Dem Himmel so fern
(Far from Heaven)
USA, Frankreich 2002, 107 Minuten
Regie: Todd Haynes

Drehbuch: Todd Haynes
Musik: Elmer Bernstein
Director of Photography: Edward Lachman
Montage: James Lyons
Produktionsdesign: Mark Friedberg, Peter Rogness

Darsteller: Julianne Moore (Cathy Whitaker), Dennis Quaid (Frank Whitaker), Dennis Haysbert (Raymond Deagan), Patricia Clarkson (Eleanor Fine), Viola Davis (Sybil), James Rebhorn (Dr. Bowman), Bette Henritze (Mrs. Leacock), Michael Gaston (Stan Fine), Ryan Ward (David Whitaker), Lindsay Andretta (Janice Whitaker), Jordan Puryear (Sarah Deagan), Kyle Timothy Smith (Billy Hutchinson), Celia Weston (Mona Lauder), Barbara Garrick (Doreen), Olivia Birkelund (Nancy), Steven Ray Dallimore (Dick Dawson), Malika Davis (Esther)

... und die Hölle auf Erden

Es gibt Menschen, die halten Filme von Douglas Sirk für seichte, schwülstige Melodramen, für Heulkino der übelsten Sorte.

In seinem 1955 entstandenen Film „All That Heaven Allows“ (mit Jane Wyman und Rock Hudson in den Hauptrollen) erzählte Sirk die Geschichte der reichen Witwe Scott, die sich in einen viel jüngeren Mann verliebt, einen Gärtner. Nachbarn, Freunde, Bekannte, ihre ganze soziale Umgebung reagiert mit Aggression, Intrige, Druck. Sirk thematisierte in diesem Film, wie Verhalten, das nicht in die sozialen Normbereiche integriert ist, mit aller Gewalt bestraft wird. Vor allem aber tauchte Sirk seine Filme in Emotion. Das heißt, er ließ die Emotionen und die damit verbundenen Handlungen seiner Figuren die Szene beherrschen. Ein Melodrama der besonderen Art war geboren oder vielleicht nur weiterentwickelt.

Waren es in „All That Heaven Allows“ noch Heirat unter Stand und der Altersunterschied, der die entsprechenden gewalttätigen Reaktionen auslösten, sind es in Todd Haynes „Far from Heaven“ Homosexualität und Hautfarbe. Haynes erzählt die gleiche Geschichte wie Sirk, und doch so anders, allein schon deshalb, weil sein Film im Jahr 2002 gedreht wurde. Das Gleiche und das Ungleiche an diesem exzellenten Film, die Spannung zwischen beiden, lässt diesen Film zu vielem werden: zu einer Hommage an den großen Sirk und das Kino der 50er Jahre, zu einem bedeutenden Beitrag zur Filmgeschichte, vor allem aber auch zu einem extrem kritischen, allerdings nicht böswilligen Blick auf die Frage, was sich denn nun eigentlich geändert hat. [1] Das katapultiert diesen Film aus dem ernsten wie komödiantischen Mainstream heraus.

„Sirk hat gesagt, Film, das ist Blut,
das sind Tränen, Gewalt, Hass
der Tod und die Liebe. Und
Sirk hat Filme gemacht, mit
Blut, mit Tränen, mit Gewalt,
Hass, Filme mit Tod und
Filme mit Liebe.“
(Rainer Werner Fassbinder)

Hartford, Connecticut 1957. Frank Whitaker (Dennis Quaid) hat eine Bilderbuchkarriere absolviert, ist Manager bei der Firma Magnatech TV. Seine Frau Cathy (Julianne Moore) ist Hausfrau, integriert in die wohlhabende örtliche Gesellschaft. Die Whitakers haben zwei Kinder, das schwarze Dienstmädchen Sybil (Viola Davis) kümmert sich um den Haushalt, der schwarze Gärtner Raymond (Dennis Haysbert) setzt die Arbeit seines kürzlich verstorbenen Vaters im Garten der Whitakers fort. Das Bild der Whitakers ziert sogar ein Werbeplakat der Fa. Magnatech. Das Leben ist durchorganisiert, es scheint keine nicht zu bewältigenden Probleme zu geben. Frank erstickt zwar in Arbeit und Aufträgen, aber da Cathy das Haus und die Kinder im Griff hat und sich in ihrer Freizeit mit Freundinnen und Nachbarn entspannt, scheint die heile Welt perfekt.

