Departed: Unter Feinden
(The Departed)
USA 2006, 152 Minuten
Regie: Martin Scorsese

Drehbuch: William Monaham (Siu Fai Mak, Felix Chong „Internal Affairs”)
Musik: Howard Shore
Director of Photography: Michael Ballhaus
Montage: Thelma Schoonmaker
Produktionsdesign: Kristi Zea

Darsteller: Leonardo di Caprio (Billy Costigan), Matt Damon (Colin Sullivan), Jack Nicholson (Frank Costello), Mark Wahlberg (Sergeant Dignam), Martin Sheen (Captain Oliver Queenan), Ray Winstone (Mr. French), Vera Farmiga (Madolyn), Anthony Anderson (Brown), Alec Baldwin (Captain Ellerby), Kevin Corrigan (Cousin Sean), James Badge Dale (Barrigan)

Bis zum bitteren Ende ...

„I don't want to be a product of
my environment. I want my
environment to be a product of me.
Years ago we had the church. That
was only a way of saying - we had
each other. The Knights of Columbus
were real head-breakers; true
guineas. They took over their piece
of the city. Twenty years after an
Irishman couldn't get a fucking job,
we had the presidency. May rest in
peace. That's what the niggers
don't realize. If I got one thing
against the black chappies,
it's this - no one gives it to
you. You have to take it.”
(Frank Costello)

Das Leben verengt sich. Es schnürt einem fast die Kehle zu – ohne, dass man es aber wirklich bemerken würde. Fast alles, was man als lebenswert bezeichnen könnte, verschwindet aus dem Gesichtsfeld. Ja, es hat sich längst in nichts aufgelöst. Die großen Träume verschwimmen vor den Augen. Eine Enttäuschung tritt an ihre Stelle. Oder man war eben immer schon so, wie man ist, und wird es bis zum gewaltsamen Tod auch bleiben. Das gewalttätige Leben ist im Grunde nichts als die Vorbereitung auf den ebenso abrupten, gewaltsamen Tod. A crime is not only a crime. A crime is our life.

Das südliche Boston wird beherrscht von der irisch-stämmigen Mafia und den ebenso irisch-amerikanischen Cops. Ob die einen die anderen abschießen oder vice versa – wo ist da der Unterschied. Es ist Jagdsaison. Aber diese Saison dauert nicht einen Herbst lang oder auch nur ein Jahr. Keine Ruhe. Saison ist permanent.

Kein anderer als Martin Scorsese und Michael Ballhaus können die Atmosphäre des kriminellen Mobs und „ihrer” Cops derart in Bilder fassen wie in diesem Film und wie schon – wenn auch von der Geschichte her ganz anders – in „Goodfellas” oder auch in „Casino”. Kein anderer seziert mit Dialogen, Bildern und Charakteren diese Atmosphäre und Lebensweise so scharf wie Scorsese.

Frauen haben in diesem Spektrum keinen Platz, oder höchstens den der Passiven, der Ohnmächtigen. Männer, die Dutzende Male das Wort „fuck” im Munde führen, es heraus schreien, als ob es um ihr Leben ging – und darum geht es auch irgendwie – und um ihren Tod, ihren Abgang im wahrsten Sinn des Wortes, beherrschen die Szenerie, haben sich der sozialen Räume bemächtigt – ein für Frauen in aller Regel chancenloses Unterfangen, hier gegenzusteuern. Gegen die Macht, die kalte Macht, die legale wie die illegale, gibt es keine Chance. Es ist eine Welt des Mobs, weil sich die Männer dieser Welt ihr – und wirklich nichts anderem – verschrieben haben. Wie eine Art Gelöbnis schwebt dieses Bekenntnis zu einem Leben der Macht über ihnen, aber vor allem in ihnen.

Nicht nur die wenigen Frauen des Films haben keine Chance. Das Weibliche in den Männern ist verloren gegangen – wenn es denn jemals in ihnen vorhanden war.

