Situation, in einer Situation, die sich nur selbst reproduziert.

Ein Kleinlaster nähert sich dem Ort, an dem Kid in Ohnmacht gefallen ist. Dump sitzt in dem Lkw, bei dem man sich wundern muss, dass das Ding noch fährt – wie man sich wundern muss, dass hier überhaupt noch etwas oder jemand „funktioniert“. Dump sieht Kid, den Koffer, das Gewehr. Man ahnt seine Gedanken. Geld nehmen, Waffe nehmen, den Fremden abknallen. Er tötet Kid nicht. Dumps kleine graue Zellen arbeiten schnell. Nein, es ist nicht Humanität, die ihn vom Töten abhält. Es ist Sicherheitsphilosophie im eigenen Interesse. Und wenn er Kid töten würde, könnte es jemand erfahren. Wer weiß …

Was nun beginnt, ist eine Art Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Frauen am Ort nicht mehr als Zuschauer des Geschehens sind. Ob Corinna, deren Gefühle und Gedanken nur um Alkohol und Sex kreisen, überhaupt mitbekommt, was nun geschieht, ist fraglich, bei Jessy scheint es ähnlich. Dump und Kid nehmen sich gegenseitig die Waffe weg, mal schlägt der eine den anderen, mal bestimmt der andere, wo das Geld deponiert wird. Und Kid erzählt Dump, dass er auf seinen Kumpel wartet, den alten Sunshine, der irgendwann in Deadlock auftaucht, einen Hut auf dem Kopf, einen Bart im Gesicht, so, als ob er irgendeinem lausigen Western entsprungen wäre. Das Katz-und-Maus-Spiel nimmt seinen Fortgang. Während Dump, mehr unbeholfen und durchsichtig als auf irgendeine Weise intelligent, die beiden Gangster gegeneinander ausspielen will, hat Sunshine nur eines im Kopf: wie wird er die beiden anderen los. Kid hingegen bleibt die ganze Zeit über ruhig, fast gelassen, doch in seinen Augen sieht man die gleiche eiskalte Berechnung, die auch die beiden anderen Männer vorwärts treibt.

Dass in diesem Spiel am Ende nur einer übrig bleiben kann, ist so klar und durchsichtig wie eine geputzte Fensterscheibe.

Klick zaubert eine simple Welt, in der die Jagd nach dem Geldkoffer das einzige ist, was zählt. Er verwendet Elemente des film noir, des Western, des Krimis, und die Anklänge insbesondere an den Italo-Western sind unverkennbar. Die – allerdings spärlich eingesetzte – Musik der legendären deutschen Gruppe Can sowie die ebenso raren Dialoge machen das Kino (wieder einmal) zu dem, was es sein sollte: zur Bildersprache, die mehr aussagen kann, als geschliffene Dialoge es oft vergeblich versuchen. Man kann auch sagen: Der Film käme letztlich sogar ohne jedes Wort aus. Er ist in gewisser Weise ein moderner Stummfilm in prächtigen, überwältigenden Farben.

Das alles ist aber nicht Selbstzweck. Klick, der für diesen Film 1971 den Bundesfilmpreis erhielt, stellt in einer Art auf ein Minimum reduziertem Mikrokosmus den (angeblich) so komplexen und komplizierten Makrokosmos der Moderne exemplarisch dar – oder besser: er führt uns in den Figuren seiner Geschichte die gegenwärtige Welt und ihre Mechanismen vor. Der gealterte Sunshine und der junge, stille Kid sind moderne Räuber, die hier allerdings der Legalität beraubt sind. „Die Ratte“ Dump (wie der Vorspann Mario Adorfs Rolle tituliert) ist der heruntergekommene, feige, ängstliche und doch zugleich – wenn er eine Waffe in seinen Händen hat – machtbesessene Möchtegern-„Mitesser“, der nur auf eine Chance lauert, diesen miesen Ort Deadlock zu verlassen. Deadlock – das ist der Ort der Verlorenen, Verlassenen, derjenigen, die es aufgegeben haben, an irgend etwas zu glauben, und die nur noch in ihrem eigenen Saft schmoren, und derjenigen, wie Jessy, die eigentlich nur noch leben, weil andere sie nicht umgebracht haben.

Eiskaltes Kalkül, Berechnung, bilanzierendes Denken – das sind die Komponenten, die die Figuren treiben. Selbst Kid, der eigentlich nicht will, dass Sunshine Dump tötet, weil der versucht hatte, den beiden den Koffer abzujagen, ist es letztlich gleichgültig, ob Dump lebt oder nicht. Auch seine Nacht mit Jessy ist lediglich eine unbedeutende Episode. Alle drei Männer werden von negativen Gefühlen getrieben, die letztlich alle auf eines aus sind: das Geld für sich allein zu behalten. Und so endet der Film, wie er begann: mit einem Mann mit Koffer, nur, dass zwischen Anfang und Ende fünf Tote auf der Strecke bleiben. Es hat sich im wahrsten Sinn des Wortes „gelohnt“.

Würde man den Ort der Handlung in eine Großstadt verlegen und den Handlungen der Beteiligten einen legalen Hintergrund verpassen, befände man sich z.B. an der Wall Street. Er zeigt die Getriebenheit seiner Figuren, ihre Gier wie ihre Emotionen, und er vermeidet es, sie zu verurteilen. Das ist nicht sein Thema. Er erzählt. Klick suggeriert aber nicht nur diesen sozialen Hintergrund; er zeigt uns darüber hinaus ein Kino, das zu seinen Ursprüngen zurückkehrt, weil seine Figuren nicht irgendwelche Marionetten an den Fäden eines Regisseurs sind, sondern einen realen Bezug haben.

Schönes, furchtbares Kino.

Wertung: 10 von 10 Punkten.

7. September 2008