Als Cathy sich eines Tages entscheidet, ihrem Mann das Essen ins Büro zu bringen, weil Frank wieder einmal länger arbeiten muss, sieht sie, wie er einen anderen Mann umarmt und küsst. Sie flüchtet nach Hause, völlig verstört, fassungslos, und als Frank kurze Zeit später erscheint, verspricht er ihr, eine Therapie zu beginnen, um dieses „abnormale“ Verhalten zu bekämpfen. Cathy lernt kurze Zeit später den Gärtner Raymond Deagan kennen, der den Garten der Whitakers pflegt, nachdem sein Vater, der diese Arbeit bisher erledigt hatte, gestorben ist. Cathy und Raymond verstehen sich fast auf Anhieb. Raymond ist ein zuvorkommender, sympathischer Mann. Er lebt mit seiner Tochter Sarah (Jordan Puryear) allein, seine Frau ist vor Jahren gestorben.

Als Raymond mit Sarah auf einer Vernissage mit Cathy ins Gespräch kommt, beginnen die ersten Tuscheleien, Verdächtigungen werden ausgesprochen. Die örtliche Klatschbase sorgt dafür, dass bald die ganze Stadt vermutet, Cathy „habe etwas“ mit einem „Neger“. Frank reagiert auf diese Gerüchte, die die meisten für bare Münze nehmen, aggressiv. Cathy hat Mühe, ihn zu beruhigen und die Dinge richtig zu stellen.

Alles scheint wieder in bester Ordnung, als die Whitakers, ohne Kinder, zu einem Erholungsurlaub nach Miami aufbrechen. Doch heimlich trifft sich Frank wieder mit einem jüngeren Mann im Hotel – und trinkt mehr denn je. Und als Cathy nach ihrer Heimkehr mit Raymond spazieren geht, der sie tröstet, weil er merkt, dass sie etwas bedrückt, ist es wiederum die Klatschbase, die die beiden in ein Restaurant gehen sieht, in dem nur Schwarze verkehren.

Frank erklärt Cathy kurze Zeit später, er habe sich in einen Mann verliebt und wolle die Scheidung. Cathys beste Freundin Eleanor (Patricia Clarkson) distanziert sich von ihr. Und Raymonds Tochter wird von drei Schuljungen schwer verletzt ...

„Unsere Beziehungen sind ja
deshalb grausame Spiele miteinander,
weil wir unser Ende nicht als
etwas Positives anerkennen. Es
ist positiv, weil es wirklich ist.
Das Ende ist das konkrete Leben.
Der Körper muss den Tod
verstehen.“
(Rainer Werner Fassbinder)

Haynes, Mark Friedberg und Peter Rogness entfalten, entblättern eine Zeit, die 50er Jahre, mit allem, was dazu gehört: Interieur, Farben, Dialoge und Musik sind fein aufeinander abgestimmt. Durch die herbstlich bunte Landschaft vor dem Haus der Whitakers stolziert eine Frau, Cathy, blond, schön, in ihrem weiten Kleid, agil, immer bemüht, die Dinge in Ordnung zu halten, die Kinder in ihre geregelten Schranken verweisend, ihrem Mann dienend, sich mit ihrer Haushälterin abstimmend, die sie vorsorglich daran erinnert, den Einkaufszettel nicht liegen zu lassen oder irgendeinen Termin nicht zu vergessen. Fast wie in der Fernsehserie „Pleasantville“ leuchtet hier eine Welt auf, in der alles zu stimmen scheint. In „Pleasantville“ war noch alles in (visualisiert übertriebener) bester Ordnung: Mami kocht, Papa arbeitet, die Feuerwehr löscht keine Feuer, denn die gibt es nicht, sondern holt Katzen von Bäumen. Sexualität gab es nicht, nur Händchenhalten als höchstes der Gefühle zwischen Männlein und Weiblein. Im Ort regnete es nicht, und das Ende des Ortes auf der einen ist zugleich Anfang des Ortes auf der anderen Seite. Als Gary Ross 1998 in seinem gleichnamigen Film und rekurrierend auf diese Fernsehserie zwei Teenager Farbe und Leben in diesen virtuellen Ort der 50er Jahre bringen ließ, geriet diese Welt in Unordnung, die Gefühle brachen allerorten aus.