Billy Costigan (Leonardo di Caprio) besucht die Polizeischule. Colin Sullivan (Matt Damon) auch. Während Colin nach Abschluss der Schule gleich in eine Spezialeinheit zur Bekämpfung der Mafia kommandiert wird, eröffnen Captain Queenan (Martin Sheen) und Sergeant Dignam (Mark Wahlberg) Billy, sein Profil sei nicht unbedingt geeignet, um Cop zu werden. Sie bieten ihm aber dennoch einen Job an. Er soll sich als Maulwurf in die Umgebung des Mafiosi Costello (Jack Nicholson) einschleusen. Nach anfänglichem Zögern stimmt Billy zu. Captain Ellerby (Alec Baldwin), der die Anti-Mafia-Einheit leitet, weiß nichts von der Aufgabe Billys. Was aber alle nicht wissen: Colin ist ebenfalls Maulwurf – und zwar für den skrupellosen Frank Costello. Er soll Costello die notwendigen Informationen liefern, um bei seinen „Geschäften” ungestört arbeiten zu können.

Colin und Billy wissen nichts voneinander. Während Billy zuerst einmal in den Knast geschickt wird, um seine gefälschte Biografie glaubwürdig erscheinen zu lassen, spioniert Colin für Costello. Letzterer wird auf Billy aufmerksam, als der sich absichtlich in eine Schlägerei verwickelt. Langsam gewinnt Billy das Vertrauen Costellos, dessen rechte Hand Mr. French (Ray Winstone), ein Auge auf Billy wirft.

Billy gehört bald zum engen Kreis Costellos, und der nimmt ihn überall hin mit, etwa wenn es darum geht, Geschäftsinhaber zu erpressen oder anderen Leuten mit Gewalt zu drohen. Billy ist nahe dran, auch in Morde verwickelt zu werden. Er hält dies kaum noch auf und sucht die Psychologin Madolyn (Vera Farmiga) auf, um Hilfe zu erhalten. Die hat sich inzwischen, was Billy nicht weiß, mit Colin angefreundet.

Als Costellos Deal mit chinesischen Verbrechern glatt über die Bühne geht, vermutet Captain Ellerby, es könne bei der Polizei einen Maulwurf Costellos geben. Billy bekommt von Queenan und Dignam den Auftrag Costello daraufhin zu beobachten – und tatsächlich stößt Billy auf Colin, ohne ihn jedoch zunächst zu erkennen. Und Colin wiederum bemerkt, dass er beobachtet wird.

Es beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel – auf Leben und Tod ...

Es ist kaum zu vermeiden, bei Nicholsons Costello keine Gänsehaut zu bekommen. Die rücksichtslose Welt des Sich-Nehmens-Was-Man-Haben-Will verkörpert er in einem Maße, dass Rolle und Akteur oft fast identisch zu werden scheinen. Ob er lächelt, schimpft, schreit, flüstert, normal redet, mordet, ja regelrecht Leute hinrichtet – Costello ist der Inbegriff dieser Welt – ein Mann, den entweder nur der Tod stoppen kann oder der lebenslängliche Knast.

Nicholsons Costello verkörpert die Enge dieser Welt, die sich ausweitet auf alle Lebensbereiche, wie kein anderer. Dazwischen stehen sein Zögling Colin und Billy. Matt Damon sieht man in einer seiner besten Rollen, di Caprio ebenfalls. Damons Colin entwickelt sich zu einer Miniaturausgabe von Costello. Die Gewissenlosigkeit, mit der er einerseits Costello dient, andererseits aber seinen Egoismus pflegt, scheint grenzenlos. Das Mob-Milieu hat Colin derart verinnerlicht, dass selbst die Beziehung zu Madolyn als perfekte Täuschung erscheint – eine Täuschung, die sich als Teil der Verhaltensmuster des Milieus darstellt. Ganz anders Billy, der unbedingt Cop werden will, und von Dignam und Queenan in eine Rolle gedrängt wird, die ihm anfangs „nur” nicht ganz geheuer erscheint, in der er später dann in arge Gewissenskonflikte gerät, bis er zum Schluss – man könnte fast schon sagen: notgedrungen, das heißt: durch die Gesetze des Milieus gedrungen – sich den Spielregeln unterwirft.

Wenn es in „Der Pate” einmal heißt: „Politik und Kriminalität sind ein und dasselbe”, so könnte man angesichts der in „The Departed” erzählten Geschichte ergänzen: Das gesamte Milieu, Mob wie Cops, sind beherrscht von nur einem Ziel: der gegenseitigen Vernichtung. „Depart” heißt einerseits: fortgehen, abfahren. Doch „The departed” bedeutet eigentlich: die Dahingeschiedenen. Und einer nach dem anderen scheidet dahin. Der Tod wird zum mehr oder weniger unbewussten Zweck allen Daseins, weil das Leben bewusst auf ihn ausgerichtet und verengt ist.

Kein anderer als Scorsese kann eine solche Geschichte – übrigens ein Remake des Hongkong-Films „Infernal Affairs” – fast schon wirklichkeitsgetreu erzählen. Und kein anderer als Michael Ballhaus kann seine Kamera so direkt, so unausweichlich, so intensiv in das Geschehen im Milieu tauchen, dass man den Eindruck bekommt, man sei selbst mittendrin. Ballhaus folgt jedem Schritt der Akteure. Es gibt kein „Drumherum”, keine „Alternative”, kein Gegen-Bild, es gibt nur das Milieu, hautnah, ganz eng beim Betrachter. Das scheint nur unkritisch. Es zwingt uns, dorthin zu schauen, wo Scorsese und Ballhaus uns hin haben wollen. Dabei ist „The Departed” nicht so weit entfernt von Scorseses „Gangs of New York”, wie man vielleicht meinen könnte. Man könnte sagen: „The Departed” ist eine gegenüber „Gangs of New York” parallel erzählte Geschichte, nur das sie in der Gegenwart spielt.

„The Departed” ist eben nicht „einfach” eine Mob-Geschichte. Sie ist die (mehr oder weniger) verschlüsselte Antwort des Regisseurs auf die Entwicklung des eigenen Landes. Es ist ein Leichtes, amerikanische Präsidenten und ihre Politik zu desavouieren. Schwieriger ist es, den Spuren und Ursachen dieser Entwicklung nachzugehen. Betrachtet man das Werk Scorseses insgesamt, geht er immer wieder und konsequent diesen Spuren nach. „The Departed” reiht sich dort ein. Es sind die uramerikanischen Werte: Familie, Ehre, Individualismus. Und Scorsese pflückt sie auseinander wie kein anderer. Der eine Sohn, Colin, wird instrumentalisiert von Costello, der andere, Billy, von den Cops. Die Wurzeln beider scheinen verloren. Beide sind junge Männer ohne wirkliche Vergangenheit. Ihre Gegenwart ist ebenso fremdbestimmt wie ihre Zukunft. Der Tod ist ihr beschlossenes Schicksal. Sie sind Verstrickte – wie Robert de Niros Vietnam-Veteran Travis Bickle in „Taxi Driver”.

Hier findet sich der Knotenpunkt sowohl zu Scorseses Gesamtwerk wie zu seiner kritischen Sicht auf die amerikanische Gesellschaft. Die Wurzellosigkeit und Instrumentalisierung seiner Protagonisten korrespondiert mit dem Verrat, der Intrige und dem grenzenlosen Egoismus. Und der gegenseitigen Beobachtung, der wechselseitigen Observation. Big Brother in Süd-Boston. „The Departed” hat Orwellsche Züge einer Gesellschaft, in der ein wirklicher Individualismus längst verloren gegangen ist und das Subjekt zum Werkzeug verkommen ist. Die Erinnerung an etwas anderes ist ebenso ausgelöscht wie die Kontinuität einer Biografie und die Selbstvergewisserung des Individuums angesichts seiner Verortung in der Welt. Scorseses äußerst kritischer Blick auf die kollektivistische Vereinnahmung spürt man in „The Departed” besonders deutlich – auf der Seite des Mobs wie auf Seiten der Cops.

Ist da etwas Positives, etwas Hoffnungsvolles, etwas „Anderes”? Am Schluss des Films lenkt Ballhaus die Kamera aus dem Fenster von Colins Wohnung hinaus auf eine goldene Kuppel, die in der Sonne glänzt. Dazu spielt Roy Buchanans „Sweet Dreams”. Auf dem Geländer läuft eine Ratte entlang.

Ich konnte den Film in der amerikanischen Originalversion sehen. Er läuft ab dem 7.12.2006 hier in den Kinos.

© Bilder: Warner Brothers.