Haynes öffnet ein solches Fenster. Hartford ist auch eine auf sich bezogene Welt, in der sich die Beziehungen der Menschen durch nichts sagende Dialoge und immer wiederkehrende Banalitäten zu bestimmen scheinen. Die Beziehung zwischen Cathy und Frank ist unerotisch, nicht sexueller Art, äußerlich nach den Regeln einer Welt bestimmt, die ihre Hölle gut zu verbergen weiß, nicht eine Hölle wie die des Krieges, des offenen Kampfes, des sichtbaren Schlagabtauschs, sondern eine verborgene, versteckte, geheimgehaltene und durch die brutalen Reglements von „Sitte und Anstand“ unterdrückte Hölle der Gefühle.

In „Far from Heaven“ ist Haynes weit davon entfernt, an einer Ecke zu zündeln und die Verhältnisse zum Explodieren zu bringen. Was sich auftut, das tut sich leise, bedächtig, fast unmerklich auf, aber trotzdem mit aller Gewalt, mit aller Macht und den ebenso gewalttätigen Reaktionen.

Wenn die Kamera durch das Haus der Whitakers, die Firma Franks oder das Hotel in Miami spaziert, durch diese in einen Farbtopf getunkte Welt der Pseudo-Idylle, der großen Illusion, dann beschleicht den Betrachter doch zugleich ein unangenehmes Frösteln, eine Ankündigung, eine unsichtbare Gefahr. Als die Regelverstöße offenbar werden, die Homosexualität Franks und die gefühlvolle, aber nichtsdestotrotz nie sexuelle Beziehung zwischen Cathy und Raymond, wird man gewahr, wie dünn die Oberfläche zu Anfang des Films war, wie nah die Hölle, die im Innern ihren Ort hat, in jedem einzelnen, den man sieht, schon bestand, bevor sie offenbar wurde. Das Verstecken, das Verdrängen, das Verheimlichen wird kaschiert durch ein blutarmes Beziehungsgeflecht der Figuren, das sich als fortschrittlich, intelligent, zuweilen intellektuell gibt und in Wirklichkeit der Horror auf Erden ist.

Besonders deutlich wird dies nicht an der örtlichen Klatschbase, sondern an Cathys Freundin, die Kunstausstellungen mit Picasso und anderen modernen Malern organisiert, die sich Cathy gegenüber als aufgeschlossene, hilfsbereite beste Freundin verkauft – und sie dann fallen lässt wie eine heiße Kartoffel. Die Ächtung macht sich breit, mal schleichend, durch Blicke, durch kleine abwertende Gesten, mal offen, wenn rassistisch-„wohl“erzogene Kinder Sarah einen Stein an den Kopf werfen.

Raymond weiß Bescheid. Raymond ist ein Mann der Zukunft, einer Zukunft, die noch lange auf sich warten lassen wird. Dieser Gärtner pflegt nicht nur die Büsche, die Blumen, die Beete, er pflegt – so gut er das kann und soweit die ihm auferlegten Regeln es zulassen – das, worauf es ankommt: emotionale Ehrlichkeit zu den Menschen in seiner Nähe, zu seiner Tochter und zu Cathy. Raymond ist kein Träumer, kein Phantast. Er führt Cathy in ein von Schwarzen besuchtes Restaurant und lässt sie einen Moment spüren, was es heißt, sich als Schwarzer im weißen Milieu zu bewegen – unter umgekehrten Vorzeichen. Beide verbindet trotzdem von Anfang an ein von Konventionen, nicht hinterfragten Regeln, Rassismus und allen anderen Niederträchtigkeiten freies Gefühl, das sich auf die vollständige gegenseitige Anerkennung als Mensch reduziert und dadurch eine Art Vervollkommnung darstellt. Diese Verbindung, auch das weiß Raymond, bevor es zu irgendeiner Berührung, geschweige denn mehr kommen würde, hat keine Zukunft, außer der, dass er und Cathy sich im Herzen verbunden bleiben werden – und das ist mehr als alle anderen in dieser Geschichte jemals auch nur für sich selbst glauben würden. Cathy findet am Schluss auf tragische Weise zu sich selbst – durch Verzicht auf Raymond.

Frank ist homosexuell und begreift dies, obwohl er sich dazu entschließt, mit einem Mann zu leben, weiterhin als krankhaft. Während Cathy in ihrem Herzen spürt, dass Hautfarbe keine Bedeutung hat, erkennt Frank die Regeln der Gesellschaft ohne Einschränkung an. Er wird im Verborgenen seine neue Beziehung leben, immer in Angst, entdeckt zu werden, in Hotelzimmern, in Nischen der Gesellschaft. Er schlägt Cathy, mehr im Affekt, aber deutlich zum Ausdruck bringend, dass „Neger“ eben „Neger“ bleiben.

Wie Sirk entlarvt Haynes den Schein einer Welt, aber im Unterschied zu Sirk fast 50 Jahre später – im Design der Vergangenheit. Hierin liegt die unterschiedliche Bedeutung von „All That Heaven Allows“ und „Far From Heaven“. Das Grandiose an diesem Film ist, dass durch den Rekurs auf Sirk, sogar auf einen speziellen Film, der Gegenwartsbezug so überdeutlich hervorsticht, dass Ausreden nicht gelten können. Nach einer Weile taucht man in die visualisierte Welt der Whitakers ein, gewöhnt sich an sie, nachdem man anfangs noch kopfschüttelnd den Umgang und den Umgangston belächelt hatte. Warum?

Fassbinder hatte in „Angst essen Seele auf“ 1973 ebenfalls eine Art Remake von „All That Heaven Allows“ inszeniert: die Geschichte einer 60jährigen Putzfrau (Brigitte Mira), die sich in den 29 Jahre jüngeren Marokkaner Salem (El Hedi ben Salem) verliebt und ihn heiraten will. Dieselben Mechanismen des sozialen Drucks, ja sozialer Gewalt entfalten sich gegen die beiden, allerdings hier in den 70er Jahren.

Die Gewöhnung an die „äußeren Umgangsformen“, die in einem Film wie „Far from Heaven“ visualisiert werden, ist nur ein Schein, nur äußerliches Anzeichen dafür, dass es die darunter verborgende Hölle ist, die wir alle kennen und die sich beispielsweise hinter Mechanismen wie „political correctness“ verbirgt. Haynes visualisiert diesen Zusammenhang zwischen dem, was wir als Idylle oder Illusion nur flüchtig erkennen, und dem Verborgenen sowohl in der Geschichte selbst als auch in ihren aktuellen Bezügen. Die Ehe Cathys und Franks ist ein solcher Schein. Diese Ehe ist farblos – im Unterschied zu den Bildern –, asexuell, unerotisch, lieblos – Form. Als die Homosexualität Franks und die Begierde Cathys nach dem, was ihr im Leben fehlt, nämlich letztlich auch Sexualität (nicht im ausschließlichen Sinn sexueller Handlung, sondern als Ausdruck von Liebe), in die Sphäre des Öffentlichen durchbricht, ist die Scheidung der beiden nur noch eine Formsache. Denn beide haben auf ihre Weise begriffen, dass sie nur in einem von außen bestimmten, aber verinnerlichten Mechanismus „gelebt“ haben.

Julianne Moore hätte für diese Rolle der Cathy wahrlich einen Oscar verdient, ebenso Haynes für diesen Film. Und auch Dennis Quaid und Dennis Haysbert spielen grandioses Kino.

Es gibt keinen Grund, über diese 50er Jahre zu lächeln, wo wir doch mehr in den traditionellen Linien der Vergangenheit verstrickt sind, als wir uns vielleicht selbst zugestehen. Die bittere Ironie in Haynes Film schlägt Wellen in die Gegenwart. Wir sind weit davon entfernt – vom Himmel.

[1]„Mein Film ist überhöht und artifiziell. Es wäre billig, sich über die Fünfziger zu amüsieren. Ironischerweise hat sich nicht sehr viel geändert, unsere Gesellschaft nicht wirklich weiter entwickelt. Das ist eher zum Weinen. Es gibt immer noch Menschen, die sich fürchten, ihre Homosexualität auszuleben. Die Vorurteile kaschiert man nur geschickter. Und auch der Typ ‘nette Hausfrau’ feiert fröhliche Auferstehung, wenn auch nicht ganz so drastisch. Frauen müssen immer noch entscheiden zwischen Karriere und Familie. Wenn sie beides wollen, verlangt ihnen das sehr viel Stärke ab“ (Todd Haynes in einem Interview mit der „Berliner Morgenpost“).


 

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